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Teddy betrachtete die Pillenfläschchen. Sie waren am Rand des Tisches aufgereiht wie kleine Scharfrichter, die nur darauf warteten, ihn von seinen Schmerzen zu befreien. Ihm gegenüber saß York und las von seinem Notizblock ab.
«Er hat bis drei Uhr morgens telefoniert«, sagte York,»und zwar mit Freunden in Arizona.«
«Mit wem?«
«Bobby Lander, Jim Gallison, Richard Hassel — die üblichen eben. Seine Geldgeber.«
«Auch mit Dale Winer.«
«Ja, mit dem auch«, sagte York und staunte über Teddys Gedächtnis. Teddy hatte jetzt die Augen geschlossen und massierte seine Schläfen. Irgendwo zwischen ihnen, irgendwo tief in seinem Gehirn, waren die Namen von Lakes Freunden, Vertrauten und Geldgebern, seinen Wahlkampfhelfern und Highschool-Lehrern ordentlich gespeichert und bei Bedarf abrufbereit.
«Irgendwas Ungewöhnliches?«
«Nein, eigentlich nicht. Nur die üblichen Fragen, wie man sie von einem erwartet, der über einen so überraschenden Schritt nachdenkt. Seine Freunde waren verwundert, teilweise sogar schockiert und ein bisschen zurückhaltend, aber davon werden sie sich schon erholen.«
«Haben sie nach Geld gefragt?«
«Natürlich. Er hat ausweichend geantwortet und gesagt, das werde kein Problem sein. Sie waren skeptisch.«
«Hat er irgendwas ausgeplaudert?«
«Kein Wort.«
«War er besorgt, wir könnten mithören?«
«Ich glaube nicht. Er hat elf Anrufe von seinem Büro und acht von seinem Haus geführt. Keinen einzigen von seinem Handy.«
«Faxe? E-Mails?«
«Nein. Er hat zwei Stunden mit Schiara konferiert, seinem — «
«Seinem Stabschef.«
«Genau. Sie haben im Grunde die Kampagne geplant. Schiara will, dass er kandidiert. Sie wollen Nance aus Michigan als Vize.«
«Keine schlechte Wahl.«
«Es sieht nicht schlecht aus. Wir überprüfen ihn gerade. Er hat sich mit dreiundzwanzig scheiden lassen, aber das war vor dreißig Jahren.«
«Kein Problem. Ist Lake bereit?«
«Auf jeden Fall. Er ist ja schließlich Politiker. Man hat ihm den Schlüssel zum Königreich angeboten. Er schreibt bereits Reden.«
Teddy nahm eine Tablette aus einem der Fläschchen, schluckte sie ohne Flüssigkeit hinunter und zog die Augenbrauen zusammen, als wäre sie etwas Bitteres. Dann glättete er mit der Hand die Falten auf seiner Stirn und sagte:»Sagen Sie mir, dass wir nichts übersehen haben. Dass dieser Typ keine Leichen im Keller hat.«
«Keine Leichen. Wir haben ihn sechs Monate lang überwacht. Weit und breit nichts, was uns Sorgen machen müsste.«
«Er wird nicht irgendeine grässliche Frau heiraten?«
«Nein. Er ist mit verschiedenen Frauen ausgegangen, hat aber keine ernsten Absichten.«
«Kein Sex mit Angestellten?«
«Nein. Er hat wirklich eine reine Weste.«
Dieses Gespräch war die Wiederholung eines Gesprächs, das sie schon oft geführt hatten. Eine weitere Wiederholung konnte nicht schaden.
«Keine zweifelhaften Finanzgeschichten in seiner Vergangenheit?«
«Wir haben alles durchleuchtet. Nichts.«
«Alkohol, Drogen, Medikamente, Glücksspiele im Internet?«
«Nein, Sir. Er ist sauber, nüchtern, ordentlich, intelligent — ziemlich bemerkenswert.«
«Dann wollen wir ihn uns noch mal vorknöpfen.«
Abermals wurde Aaron Lake zu dem Raum tief in der Zentrale der CIA eskortiert, diesmal von drei gut aussehenden jungen Männern, die ihn bewachten, als könnte hinter jeder Ecke eine Gefahr lauern. Er ging noch schneller als am Tag zuvor und hielt sich noch aufrechter. Sein Rücken war kerzengerade. Er schien mit jeder Stunde zu wachsen.
Abermals begrüßte er Teddy und schüttelte ihm die schwielige Hand, bevor er dem Rollstuhl in den
Bunker folgte und sich an den langen Tisch setzte. Man tauschte einige Höflichkeitsfloskeln aus. York war nicht weit von ihnen entfernt in einem anderen Raum, in dem drei mit versteckten Kameras verbundene Monitore jedes Wort, jede Bewegung wiedergaben. Neben ihm saßen zwei Männer, die ihr Geld damit verdienten, Filme auszuwerten. Sie beobachteten, wie die Menschen in diesen Filmen atmeten und ihre Hände und Augen, ihre Köpfe und Füße bewegten, um daraus Rückschlüsse darauf zu ziehen, was sie wirklich dachten.
«Haben Sie gestern Nacht gut geschlafen?«fragte Teddy und rang sich ein Lächeln ab.
«Ja, sehr gut«, log Lake.
«Gut. Darf ich daraus schließen, dass Sie unser Geschäftsangebot annehmen werden?«
«Geschäftsangebot? Ich wusste nicht, dass es sich dabei um ein Geschäft handelt.«
«Doch, Mr. Lake, genau darum handelt es sich: um ein Geschäft. Wir versprechen Ihnen, dass Sie gewählt werden, und Sie versprechen uns, dass Sie die Militärausgaben verdoppeln und den Russen Paroli bieten werden.«
«Gut, dann sind wir im Geschäft.«
«Ausgezeichnet, Mr. Lake. Das freut mich sehr. Sie werden einen hervorragenden Kandidaten und einen noch besseren Präsidenten abgeben.«
Die Worte hallten in Lakes Kopf wider — er konnte sie noch nicht ganz glauben: Präsident Aaron Lake. Er war bis fünf Uhr morgens auf und ab gegangen und hatte versucht, mit der Erkenntnis fertig zu werden, dass man ihm das Weiße Haus anbot. Es erschien ihm zu einfach.
Und so sehr er sich auch bemühte — er konnte den Verlockungen nicht widerstehen. Das Oval Office. All die Hubschrauber und Düsenflugzeuge. Er würde durch die ganze Welt reisen. Hundert Assistenten würden ihm zur Verfügung stehen. Staatsbankette mit den mächtigsten Männern der Welt.
Und vor allem: ein Platz in der Geschichte.
Oh ja, sie waren im Geschäft.
«Sprechen wir also über Ihren Wahlkampf«, sagte Teddy.»Ich glaube, es wird am besten sein, wenn Sie Ihre Kandidatur zwei Tage nach den Vorwahlen in New Hampshire bekannt geben. Wenn der Pulverdampf sich verzogen hat. Wenn die Gewinner ihre fünfzehn Minuten Fernsehzeit gehabt und die Verlierer mit Dreck um sich geworfen haben — dann kommen Sie und geben Ihre Kandidatur bekannt.«
«Das ist ziemlich bald.«
«Wir haben nicht viel Zeit zu verlieren. Wir werden New Hampshire ignorieren und uns auf die Vorwahlen in Arizona und Michigan am 22. Februar konzentrieren. Es ist unerlässlich, dass Sie in diesen beiden Staaten gewinnen. Damit präsentieren Sie sich nämlich als ernsthafter Kandidat und fahren mit vollen Segeln in den März.«
«Ich wollte meine Kandidatur eigentlich zu Hause verkünden, bei irgendeiner Gelegenheit in Phoenix.«
«Michigan ist besser. Es ist ein größerer Staat. 58 Delegierte, im Gegensatz zu 24 für Arizona. Außerdem kann man davon ausgehen, dass Sie in Ihrem Heimatstaat gewinnen. Wenn Sie aber am selben Tag auch in Michigan als Sieger hervorgehen, werden Sie ein Kandidat sein, mit dem man rechnen muss. Geben Sie Ihre Kandidatur in Michigan bekannt, und dann, ein paar Stunden später, noch einmal in Ihrem Wahlbezirk in Arizona.«
«Eine hervorragende Idee.«
«In Flint gibt es ein Hubschrauberwerk — D-L Trilling. Die haben einen großen Hangar, groß genug für 4000 Arbeiter. Ich kenne den Vorstandsvorsitzenden.«
«Dann machen Sie den Termin klar«, sagte Lake, der sicher war, dass Teddy bereits mit dem Vorstandsvorsitzenden gesprochen hatte.
«Können Sie übermorgen für die Dreharbeiten in Sachen Werbespots zur Verfügung stehen?«
«Ich kann alles«, sagte Lake und machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem. Es wurde allmählich klar, wer hier am Steuer saß.
«Wenn Sie einverstanden sind, werden wir eine Werbeagentur beauftragen, die offiziell für die Anzeigen und die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich sein wird. Allerdings sind die Leute, die wir hier im Haus haben, weit besser und die werden Sie keinen Cent kosten. Nicht dass Geld ein Problem sein wird, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
«Hundert Millionen dürften wohl reichen.«
«Das denke ich auch. Jedenfalls werden wir noch heute mit den Fernsehspots anfangen. Ich glaube, sie werden Ihnen gefallen. Sie werden sehr düster sein: der miserable Zustand unserer Streitkräfte, alle möglichen Bedrohungen von außen. Die Apokalypse — so was in der Art. Die Dinger werden den Leuten eine Heidenangst einjagen. Wir schneiden Ihren Namen und Ihr Gesicht und ein paar kurze Worte rein und im Handumdrehen sind Sie der bekannteste Politiker im ganzen Land.«
«Aber Bekanntheit sichert noch keinen Wahlsieg.«
«Nein. Aber Geld. Geld sichert Fernsehzeit und Meinungsumfragen und mehr brauchen wir nicht.«»Ich denke, das Wichtigste ist die Botschaft.«
«Natürlich, Mr. Lake. Und unsere Botschaft ist weit wichtiger als Steuersenkungen und Minderheitenförderung und Abtreibung und Vertrauen und Familie und all die anderen albernen Dinge, von denen wir so oft hören. Unsere Botschaft ist Leben oder Tod. Unsere Botschaft wird die Welt verändern und unseren Wohlstand sichern. Und das ist es, was uns wirklich bewegt.«
Lake nickte zustimmend. Die Leute würden jeden wählen, solange er der amerikanischen Wirtschaft Vorteile verschaffte und den Frieden bewahrte.»Ich habe einen guten Mann für die Kampagne«, sagte er. Er wollte ebenfalls etwas anbieten.
«Wen?«
«Mike Schiara, meinen Stabschef. Er ist mein engster Berater. Ich vertraue ihm vollkommen.«
«Hat er Erfahrung auf nationaler Ebene?«fragte Teddy, der natürlich wusste, dass das nicht der Fall war.
«Nein, aber er ist sehr fähig.«
«Gut. Immerhin ist es Ihre Kampagne.«
Lake lächelte und nickte. Das war gut zu hören. Er hatte schon begonnen, daran zu zweifeln» Wen wollen Sie als Vizepräsidenten?«
«Da kämen ein paar in Betracht. Senator Nance aus Michigan ist ein alter Freund von mir.
Gouverneur Guyce aus Texas wäre auch nicht schlecht.«
Teddy erwog die Vorschläge sorgfältig. Keine schlechten Kandidaten, wirklich, auch wenn Guyce nicht in Frage kam. Er war ein reiches Bürschchen, der sich durchs College gemogelt und seine Dreißiger mit Golfspielen verbracht hatte. Anschließend hatte er eine Menge Geld aus dem Vermögen seines Vaters ausgegeben, um vier Jahre lang Gouverneur von Texas zu sein. Außerdem hatten sie Texas so gut wie in der Tasche.
«Mir gefällt Nance besser«, sagte Teddy.
Dann also Nance, hätte Lake beinahe gesagt.
Sie sprachen eine Stunde lang über Geld: über die erste Welle, die von den Interessengruppen kommen würde, und wie man ihre Unterstützung annehmen konnte, ohne allzu viel Misstrauen zu erregen. Dann über die zweite Welle von der Rüstungsindustrie. Und schließlich über die dritte Welle, die aus Bargeld und anderen Mitteln bestehen würde, die keine Spur hinterließen.
Es sollte noch eine vierte Geldwelle geben, von der Lake nie erfahren würde. Je nach den Umfrageergebnissen würden Teddy Maynard und seine Organisation buchstäblich Kisten voller Geld in Gewerkschaftsbüros, schwarze Kirchengemeinden und weiße Veteranenverbände in Chicago, Detroit, Memphis und im tiefen Süden schaffen. In Zusammenarbeit mit Leuten vor Ort, die bereits ausgesucht wurden, würde man jede Stimme kaufen, die zu haben war.
Je länger Teddy über seinen Plan nachdachte, desto überzeugter war er, dass der nächste Präsident Aaron Lake heißen würde.
Trevors kleine Anwaltskanzlei war in Neptune Beach, ein paar Blocks von Atlantic Beach entfernt, obgleich niemand sagen konnte, wo das eine aufhörte und das andere anfing. Jacksonville lag einige Meilen weiter westlich und kroch unaufhaltsam in Richtung Küste. Die Kanzleiräume befanden sich in einem umgebauten Ferienhaus und von der durchhängenden hinteren Veranda aus konnte Trevor den Strand und das Meer sehen und die Schreie der Möwen hören. Er fand es beinahe unglaublich, dass er das Ding jetzt schon seit zwölf Jahren gemietet hatte. Anfangs hatte er gern auf der hinteren Veranda gesessen, wo ihn das Telefon und etwaige Mandanten nicht störten, und stundenlang auf die nur zwei Blocks entfernte Weite des Atlantiks gestarrt.
Er stammte aus Scranton, North Dakota, und wie alle, die sich aus der Kälte hierher geflüchtet hatten, war er es nach einer Weile leid geworden, aufs Meer zu sehen, barfuss am Strand entlang zu laufen und den Möwen Brotkrumen zuzuwerfen. Inzwischen schlug er die Zeit lieber in seinem verschlossenen Büro tot.
Trevor hatte eine Heidenangst vor Richtern und Gerichtssälen. Das war zwar ungewöhnlich und in gewissem Sinne sogar ehrenwert, engte ihn aber auch in seiner Berufsausübung ein. Er musste sich auf Schreibtischarbeit beschränken, auf Grundstücksüberschreibungen, Testamente, Kaufverträge und Bauanträge — all die kleinen, langweiligen, geisttötenden Vorgänge, von denen ihm während des Jurastudiums niemand erzählt hatte. Hin und wieder übernahm er einen kleinen Drogenfall, bei dem es nicht zu einem Prozess kam, und durch einen dieser unglücklichen Mandanten, der in Trumble einsaß, hatte er schließlich den Ehrenwerten Joe Roy Spicer kennen gelernt. Binnen kurzem war er der offizielle Anwalt der drei ehemaligen Richter Spicer, Beech und Yarber — der Bruderschaft, wie auch er sie nannte.
Er war nicht mehr und nicht weniger als ein Kurier und schmuggelte Briefe, die als anwaltliche Dokumente deklariert waren und somit nicht kontrolliert werden durften. Er gab ihnen keine fachlichen Ratschläge, und sie fragten ihn auch nicht danach. Er verwaltete ihre ausländischen Konten und nahm die Anrufe von Familienangehörigen ihrer in Trumble einsitzenden Mandanten entgegen.
Er war der Verbindungsmann für ihre schmutzigen kleinen Geschäfte, und weil er dadurch Gerichtssälen, Richtern und gegnerischen Anwälten aus dem Weg gehen konnte, war Trevor damit ganz zufrieden.
Außerdem war er ein Komplize und konnte, wenn je etwas herauskam, leicht angeklagt werden, doch das machte ihm wenig Sorgen. Diese Angola-Sache war absolut brillant, denn die Opfer würden nie und nimmer zur Polizei gehen. Es war leicht verdientes Geld und der Ertrag ließ sich noch steigern. Trevor war bereit, das Risiko einzugehen.
Er schlich sich aus dem Büro, ohne von seiner Sekretärin gesehen zu werden, und fuhr in seinem restaurierten VW-Käfer — Baujahr 1970, keine Klimaanlage — davon. Zunächst fuhr er auf der First Street in Richtung Atlantic Boulevard. Zwischen den Häusern hindurch war das Meer zu sehen.
Trevor trug eine alte Khakihose, ein weißes Hemd, eine gelbe Fliege und ein blaues Seersucker-Jackett — alles reichlich zerknittert. Bald kam er an Pete's Bar and Grill vorbei, der ältesten Bar am Strand, die zugleich seine Stammkneipe war, auch wenn sie inzwischen von den College-Studenten entdeckt worden war. Er hatte dort eine sehr alte Rechnung über 361 Dollar offen stehen, fast ausschließlich für Coors und Eemon Daiquiris, und er war fest entschlossen, diese Schulden zu bezahlen.
Am Atlantic Boulevard bog er nach Westen ab, kämpfte sich durch den Verkehr in Richtung Jacksonville und fluchte auf die wuchernde Stadt, die Staus und die Wagen mit kanadischen Nummernschildern. Dann kam er zu der Umgehungsstraße, die nördlich am Flughafen vorbeiführte, und bald war er im tiefsten flachen Florida.
Fünfzig Minuten später parkte er auf dem Parkplatz von Trumble. Bundesgefängnisse sind schon was Großartiges, dachte er nicht zum ersten Mal. Jede Menge Parkplätze in der Nähe des Haupteingangs, hübsch gestaltete, von den Insassen täglich gepflegte Grünflächen und moderne, saubere Gebäude.
Am Tor sagte er» Hallo, Mackey «zu dem weißen Wärter und begrüßte den schwarzen mit» Hallo, Vince«. Rufus saß am Empfang und durchleuchtete den Aktenkoffer, während Nadine den Papierkram für seinen Besuch erledigte.»Was machen die Barsche?«fragte er Rufus.
«Sie beißen nicht an.«
In Trumbles kurzer Geschichte gab es keinen Anwalt, der seine Mandanten so oft besuchte wie Trevor, Man machte noch ein Foto von ihm, drückte ihm einen Stempel mit unsichtbarer Farbe auf den Handrücken und führte ihn durch zwei Türen und einen kurzen Korridor.»Hallo, Link«, sagte er zu dem nächsten Wärter.
«Morgen, Trevor. «Link war für den Besuchsraum zuständig, einen großen Saal mit vielen gepolsterten Stühlen, zahlreichen Verkaufsautomaten entlang der einen Wand, einem Spielbereich für Kinder und einem kleinen Innenhof, in dem Paare sich an einen Picknicktisch setzen und für eine Weile ungestört sein konnten. Alles blitzte und blinkte und es war niemand zu sehen. Kein Wunder an einem Werktag. An den Wochenenden herrschte mehr Betrieb, aber für den Rest der Zeit bewachte Link einen leeren Raum.
Sie gingen zu einem der Anwaltszimmer. Dies waren kleine Kammern mit verschließbaren Türen, die mit Fenstern versehen waren, so dass Link die Männer dort drinnen im Auge behalten konnte, wenn er wollte. Joe Roy Spicer wartete in dem Zimmer und las die Sportseite der Tageszeitung, denn er wettete in letzter Zeit auf die Basketball-Ergebnisse der College-Liga. Trevor und Link traten in den Raum und Trevor steckte Link blitzschnell zwei 20-Dollar-Scheine zu. Die Überwachungskameras konnten sie hier, hinter der Tür, nicht erfassen. Wie immer tat Spicer so, als hätte er nichts gesehen.
Der Aktenkoffer wurde geöffnet, damit Link seinen Inhalt flüchtig untersuchen konnte. Er tat das, ohne etwas zu berühren. Trevor entnahm dem Koffer einen großen, braunen Umschlag, der versiegelt war und die Aufschrift Anwaltliche Unterlagen trug. Link nahm den Umschlag, bog ihn durch, um sich davon zu überzeugen, dass er keine Waffe oder ein Tablettenröhrchen enthielt, und gab ihn Trevor zurück. Sie hatten das bereits Dutzende Male gemacht.
Die Vorschriften besagten, dass beim Öffnen der Umschläge ein Aufseher anwesend sein musste, doch die beiden Zwanziger sorgten dafür, dass Link hinausging und Posten vor der Tür bezog, weil es im Augenblick einfach nichts anderes zu bewachen gab. Er wusste, dass Briefe ausgetauscht wurden, aber das war ihm egal. Solange Trevor keine Waffen oder Drogen ins Gefängnis schmuggelte, drückte Link ein Auge zu. Es gab hier ohnehin zu viele idiotische Vorschriften. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und es dauerte nicht lange, bis er halb eingedöst war, das eine Bein gestreckt, das andere leicht angewinkelt.
Im Anwaltsraum wurden keine juristischen Fragen erörtert. Spicer war noch immer in die Basketball-Ergebnisse vertieft. Die meisten anderen Insassen freuten sich über Besuch, Spicer dagegen nahm ihn lediglich in Kauf.
«Ich hab gestern Abend einen Anruf von dem Bruder von Jeff Daggett gekriegt«, sagte Trevor.»Der Junge aus Coral Gables.«
«Ich weiß, wer das ist«, sagte Spicer und ließ nun, da sich die Möglichkeit eröffnete, Geld zu verdienen, die Zeitung sinken.»Er hat zwölf Jahre für Beteiligung an organisiertem Drogenschmuggel gekriegt.«
«Genau. Sein Bruder sagt, in Trumble ist ein ehemaliger Bundesrichter, der sich die Unterlagen angesehen hat und möglicherweise ein paar Jahre Strafnachlass rausholen kann. Dieser Richter will dafür aber Geld sehen. Also hat Daggett seinen Bruder angerufen und der wiederum hat mich angerufen. «Trevor zog das zerknitterte Seersucker-Jackett aus und warf es auf einen Stuhl. Spicer fand die gelbe Fliege scheußlich.
«Wie viel kann er zahlen?«
«Habt ihr eine Honorarforderung gestellt?«fragte Trevor.
«Beech vielleicht. Ich weiß es nicht. Unser Tarif für eine Strafermäßigung nach Paragraph 2255 ist fünftausend Dollar. «Spicer sagte das so routiniert, als wäre er jahrelang Strafrichter an einem Bundesgericht gewesen. In Wirklichkeit hatte er nur ein einziges Mal einen Bundesgerichtssaal betreten, und zwar am Tag seiner Verurteilung.
«Ich weiß«, sagte Trevor.»Aber ich bin nicht sicher, ob sie fünftausend auftreiben können. Bei seiner Verhandlung hatte der Junge einen Pflichtverteidiger.«
«Dann quetsch aus ihnen heraus, so viel du kannst. Mindestens tausend, und zwar im Voraus. Er ist kein Verbrechertyp.«
«Du wirst weich, Joe Roy.«
«Nein, ich werde immer gemeiner.«
Das stimmte. Joe Roy war der Geschäftsführer der Bruderschaft. Yarber und Beech hatten das nötige Talent und eine juristische Ausbildung, doch ihr Absturz hatte sie so gedemütigt, dass sie keinen Ehrgeiz mehr besaßen. Spicer dagegen, der über wenig Talent und keinerlei juristische Ausbildung verfügte, wusste genug über Menschenführung, um seine Kollegen auf Kurs zu halten. Während sie trüben Gedanken nachhingen, träumte er von einem Comeback.
Joe Roy öffnete einen Schnellhefter und entnahm ihm einen Scheck.»Hier sind tausend Dollar. Von einem Brieffreund namens Curtis aus Texas.«
«Werden wir von dem noch mehr hören?«
«Sehr viel mehr, glaube ich. Quince aus lowa ist jetzt fällig. «Joe holte einen hübschen, verschlossenen, lavendelfarbenen Umschlag hervor, der an Quince Garbe in Bakers, lowa, adressiert war.
«Wie viel?«fragte Trevor und nahm den Umschlag an sich.
«Hunderttausend.«
«Donnerwetter.«
«Er hat das Geld und er wird bezahlen. Ich hab ihm geschrieben, wohin er das Geld überweisen soll. Sag der Bank Bescheid.«
In seinen dreiundzwanzig Jahren als Anwalt hatte Trevor nie ein Honorar erhalten, das auch nur entfernt an 33 000 Dollar herangereicht hatte. Auf einmal sah er das Geld vor sich und glaubte es schon in Händen zu haben, und obwohl er sich bemühte, nicht daran zu denken, begann er es bereits auszugeben. 33 000 Dollar für eine leichte Briefträgertätigkeit.
«Und du glaubst wirklich, dass das funktioniert?«fragte er. In Gedanken bezahlte er die Rechnung in Pete's Bar und schrieb einen Brief an MasterCard, in dem er sie aufforderte, sich ihre Mahnung an den Hut zu stecken. Er würde seinen geliebten Käfer behalten, sich aber vielleicht eine Klimaanlage spendieren.
«Natürlich funktioniert das«, sagte Spicer ohne den Hauch eines Zweifels.
Er hatte zwei weitere Briefe, beide geschrieben von Richter Yarber, der dazu in Percys Rolle geschlüpft war, des jungen Mannes in der Drogenklinik. Trevor nahm sie voller Vorfreude an sich.
«Arkansas spielt heute Abend gegen Kentucky«, sagte Spicer und wandte sich wieder der Zeitung zu.»Das letzte Mal hat Arkansas mit vierzehn Punkten Vorsprung gewonnen. Was meinst du?«
«Diesmal wird's viel knapper. Kentucky ist sehr heimstark.«
«Bist du dabei?«
«Du denn?«
Trevor kannte einen Buchmacher, der häufig in Pete's Bar kam, und obwohl er nicht oft wettete, hatte er gelernt, dass es sich lohnte, Richter Spicers Tipps zu befolgen.
«Ich setze hundert auf Arkansas«, sagte Spicer.
«Dann werde ich dasselbe tun.«
Sie spielten noch eine halbe Stunde Blackjack. Link warf hin und wieder einen Blick durch das
Fenster und runzelte missbilligend die Stirn. Kartenspiele während der Besuchszeit waren verboten, aber darum kümmerte sich ohnehin niemand. Joe Roy spielte hart und aggressiv, denn er wollte für seine bevorstehende Karriere trainieren. Im Aufenthaltsraum wurden bevorzugt Poker und Gin Rummy gespielt und Spicer hatte oft Schwierigkeiten, einen Blackjack-Partner zu finden.
Trevor war zwar nicht besonders gut, aber immer bereit zu einem Spielchen. In Spicers Augen war dies das Einzige, was für ihn sprach.