172633.fb2 Die Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 23

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DREIUNDZWANZIG

Der Süden fand tatsächlich Gefallen an Aaron Lake und seiner Leidenschaft für Waffen, Bomben, starke Worte und militärische Einsatzbereitschaft. Er überschwemmte Florida, Mississippi,

Tennessee, Oklahoma und Texas mit Werbespots, die noch provozierender waren als seine ersten.

Und Teddys Leute überschwemmten dieselben Staaten mit mehr Geld, als je am Vorabend einer Wahl den Besitzer gewechselt hatte.

Das Ergebnis war ein weiterer überwältigender Sieg. Von den Delegierten, die am kleinen Super Tuesday gewählt wurden, bekam Lake 260 von insgesamt 312. Als die Stimmen am 14. März ausgezählt waren, standen 1301 der insgesamt 2066 Delegierten fest, und Lake lag mit 801 zu 390 weit vor Gouverneur Tarry in Führung.

Sofern nicht eine unvorhergesehene Katastrophe eintrat, war das Rennen gelaufen.

Busters erster Job in Trumble bestand darin, das Gras am Rand der Grünflächen mit einem Elektro-Rasentrimmer kurz zu halten. Dafür bekam er einen Anfangslohn von zwanzig Cent pro Stunde. Die Alternative wäre gewesen, den Boden der Cafeteria zu wischen. Er hatte sich für den Rasentrimmer entschieden, weil er gern in der Sonne war und sich geschworen hatte, dass er nicht so bleich werden würde wie einige der Häftlinge, die er gesehen hatte. Und so dick wollte er auch nicht werden. Das hier ist ein Gefängnis, dachte er immer wieder — wie können sie da so dick sein?

Er arbeitete im hellen Sonnenlicht, erhielt sich seine Bräune, war fest entschlossen, nicht zuzunehmen, und versuchte, alles richtig zu machen. Doch schon nach zehn Tagen war ihm klar, dass er keine achtundvierzig Jahre durchstehen würde.

Achtundvierzig Jahre! Er konnte sich eine solche Zeitspanne nicht mal vorstellen. Wer konnte das schon?

In den ersten beiden Tagen im Gefängnis hatte er fast ununterbrochen geweint.

Vor dreizehn Monaten hatten er und sein Vater noch in ihrer Werft gearbeitet und Boote repariert.

Und zweimal pro Woche waren sie hinausgefahren und hatten gefischt.

Er arbeitete sich langsam am Rand des Basketballfelds entlang, wo ein hart umkämpftes Spiel im Gange war. Dann ging er weiter zu der großen Sandfläche, wo manchmal Volleyball gespielt wurde.

In der Entfernung drehte ein älterer Mann in strammem Schritt seine Runden um die Aschenbahn. Er hatte das lange, graue Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trug kein Hemd und kam Buster irgendwie bekannt vor. Buster nahm sich die Ränder eines Gehwegs vor und näherte sich langsam der Aschenbahn.

Der einsame Geher war Finn Yarber, einer der Richter, die ihm helfen wollten. Er bewegte sich in einem steten Tempo um die Bahn, hoch aufgerichtet, mit steifen Schultern und erhobenem Kopf, nicht gerade das Bild eines Athleten, aber nicht schlecht für einen sechzigjährigen Mann. Er war barfuss, und Schweiß strömte über die ledrige Haut seines nackten Oberkörpers.

Buster schaltete den Rasentrimmer ab und legte ihn auf den Boden. Als Yarber näher kam und ihn erkannte, sagte er:»Hallo, Buster. Wie geht's?«

«Ich bin immer noch hier. Was dagegen, wenn ich Sie ein Stück begleite?«

«Überhaupt nicht«, sagte Yarber, ohne den Schritt zu verlangsamen.

Erst nach 200 Metern fand Buster den Mut zu fragen:»Was macht meine Berufung?«

«Richter Beech kümmert sich darum. Das Strafmaß scheint in Ordnung zu sein — da sieht es also nicht so gut aus. Bei einer Menge Leute, die hier eingeliefert werden, stimmt das Strafmaß nicht. Normalerweise formulieren wir dann ein, zwei Anträge und ersparen ihnen ein paar Jahre. In deinem Fall wird das leider nicht gehen.«

«Das macht nichts. Was machen ein paar Jahre aus, wenn man achtundvierzig Jahre bekommen hat? Ob achtundzwanzig, achtunddreißig oder achtundvierzig Jahre — was macht das schon für einen Unterschied?«

«Aber du hast ja noch die Berufung. Da besteht die Chance, dass das Urteil aufgehoben wird.«

«Eine winzige Chance.«

«Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben, Buster«, sagte Yarber ohne eine Spur von Überzeugung. Die Hoffnung behalten, bedeutete, den Glauben an das System nicht aufzugeben, und den hatte Yarber ganz und gar verloren. Er war mit Hilfe eben jenes Rechtssystems, für das er einst eingetreten war, ans Messer geliefert worden.

Aber Yarber hatte wenigstens Feinde, und er konnte beinahe verstehen, dass sie ihn fertig machen wollten.

Dieser Junge dagegen hatte nichts verbrochen. Yarber hatte genug von seiner Akte gelesen, um davon überzeugt zu sein, dass Buster vollkommen unschuldig war — ein weiteres Opfer eines übereifrigen Staatsanwaltes.

Aus den Unterlagen ließ sich schließen, dass der Vater vielleicht ein bisschen Geld an der Steuer vorbeigeschmuggelt hatte — allerdings keine größeren Beträge. Nichts, was eine Anklageschrift von 160 Seiten gerechtfertigt hätte.

Hoffnung! Wenn er dieses Wort auch nur in Gedanken aussprach, kam er sich vor wie ein Heuchler. Die Berufungsgerichte waren inzwischen mit rechtsgerichteten Saubermännern besetzt, und Urteile gegen Drogentäter wurden ohnehin nur selten kassiert. Man würde einen» Abgelehnt«-Stempel auf den Berufungsantrag des Jungen drücken und sich einreden, dass man damit die Straßen wieder etwas sicherer gemacht hatte.

Der größte Feigling war der Richter gewesen. Von Staatsanwälten erwartete man ja, dass sie alle Welt anklagten, doch Richter waren dazu da, die weniger belasteten Angeklagten auszusortieren. Das Verfahren gegen Buster und seinen Vater hätte von dem gegen die Kolumbianer und ihre Komplizen abgetrennt und eingestellt werden müssen.

Jetzt war der eine tot, und das Leben des anderen war ruiniert. Und niemand im ganzen Strafverfolgungssystem kümmerte sich darum. Es war ja bloß ein Drogendelikt.

An der ersten Kurve des Ovals wurde Yarber langsamer und blieb dann stehen. Er blickte über eine lange Wiese zum Rand eines Waldes. Auch Buster sah in diese Richtung. Seit zehn Tagen war sein Blick immer wieder über die Umgebung des Gefängnisses geschweift, und er hatte gesehen, was es dort nicht gab: Zäune, Stacheldraht, Wachtürme.

«Der Letzte, der abgehauen ist«, sagte Yarber und starrte ins Leere,»ist in dem Wald da verschwunden. Nach ungefähr fünf Kilometern kommt man an eine Landstraße.«

«Und wer war das?«

«Ein Typ namens Tommy Adkins. Er war mal Bankier in North Carolina gewesen und hatte sich beim Griff in die Kasse erwischen lassen.«

«Was ist aus ihm geworden?«

«Er wurde verrückt und ist eines Tages einfach losmarschiert. Es hat sechs Stunden gedauert, bis irgendjemand was gemerkt hat. Einen Monat später ist er in einem Motelzimmer in Cocoa Beach gefunden worden. Allerdings nicht von den Bullen, sondern vom Zimmermädchen. Er lag nackt und zusammengekrümmt auf dem Boden und nuckelte am Daumen. Völlig gaga. Sie haben ihn in eine Klapsmühle gesteckt.«

«Sechs Stunden, hm?«

«Ja. Das passiert ungefähr einmal pro Jahr. Irgendeiner geht einfach weg. Dann benachrichtigen sie die Bullen in deinem Heimatort und geben deinen Namen in den Fahndungscomputer ein — das Übliche eben.«

«Und wie viele werden geschnappt?«

«Fast alle.«

«Fast?«

«Ja, aber die werden geschnappt, weil sie blöde Sachen machen. Sie besaufen sich in Bars. Fahren

Wagen mit kaputten Rücklichtern. Besuchen ihre Freundin.«

«Wenn man schlau genug ist, kann man es also schaffen?«

«Klar. Sorgfältige Planung, ein bisschen Kleingeld, und das Ganze ist kein Problem.«

Sie gingen weiter, etwas langsamer jetzt.»Eine Frage, Mr. Yarber«, sagte Buster.»Wenn Sie achtundvierzig Jahre vor sich hätten, würden Sie dann abhauen?«

«Ja.«

«Ich habe aber keinen Cent.«

«Ich schon.«

«Würden Sie mir helfen?«

«Mal sehen. Lass dir erst mal Zeit. Leb dich hier ein. Im Augenblick haben sie ein Auge auf dich, weil du neu bist, aber in ein paar Wochen ist das vorbei.«

Buster lächelte. Seine Strafe war soeben drastisch reduziert worden.

«Du weißt, was passiert, wenn sie dich erwischen?«fragte Yarber.

«Ja, sie brummen mir noch ein paar Jahre auf. Was soll's? Vielleicht kriege ich dann achtundfünfzig Jahre. Nein, wenn sie mich erwischen, bringe ich mich um.«

«Das würde ich auch tun. Aber du musst dich darauf gefasst machen, das Land zu verlassen.«

«Und wohin soll ich dann gehen?«

«Irgendwohin, wo du wie ein Einheimischer aussiehst und man dich nicht an die USA ausliefert.«»Wie zum Beispiel?«

«Argentinien oder Chile. Sprichst du Spanisch?«

«Nein.«

«Dann fang an, es zu lernen. Du kannst hier Spanischunterricht nehmen. Frag mal ein paar von den Jungs aus Miami.«

Sie gingen schweigend eine Runde. Buster überdachte seine Zukunft. Seine Füße waren leichter, er ging aufrechter, und auf seinem Gesicht lag ein Lächeln.

«Warum helfen Sie mir?«fragte er Yarber.

«Weil du dreiundzwanzig bist. Zu jung und zu unschuldig. Das System hat dich einfach überrollt, und du hast das Recht, dich auf jede nur mögliche Art zu wehren. Hast du eine Freundin?«

«Irgendwie schon.«

«Vergiss sie. Sie wird dich nur in Schwierigkeiten bringen. Außerdem: Glaubst du im Ernst, dass sie achtundvierzig Jahre warten wird?«

«Das hat sie gesagt.«

«Dann hat sie gelogen. Sie sieht sich schon nach einem anderen um. Wenn du nicht geschnappt werden willst, vergiss sie.«

Wahrscheinlich hat er recht, dachte Buster. Er hatte noch keinen Brief von ihr bekommen, und obwohl sie nur vier Stunden entfernt lebte, hatte sie ihn noch nicht besucht. Sie hatten zweimal miteinander telefoniert, aber sie schien sich nur dafür zu interessieren, ob er von anderen Häftlingen angegriffen worden war.

«Hast du Kinder?«fragte Yarber.

«Nicht dass ich wüsste.«

«Und was ist mit deiner Mutter?«

«Sie ist gestorben, als ich noch ganz klein war. Mein Vater hat mich aufgezogen. Wir haben ganz allein gelebt.«

«Dann bist du der ideale Ausbruchskandidat.«

«Ich würde am liebsten sofort abhauen.«

«Hab Geduld. Das muss sorgfältig geplant werden.«

Sie gingen noch eine Runde, und Buster spürte den Drang loszurennen. Ihm fiel nichts ein, was er in Pensacola verpassen würde. Auf der Highschool hatte er in Spanisch gute Noten gehabt. Er hatte zwar alles wieder vergessen, doch das Lernen war ihm immer leicht gefallen. Er würde keine Probleme damit haben. Er würde den Spanischkurs belegen und möglichst viel Zeit mit den Latinos verbringen.

Je länger er ging, desto mehr wünschte er sich, dass sein Urteil bestätigt wurde. Je eher, desto besser. Wenn sein Urteil kassiert würde, müsste er eine neue Verhandlung durchstehen, und in die Geschworenen, die dann über seinen Fall entscheiden würden, setzte er kein Vertrauen.

Buster wollte losrennen, quer über die Wiese zum Wald und dann weiter zur Landstraße. Was er dort tun würde, wusste er noch nicht. Aber wenn ein verrückter Bankier fliehen und es bis nach Cocoa Beach schaffen konnte, konnte er das auch.

«Warum sind Sie nicht geflohen?«fragte er Yarber.

«Ich hab daran gedacht. Aber in fünf Jahren komme ich raus. So lange halte ich es schon noch aus. Dann bin ich fünfundsechzig und in guter körperlicher Verfassung, und statistisch habe ich dann noch sechzehn Jahre vor mir. Und dafür lebe ich, Buster, für diese sechzehn Jahre. Ich will nicht ständig über meine Schulter sehen müssen.«

«Und wohin werden Sie dann gehen?«

«Das weiß ich noch nicht. Vielleicht lasse ich mich in einem kleinen Dorf in Italien nieder. Vielleicht auch in Peru, irgendwo in den Bergen. Die ganze Welt wird mir offen stehen. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht ein paar Stunden davon träume.«

«Dann haben Sie also eine Menge Geld?«

«Nein, aber ich arbeite daran.«

Das warf eine Reihe von Fragen auf, aber Buster hielt sich zurück. Er war dabei zu lernen, dass man im Gefängnis lieber nicht zu viele Fragen stellte.

Als er genug gelaufen war, blieb er bei seinem Rasentrimmer stehen.»Vielen Dank, Mr. Yarber«,

sagte er.

«Nichts zu danken. Aber behalt das alles für dich.«

«Klar. Wenn es so weit ist, bin ich bereit.«

Yarber ging weiter und drehte die nächste Runde. Seine Shorts waren schweißgetränkt, und auch aus dem grauen Pferdeschwanz tropfte der Schweiß. Buster sah ihm nach und ließ den Blick dann über die Wiese zum Waldrand schweifen.

Er hatte das Gefühl, als könnte er bis nach Südamerika sehen.