172633.fb2 Die Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 38

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NEUNUNDDREISSIG

Buster fuhr tagelang im Zickzack in Richtung Westen, bis er in San Diego endgültig den Bus verließ. Das Meer zog ihn an — es war die erste große Wasserfläche, die er seit Monaten zu Gesicht bekam. Er hielt sich oft am Hafen auf, fragte nach Handlanger Jobs und unterhielt sich mit Hafenarbeitern und Matrosen. Ein Charterbootkapitän heuerte ihn als Schiffsjungen an, und in dem mexikanischen Städtchen Los Cabos am südlichen Ende der Baja California ging er von Bord. Der Hafen dort war voller teurer Fischerboote — sie waren viel schöner als die, die sein Vater und er verkauft hatten. Er lernte ein paar Kapitäne kennen, und innerhalb von zwei Tagen hatte er einen Job als Matrose. Die Kunden waren reiche Amerikaner aus Kalifornien und Texas, die mehr am Trinken als am Angeln interessiert waren. Buster bekam keine Heuer, strich aber Trinkgelder ein, die umso größer waren, je mehr die Kunden getrunken hatten. An einem schlechten Tag waren es 200 Dollar, an einem guten 500, und alles in bar. Er wohnte in einem billigen Hotel, und nach ein paar Tagen hörte er auf, über seine Schulter zu sehen. Binnen kurzem war Los Cabos seine neue Heimat geworden.

Wilson Argrow wurde ganz plötzlich von Trumble in ein Offenes Haus in Milwaukee verlegt, wo er genau eine Nacht verbrachte, bevor er einfach verschwand. Da er eigentlich nicht existierte, konnte man ihn auch nicht finden. Jack Argrow erwartete ihn am Flughafen, und gemeinsam flogen sie nach Washington, D. C. Zwei Tage nachdem sie Florida verlassen hatten, meldeten sich die Gebrüder Argrow — Kenny Sands und Roger Lyter — in Langley zurück und erhielten einen neuen Auftrag.

Drei Tage vor seiner Abreise zum Parteitag in Denver kam Aaron Lake nach Langley, um mit dem CIA-Direktor zu Mittag zu essen. Es war ein erfreulicher Anlass: Der erfolgreiche Kandidat wollte sich noch einmal bei dem politischen Genie bedanken, das ihn aufgefordert hatte, sich um das Amt des Präsidenten zu bewerben. Die Rede, mit der Lake die Nominierung annehmen würde, war bereits seit einem Monat fertig, aber Teddy hatte noch ein paar Vorschläge, die er erörtern wollte.

Lake wurde in Teddys Büro eskortiert, wo der alte Mann ihn, die Beine wie immer unter einer Decke verborgen, erwartete. Er sah müde und blass aus, fand Lake. Die Assistenten gingen hinaus, die Tür wurde geschlossen, und Lake bemerkte, dass der Tisch nicht gedeckt war. Sie nahmen einander gegenüber und mit wenig Abstand Platz.

Die Rede gefiel Teddy, und er machte nur einige allgemeine Bemerkungen darüber.»Ihre Reden werden zu lang«, sagte er leise. Doch Lake hatte in letzter Zeit so viel zu sagen.

«Wir sind noch dabei, sie zu bearbeiten«, antwortete er.

«Sie haben die Wahl in der Tasche, Mr. Lake«, sagte Teddy ohne große Begeisterung.

«Ich habe ein gutes Gefühl, aber es wird ein harter Kampf werden.«

«Sie werden mit fünfzehn Prozent Vorsprung gewinnen.«

Lake horchte auf. Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht.»Das ist, äh, ganz schön viel.«

«Sie liegen in den Umfragen knapp vorn. Nächsten Monat wird der Vizepräsident knapp vorn liegen. So wird es hin und her gehen, bis Mitte Oktober. Dann wird es einen atomaren Zwischenfall geben, der die Welt in Angst und Schrecken versetzen wird. Und Sie, Mr. Lake, werden der Messias sein.«

Diese Aussicht erschreckte selbst den Messias.»Ein Krieg?«fragte Lake leise.

«Nein. Es wird Tote geben, aber es werden keine Amerikaner sein. Man wird Natty Tschenkow die Schuld geben, und die Wähler dieses Landes werden zu den Urnen drängen. Es könnte sein, dass Ihr Vorsprung sogar zwanzig Prozent betragen wird.«

Lake holte tief Luft. Er wollte Fragen stellen, vielleicht auch Einwände gegen das Blutvergießen

erheben, doch er wusste, dass das sinnlos war. Was Teddy für Oktober geplant hatte, wurde bereits vorbereitet, und nichts, was Lake sagen oder tun konnte, würde daran etwas ändern.

«Hämmern Sie es den Leuten ein, Mr. Lake. Bringen Sie Ihre Botschaft rüber: Die Welt wird immer verrückter, und wir müssen militärisch stark sein, um unsere Lebensart zu bewahren.«

«Diese Botschaft hat bislang ja auch gut funktioniert.«

«Ihr Gegner wird zu verzweifelten Mitteln greifen. Er wird Ihnen vorwerfen, Sie hätten außer diesem einen Thema nichts zu bieten, und er wird auf dem Geld herumreiten, das Ihnen zur Verfügung steht. Er wird ein paar Punkte gutmachen, aber das ist kein Grund zur Panik. Im Oktober wird die Welt nicht mehr so sein, wie sie bis dahin war. Vertrauen Sie mir.«

«Das tue ich.«

«Sie haben die Wahl in der Tasche, Mr. Lake. Sie müssen nur immer dieselbe Botschaft verbreiten.«»Das werde ich.«

«Gut. «Teddy schloss die Augen, als wollte er ein kleines Nickerchen machen. Dann öffnete er sie wieder und sagte:»Und jetzt zu etwas ganz anderem. Ich bin ein bisschen neugierig, was Sie tun werden, wenn Sie im Weißen Haus sind.«

Lake war verwirrt — sein Gesicht verriet es.

Teddy setzte seine Attacke fort.»Sie brauchen eine Partnerin, Mr. Lake, eine First Lady, eine Frau, die dem Weißen Haus durch ihre Anwesenheit eine Atmosphäre von Anmut und Eleganz verleiht.

Eine Frau, die die Räume gestaltet, die eine Gastgeberin ist, eine schöne Frau, die jung genug ist, um Kinder zu bekommen. Es ist so lange her, dass Kinder im Weißen Haus waren, Mr. Lake.«

«Sie machen Scherze. «Lake war entsetzt.

«Mir gefällt diese Jayne Cordell aus Ihrem Mitarbeiterstab. Sie ist achtunddreißig, intelligent und wortgewandt und sieht recht gut aus, obwohl sie fünfzehn Pfund abnehmen muss. Ihre Scheidung liegt zwölf Jahre zurück und ist längst vergessen. Ich glaube, sie würde eine gute First Lady abgeben.«

Lake legte den Kopf schief und war auf einmal wütend. Er wollte Teddy die Meinung sagen, doch ihm fehlten die Worte.»Sie müssen verrückt sein«, war alles, was er herausbrachte.

«Wir wissen von Ricky, Mr. Lake «, sagte Teddy sehr kühl und mit bohrendem Blick.

Es wurde Lake eng um die Brust. Er atmete aus und sagte:»O Gott!«Er richtete den Blick auf seine Füße. Sein Körper war vor Schreck erstarrt.

Um es noch schlimmer zu machen, reichte ihm Teddy ein Platt Papier. Lake nahm es und sah sogleich, dass es sich um eine Kopie seines letzten Briefes an Ricky handelte:

Lieber Ricky! >

Ich glaube, es ist am besten, wenn wir unseren Briefwechsel beenden. Ich wünsche dir alles Gute. Herzliche Grüße, Al

Beinahe hätte Lake gesagt, er könne alles erklären — der Schein trüge. Doch er beschloss, fürs Erste nichts zu sagen. Fragen wirbelten ihm durch den Kopf: Wie viel wussten sie? Wie hatten sie seine Post abgefangen? Wer wusste sonst noch davon?

Teddy ließ ihn zappeln. Es gab keinen Grund zur Eile.

Als er wieder klarer denken konnte, meldete sich der Politiker in Lake zurück. Teddy bot ihm einen Ausweg: Spiel nach meinen Regeln, und alles wird gut.

Und so schluckte Lake hart und sagte:»Sie gefällt mir auch.«

«Natürlich gefällt sie Ihnen. Sie ist die ideale Frau für einen Präsidenten.«

«Ja. Sie ist sehr loyal.«

«Haben Sie schon mit ihr geschlafen?«

«Nein. Noch nicht.«

«Dann fangen Sie bald damit an. Halten Sie auf dem Parteitag ihre Hand. Dementieren Sie die Gerüchte nicht und lassen Sie der Natur ihren Lauf. Und geben Sie eine Woche vor der Wahl bekannt, dass Sie zu Weihnachten heiraten werden.«

«Eine große oder kleine Hochzeit?«

«Riesig. Das gesellschaftliche Ereignis des Jahres in Washington.«

«Der Gedanke gefällt mir.«

«Sehen Sie zu, dass sie schnell schwanger wird. Dann können Sie kurz vor Ihrer Amtseinführung bekannt geben lassen, dass die First Lady ein Kind erwartet. Das wird eine wunderbare Geschichte für die Zeitungen. Und es wird so schön sein, endlich wieder Kinder im Weißen Haus zu sehen.«

Lake lächelte und nickte. Auch dieser Gedanke schien ihm zu gefallen. Plötzlich runzelte er die Stirn.»Wird je jemand etwas von Ricky erfahren?«fragte er.

«Nein. Er ist ausgeschaltet worden.«

«Ausgeschaltet?«

«Er wird nie wieder einen Brief schreiben, Mr. Lake. Und Sie werden so sehr damit beschäftigt sein, mit Ihren kleinen Kindern zu spielen, dass Sie keine Zeit haben werden, an Leute wie Ricky zu denken.«

«Ricky? Wer ist das?«

«So ist es recht, Lake.«

«Es tut mir sehr Leid, Mr. Maynard. Sehr Leid. Es wird nicht wieder vorkommen.«

«Natürlich nicht. Ich habe die Unterlagen, Mr. Lake. Vergessen Sie das nie. «Teddy rollte seinen Stuhl rückwärts, wie um anzudeuten, dass das Gespräch beendet sei.

«Es war ein kurzer Augenblick der Schwäche«, sagte Lake.

«Denken Sie nicht mehr daran, Lake. Kümmern Sie sich um Jayne. Kaufen Sie ihr neue Garderobe.

Sie arbeitet zu viel. Sie sieht müde aus. Geben Sie ihr eine leichtere Tätigkeit. Sie wird eine wunderbare First Lady abgeben.«

«Ja, Sir.«

Teddy war an der Tür.»Und keine Überraschungen mehr, Lake.«

«Nein, Sir.«

Teddy öffnete die Tür und verschwand.

Ende November waren sie in Monte Carlo, hauptsächlich wegen des angenehmen Klimas und weil es eine so schöne Stadt war, aber auch, weil dort so viel Englisch gesprochen wurde. Und es gab Casinos, eine absolute Notwendigkeit für Spicer. Weder Beech noch Yarber wusste, ob er gewann oder verlor, doch es machte ihm definitiv Spaß. Seine Frau pflegte noch immer ihre Mutter, die keine Anstalten machte zu sterben. Das Verhältnis zwischen Joe Roy und seiner Frau war gespannt, denn er weigerte sich, nach Mississippi zu kommen, und sie weigerte sich, Mississippi zu verlassen. Sie lebten in einem kleinen, aber hübschen Hotel am Stadtrand und frühstückten zweimal pro Woche gemeinsam, bevor jeder seiner Wege ging. Die Monate vergingen, und sie gewöhnten sich an ihr neues Leben und sahen sich immer seltener. Ihre Interessen unterschieden sich sehr voneinander. Spicer wollte spielen und trinken und sich mit Frauen vergnügen. Beech liebte das Meer und angelte gern. Yarber machte Ausflüge und vertiefte sich in die Geschichte Südfrankreichs und Norditaliens.

Doch jeder wusste immer, wo die anderen waren. Sollte einer von ihnen verschwinden, dann würden die anderen beiden es wissen.

In den Zeitungen hatte nichts über ihre Begnadigungen gestanden. Beech und Yarber hatten kurz nach ihrer Ankunft Stunden in einer römischen Bibliothek verbracht und amerikanische Zeitungen aus den Tagen nach ihrer Entlassung studiert, doch sie hatten nicht die kleinste Meldung darüber gefunden. Spicers Frau behauptete, sie habe niemandem erzählt, dass er nicht mehr im Gefängnis saß. Sie glaubte noch immer, er sei geflohen.

An einem Donnerstag Ende November saß Yarber in einem Straßencafe in Monte Carlo und trank einen Espresso. Es war sonnig und warm, und ihm war nur undeutlich bewusst, dass an diesem Tag in seiner Heimat das Erntedankfest gefeiert wurde. Ihm war das egal — er würde ohnehin nie mehr dorthin zurückkehren. Beech schlief in seinem Hotelzimmer. Spicer war in einem Casino, nur drei Blocks entfernt.

Plötzlich tauchte aus dem Nichts ein Gesicht auf, das Yarber entfernt bekannt vorkam. Im nächsten Augenblick hatte sich der Mann an Yarbers Tisch gesetzt und sagte:»Hallo, Finn. Erinnerst du dich an mich?«

Yarber trank bedächtig einen Schluck Espresso und musterte das Gesicht des anderen. Er kannte ihn aus Trumble.

«Wilson Argrow. Wir haben uns in Trumble kennen gelernt«, sagte der Mann, und Yarber stellte die Tasse ab, bevor er sie fallen ließ.

«Hallo, Argrow«, sagte er langsam und ruhig, obgleich es viele andere Dinge gab, die ihm auf der Zunge lagen.

«Du bist sicher überrascht, mich zu sehen.«

«Ehrlich gesagt, ja.«

«War das nicht aufregend, dieser überwältigende Sieg von Aaron Lake?«

«Vielleicht. Was kann ich für dich tun?«

«Ich wollte dir nur sagen, dass wir immer in der Nähe sind — nur für den Fall, dass ihr uns braucht.«

Yarber lachte leise und sagte:»Das ist ziemlich unwahrscheinlich. «Seit fünf Monaten waren sie nun frei. Sie waren von einem Land zum anderen gereist, von Griechenland nach Schweden, von Polen nach Portugal, und hatten sich mit dem Kommen des Herbstes langsam nach Süden vorgearbeitet. Wie hatte Argrow es geschafft, ihnen auf den Fersen zu bleiben?

Es war eigentlich unmöglich.

Argrow zog etwas aus der Innentasche seiner Jacke.»Letzte Woche bin ich auf das hier gestoßen«, sagte er. Er reichte Yarber eine Zeitschrift, die auf der Seite mit den Kleinanzeigen aufgeschlagen war. Eine der Anzeigen war mit einem roten Stift markiert.

Attr. Mann, Mitte 20, sucht Brieffreundschaft mit liebevollem, diskretem Herrn, Anf. 40 bis Ende 50 Yarber kannte die Anzeige, zuckte aber die Schultern, als hätte er sie noch nie gesehen.

«Kommt dir bekannt vor, nicht?«sagte Argrow.

«Da steht doch immer dasselbe drin«, sagte Yarber und warf die Zeitschrift auf den Tisch. Es war die europäische Ausgabe von Out and About.»Die Adresse ist ein Postfach hier in Monte Carlo«, sagte Argrow.»Gerade erst gemietet, und zwar unter einem falschen Namen. Was für ein Zufall.«

«Pass auf — ich weiß nicht, für wen du arbeitest, aber ich bin ziemlich sicher, dass wir uns nicht in deinem Zuständigkeitsbereich befinden. Außerdem haben wir kein einziges Gesetz gebrochen. Warum lässt du uns nicht in Ruhe?«

«Keine Sorge. Aber reichen dir zwei Millionen Dollar nicht?«

Yarber lächelte und sah sich in dem hübschen Cafe um. Er nahm einen Schluck Kaffee und sagte:»Mit irgendwas muss man sich doch die Zeit vertreiben.«

«Wir sehen uns«, sagte Argrow, stand auf und verschwand.

Yarber trank seinen Espresso aus, als wäre nichts geschehen. Er sah für eine Weile den Passanten zu und ging dann, um sich mit seinen Kollegen zu beraten.