172633.fb2 Die Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

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DREI

Die Abteilung für juristische Fachliteratur nahm genau ein Viertel der Fläche der gesamten Bibliothek in Trumble ein. Sie befand sich in einer Ecke, die mit Glas und einer unverputzten Ziegelsteinmauer abgetrennt war. Das Ganze war sehr geschmackvoll ausgeführt und mit Steuergeldern bezahlt worden. In dieser juristischen Bibliothek waren Regale voller häufig benutzter Bücher so dicht aneinander aufgestellt, dass man sich kaum dazwischen hindurchzwängen konnte. Entlang der Wände standen Tische mit Schreibmaschinen, Computern und so vielen Bergen von Papier, dass man sich in eine große Kanzlei versetzt fühlte.

In der juristischen Bibliothek regierte die Bruderschaft. Selbstverständlich stand der Raum allen Insassen zur Verfügung, doch es gab ein ungeschriebenes Gesetz, das besagte, dass man die Erlaubnis der Richter brauchte, um sich dort aufzuhalten. Nun ja, vielleicht musste man sie nicht gerade um Erlaubnis fragen — aber wenigstens in Kenntnis setzen.

Richter Joe Roy Spicer aus Mississippi bekam vierzig Cent pro Stunde dafür, dass er den Boden fegte und die Tische und Regale in Ordnung hielt. Er leerte auch die Papierkörbe und stand in dem Ruf, diese niederen Arbeiten äußerst nachlässig zu verrichten. Richter Hatlee Beech aus Texas war offiziell der Bibliothekar der juristischen Abteilung und wurde mit fünfzig Cent pro Stunde am besten bezahlt. Er wachte mit Argusaugen über» seine Bücher «und stritt sich oft mit Spicer über dessen Arbeitsauffassung. Richter Finn Yarber, ehemals Oberrichter am Obersten Gerichtshof von Kalifornien, bekam als Computertechniker zwanzig Cent pro Stunde. Sein Lohn war deshalb so niedrig, weil er so wenig von Computern verstand.

Gewöhnlich verbrachten die drei sechs bis acht Stunden täglich in der juristischen Bibliothek. Wenn einer der Insassen ein juristisches Problem hatte, vereinbarte er einfach einen Termin mit einem der

Richter und suchte ihn dort auf. Hatlee Beech war Experte für Strafmaße und Berufungen. Finn Yarber kümmerte sich um Konkursverfahren, Scheidungen und Sorgerechtsfragen. Joe Roy Spicer besaß keine formale juristische Ausbildung und hatte daher auch kein Spezialgebiet. Er wollte kein Spezialgebiet. Er schrieb die Briefe.

Strenge Regeln verboten es den Richtern, für ihre Beratungen ein Honorar zu verlangen, doch strenge Regeln bedeuteten wenig. Immerhin waren sie ja alle verurteilte Verbrecher, und wen störte es schon, wenn sie ein bisschen nebenbei verdienten? Am meisten brachten die Strafmaße ein. Bei etwa einem Viertel der Neuankömmlinge in Trumble enthielt die Urteilsbegründung juristische Fehler. Beech konnte sich eine Akte über Nacht vornehmen und etwaige Schlupflöcher finden. Vor einem Monat war es ihm gelungen, für einen jungen Mann, der fünfzehn Jahre bekommen hatte, vier Jahre herauszuschinden. Dessen Familie hatte nur zu gern bezahlt, und so hatte die Bruderschaft ihr bisher höchstes Honorar verdient: 5000 Dollar. Spicer hatte über ihren Anwalt in Neptune Beach eine Überweisung auf ihr geheimes Konto arrangiert.

Am hinteren Ende der juristischen Bibliothek befand sich ein kleines Besprechungszimmer, dessen verglaste Tür hinter Regalen verborgen und daher vom Hauptsaal aus kaum zu sehen war. Es interessierte sich ohnehin niemand dafür, was dort geschah. In diesen Raum zogen sich die Richter zurück, wenn sie vertrauliche Dinge zu besprechen hatten. Sie nannten ihn das Richterzimmer.

Spicer hatte soeben Besuch von ihrem Anwalt gehabt, der ihm Post gebracht hatte — ein paar wirklich erfreuliche Briefe. Er schloss die Tür, zog einen Umschlag aus einem Schnellhefter und zeigte ihn Beech und Yarber.»Gelb«, sagte er.»Ist das nicht hübsch? Ein Brief für Ricky.«

«Von wem?«fragte Yarber.

«Von Curtis aus Dallas.«

«Ist das der Bankier?«fragte Beech aufgeregt.

«Nein. Curtis ist der mit den Schmuckgeschäften. Hört zu. «Spicer faltete den auf weichem, gelbem Papier geschriebenen Brief auseinander und las ihn vor:»>Lieber Ricky! Dein Brief vom 8. Januar hat mich zum Weinen gebracht. Ich habe ihn dreimal gelesen, bevor ich ihn aus der Hand legen konnte. Du armer Junge! Warum lassen sie dich nicht raus?<«

«Wo ist Ricky?«fragte Yarber.

«Ricky sitzt in einer teuren Drogenklinik, die sein reicher Onkel bezahlt. Er ist jetzt seit einem Jahr da drin, clean und völlig geheilt, aber die bösen Leute von der Klinik wollen ihn erst im April rauslassen, weil sie 20000 Dollar pro Monat von seinem Onkel kriegen, der ihn hinter Schloss und Riegel haben will und ihm kein Taschengeld schickt. Weißt du das etwa nicht mehr?«

«Jetzt fällt's mir wieder ein.«

«Wir haben doch gemeinsam an der Geschichte gefeilt. Darf ich jetzt weiterlesen?«

«Bitte.«

Spicer fuhr fort:»>Am liebsten würde ich auf der Stelle kommen und diese verbrecherischen Leute zur Rede stellen. Und deinen Onkel ebenfalls. Was für ein Versager! Reiche Leute wie er denken immer, wenn sie Geld schicken, brauchen sie sich nicht selbst zu kümmern. Ich habe dir ja schon geschrieben, dass mein Vater sehr reich war, aber zugleich war er auch der unglücklichste Mensch, den ich je gekannt habe. Er hat mir zwar alles Mögliche gekauft, aber das waren bloß Dinge, die irgendwann kaputtgingen und mir nichts bedeutet haben. Er hatte nie Zeit für mich. Er war ein

kranker Mann, genau wie dein Onkel. Für den Fall, dass du irgendetwas aus dem Klinikladen brauchst, habe ich einen Scheck über 1000 Dollar beigelegt.

Ach, Ricky, ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Ich habe meiner Frau gesagt, dass in Orlando im April eine internationale Diamantenschau stattfindet, und sie hat keine Lust, mich zu begleiten.<«

«Im April?«fragte Beech.

«Ja, Ricky ist sicher, dass er im April entlassen wird.«

«Geht einem das nicht zu Herzen?«sagte Yarber lächelnd.»Und Curtis hat Frau und Kinder?«

«Curtis ist dreiundfünfzig und hat drei erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder.«

«Wo ist der Scheck?«fragte Beech.

Spicer drehte den Briefbogen um und las weiter:»>Wir müssen uns unbedingt in Orlando treffen. Bist du sicher, dass sie dich im April rauslassen? Bitte sag, dass es so ist! Es vergeht keine Stunde, in der ich nicht an dich denke. Ich habe dein Foto in meinem Schreibtisch, und wenn ich in deine Augen sehe, weiß ich, dass wir füreinander bestimmt sind.<«

«Krank«, sagte Beech, ebenfalls lächelnd.»Und so was kommt aus Texas.«

«In Texas gibt's bestimmt noch mehr von der Sorte«, sagte Yarber.

«Und in Kalifornien nicht?«

«Der Rest ist bloß Gelalle«, sagte Spicer, der den Brief rasch überflog. Sie würden ihn später eingehend studieren. Er hielt den Scheck über 1000 Dollar hoch, damit seine Kollegen ihn sehen konnten. Zu gegebener Zeit würde er von ihrem Anwalt hinausgeschmuggelt und auf ihr geheimes Konto eingezahlt werden.

«Wann lassen wir die Bombe platzen?«fragte Yarber.

«Lasst uns erst noch ein paar Briefe wechseln. Ricky muss sich ein bisschen ausweinen.«

«Vielleicht könnte einer der Wachmänner ihn verprügeln oder so«, schlug Beech vor.

«Es gibt dort keine Wachmänner«, antwortete Spicer.»Immerhin ist es eine teure Drogenklinik. Die haben keine Wachen, sondern Berater.«

«Aber es ist eine geschlossene Anstalt, oder nicht? Das heißt, es gibt Zäune und Tore und das wiederum heißt, dass sie ein paar Wachen haben. Und wenn Ricky nun beim Duschen oder im Umkleideraum von einem Finsterling überfallen wird, der es auf seinen schönen Körper abgesehen hat?«

«Nein, keine sexuellen Übergriffe«, sagte Yarber.»Das könnte Curtis abschrecken. Er könnte auf die Idee kommen, dass Ricky sich was Ansteckendes eingefangen hat.«

Und so bastelten sie noch ein paar Minuten an Rickys trauriger Geschichte. Sein Foto stammte von der Pinnwand eines anderen Gefängnisinsassen und war von ihrem Anwalt kopiert und inzwischen an mehr als ein Dutzend Brieffreunde in ganz Amerika verschickt worden. Es war das Foto eines lächelnden Universitätsstudenten mit dunkelblauer Robe und Doktorandenhut, der ein zusammengerolltes Diplom in der Hand hielt. Er war ein sehr gut aussehender junger Mann.

Man beschloss, Beech solle die Geschichte in den kommenden Tagen weiterentwickeln und einen groben Entwurf des nächsten Briefes an Curtis ausarbeiten. Beech war Ricky und im Augenblick hielt dieser arme, gequälte Junge acht Anteil nehmende Männer über sein Unglück auf dem Laufenden. Richter Yarber war Percy — ebenfalls ein junger Mann, der, mittlerweile geheilt, in einer Drogenklinik saß, auf seine baldige Entlassung wartete und einen älteren, wohlhabenden, verständnisvollen Mann suchte, um mit ihm eine wunderbare Zeit zu verbringen. Percy hatte fünf Angeln ausgeworfen, die er langsam einholte.

Richter Joe Roy Spicer besaß kein großes schriftstellerisches Talent. Er koordinierte alles, half beim Ausdenken der Geschichten, sorgte dafür, dass sie stimmig waren, und hielt den Kontakt zu dem Anwalt, der ihnen die Post brachte. Und er kümmerte sich um das Geld.

Er zog einen zweiten Brief hervor und verkündete:»Und dies, Eure Ehren, ist von Quince.«

Beech und Yarber erstarrten und sahen den Brief an. Aus den sechs Briefen, die Quince an Ricky geschrieben hatte, war hervorgegangen, dass er ein reicher Bankier aus einer kleinen Stadt in Iowa war. Wie alle anderen hatten sie ihn durch eine Kontaktanzeige in den Schwulenmagazinen gefunden, die jetzt in der juristischen Bibliothek versteckt waren. Er war der zweite, der angebissen hatte — der erste hatte Verdacht geschöpft und nicht mehr geantwortet. Quinces Foto war ein Schnappschuss am Ufer eines Sees und zeigte ihn im Kreis seiner Familie, mit nacktem Oberkörper und dem Schmerbauch, den dünnen Armen, dem schütteren Haar eines Einundfünfzigjährigen. Es war ein schlechtes Foto, das Quince zweifellos deshalb ausgesucht hatte, weil es nicht leicht sein würde, ihn zu identifizieren, sollte es jemand versuchen.

«Möchtest du ihn lesen, Ricky, mein Schöner?«fragte Spicer und reichte Beech den Brief. Der nahm ihn und betrachtete den Umschlag. Er war weiß und ohne Absender und die Adresse war mit der Maschine geschrieben.

«Hast du ihn schon gelesen?«fragte Beech.

«Nein. Nun mach schon.«

Beech zog langsam den Brief aus dem Umschlag. Es war ein einfacher weißer Bogen, der mit einer alten Schreibmaschine eng beschrieben war. Beech räusperte sich und las vor: >»Lieber Ricky! Ich hab's getan. Ich kann's noch gar nicht fassen, aber ich hab's wirklich getan. Ich bin in eine Telefonzelle gegangen und hab das Geld per Postanweisung überwiesen, so dass es nicht zurückverfolgt werden kann — ich glaube, ich habe keine Spuren hinterlassen. Die New Yorker Agentur, die du mir empfohlen hast, war hervorragend — sehr diskret und hilfsbereit. Ich will ehrlich sein, Ricky: Ich hatte eine Heidenangst. Bis vor ein paar Wochen wäre es mir nicht im Traum eingefallen, eine Kreuzfahrt mit lauter Homosexuellen zu buchen. Aber soll ich dir was sagen? Es war aufregend! Ich bin so stolz auf mich! Wir haben eine Luxuskabine für tausend Dollar die Nacht. Ich kann's kaum erwarten.<«

Beech hielt inne und sah seine Kollegen über die tief auf der Nase sitzende Lesebrille hinweg an. Die beiden lächelten verträumt.

Er fuhr fort: >»Wir stechen am zehnten März in See und ich habe eine wunderbare Idee. Ich werde am neunten in Miami ankommen, so dass wir nur wenig Zeit haben werden, uns kennen zu lernen.

Treffen wir uns doch auf dem Schiff, in unserer Kabine. Ich werde als Erster da sein, meine Sachen in die Kabine bringen lassen, den Champagner kalt stellen und auf dich warten. Ach, was werden wir für einen Spaß haben, Ricky! Drei Tage, nur für uns allein! Wenn es nach mir geht, werden wir die ganze Zeit im Bett verbringen.<«

Beech konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, doch irgendwie gelang es ihm, dabei angeekelt den Kopf zu schütteln.

>»Ich bin schon so aufgeregt. Endlich habe ich beschlossen, herauszufinden, wer ich wirklich bin, und du, Ricky, hast mir den Mut gegeben, den ersten Schritt zu tun. Obwohl wir uns bis jetzt nur brieflich kennen, kann ich dir gar nicht genug danken.

Bitte schreib mir so schnell wie möglich und gib auf dich Acht, mein Ricky. In Liebe, Quince.<«

«Ich glaube, ich muss gleich kotzen«, sagte Spicer, aber es klang nicht überzeugend. Es gab zu viel zu tun.

«Wir sollten die Bombe platzen lassen«, sagte Beech. Die anderen stimmten ihm sogleich zu.

«Wie viel?«fragte Yarber.

«Mindestens hunderttausend«, sagte Spicer.»Seine Familie ist seit zwei Generationen im Bankgeschäft. Wir wissen, dass sein Vater sich noch nicht zur Ruhe gesetzt hat, und man kann sich vorstellen, wie der Alte ausrasten wird, wenn er hört, dass sein Sohn ein Schwuler ist. Quince kann es sich nicht leisten, vor die Tür gesetzt zu werden, also wird er zahlen, was wir verlangen. Es ist die ideale Situation.«

Beech machte sich bereits Notizen, ebenso wie Yarber. Spicer ging in dem kleinen Raum auf und ab wie ein Bär. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Strategie diskutiert, Ideen entwickelt und Formulierungen gefunden hatten, doch schließlich nahm ihr Antwortbrief Gestalt an.

Beech las den Entwurf vor. >»Lieber Quince! Über deinen Brief vom vierzehnten Januar habe ich mich sehr gefreut. Wie schön, dass du die Schwulen-Kreuzfahrt gebucht hast. Das klingt wirklich faszinierend. Es gibt nur ein einziges kleines Problem: Ich werde nicht dabei sein können, und das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass ich erst in ein paar Jahren entlassen werde. Ich bin nämlich nicht in einer Drogenklinik, sondern im Gefängnis. Und ich bin alles andere als schwul. Ich habe eine Frau und zwei Kinder und denen geht es finanziell gar nicht gut, weil ich ja im Knast sitze und sie nicht unterstützen kann. Und das ist der Punkt, an dem du ins Spiel kommst, Quince: Ich brauche etwas von deinem Geld. Ich will hunderttausend Dollar. Nennen wir es einfach Schweigegeld. Du schickst es mir und ich vergesse diese ganze Ricky-Geschichte und die Schwulen-Kreuzfahrt und kein Mensch in Bakers, Iowa, wird je etwas davon erfahren, weder deine Frau noch deine Kinder, dein Vater oder der Rest deiner reichen Familie. Wenn du kein Geld schickst, werden viele Leute in deiner kleinen Stadt Kopien deiner Briefe kriegen.

Das Ganze nennt sich Erpressung, Quince, und du bist in die Falle getappt. Es ist grausam, gemein und ein Verbrechen, aber das ist mir egal. Du hast Geld und ich brauche welches.<«

Beech hielt inne und sah die anderen an.

«Wunderbar«, sagte Spicer, der in Gedanken bereits dabei war, seinen Anteil auszugeben.

«Übel«, sagte Yarber.»Was ist, wenn er sich umbringt?«

«Das ist reine Spekulation«, sagte Beech.

Sie lasen den Brief noch einmal und erörterten, ob der Zeitpunkt für diesen Schritt richtig war. Sie sprachen weder über die Gesetzeswidrigkeit dieser Sache noch über die Strafe, die sie erwartete, falls sie aufflogen. Das alles war vor Monaten geklärt worden, als Joe Roy Spicer die anderen beiden überzeugt hatte mitzumachen. Im Verhältnis zum möglichen Ertrag war das Risiko minimal. Die

Männer, die ihnen in die Falle gingen, würden wohl kaum zur Polizei laufen und Anzeige wegen Erpressung erstatten.

Doch bisher hatten sie noch keinen erpresst. Sie standen in Briefkontakt mit rund einem Dutzend potenziellen Opfern — allesamt Männer in mittleren Jahren, die den Fehler begangen hatten, auf diese Kleinanzeige zu antworten:

Attr. Mann, weiß, Mitte 20, sucht Brieffreundschaft mit liebevollem, diskretem Herrn, Anf. 40 bis Ende 50

Eine einzige, klein gedruckte Anzeige auf den letzten Seiten eines Schwulenmagazins hatte sechzig Antworten gebracht. Spicer war die Aufgabe zugefallen, die Briefe durchzusehen und die reichen Opfer herauszusieben. Anfangs war er widerwillig gewesen, doch nach und nach hatte er Gefallen daran gefunden. Und jetzt war es auf einmal ein Geschäft, denn sie waren im Begriff, einen vollkommen unschuldigen Menschen um 100000 Dollar zu erpressen.

Ihr Anwalt würde ein Drittel der Summe einstecken. Das war der übliche Tarif, aber dennoch ein frustrierend hoher Anteil. Doch es blieb ihnen keine andere Wahl. Er war für die Durchführung unerlässlich.

Sie feilten noch eine Stunde lang an dem für Quince bestimmten Brief und beschlossen dann, die Sache noch einmal zu überschlafen, bevor sie die Endfassung schrieben. Es war noch ein weiterer Brief gekommen, und zwar von einem Mann, der das Pseudonym Hoover gebrauchte. Es war sein zweiter Brief an Percy und er ließ sich seitenlang über Vogelbeobachtung aus. Yarber würde sich mit Ornithologie beschäftigen und großes Interesse dafür heucheln müssen. Offenbar war Hoover äußerst vorsichtig. Er verriet nichts Persönliches und erwähnte Geld mit keinem Wort.

Die drei beschlossen, ihm etwas mehr Zeit zu lassen. Sie würden von Vögeln schreiben und versuchen, das Thema körperliche Liebe anzuschneiden. Wenn Hoover den Wink ignorierte und nicht deutlicher wurde, was seine finanzielle Situation betraf, würden sie ihn fallen lassen.

In der Strafvollzugsbehörde des Justizministeriums wurde Trumble als» Camp «geführt, was bedeutete, dass es dort weder Zäune noch Stacheldraht, Wachtürme oder bewaffnete Wachen gab, die nur darauf warteten, Ausbrecher niederzuschießen. In einem Camp gab es nur ein Minimum an Sicherheitsmaßnahmen, so dass jeder Insasse einfach fliehen konnte, wenn er wollte. Es gab 1000 Gefangene in Trumble, aber nur wenige wollten fliehen.

Das Gefängnis war angenehmer als die meisten Schulen. Es gab klimatisierte Zellen, eine saubere Cafeteria mit täglich drei warmen Mahlzeiten, einen Fitnessraum, Billardtische, Kartenspiele, Squash, Basketball, Volleyball, eine Aschenbahn, eine Bibliothek, eine Kapelle, diverse Geistliche, Berater, Sozialarbeiter und unbegrenzte Besuchszeiten.

In Trumble hatte man es so gut, wie man es als Gefangener nur haben konnte. Alle Insassen galten als leichte Fälle. 80 Prozent saßen wegen Verstößen gegen die Drogengesetze. Etwa 40 hatten Banküberfälle begangen, ohne jemanden zu verletzen oder ernsthaft zu bedrohen. Der Rest waren Wirtschaftsverbrecher, deren Vergehen von kleinen Schwindeleien bis hin zu groß angelegtem Betrug reichten — unter anderem saß hier Dr. Floyd ein, ein Chirurg, der das staatliche Gesundheitsvorsorge-Programm im Lauf von zwei Jahrzehnten um sechs Millionen Dollar betrogen hatte.

Gewalt wurde in Trumble nicht geduldet und echte Drohungen waren selten. Es gab zahlreiche Regeln und die Gefängnisleitung hatte kaum Schwierigkeiten, sie durchzusetzen. Bei Verstößen

wurde man in ein normales Gefängnis mit Stacheldraht und brutalen Wärtern geschickt.

Die Gefangenen in Trumble benahmen sich gut, zählten die Tage und hatten ein angenehmes Leben.

Bis zu Richter Joe Roy Spicers Einlieferung hatte es im Gefängnis keine ernsthaften kriminellen Handlungen gegeben. Vor seinem tiefen Fall hatte er von den berühmten Angola-Erpressungen gehört. In Angola, dem Staatsgefängnis von Louisiana, hatten einige Insassen die Erpressung von Homosexuellen derart perfektioniert, dass sie, bevor man ihnen auf die Schliche gekommen war, ihren Opfern rund 700000 Dollar abgenommen hatten.

Spicer stammte aus einer ländlichen Gegend nicht weit von der Grenze zu Louisiana und die Angola-Sache wurde dort eifrig diskutiert. Nicht im Traum wäre ihm eingefallen, sie zu kopieren, doch dann erwachte er eines Tages im Bundesgefängnis und beschloss, jeden Menschen auszunehmen, den er zu fassen bekommen konnte.

Jeden Tag um ein Uhr marschierte er um die Aschenbahn, gewöhnlich allein, immer mit einer Packung Marlboro in der Tasche. Vor seiner Verurteilung hatte er zehn Jahre nicht geraucht; jetzt war er wieder bei zwei Päckchen pro Tag. Also marschierte er, um den Schaden für seine Lunge zu minimieren. In vierunddreißig Monaten war er 1998 Kilometer gelaufen. Außerdem hatte er zwanzig Pfund abgenommen, wenn auch wahrscheinlich nicht durch diese tägliche Bewegung, wie er gern behauptete. Für den Gewichtsverlust war wohl eher das Bierverbot verantwortlich.

Vierunddreißig Monate marschieren und rauchen, und einundzwanzig Monate hatte er noch vor sich.

90 000 Dollar des gestohlenen Bingogeldes waren buchstäblich in seinem Garten vergraben, eine halbe Meile hinter seinem Haus, neben einem Geräteschuppen — eingeschlossen in einer Kammer aus gegossenem Beton, von der seine Frau nichts ahnte. Sie hatte ihm geholfen, den Rest der Beute zu verjubeln — insgesamt 180 000 Dollar, obgleich die Bundespolizei nur den Verbleib der Hälfte des Geldes hatte klären können. Sie hatten Cadillacs gekauft und waren erster Klasse von New Orleans nach Las Vegas geflogen und dort waren sie auf Casinokosten in Limousinen herumgefahren worden und hatten in Luxussuiten gewohnt.

Sofern er noch irgendwelche Träume hatte, war einer davon, Berufsspieler mit Hauptwohnsitz in Las Vegas zu werden, aber in Casinos in aller Welt bekannt und gefürchtet zu sein. Sein bevorzugtes Spiel war Blackjack, und obwohl er viel Geld verloren hatte, war er überzeugt, dass er jede Bank sprengen konnte. In der Karibik gab es Casinos, die er noch nicht kannte. Asien war groß im Kommen. Er würde um die Welt reisen, erster Klasse, mit seiner Frau oder ohne sie, er würde in teuren Hotels absteigen, sich Essen und Drinks in seiner Suite servieren lassen und jeden Blackjack-Geber, der dumm genug war, ihm Karten auszuteilen, das Fürchten lehren.

Er würde die 90 000 in seinem Garten ausgraben, sie zu seinem Anteil aus den Erpressungen hinzufügen und nach Las Vegas ziehen. Mit seiner Frau oder ohne sie. Sie war seit vier Monaten nicht mehr in Trumble gewesen und dabei war sie früher alle drei Wochen gekommen. Er hatte Alpträume, in denen sie den Garten umpflügte und nach dem Geldversteck suchte. Er war beinahe überzeugt, dass sie nichts von dem Geld wusste, aber es blieben doch ein paar Zweifel. Zwei Tage vor seinem Strafantritt hatte er getrunken und die 90 000 Dollar erwähnt. Er konnte sich nicht mehr an den Wortlaut erinnern. Sosehr er sich auch das Hirn zermarterte — es fiel ihm nicht mehr ein, was er ihr erzählt hatte.

Nach dem ersten Kilometer zündete er sich noch eine Marlboro an. Möglicherweise hatte sie inzwischen einen Freund. Rita Spicer war eine attraktive Frau, an manchen Stellen vielleicht etwas mollig, aber das war nichts, über das 90000 Dollar einen nicht hinwegsehen ließen. Was wäre, wenn

sie und ihr Geliebter das Geld gefunden hatten und bereits dabei waren, es auf den Kopf zu hauen? Einer von Joe Roys übelsten und immer wiederkehrenden Alpträumen war eine Szene aus einem schlechten Film: Rita und ein ihm unbekannter Mann standen im strömenden Regen und gruben mit Schaufeln den Garten um. Warum es in seinem Traum regnete, wusste er nicht. Aber es war immer Nacht. Ein Gewitter tobte, und im Licht der Blitze konnte er sehen, wie sie gruben und dem Schuppen immer näher kamen.

In einem Traum saß ihr neuer Freund auf einem Bulldozer und schob Erde vor sich her, während Rita Spicer dabei stand und mit der Schaufel hierhin und dorthin zeigte.

Joe Roy sehnte sich nach Geld. Er fühlte es geradezu in seinen Händen. Solange er in Trumble war, würde er aus den Opfern ihrer Erpressung so viel herausholen, wie er nur konnte, und dann würde er das vergrabene Geld holen und nach Las Vegas fliegen. Niemand in seiner Heimatstadt sollte das Vergnügen haben, mit dem Finger auf ihn zu zeigen und zu flüstern:»Da ist der alte Joe Roy. Sieht so aus, als hätten sie ihn aus dem Knast entlassen. «Nein, wirklich nicht. Er würde das Leben genießen. Mit ihr oder ohne sie.