172633.fb2 Die Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 33

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DREIUNDDREISSIG

Jayne hielt sich an Mr. Lakes genaue Anweisungen und fuhr allein nach Chevy Chase. Sie fand das Einkaufszentrum an der Western Avenue und parkte vor der Mailbox-America-Filiale. Mit Mr. Lakes Schlüssel öffnete sie das Postfach, entnahm ihm acht Reklamesendungen und legte sie in eine Mappe. Es waren keine persönlichen Briefe dabei. Dann ging sie zum Schalter und sagte dem Angestellten, sie wolle den Mietvertrag im Auftrag ihres Chefs Mr. AI Konyers kündigen.

Der Angestellte gab etwas in den Computer ein. Das Postfach war vor etwa sieben Monaten von einem Aaron L. Lake auf den Namen AI Konyers gemietet worden. Er hatte die Miete für zwölf Monate im Voraus bezahlt — es war also kein Rechnungsbetrag mehr offen.

«Ist das der Typ, der Präsident werden will?«fragte der Angestellte, als er ihr das Formular zuschob.»Ja«, sagte sie und unterschrieb hinter dem Kreuz.

«Keine Nachsendeadresse?«

«Nein.«

Sie ging, die Mappe unter dem Arm, hinaus und fuhr zurück in die Innenstadt. Keinen Augenblick hatte sie an Lakes Geschichte gezweifelt, er habe das Postfach gemietet, um Machenschaften im Pentagon aufzudecken. Seine Gründe gingen sie nichts an, und sie hatte ohnehin keine Zeit, viele Fragen zu stellen. Lake hielt seine Mitarbeiter achtzehn Stunden am Tag auf Trab, und es gab weit Wichtigeres als gemietete Postfächer. Er erwartete sie im Hauptquartier, wo er, was selten genug vorkam, abseits und für sich allein saß. Die Büros und Korridore ringsum wimmelten von allen möglichen Assistenten, die hin und her eilten, als stünde ein Kriegsausbruch unmittelbar bevor. Lake genoss seine augenblickliche Ruhe. Jayne reichte ihm die Mappe und ließ ihn allein.

Lake zählte acht Reklamesendungen: Taco-Heimdienst, Telefongesellschaft, Autowaschanlage, Gutscheine für dies und das. Kein Brief von Ricky. Das Postfach war ohne Hinterlassung einer Nachsendeadresse gekündigt worden. Der arme Junge würde einen anderen finden müssen, der ihm beim Start in ein neues Leben half. Lake schob die Reklamesendungen und die Kündigungsbestätigung in einen kleinen Shredder, der unter seinem Schreibtisch stand, lehnte sich zurück und genoss diesen Augenblick. Er trug nur wenig Ballast mit sich herum und hatte in seinem Leben nicht viele Fehler gemacht. An Ricky zu schreiben war ausgesprochen dumm gewesen, doch er war heil aus dieser Sache herausgekommen. Was für ein Glück!

Er lächelte, er kicherte beinahe in sich hinein. Dann sprang er auf, nahm sein Jackett und rief seine Begleiter zusammen. Der Kandidat hatte wichtige Besprechungen, und anschließend war er mit

einigen Rüstungslieferanten zum Mittagessen verabredet.

Ach, was für ein Glück!

Im Besprechungszimmer der Bibliothek, in der seine neuen Freunde wie schläfrige Wärter Wache hielten, hantierte Argrow so lange mit seinem Telefon, bis sie überzeugt waren, dass er all seine Kontakte zu der dunklen, trüben Welt der Geldwäsche nutzte. Zwei Stunden lang ging er, das Telefon ans Ohr gepresst, auf und ab wie ein hektischer Börsenmakler und sprach hinein. Schließlich kam er aus dem Zimmer.

«Gute Nachrichten«, verkündete er mit einem erschöpften Lächeln.

Sie sahen ihn erwartungsvoll an.

«Es ist noch da«, sagte er.

Und dann kam die große Frage, deren Antwort darüber entscheiden würde, ab Argrow ein Betrüger oder ein Experte war.

«Wie viel?«sagte Spicer.

«Hundertneunzigtausend und ein bisschen Kleingeld«, sagte er, und sie atmeten gemeinsam auf.

Spicer lächelte. Beech blickte zu Boden. Yarber sah Argrow mit einem fragenden, aber erfreuten Stirnrunzeln an.

Laut ihren Unterlagen sollte der Kontostand 189000 Dollar betragen, zuzüglich der mageren Zinsen, die die Bank zahlte.

«Er hat’s nicht geklaut«, murmelte Beech, und alle drei dachten mit Wärme an ihren toten Anwalt zurück, der auf einmal nicht mehr der Schurke war, für den sie ihn gehalten hatten.

«Ich frage mich, warum«, sagte Spicer halblaut.

«Jedenfalls ist es immer noch da«, sagte Argrow.»Ihr müsst eine Menge Beratungen gemacht haben.«

So schien es, und da ihnen auf die Schnelle keine andere Erklärung einfiel, gingen sie auf seine Bemerkung nicht weiter ein.

«Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte: Ich an eurer Stelle würde das Geld transferieren«, sagte Argrow.»Diese Bank steht in dem Ruf, nicht gerade diskret zu sein.«

«Transferieren? Wohin?«fragte Beech.

«Wenn es mein Geld wäre, würde ich es sofort nach Panama überweisen.«

Das war ein neues Thema, mit dem sie sich noch nicht befasst hatten. Sie hatten bisher nur an Trevor und das Geld gedacht, das er, wie sie glaubten, gestohlen hatte. Dennoch taten sie so, als hätten sie schon oft darüber gesprochen.

«Warum anderswohin überweisen?«fragte Beech.»Da, wo das Geld jetzt ist, kann doch nichts passieren, oder?«

«Wahrscheinlich nicht«, sagte Argrow schnell. Im Gegensatz zu ihnen wusste er, worauf er hinaus wollte.»Aber ihr seht ja, dass es mit dem Bankengeheimnis auf den Bahamas nicht weit her ist. Ich würde mich nicht darauf verlassen, besonders bei dieser Bank nicht.«

«Und wir wissen nicht, ob Trevor irgendjemandem davon erzählt hat«, sagte Spicer, der wie immer bestrebt war, kein gutes Haar an dem Anwalt zu lassen.

«Wenn ihr wollt, dass das Geld sicher ist, müsst ihr es woanders unterbringen«, sagte Argrow.»Das dauert nicht mal einen Tag, und danach braucht ihr euch keine Sorgen mehr zu machen. Und lasst euer Geld für euch arbeiten. Jetzt liegt es doch bloß herum und bringt euch nur ein paar Dollar Zinsen ein. Gebt es lieber einem Fondsmanager dann bringt es fünfzehn bis zwanzig Prozent. Ihr werdet es ja sowieso in nächster Zeit nicht brauchen.«

Das glaubst du, dachten sie. Aber was er sagte, klang vernünftig.

«Und ich nehme an, du kannst das Geld verschieben«, sagte Yarber.

«Na klar. Habt ihr daran jetzt noch irgendwelche Zweifel?«

Sie schüttelten den Kopf. Nein, sie hatten keine Zweifel.

«Ich habe ein paar gute Kontakte nach Panama. Denkt mal darüber nach. «Argrow sah auf seine Uhr, als hätte er das Interesse an ihrem Geld verloren und dringend hundert andere Dinge zu erledigen. Er hatte noch ein Ass im Ärmel und wollte sie nicht zu sehr drängen.

«Na gut«, sagte Spicer.»Dann schaff unser Geld nach Panama.«

Argrow sah ihnen in die Augen.»Das kostet natürlich was«, sagte er, ganz wie ein gewiegter Geldwäscher.

«Was kostet es?«fragte Spicer.

«Zehn Prozent für den Transfer.«

«Und wer kriegt die?«

«Ich.«

«Das ist eine ganze Menge«, sagte Beech.

«Der Prozentsatz richtet sich nach der Höhe der Summe. Alles unter einer Million kostet zehn Prozent, alles über hundert Millionen ein Prozent. Das sind die üblichen Sätze, und das ist übrigens der Grund, warum ich keinen l000-Dollar-Anzug, sondern diese Gefängnismontur trage.«

«Ganz schön happig«, sagte Spicer, der Mann, der einen Wohltätigkeitsverein um einen Teil seiner Bingoeinnahmen gebracht hatte.

«Haltet mir keine Predigten. Hier geht es um einen kleinen Anteil von Geld, das nicht ganz sauber ist. Mein Angebot steht — nehmt es an oder lasst es bleiben. «Sein Ton war gleichgültig. Er war ein abgebrühter Veteran der Geldmärkte.

Es waren nur 19000 Dollar, und die wurden von einer Summe Geld abgezogen, das sie schon verloren geglaubt hatten. Danach würden sie immer noch 170000 Dollar haben, das waren rund 60000 für jeden. Es wäre mehr gewesen, wenn der heimtückische Trevor nicht so viel eingesteckt hätte. Außerdem waren sie überzeugt, dass der richtige warme Regen unmittelbar bevorstand. Die Beute auf den Bahamas war bloß Taschengeld.

«Abgemacht«, sagte Spicer und sah Yarber und Beech um Zustimmung heischend an. Die beiden nickten langsam. Alle drei dachten dasselbe: Wenn die Sache mit Aaron Lake sich so entwickelte, wie

sie es sich ausgedacht hatten, würden sie bald um ein Vielfaches reicher sein. Sie würden einen Ort brauchen, wo sie das Geld verstecken konnten, und vielleicht jemanden, der ihnen half. Sie wollten diesem Argrow vertrauen. Na los, geben wir ihm eine Chance.

«Und außerdem kümmert ihr euch um meine Berufung«, sagte Argrow.

«Ja, wir kümmern uns um deine Berufung.«

Argrow lächelte und sagte:»Kein schlechtes Geschäft. Dann werde ich mich mal ans Telefon hängen.«

«Es gibt noch etwas, das du wissen solltest«, sagte Beech.

«Ja?«

«Der Anwalt hieß Trevor Carson. Er hat das Konto eröffnet und das Geld dorthin geleitet. Eigentlich hat er sich um den ganzen Finanzkram gekümmert. Und er ist vorgestern Abend in Kingston auf Jamaika ermordet worden.«

Argrow sah forschend in ihre Gesichter. Yarber reichte ihm die gestrige Zeitung. Er las die Meldung sehr sorgfältig.»Warum war er verschwunden?«fragte er nach langem Schweigen.

«Wissen wir nicht«, sagte Beech.»Er ist abgehauen — das haben wir durch das FBI erfahren. Wir dachten natürlich, er hätte unser Geld geklaut.«

Argrow gab Yarber die Zeitung zurück. Er verschränkte die Arme, legte den Kopf schief, kniff die Augen zusammen und sah sie misstrauisch an. Sie sollten ruhig ein bisschen schwitzen.

«Wie schmutzig ist das Geld?«fragte er, als wollte er vielleicht doch lieber nichts damit zu tun haben.

«Es ist kein Drogengeld«, sagte Spicer schnell, als wäre alles andere Geld sauber.

«Wir können’s dir nicht sagen«, antwortete Beech.

«Du hast unser Angebot«, sagte Yarber.»Nimm es oder lass es bleiben.«

Nicht schlecht, mein Freund, dachte Argrow.»Das FBI ermittelt also?«fragte er.

«Das FBI interessiert sich nur für Trevors Verschwinden«, sagte Beech.»Die wissen nichts von diesem Konto.«

«Habe ich das richtig verstanden? Wir reden hier von einem toten Anwalt, dem FBI und einem Auslandskonto, auf dem schmutziges Geld herumliegt, stimmt’s? Woher stammt das eigentlich?«»Es ist besser, wenn du’s nicht weißt«, sagte Beech.

«Scheint mir auch so.«

«Niemand zwingt dich mitzumachen«, sagte Yarber.

Es stand also eine Entscheidung an. Argrow war gewarnt, das Minenfeld war markiert. Wenn er weiterging, dann in dem Wissen, dass seine neuen Freunde gefährlich werden konnten. Das ließ ihn ziemlich kalt. Doch für Beech, Spicer und Yarber bedeutete diese Öffnung ihrer Partnerschaft, so winzig sie auch sein mochte, dass sie bereit waren, einen Mitverschwörer aufzunehmen. Sie würden ihn niemals in ihre Erpressung einweihen und ihm ganz gewiss nichts von Aaron Lake erzählen, und er würde nur dann einen Anteil von der Beute bekommen, wenn er ihn sich durch geschickte Transaktionen verdient hatte. Doch er wusste bereits mehr, als er wissen sollte. Sie hatten keine Wahl.

Ihre Zwangslage spielte eine wichtige Rolle. Durch Trevor hatten sie eine Verbindung nach draußen gehabt. Sie hatten sich daran gewöhnt und es selbstverständlich gefunden, und nun, da es diese Verbindung nicht mehr gab, war ihre Welt erheblich geschrumpft.

Obgleich sie es nicht zugeben wollten, war es ein Fehler gewesen, sich von ihm zu trennen. Jetzt, im Nachhinein, war ihnen klar, dass sie ihn hätten warnen und ihm von Lake und der manipulierten Post hätten erzählen sollen. Er hatte durchaus seine Fehler gehabt, doch sie brauchten jede Hilfe, die sie bekommen konnten.

Vielleicht hätten sie ihn ein oder zwei Tage später wieder an Bord genommen, doch diese Gelegenheit hatte sich nicht mehr geboten. Trevor war einfach abgehauen, und nun war er fort für immer.

Argrow hatte eine Verbindung nach draußen. Er hatte Freunde und ein Telefon, er hatte Mumm und wusste, wie man ein Problem anging. Vielleicht würden sie ihn brauchen, aber sie hatten es nicht eilig, ihn einzuweihen. Er kratzte sich am Kopf und runzelte die Stirn, als bekäme er Kopfschmerzen.»Erzählt mir lieber nichts«, sagte er.»Ich will es gar nicht wissen.«

Er ging wieder in das Besprechungszimmer, schloss die Tür hinter sich, setzte sich auf die Tischkante und tat, als würde er kreuz und quer durch die Karibik telefonieren.

Zweimal lachte er, wahrscheinlich über einen alten Freund, der sich wunderte, seine Stimme zu hören, und einmal fluchte er, doch sie wussten nicht, über wen und warum. Seine Stimme hob und senkte sich, und sosehr sie sich auch bemühten, sich auf Gerichtsentscheidungen, Wettquoten aus Las Vegas und das Abstauben von Büchern zu konzentrieren — es gelang ihnen nicht, die Geräusche aus dem Besprechungszimmer zu ignorieren.

Argrow zog alle Register der Schauspielkunst, und nach einer Stunde sinnlosen Geplappers kam er aus dem Zimmer und sagte:»Ich glaube, ich kann das morgen arrangieren, aber wir brauchen noch eine eidesstattliche Erklärung von einem von euch, aus der hervorgeht, dass ihr die alleinigen Besitzer von Boomer Realty seid.«

«Und wer kriegt die zu sehen?«fragte Beech.

«Nur die Bank auf den Bahamas. Die erhält eine Kopie des Berichtes über Carson, und sie will eine schriftliche Erklärung über die Besitzverhältnisse des Unternehmens und des Kontos.«

Der Gedanke daran, dass sie eine Erklärung unterschreiben sollten, in der stand, dass sie in irgendeiner Weise mit schmutzigem Geld zu tun hatten, machte ihnen Angst. Andererseits erschien ihnen diese Bedingung logisch.

«Gibt es hier ein Fax-Gerät?«fragte Argrow.

«Für uns nicht«, antwortete Beech.

«Der Direktor hat bestimmt eins«, sagte Spicer.»Geh doch einfach zu ihm und sag, du musst deiner Bank auf den Bahamas ein Fax schicken.«

Das war ein unnötiger Sarkasmus. Argrow sah ihn wütend an, ging aber nicht weiter darauf ein.»Gut, dann sagt mir, wie ich die Erklärung von hier auf die Bahamas schicken kann. Wie habt ihr das bisher gemacht?«

«Das hat immer unser Anwalt erledigt«, sagte Yarber.»Alle andere Post wird kontrolliert.«

«Und wie genau werden anwaltliche Schriftstücke kontrolliert?«

«Sie werfen einen kurzen Blick darauf«, sagte Spicer.»Aber sie dürfen die Umschläge nicht öffnen.«

Argrow ging tief in Gedanken versunken auf und ab. Dann trat er, um sein Publikum zu beeindrucken, zwischen zwei Regale, so dass er vom Eingang zur Bibliothek nicht zu sehen war, klappte routiniert sein Mobiltelefon auf, gab eine Nummer ein und hielt sich den Apparat ans Ohr.»Ja, hier ist Wilson Argrow«, sagte er.»Ist Jack da? Gut. Sagen Sie ihm, es ist wichtig.«

«Wer zum Teufel ist Jack?«fragte Spicer, der am anderen Ende des Raums stand. Beech und Yarber hörten ebenfalls zu und hielten nach etwaigen Lauschern Ausschau.

«Mein Bruder in Boca«, sagte Argrow.»Er ist Rechtsanwalt, macht allerdings hauptsächlich Grundstücksgeschäfte. Er kommt mich morgen besuchen. «Dann sagte er in das Telefon:»Hallo,

Jack, ich bin’s. Du kommst doch morgen? Gut. Kannst du am Vormittag kommen, so gegen zehn? Du müsstest einen Brief von mir mitnehmen. Gut. Wie geht’s Mom? Grüß sie von mir. Wir sehen uns dann morgen.«

Die Richter waren von der Aussicht, wieder unkontrolliert Briefe verschicken zu können, sehr angetan. Argrow hatte also einen Bruder, der Anwalt war. Und er besaß ein Telefon, war intelligent und hatte Mumm.

Er steckte den Apparat in die Tasche und trat zwischen den Regalen hervor.»Ich werde die Erklärung morgen früh meinem Bruder geben, und er faxt sie dann an die Bank. Übermorgen gegen Mittag ist das Geld in Panama, wo ihm nichts passieren kann, und bringt euch fünfzehn Prozent. War ganz einfach.«

«Wir können deinem Bruder doch trauen?«fragte Yarber.

«Absolut«, antwortete Argrow und machte ein Gesicht, als sei er beinahe gekränkt. Er ging zur Tür.»Wir sehen uns später. Ich brauche ein bisschen frische Luft.«