172633.fb2 Die Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

Die Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

ZEHN

Lufkin ließ seinen zweiten Tag in Kairo mit einem Abendessen in einem Straßencafe an der Shari' el-Corniche ausklingen. Er trank starken schwarzen Kaffee und sah zu, wie die Straßenhändler ihre Sachen zusammenpackten: Teppiche, Messinggefäße, Ledertaschen, Leinenstoffe aus Pakistan — alles für die Touristen. Nur fünf Meter entfernt faltete ein uralter Händler sein Zelt penibel zusammen und verließ seinen Platz, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Lufkin sah aus wie ein moderner Ägypter: weiße Hose, ein leichtes Khaki-Jackett, ein weißer Hut mit Lüftungslöchern, dessen breite Krempe er tief in die Stirn gezogen hatte. Er betrachtete die Welt unter der Hutkrempe hervor durch die Gläser einer Sonnenbrille. Er sorgte dafür, dass Gesicht und Arme immer gut gebräunt und sein dunkles Haar immer kurz geschnitten war. Er sprach perfekt Arabisch und kannte sich in Beirut und Damaskus ebenso gut aus wie in Kairo.

Er wohnte im Hotel Ei-Nil am Ufer des Nils, sechs belebte Blocks entfernt, und auf dem Weg dorthin tauchte neben ihm plötzlich ein hoch gewachsener, schlanker Ausländer unbestimmter Herkunft auf, der nur leidlich Englisch sprach. Sie kannten sich gut genug, um einander zu vertrauen, und setzten ihren Weg gemeinsam fort.

«Wir glauben, dass es heute Nacht passiert«, sagte der andere, dessen Augen ebenfalls hinter einer Sonnenbrille verborgen waren.

«Sprechen Sie weiter.«

«In der Botschaft ist ein Empfang.«

«Ich weiß.«

«Eine geeignete Situation. Viel Verkehr: Die Bombe wird in einem Lieferwagen sein.«

«Was für ein Lieferwagen?«

«Das wissen wir nicht.«

«Noch etwas?«

«Nein«, sagte der andere und verschwand in der Menge.

Lufkin trank eine Pepsi in der Hotelbar und überlegte, ob er Teddy anrufen sollte, doch es war nur vier Tage her, dass er in Langley mit ihm gesprochen hatte, und seitdem hatte Teddy keinen Kontakt mit ihm aufgenommen. Sie hatten das alles durchgesprochen. Teddy wollte nicht eingreifen. Kairo war in letzter Zeit ein gefährliches Pflaster für Amerikaner und niemand würde der CIA ernsthaft vorwerfen können, nichts gegen einen Anschlag unternommen zu haben. Es würde die übliche Empörung, die üblichen Schuldzuweisungen geben, doch dann würde die Sache in den hinteren Regionen des nationalen Bewusstseins verschwinden und schließlich vergessen werden. Der Wahlkampf war in vollem Gange und die Welt bewegte sich ohnehin in einem rasenden Tempo. Es gab so viele Anschläge, so viel sinnlose Gewalt, sowohl in den USA als auch im Ausland, dass die Amerikaner abgestumpft waren. Vierundzwanzig Stunden am Tag Nachrichten, ständig neue Brennpunkte, und immer kam es irgendwo auf der Welt zu einer Krise. Ein beständiger Strom von aktuellen Berichterstattungen und erschütternden Nachrichten, und ehe man sich's versah, wurde man davon überrollt.

Lufkin verließ die Bar und ging auf sein Zimmer in der dritten Etage. Von dort hatte er einen Ausblick über das Gewirr der Stadt, die jahrhundertelang wild gewuchert war. Genau vor ihm, etwa anderthalb Kilometer entfernt, konnte er das Dach der amerikanischen Botschaft sehen. Er schlug ein Taschenbuch von Louis L'Amour auf und wartete auf das Feuerwerk.

Der Lieferwagen war ein Volvo Zweitonner, der bis unter das Dach mit 3000 Pfund Plastiksprengstoff aus rumänischer Produktion beladen war. Auf den Türen stand der Name eines bekannten Partydienstes, der die meisten westlichen Botschaften in Kairo belieferte. Er war im Untergeschoss des Gebäudes geparkt, nicht weit vom Lieferanteneingang.

Der Fahrer war ein dicker, freundlicher Ägypter gewesen, den die Marines, die die Botschaft bewachten, Shake nannten. Shake kam oft hierher, um die Speisen und Getränke zu liefern, die bei offiziellen Anlässen serviert wurden. Jetzt lag er mit einer Kugel im Kopf auf dem Boden des Lieferwagens.

Um 20 Minuten nach 10 wurde die Bombe von einem Terroristen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand, durch ein Funksignal gezündet. Sobald er die richtigen Knöpfe gedrückt hatte, ging er hinter einem geparkten Wagen in Deckung und wagte nicht, hinzusehen.

Die Explosion zerstörte einige tragende Pfeiler im Untergeschoss des Gebäudes, so dass es einknickte. Trümmer flogen einen ganzen Block weit durch die Luft. Die meisten der angrenzenden Häuser erlitten zum Teil beträchtliche Schäden. Im Umkreis von 400 Metern zerbrachen Fensterscheiben.

Lufkin war im Sessel eingenickt, als die Erde erbebte. Er sprang auf, trat auf den schmalen Balkon seines Zimmers und betrachtete die Staubwolke. Das Dach der Botschaft war nicht mehr zu sehen. Binnen kurzem loderten Flammen auf. Sirenen heulten. Er stellte den Sessel auf den Balkon und setzte sich. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Sechs Minuten nach der Explosion fiel die Elektrizität im ganzen Viertel aus. Nur der orangerote Feuerschein der Botschaft leuchtete in der Dunkelheit. Er rief Teddy an.

Nachdem der zuständige Techniker Lufkin bestätigt hatte, die Leitung sei abhörsicher, hörte er Teddys Stimme so klar und deutlich, als handele es sich um ein Gespräch von New York nach Boston.»Ja, Maynard hier.«

«Hallo, Teddy. Ich bin in Kairo und sehe gerade zu, wie unsere Botschaft in Flammen aufgeht.«;»Wann ist es passiert?«

«Vor weniger als zehn Minuten.«»Wie stark — «

«Schwer abzuschätzen. Ich bin in einem Hotel, über einen Kilometer entfernt. Eine sehr starke Explosion, würde ich sagen.«

«Rufen Sie mich in einer Stunde noch einmal an. Ich bleibe heute Nacht hier im Büro.«

«In Ordnung.«

Teddy fuhr den Rollstuhl zu einem Computer und drückte ein paar Tasten. Sekunden später wusste er, wo Aaron Lake sich gerade aufhielt: Der Kandidat war an Bord seines hübschen neuen Flugzeugs, unterwegs von Philadelphia nach Atlanta, und in seiner Tasche hatte er ein abhörsicheres Digitaltelefon, so groß wie ein Feuerzeug.

Teddy gab ein paar Ziffern ein, das Telefon wurde angerufen, und Teddy sprach in den Monitor:»Hallo, Mr. Lake, hier ist Teddy Maynard.«

Wer sonst? dachte Lake. Er war der Einzige, der diese Nummer kannte.

«Sind Sie allein?«fragte Teddy.

«Einen Augenblick.«

Teddy wartete, bis Lake sich wieder meldete.»Ich bin jetzt in der Küche«, sagte er.:

«Sie haben eine Küche an Bord?«

«Ja, eine kleine. Es ist ein sehr schönes Flugzeug, Mr. Maynard.«

«Gut. Tut mir leid, Sie stören zu müssen, aber ich habe neue Nachrichten. Vor fünfzehn Minuten hat es einen Bombenanschlag auf unsere Botschaft in Kairo gegeben.«

«Wer ist dafür verantwortlich?«

«Diese Frage sollten Sie lieber nicht stellen.«

«Tut mir leid.«

«Die Presse wird über Sie herfallen. Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit und bereiten Sie eine Erklärung vor. Es wäre angebracht, an die Opfer und ihre Familien zu erinnern. Beschränken Sie politische Aussagen auf ein Minimum, aber fahren Sie einen harten Kurs. Ihre Fernsehspots haben sich in Prophezeiungen verwandelt — darum werden Ihre Worte überall zitiert werden.«

«Ich mache mich sofort an die Arbeit.«

«Rufen Sie mich an, sobald Sie in Atlanta sind.«

«In Ordnung.«

Vierzig Minuten später landeten Lake und seine Begleiter in Atlanta. Die Presse war von seiner Ankunft informiert worden, und während sich in Kairo der Staub setzte, drängten sich in Atlanta die Journalisten. Es gab noch keine Bilder von der Botschaft, doch verschiedene Nachrichtenagenturen berichteten,»Hunderte «seien ums Leben gekommen. In dem kleinen Terminal für Privatflugzeuge stand Lake vor einer Gruppe von Reportern, die mit Kameras und Mikrofonen, kleinen Kassettenrekordern und altmodischen Notizblocks auf seine Erklärung warteten. Er sprach ernst und ohne abzulesen.»In diesem Augenblick sollten wir für die beten, die bei diesem kriegerischen Akt verletzt oder getötet worden sind. Unsere Gedanken und Gebete sind bei ihnen und ihren Familien und auch bei den Rettungs- und Bergungsmannschaften. Ich will aus diesem barbarischen Anschlag kein politisches Kapital schlagen, sondern nur zum Ausdruck bringen, wie unerträglich ich es finde, dass unser Land abermals zur Zielscheibe von Terroristen geworden ist. Wenn ich Präsident der Vereinigten Staaten bin, werde ich dafür sorgen, dass kein getöteter amerikanischer Staatsbürger ungerächt bleibt. Ich werde unsere neu ausgerüstete Armee dafür einsetzen, jede terroristische Gruppe, die unschuldige Amerikaner auf dem Gewissen hat, aufzuspüren und zu vernichten. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.«

Er ging davon, ohne auf die Zurufe und Fragen der Pressemeute zu reagieren.

Brillant, dachte Teddy, der die Liveübertragung in seinem Bunker verfolgt hatte. Kurz, mitfühlend und doch knallhart. Ausgezeichnet! Zum wiederholten Mal beglückwünschte er sich in Gedanken, einen so hervorragenden Kandidaten gefunden zu haben.

Als Lufkin noch einmal anrief, war es in Kairo nach Mitternacht. Das Feuer war gelöscht und man barg die Leichen, so schnell es ging. Viele waren unter den Trümmern begraben. Lufkin stand mit Tausenden von Schaulustigen einen Block entfernt hinter einer Armee-Absperrung. Es herrschte ein wildes Durcheinander und die Luft war von Rauch und Staub erfüllt. Lufkin hatte in seinem Leben mehrere Schauplätze von Bombenattentaten gesehen, und dieses war ein besonders übles gewesen. Er erstattete Teddy Bericht.

Teddy rollte durch den Raum und schenkte sich noch einen koffeinfreien Kaffee ein. Die Terror-Spots würden zur besten Sendezeit gebracht werden. Für drei Millionen Dollar würden sie noch heute Abend landesweit Furcht und Schrecken verbreiten. Morgen würde man die Spots — nach vorheriger Ankündigung — zurückziehen: Aus Respekt vor den Angehörigen der Opfer würde Lake seine kleinen Prophezeiungen für eine Weile einstellen. Und morgen Mittag würde man umfangreiche Umfragen veranstalten.

Es war höchste Zeit, dass die Zustimmung zu Lake wuchs. Bis zu den Vorwahlen in Arizona und Michigan war es nur noch eine Woche. Die ersten Bilder aus Kairo zeigten einen abgehetzten Reporter, im Hintergrund Soldaten, die ihn musterten, als würden sie ihn erschießen, sollte er versuchen, die Absperrung zu durchbrechen. Sirenen wimmerten, überall blinkten blaue und rote Lichter. Doch der Reporter hatte wenig zu berichten. Um 10 Uhr 20, gegen Ende eines Empfangs in der Botschaft, sei im Untergeschoss des Gebäudes eine gewaltige Bombe explodiert; über die Zahl der Opfer sei noch nichts bekannt, doch es würden, wie er versprach, viele sein. Das Gebiet sei von der Armee weiträumig abgeriegelt worden, und zu allem Überfluss habe man auch den Luftraum gesperrt, so dass leider, leider keine Hubschrauberbilder verfügbar seien. Bis jetzt habe noch niemand die Verantwortung für den Anschlag übernommen. Der Einfachheit halber nannte er drei radikale Gruppen — die üblichen Verdächtigen.

«Es könnte eine davon gewesen sein, möglicherweise aber auch eine ganz andere«, vertraute er den Zuschauern an. Da es keine Fernsehbilder von der Katastrophe gab, war die Kamera gezwungen, den Reporter zu zeigen, und da er nichts zu berichten hatte, schwafelte er von den Gefahren des Nahen Ostens, als wäre das die neueste Nachricht und als wäre er der Mann vor Ort, der sie der Welt verkündete.

Lufkin rief gegen 20 Uhr Washingtoner Zeit an, um Teddy zu sagen, der amerikanische Botschafter in Ägypten sei nicht auffindbar, und man befürchte, dass er sich unter den Trümmern befinde. Das jedenfalls sei gerüchteweise durchgesickert. Während er mit Lufkin sprach, betrachtete Teddy den stummen Bildschirm mit dem hilflosen Reporter; auf einem zweiten Bildschirm lief Lakes

Terror-Spot. Dort sah man die Trümmer, die Zerstörung, die Leichen, die Terroristen eines anderen Anschlags und dann Aaron Lake, der mit warmer, aber ernster Stimme Rache gelobte.

Was für ein perfektes Timing, dachte Teddy. Gegen Mitternacht wurde Teddy von einem Assistenten geweckt, der ihm Zitronentee und ein vegetarisches Sandwich brachte. Wie so oft hatte er im Rollstuhl geschlafen. Die mit Bildschirmen bestückte Wand zeigte Fernsehbilder, doch der Ton war abgeschaltet. Als der Assistent gegangen war, drückte Teddy eine Taste und hörte zu.

Über Kairo war inzwischen die Sonne aufgegangen. Der Botschafter war noch nicht gefunden worden und man nahm an, dass er irgendwo unter den Trümmern begraben war.

Teddy hatte den Botschafter nie kennen gelernt. Der Mann war ohnehin vollkommen unbekannt, wurde jedoch von den aufgeregt berichtenden Reportern als großer Amerikaner verherrlicht. Sein Tod berührte Teddy nicht sonderlich, würde aber der Kritik an der CIA neuen Aufwind geben. Er war jedoch auch ein Beleg für die besondere Niedertracht dieses Anschlags und das wiederum konnte Aaron Lake nur recht sein.

Bislang waren einundsechzig Opfer geborgen worden. Die ägyptischen Behörden machten Yidal verantwortlich. Er war der Hauptverdächtige, weil seine kleine Armee in den vergangenen sechzehn Monaten drei westliche Botschaften in die Luft gesprengt und er offen zum Krieg gegen die Vereinigten Staaten aufgerufen hatte. Dem aktuellen CIA-Dossier über Yidal war zu entnehmen, dass er über dreißig Mann und etwa fünf Millionen Dollar jährlich verfügte, die hauptsächlich aus libyschen und saudiarabischen Quellen stammten. Der Presse gegenüber ließ man allerdings durchblicken, dass ihm tausend Mann und unbegrenzte Mittel zu Gebote standen. Außerdem sei er entschlossen, unschuldige Amerikaner zu terrorisieren.

Die Israelis wussten, was Yidal zum Frühstück aß und wo er es zu sich nahm. Sie hätten ihn ein Dutzend Mal fangen können, doch bisher hatte er seinen kleinen Krieg nicht gegen sie geführt. Solange er Amerikaner und Westeuropäer tötete, hatten die Israelis kein echtes Interesse daran, ihn auszuschalten. Immerhin profitierte Israel ja vom Hass des Westens auf radikale Muslims.

Teddy aß das Sandwich langsam und schlief dann noch ein wenig. Gegen Mittag Kairoer Zeit rief Lufkin an und berichtete, die Leichen des Botschafters und seiner Frau seien inzwischen geborgen worden. Die Zahl der Opfer war auf vierundachtzig gestiegen; bis auf elf waren es Amerikaner.

Die Kameras fanden Lake vor einer Fabrik in Marietta, Georgia, wo er vor Tagesanbruch den Arbeitern beim Schichtwechsel die Hände schüttelte. Als man ihn auf die Ereignisse in Kairo ansprach, sagte er:»Vor sechzehn Monaten haben dieselben Terroristen zwei unserer Botschaften in die Luft gesprengt und dreißig Amerikaner ermordet und wir haben nichts unternommen, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. Sie sind ungeschoren davongekommen, weil wir nicht entschlossen zurückgeschlagen haben. Wenn ich Präsident der Vereinigten Staaten bin, werden wir diesen Verbrechern den Krieg erklären und dem Morden ein Ende setzen.«

Starke Worte. Sie wirkten ansteckend, und als Amerika erwachte und mit den schrecklichen Nachrichten aus Kairo konfrontiert wurde, bekam das Land aus dem Mund der anderen sieben Kandidaten einen aggressiven Chor von Drohungen und Ultimaten zu hören. Selbst die Gemäßigteren klangen jetzt wie Revolverhelden.