172633.fb2 Die Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

Die Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

SIEBEN

Picasso hatte eine einstweilige Verfügung gegen Sherlock und andere — unbekannte — Personen beantragt, um sie daran zu hindern, auf seine Rosen zu pinkeln. Ein bisschen fehlgeleiteter Urin konnte das Leben in Trumble zwar nicht wirklich aus dem Gleichgewicht bringen, aber Picasso wollte auch Schadenersatz in Höhe von 500 Dollar. Und 500 Dollar waren eine ernste Angelegenheit.

Der Streit schwelte seit dem vergangenen Sommer, als Picasso Sherlock auf frischer Tat ertappt hatte. Schließlich hatte der stellvertretende Direktor interveniert und die Bruderschaft gebeten, die Sache zu verhandeln. Die Klage war eingereicht worden und Sherlock hatte einen ehemaligen Anwalt namens Ratliff, der wegen Steuerhinterziehung saß, mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Dieser stellte irrelevante Anträge und tat sein Bestes, die Sache zu behindern und zu verzögern — die übliche Vorgehensweise derer, die draußen die hohe Kunst der Prozessführung praktizierten. Doch bei der Bruderschaft kam das nicht gut an, und weder Sherlock noch sein Anwalt hatten besonders gute Karten.

Picassos Rosengarten war ein sorgfältig gepflegtes Beet neben der Sporthalle. In einem dreijährigen zähen bürokratischen Kampf hatte er einen subalternen Sesselfurzer in Washington davon überzeugt, dass er, Picasso, an diversen Störungen litt und dass ein solches Hobby von altershehr als therapeutisch galt. Sobald die Genehmigung aus Washington vorlag, setzte der Gefängnisdirektor seine Unterschrift darunter, und Picasso machte sich mit Eifer an die Arbeit. Die Rosen bezog er von einer Gärtnerei in Jacksonville. Auch dafür hatte er zahlreiche Anträge stellen müssen.

Sein eigentlicher Job war Tellerwäscher in der Cafeteria, eine Tätigkeit, für die er 3 °Cent pro Stunde bekam. Der Direktor lehnte seinen Antrag, als Gärtner beschäftigt zu werden, ab — die Rosen waren also sein Hobby. In der Wachstumszeit sah man Picasso früh und spät in seinem Beet knien, die Erde auflockern und seine Rosenstöcke gießen. Er sprach sogar mit den Blumen.

Die Sorte hieß Belinda's Dream und hatte blass rosafarbene Blüten. Die Rosen waren nicht besonders schön, aber Picasso liebte sie trotzdem. Als die Stöcke geliefert wurden, erfuhren alle Insassen von Trumble, dass die Belindas endlich gekommen waren. Er pflanzte sie liebevoll in die Mitte und an den vorderen Rand seines Beetes.

Sherlock begann aus purer Bosheit, auf das Beet zu pinkeln. Er konnte Picasso ohnehin nicht ausstehen, weil dieser ein bekannter Lügner war, und irgendwie erschien es ihm angebracht, auf die Rosen zu urinieren. Andere taten es ihm nach. Sherlock ermunterte sie, indem er ihnen sagte, das sei ein hervorragender Rosendünger.

Die Belindas verloren ihre rosige Farbe und welkten. Picasso war entsetzt. Ein Informant schob einen Zettel unter seiner Tür durch, und damit war das Geheimnis gelüftet: Sein geliebtes Rosenbeet war zum Pissoir geworden. Zwei Tage später legte Picasso sich auf die Lauer und ertappte Sherlock in flagranti und Sekunden später lieferten die beiden dicklichen Männer im mittleren Alter sich mitten auf dem Fußweg einen hässlichen Ringkampf.

Die Rosen verfärbten sich gelblich und Picasso reichte seine Klage ein.

Als es Monate später, nach zahlreichen Verzögerungen durch Ratliff, endlich zur Verhandlung kam, hatten die Richter bereits genug von dieser Sache. Sie waren übereingekommen, dem Ehrenwerten Finn Yarber, dessen Mutter einst Rosen gezüchtet hatte, den Vorsitz zu überlassen, und dieser hatte den anderen nach einigen Recherchen, die nicht länger als ein paar Stunden gedauert hatten, mitgeteilt, dass menschlicher Urin keinerlei Verfärbung von Rosenblüten zur Folge hatte. Zwei Tage vor der Verhandlung stand ihre Entscheidung fest: Sie würden die beantragte Verfügung erlassen, die Sherlock und die anderen Schweine hinderte, auf Picassos Rosen zu pinkeln, aber ein Schadenersatz kam nicht in Frage.

Drei Stunden lang hörten sie sich an, wie erwachsene Männer darüber stritten, wer wann und wie oft wohin gepinkelt hatte. Picasso, der sich nicht durch einen Anwalt vertreten ließ, war den Tränen nahe, als er die von ihm vorgeladenen Zeugen anflehte, gegen ihre Freunde auszusagen. Ratliff, der Verteidiger, war grausam, verletzend und wiederholte sich ständig, und nach einer Stunde war deutlich, dass seine Streichung aus dem Anwaltsverzeichnis durchaus gerechtfertigt gewesen war — ganz gleich, welcher Vergehen er sich schuldig gemacht hatte.

Richter Spicer vertrieb sich die Zeit mit der Lektüre der Basketball-Ergebnisse in der College-Liga. Wenn er Trevor nicht beauftragen konnte, platzierte er Übungswetten auf jedes Spiel. Innerhalb von zwei Monaten hatte er damit — auf dem Papier — 3600 Dollar verdient. Er hatte eine Glückssträhne. Er gewann beim Kartenspielen, er gewann bei Sportwetten, und er schlief schlecht, denn er träumte von dem Leben, das auf ihn wartete und in dem er ein Profispieler sein würde, in Las Vegas oder auf den Bahamas. Mit seiner Frau oder ohne sie.

Richter Beech stellte stirnrunzelnd tief gehende juristische Überlegungen an und machte sich umfangreiche Notizen. In Wirklichkeit entwarf er seinen nächsten Brief an Curtis in Dallas. Sie hatten beschlossen, ihn noch ein bisschen zu ködern. Als» Ricky «erklärte Beech ihm, ein brutaler Wachmann der Drogenklinik habe ihm alle möglichen schmerzhaften Konsequenzen für den Fall angedroht, dass er keine» Versicherung «abschloss. Ricky brauchte 5000 Dollar, um vor diesem Schläger sicher zu sein. Konnte Curtis ihm das Geld vielleicht leihen?

«Können wir jetzt fortfahren?«unterbrach Beech den ehemaligen Anwalt Ratliff zum wiederholten Male. Als er noch amtierender Richter gewesen war, hatte er die Kunst, während der nicht enden wollenden Ausführungen der Anwälte Zeitschriften zu lesen, zur Vollendung gebracht. Eine barsche Ermahnung zum rechten Zeitpunkt hielt alle Beteiligten auf Kurs.

Er schrieb:»Sie spielen hier so widerliche Spielchen. Als zerbrochene Menschen kommen wir hier an. Dann legt man uns trocken, hilft uns auf, setzt uns Stückchen für Stückchen wieder zusammen. Nach und nach lernen wir, wieder klar zu denken. Man bringt uns Disziplin bei, gibt uns neues Selbstvertrauen und bereitet uns auf die Rückkehr in die Gesellschaft vor. Die Ärzte sind wirklich fähig, aber sie lassen es zu, dass die brutalen Kerle, die das Gelände bewachen, uns, die wir noch so schwach und zerbrechlich sind, bedrohen und damit alles zerstören, was wir uns unter großen Mühen erarbeitet haben. Ich habe Angst vor diesem Mann. Ich sollte mich von der Sonne bräunen lassen oder an den Geräten trainieren, aber ich verstecke mich lieber in meinem Zimmer. Ich kann nicht schlafen. Ich sehne mich nach Alkohol und Drogen, um diesem Alptraum zu entfliehen. Bitte, Curtis, leih mir die 5000 Dollar, damit dieser Kerl mich in Ruhe lässt. Damit ich meine Entziehungskur abschließen kann und unversehrt hier rauskomme. Ich will gesund und in Form sein, wenn wir uns endlich sehen.«

Was würden seine Freunde von ihm denken? Der Ehrenwerte Bundesrichter Hatlee Beech schrieb Schwulenprosa und erpresste unschuldige Menschen.

Er hatte keine Freunde mehr. Es gab keine Regeln mehr. Das Gesetz, das er einst über alles gestellt hatte, hatte ihn hierher gebracht: in die Cafeteria eines Gefängnisses, wo er in der blassgrünen Robe eines schwarzen Kirchenchorsängers an einem Klapptisch saß und sich anhörte, wie ein Haufen wütender Knastbrüder sich über Urin stritten.

«Sie haben diese Frage bereits achtmal gestellt«, fuhr er Ratliff an, der offenbar zu viele schlechte Gerichtsdramen gesehen hatte.

Da Richter Yarber den Vorsitz führte, hätte er sich eigentlich wenigstens den Anschein geben sollen, als verfolge er das Geschehen aufmerksam. Das tat er jedoch keineswegs und auch der Anschein war ihm vollkommen gleichgültig. Wie gewöhnlich war er unter seiner Robe nackt. Er saß mit breit gespreizten Beinen da und säuberte seine langen Zehennägel mit einer Plastikgabel.

«Willst du vielleicht behaupten, deine Blumen wären braun geworden, wenn ich darauf geschissen hätte?«rief Sherlock Picasso zu und die ganze Cafeteria brach in schallendes Gelächter aus.

«Achten Sie auf Ihre Ausdrucksweise, meine Herren«, sagte Richter Beech.

«Ruhe!«rief T. Karl, der Gerichtsnarr mit der hellgrauen Perücke. Es gehörte nicht zu seinen Aufgaben, im Gerichtssaal für Ordnung zu sorgen, doch er machte seine Sache gut und die Richter ließen es ihm durchgehen. Er klopfte mit dem Plastikhammer auf den Tisch und rief nochmals:

«Ruhe, meine Herren!«

Beech schrieb:»Bitte hilf mir, Curtis. Ich habe niemanden sonst, an den ich mich wenden könnte. Ich habe Angst zu zerbrechen. Ich habe Angst, ich könnte rückfällig werden. Ich habe Angst, dass ich nie mehr hier rauskomme. Bitte beeil dich.«

Spicer setzte je 100 Dollar auf Indiana gegen Purdue, Duke gegen Clemson, Alabama gegen Vandy und Wisconsin gegen Illinois. Er hatte keine Ahnung, wie stark Wisconsin im Basketball war, aber das spielte keine Rolle. Er war ein Profispieler, und zwar ein verdammt guter. Wenn die 90 000 Dollar noch hinter dem Geräteschuppen vergraben waren, würde er innerhalb eines Jahres eine Million daraus machen.

«Das reicht«, sagte Beech und hob die Hand.

«Mir reicht's ebenfalls«, sagte Yarber, hörte auf, sich seinen Zehennägeln zu widmen, und stützte die Arme auf den Tisch.

Die Richter steckten die Köpfe zusammen und berieten sich, als würde hier ein wichtiger Präzedenzfall verhandelt oder als hinge von ihrer Entscheidung die Zukunft der amerikanischen Rechtsprechung ab. Sie runzelten die Stirn, kratzten sich am Kopf und schienen die Implikationen des Falls zu diskutieren. Der arme Picasso, dem Ratliffs Prozesstaktik stark zugesetzt hatte, saß abseits und hatte Tränen in den Augen.

Richter Yarber räusperte sich.»Mit einer Mehrheit von zwei zu eins ergeht folgendes Urteil: Wir erlassen eine Verfügung gegen jeden, der auf die verdammten Rosen pinkelt. Wer dabei erwischt wird, zahlt fünfzig Dollar Strafe. Die Schadenersatzforderung ist abgewiesen.«

Sogleich schlug T. Karl mit seinem Hammer auf den Tisch und rief:»Das Gericht vertagt sich bis auf weiteres. Alle Anwesenden mögen sich erheben.«

Natürlich rührte sich niemand.

«Ich lege Berufung ein«, schrie Picasso.

«Ich auch«, rief Sherlock.

«Scheint ein gutes Urteil zu sein«, sagte Yarber, raffte seine Robe und stand auf.»Beide Parteien sind unzufrieden.«

Auch Beech und Spicer erhoben sich und dann verließen die Richter die Cafeteria. Ein Wärter trat zu den Prozessparteien und Zeugen und sagte:»Die Sitzung ist beendet, Jungs. Zurück an die Arbeit.«

Der Vorstandsvorsitzende von Hummand, einer in Seattle ansässigen Gesellschaft, die Raketen und Radarstörsender herstellte, war früher Kongressabgeordneter mit hervorragenden Kontakten zur CIA gewesen. Teddy Maynard kannte ihn gut. Als der Vorstandsvorsitzende auf einer Pressekonferenz verkündete, seine Gesellschaft werde Lake fünf Millionen Dollar für seinen Wahlkampf spenden, unterbrach CNN einen Beitrag über die Absaugung von Fettgewebe und brachte die Story live! 5000 Hummand-Arbeiter hatten Schecks über je 1000 Dollar, die gesetzlich festgelegte Höchstsumme, ausgestellt. Der Vorstandsvorsitzende hatte die Schecks in einer Schachtel, die er den Kameras präsentierte, bevor er mit einem Firmenjet nach Washington flog, um sie in Lakes Hauptquartier abzugeben.

Folge dem Geld und du findest den Sieger. Seit der Bekanntgabe von Lakes Kandidatur hatten über 11 000 Arbeiter aus der Rüstungs- und Luftfahrtindustrie in 30 Staaten gut acht Millionen Dollar gespendet. Die Post stellte die Briefe mit den Schecks Körbeweise zu. Die Gewerkschaften hatten fast ebenso viel beigesteuert und weitere zwei Millionen zugesagt. Lakes Leute mussten eine Buchhaltungsfirma mit dem Zählen und Verbuchen des Geldes beauftragen.

Bei der Landung des Vorstandsvorsitzenden von Hummand in Washington waren so viele Presseleute anwesend, wie man hatte zusammentrommeln können. Präsidentschaftskandidat Lake saß gerade in einem anderen Privatjet, den man für monatlich 400 000 Dollar geleast hatte. In Detroit erwarteten ihn zwei nagelneue schwarze Limousinen, ebenfalls geleast, für 1000 Dollar pro Monat. Lake hatte jetzt eine Eskorte, eine Gruppe von Leuten, die ihn begleiteten, wohin er auch ging, und obgleich er sicher war, dass er sich daran gewöhnen würde, fand er das anfangs recht enervierend. Ständig war er von Fremden umgeben, von ernsten jungen Männern in schwarzen Anzügen, die kleine Ohrhörer und

Schulterholster mit Revolvern trugen. Zwei Agenten des Secret Service hatten ihn auf dem Flug begleitet, drei weitere warteten bei den Limousinen.

Und dann war da noch Floyd, der sonst in Lakes Büro im Kongress arbeitete. Er war ein nicht besonders heller junger Mann aus einer prominenten Familie in Arizona, der lediglich zur Erledigung kleinerer Aufträge taugte. Jetzt war Floyd sein Fahrer. Er saß am Steuer einer der Limousinen. Lake nahm auf dem Beifahrersitz Platz, zwei Agenten und eine Sekretärin setzten sich in den Fond. Zwei Assistenten und drei weitere Agenten folgten in der anderen Limousine. Sie fuhren in die Innenstadt von Detroit, wo sie von wichtigen Journalisten örtlicher Fernsehstationen erwartet wurden.

Lake hatte keine Zeit, durch Wohngebiete zu stapfen oder Catfish zu essen oder im Regen vor Fabriktoren herumzustehen. Er konnte nicht für die Kameras wandern oder vor Stadtversammlungen sprechen oder inmitten verfallender Gettos stehen und eine verfehlte Politik anprangern. Er hatte nicht genug Zeit, um all die Dinge zu tun, die man von einem Präsidentschaftskandidaten erwartete. Er war spät angetreten, ohne Basisorganisation, ohne irgendwelche Unterstützung vor Ort. Lake hatte ein gut aussehendes Gesicht, eine angenehme Stimme, hervorragend geschnittene Anzüge, eine dringliche Botschaft und jede Menge Geld.

Wenn man mit gekaufter Fernsehzeit die Präsidentschaft kaufen konnte, dann war Lake auf dem besten Weg zu einem neuen Posten.

Er rief in Washington an, sprach mit seinem Finanzmanager und erfuhr von den fünf Millionen. Von Hummand hatte er noch nie gehört.»Ist das eine Aktiengesellschaft?«fragte er. Nein, hieß es, das Unternehmen sei in Privatbesitz. Jahresumsatz knapp unter einer Milliarde. Innovativ auf dem Sektor der Radarstöranlagen. Konnte Milliarden machen, wenn der richtige Mann sich des Militärs annahm und wieder anfing, Geld auszugeben.

Neunzehn Millionen waren bis jetzt zusammengekommen. Das war natürlich ein Rekord. Aber man würde die Erwartungen revidieren: Lake würde in den ersten zwei Wochen 30 Millionen Dollar Spenden sammeln.

So schnell konnte man das Geld gar nicht ausgeben.

Er klappte das Handy zusammen und reichte es Floyd, der sich anscheinend verfahren hatte.»Von jetzt an nehmen wir Hubschrauber«, sagte er über seine Schulter zu der Sekretärin, die die Anordnung tatsächlich sogleich notierte: Hubschrauber besorgen!

Lake verbarg seine Augen hinter einer Sonnenbrille und versuchte zu analysieren, was 30 Millionen Dollar bedeuteten. Die Verwandlung von einem um Ausgabenbegrenzung besorgten Konservativen in einen mit Dollars nur so um sich werfenden Präsidentschaftskandidaten war gewöhnungsbedürftig, aber das Geld war nun mal da und musste ausgegeben werden. Es war den Steuerzahlern nicht abgepresst worden — die Leute hatten es freiwillig gespendet. Er konnte vernünftige Gründe dafür finden. Wenn er erst einmal gewählt war, würde er sich weiterhin für die Belange des einfachen Mannes einsetzen.

Wieder dachte er an Teddy Maynard, der mit einer Decke über den Knien, mit schmerzverzerrtem Gesicht in Langley in einem abgedunkelten Raum saß und Drähte zog, die nur er ziehen konnte.

Teddy Maynard, der das Geld auf Bäumen wachsen lassen konnte. Lake würde nie erfahren, was Teddy für ihn tat, und er wollte es auch gar nicht erfahren. Der Leiter der Abteilung Naher Osten hieß Lufkin. Er war seit zwanzig Jahren bei der CIA und Teddy vertraute ihm absolut. Vierzehn Stunden zuvor war er noch in Tel Aviv gewesen. Jetzt saß er in Teddys Bunker und sah erstaunlich frisch und konzentriert aus. Die Nachrichten, die er für Teddy hatte, mussten persönlich überbracht werden, ohne

Telefone, Drähte oder Satelliten. Und was hier gesprochen wurde, würde nie wiederholt werden. So hielten sie es seit vielen Jahren.

«Ein Angriff auf unsere Botschaft in Kairo steht jetzt unmittelbar bevor«, sagte Lufkin. Keine Reaktion von Teddy — kein Stirnrunzeln, kein Zeichen von Überraschung, kein Niederschlagen der Augen, nichts. Er hatte solche Nachrichten schon oft bekommen.

«Abu Yidal?«

«Ja. Sein wichtigster Unterführer wurde letzte Woche in Kairo gesehen.«

«Von wem?

«Von den Israelis. Sie haben auch zwei Lastwagen mit Sprengstoff von Tripolis nach Kairo verfolgt. Es scheint alles bereit zu sein.«

«Wann?«

«Der Anschlag steht unmittelbar bevor.«

«Wie unmittelbar?«

«Innerhalb einer Woche, würde ich sagen.«

Teddy zupfte sich am Ohrläppchen und schloss die Augen. Lufkin versuchte, ihn nicht anzustarren, und er wusste, dass es besser war, keine Fragen zu stellen. Er würde bald in den Nahen Osten zurückkehren. Und er würde warten. Der Angriff auf die Botschaft würde wahrscheinlich ohne Vorwarnung erfolgen. Dutzende würden getötet und verstümmelt werden. Der Krater würde noch tagelang rauchen, und in Washington würde man mit den Fingern zeigen und Beschuldigungen äußern. Die CIA würde wieder mal verantwortlich gemacht werden. Teddy Maynard würde das alles kalt lassen. Im Lauf der Zeit hatte Lufkin gelernt, dass Teddy manchmal Terror brauchte, um zu erreichen, was er erreichen wollte.

Vielleicht würde es aber auch keinen Angriff auf die Botschaft geben. Vielleicht würden ägyptische Kommandoeinheiten in Zusammenarbeit mit den Amerikanern rechtzeitig zugreifen. Die CIA würde für ihre ausgezeichnete geheimdienstliche Arbeit gelobt werden. Aber auch das würde Teddy kalt lassen.

«Und Sie sind sich sicher?«fragte er.

«So sicher, wie man sich unter diesen Umständen sein kann.«

Lufkin wusste natürlich nicht, dass der CIA-Direktor dabei war, eine Wahlkampagne zu steuern. Er hatte von Aaron Lake kaum jemals gehört. Und eigentlich war es ihm vollkommen egal, wer die Wahl gewann. Er war lange genug im Nahen Osten, um zu wissen, dass es im Grunde keine Rolle spielte, wer die Richtlinien der amerikanischen Nahostpolitik bestimmte.

In drei Stunden würde er in der Concorde nach Paris sitzen, wo er einen Tag verbringen würde, bevor er nach Jerusalem weiterflog.

«Gehen Sie nach Kairo«, sagte Teddy, ohne die Augen zu öffnen.

«Gut. Und was soll ich dort machen?«

«Warten.«»Auf was?«

«Darauf, dass die Erde bebt. Und halten Sie sich von der Botschaft fern.«

Yorks erste Reaktion war Entsetzen.»Sie können diesen Spot nicht senden lassen, Teddy«, sagte er.»Sie kriegen keine Freigabe für Kinder und Jugendliche. Ich hab noch nie so viel Blut gesehen.«

«Mir gefällt das«, sagte Teddy und drückte einen Knopf auf der Fernsteuerung.»Ein Wahlkampfspot, den Kinder und Jugendliche nicht sehen dürfen. So was hat es noch nie gegeben.«

Sie sahen ihn sich noch einmal an. Er begann mit einer Bombenexplosion und dann kamen Aufnahmen der Unterkünfte der Marines in Beirut: Rauch, Schutt, Chaos, Marines, die aus den Trümmern geborgen wurden, verstümmelte Körper, ordentlich aufgereihte Leichen. Präsident Reagan schwor vor versammelter Presse Rache. Doch die Drohung klang hohl. Dann das Foto eines amerikanischen Soldaten zwischen zwei maskierten Bewaffneten. Eine dunkle, unheildrohende Stimme aus dem Off sagte:»Seit 1980 sind Hunderte Amerikaner von Terroristen in aller Welt ermordet worden. «Eine weitere Explosion, blutverschmierte, verwirrte Überlebende, Rauch und Chaos.»Jedes Mal schwören wir Rache. Jedes Mal versprechen wir, die Verantwortlichen aufzuspüren und zu bestrafen. «Kurze Einstellungen von Präsident Bush, der bei zwei verschiedenen Gelegenheiten wütend Vergeltung gelobte — und wieder eine Explosion und noch mehr Leichen. Ein Terrorist in der Tür eines Verkehrsflugzeugs, der den Leichnam eines amerikanischen Soldaten auf das Rollfeld warf. Präsident Clinton, der mit brechender Stimme und den Tränen nahe sagte:»Wir werden nicht ruhen, bis wir die Verantwortlichen gefunden haben. «Und dann das gut aussehende, aber ernste Gesicht von Aaron Lake, der aufrichtig in die Kamera sah und jeden einzelnen Zuschauer persönlich ansprach:»Tatsache ist, dass wir keine Vergeltung üben. Wir reden, wir drohen, wir gebrauchen große Worte, aber in Wirklichkeit begraben wir die Toten und vergessen sie. Die Terroristen gewinnen ihren Krieg, weil wir nicht den Mumm hatten, zurückzuschlagen. Wenn ich Ihr Präsident bin, werden wir unsere neu ausgerüstete Armee einsetzen, um den Terrorismus zu bekämpfen, wo immer wir ihn sehen. Kein toter Amerikaner wird ungerächt bleiben. Das verspreche ich Ihnen. Wir werden uns nicht mehr von hergelaufenen kleinen Gruppen, die sich in den Bergen verstecken, erniedrigen lassen. Wir werden sie vernichten.«

Der Spot dauerte genau 60 Sekunden, hatte sehr wenig gekostet, weil Teddy bereits über das Filmmaterial verfügte, und würde in 48 Stunden zur Hauptsendezeit über die Bildschirme gehen.

«Ich weiß nicht«, sagte York.»Das Ding ist schrecklich.«

«Es ist eine schreckliche Welt.«

Teddy gefiel der Spot und das war alles, was zählte. Lake hatte Einwände gegen das viele Blut gehabt, sich jedoch schnell überzeugen lassen. Sein Bekanntheitsgrad lag jetzt bei 30 Prozent, doch seine Kampagne stieß noch immer auf Ablehnung.

Abwarten, dachte Teddy. Abwarten, bis es noch mehr Leichen gibt.