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Trevor trank einen doppelten Kaffe laute aus einem Plastikbecher vom Beach Java Cafe am Strand und überlegte, ob er einen großzügigen Schuss Amaretto oder zwei hineingeben sollte, um dem Morgen ein bisschen Schwung zu geben, als der Anruf kam. Seine kleine Kanzlei hatte keine Gegensprechanlage — sie wäre auch überflüssig gewesen. Jan konnte einfach durch den Flur rufen und er konnte zurückrufen, wenn er wollte. Seit acht Jahren schrieen er und diese Sekretärin sich nun schon an.
«Es ist eine Bank auf den Bahamas!«rief sie. Als er nach dem Hörer griff, hätte er beinahe seinen Kaffee verschüttet.
Es war ein Brite, dessen Akzent durch das Leben auf den Inseln gemildert worden war. Er teilte Trevor mit, dass ein beträchtlicher Betrag von einer Bank in lowa eingegangen sei.
Wie beträchtlich, wollte Trevor wissen und hielt dabei eine Hand vor den Mund, damit Jan nichts hörte.
100 000 Dollar.
Trevor legte auf und gab Amaretto in den Kaffee, drei Schuss. Dann lehnte er sich zurück, trank das köstliche Gebräu und lächelte verträumt die Wand an. In seinem ganzen Berufsleben war er einem Honorar von 33 000 Dollar nie auch nur nahe gekommen. Einmal hatte er bei einem Autounfall 25 000 Dollar herausgeschlagen und 7500 Dollar kassiert, die er innerhalb von zwei Monaten ausgegeben hatte. Jan hatte keine Ahnung von dem Konto auf den Bahamas und den Straftaten, die Geld dorthin leiteten, und darum war er gezwungen, eine Stunde zu warten, eine Menge unnötiger Anrufe zu machen und sich den Anschein eines beschäftigten Anwalts zu geben, bevor er verkündete, er habe in Jacksonville etwas Dringendes zu erledigen und werde anschließend nach Trumble fahren. Jan war das egal. Trevor verließ oft während der Bürostunden die Kanzlei und sie hatte genug Lesestoff, um sich zu beschäftigen.
Er raste zum Flughafen, verpasste um ein Haar das Flugzeug und trank während des dreißigminütigen Fluges nach Fort Lauderdale zwei Bier und während des Fluges nach Nassau zwei weitere. Dort angekommen, ließ er sich in den Fond eines Taxis sinken, eines 74er Cadillac, goldfarben gespritzt und ohne Klimaanlage. Der Fahrer hatte ebenfalls getrunken. Die Luft war heiß und stickig, der Verkehr war dicht, und als Trevor in der Innenstadt von Nassau vor dem Gebäude der Geneva Trust Bank ausstieg, klebte ihm das Hemd am Rücken.
Drinnen wurde er nach kurzem Warten von Mr. Brayshears empfangen, der ihn in sein kleines Büro führte. Brayshears legte ihm ein Papier vor, auf dem nur die nötigsten Einzelheiten verzeichnet waren: 100 000 Dollar waren von der First lowa Bank in Des Meines überwiesen worden; der Auftraggeber war eine Gesellschaft namens GMT Investments, der Empfänger ebenfalls eine Gesellschaft, die sich Boomer Realty, Ltd., nannte. Boomer war der Name von Joe Roy Spicers Lieblings-Hühnerhund.
Trevor überwies 25 000 Dollar auf sein eigenes Konto bei Geneva Trust, wo das Geld lag, von dem das Finanzamt und seine Sekretärin nichts ahnten. Die restlichen 8000 Dollar seines Honorars ließ er sich in einem dicken Umschlag aushändigen. Er steckte ihn in die Tasche seiner khakifarbenen Hose, schüttelte Brayshears' weiche kleine Hand und eilte hinaus. Die Versuchung war groß, ein paar Tage zu bleiben, ein Zimmer in einem Hotel am Strand zu mieten, sich in einen Liegestuhl am Pool zu legen und Rum zu trinken, bis man aufhörte, ihm noch welchen zu servieren. Am Flughafen wäre er beinahe wieder hinausgerannt und hätte sich ein Taxi genommen, doch er besann sich eines Besseren. Diesmal würde er das Geld nicht durchbringen.
Zwei Stunden später war er im Flughafen von Jacksonville, trank starken Kaffee ohne Alkohol und schmiedete Pläne. Er fuhr nach Trumble, wo er um halb fünf eintraf. Spicer ließ ihn fast eine halbe Stunde warten.
«Was für eine angenehme Überraschung«, sagte Spicer trocken, als er in den für Anwälte reservierten
Besuchsraum trat. Da Trevor keinen Aktenkoffer dabei hatte, klopfte der Wärter nur seine Taschen ab und ging wieder hinaus. Das Geld hatte er unter der Fußmatte seines Käfers gelassen.
«Wir haben hunderttausend Dollar aus lowa erhalten«, sagte Trevor und warf einen Blick zur Tür.
Spicer war auf einmal froh, Besuch von seinem Anwalt zu haben. Das» wir «in diesem Satz gefiel ihm zwar ebenso wenig wie die Tatsache, dass Trevor einen hübschen Batzen von der Summe einstrich, aber ohne Hilfe von draußen funktionierte die ganze Sache nicht, und darum war der Anwalt, wie gewöhnlich, ein notwendiges Übel. Und bis jetzt hatte Trevor sich als vertrauenswürdig erwiesen.
«Das Geld ist auf den Bahamas?«
«Ja. Ich komme gerade von dort. Es ist alles gebunkert. Siebenundsechzigtausend Dollar.«
Spicer holte tief Luft und genoss den Triumph. Ein Drittel — das hieß, dass er um etwas über 22000 Dollar reicher war. Es war an der Zeit, noch ein paar Briefe zu schreiben!
Er griff in die Brusttasche seines olivgrünen Gefängnishemdes und zog einen zusammengefalteten Zeitungsausschnitt hervor. Er studierte ihn einen Augenblick lang mit ausgestreckten Armen und sagte dann:»Duke spielt heute Abend gegen Tech. Setz fünftausend auf weniger als elf Punkte Differenz.«»Fünftausend?«
«Ja.«
«Ich hab noch nie fünftausend auf ein Basketballspiel gesetzt.«
«Was für einen Buchmacher hast du?«
«Er macht keine großen Wetten.«
«Wenn er Buchmacher ist, kriegt er das geregelt. Ruf ihn an, sobald du kannst. Er muss vielleicht mit ein paar Leuten telefonieren, aber er wird das schon hinkriegen.«
«Na gut.«
«Kannst du morgen noch mal kommen?«
«Wahrscheinlich.«
«Wie viele Mandanten haben dir je dreiunddreißigtausend Dollar bezahlt?«
«Keiner.«
«Genau. Sei also morgen um vier Uhr hier. Ich hab dann ein paar Briefe für dich.«
Spicer erhob sich und ging hinaus. Als er das Verwaltungsgebäude verließ, nickte er einem Wärter hinter einem Fenster kurz zu. Zielstrebig ging er über den kurz geschnittenen Rasen. Selbst jetzt, im Februar, heizte die Sonne die asphaltierten Gehwege auf. Seine Kollegen widmeten sich in der kleinen Bibliothek ihren beschaulichen Tätigkeiten und waren wie immer allein und so konnte Spicer ihnen ohne weitere Vorkehrungen sagen:»Der gute alte Quince aus lowa hat uns hunderttausend geschickt.«
Beechs Hände erstarrten über der Tastatur. Er spähte mit offenem Mund über seine Lesebrille hinweg und sagte:» Du machst Witze.«»Nein. Ich hab gerade mit Trevor gesprochen. Das Geld ist genau nach unseren Instruktionen überwiesen worden und heute Morgen auf den Bahamas eingetroffen. Quincy-Baby hat's gebracht.«
«Dann lassen wir ihn noch mal bluten«, sagte Yarber, bevor ein anderer es sagen konnte.
«Quince?«
«Klar. Die ersten hunderttausend waren einfach. Jetzt probieren wir's noch mal: Was haben wir schon zu verlieren?«
«Nichts«, sagte Spicer grinsend. Er wünschte, er hätte diesen Vorschlag gemacht.
«Wie viel?«fragte Beech.
«Ich würde sagen, fünfzigtausend«, sagte Yarber. Er schüttelte die Zahl aus dem Ärmel, als wäre alles möglich.
Die anderen beiden nickten und dachten über die nächsten 50000 nach. Spicer ergriff die Initiative und sagte:»Lasst uns mal sehen, wie die Dinge jetzt liegen. Ich glaube, Curtis in Dallas ist reif. Wir werden Quince ein zweites Mal anzapfen. Die Sache funktioniert und ich finde, wir sollten ein bisschen höher an den Wind gehen und aggressiver sein, wenn ihr versteht, was ich meine. Wir sollten uns jeden von unseren Brieffreunden vornehmen, ihn analysieren und den Druck erhöhen.«
Beech schaltete den Computer aus und griff nach einem Schnellhefter. Yarber räumte seinen Tisch frei. Ihre kleine Erpressungs-Nummer hatte gerade eine Kapitalspritze bekommen und der Geruch von unrechtmäßig erworbenem Geld hatte etwas Berauschendes.
Sie lasen die alten Briefe noch einmal und entwarfen neue. Es dauerte nicht lange, und sie kamen zu dem Schluss, dass sie neue Opfer brauchten. Auf den letzten Seiten gewisser Zeitschriften würden bald weitere Anzeigen erscheinen.
Trevor kam bis zu Pete's Bar and Grill und traf rechtzeitig zur Happy Hour ein, die bei Pete's von fünf Uhr bis zur ersten tätlichen Auseinandersetzung dauerte. Prep, ein zweiunddreißigjähriger Student an der University of North Florida, spielte Poolbillard mit zwanzig Dollar Einsatz pro Spiel. Der Anwalt seiner Familie war gehalten, ihm aus einem stetig schrumpfenden Treuhandvermögen 2000 Dollar pro Monat auszuzahlen, solange Prep an einer Universität eingeschrieben war. Prep studierte mittlerweile im zweiundzwanzigsten Semester.
Prep war außerdem der gefragteste Buchmacher bei Pete's, und als Trevor ihm zuflüsterte, er wolle eine hübsche Summe auf das Spiel Duke gegen Tech setzen, fragte er:»Wie hübsch?«
«Fünfzehntausend«, sagte Trevor und nahm einen tiefen Schluck aus der Bierflasche.
«Kein Scheiß?«fragte Prep, kreidete sein Queue ein und sah sich in dem verrauchten Raum um. Trevor hatte noch nie mehr als 100 Dollar auf ein Spiel gesetzt.
«Kein Scheiß. «Noch ein tiefer Schluck aus der Flasche. Trevor hatte das Gefühl, dass eine Glückssträhne begonnen hatte. Wenn Spicer 5000 auf das Spiel setzen wollte, dann war Trevor bereit, doppelt so viel zu riskieren. Er hatte gerade 33000 Dollar verdient — steuerfrei. Was machte es schon, wenn er 10000 verlor? Das war der Betrag, den sonst das Finanzamt kassiert hätte.
«Da muss ich erst mal telefonieren«, sagte Prep und zog ein Handy hervor.
«Aber beeil dich. Das Spiel fängt in einer halben Stunde
Der Barmann war aus Florida und hatte den Staat in seinem ganzen Leben noch nicht verlassen. Dennoch hatte er irgendwie eine Leidenschaft für australischen Football entwickelt. Im Augenblick lief ein Spiel der ersten australischen Liga und Trevor musste ihn mit zwanzig Dollar bestechen, damit er auf Basketball umschaltete.
Jetzt, da 15 000 Dollar auf weniger als elf Punkte Differenz gesetzt waren, machte Duke natürlich einen Punkt nach dem anderen, jedenfalls in der ersten Halbzeit. Trevor aß Pommes frites, trank eine Flasche Bier nach der anderen und versuchte, Prep zu ignorieren, der in einer dunklen Ecke beim Pooltisch stand und das Spiel verfolgte.
Während der zweiten Halbzeit hätte Trevor beinahe den Barmann bestochen, damit er wieder auf australischen Football umschaltete. Er wurde immer betrunkener und zehn Minuten vor Schluss verfluchte er Joe Roy Spicer vor jedem, der ihm zuhören wollte. Was verstand dieser Hinterwäldler schon von College-Basketball? Neun Minuten vor dem Abpfiff führte Duke mit zwanzig Punkten Vorsprung, aber dann drehte Georgia Techs Point Guard auf und machte vier Dreipunkttreffer hintereinander. Trevor hatte richtig gesetzt.
Eine Minute vor Schluss stand das Spiel unentschieden. Trevor war es egal, wer gewann. Die Sache war gelaufen. Er zahlte, gab dem Barmann 100 Dollar Trinkgeld und winkte Prep beim Hinausgehen fröhlich zu. Prep zeigte ihm den Mittelfinger.
In der kühlen Dunkelheit ließ Trevor die Lichter hinter sich und ging den Atlantic Boulevard entlang, vorbei an den billigen, dicht zusammengedrängten Ferienbungalows und den geschniegelten, immer frisch gestrichenen Rentnerhäusern mit den perfekt gepflegten Rasenflächen und bis zu der alten Holztreppe. Am Strand zog er die Schuhe aus und schlenderte am Wasser entlang. Die Temperatur lag bei knapp unter zehn Grad — nichts Ungewöhnliches für Jacksonville im Februar-, und binnen kurzem waren seine Füße kalt und nass.
Er spürte es eigentlich gar nicht. 43 000 Dollar an einem Tag, steuerfrei und gut versteckt. Im letzten Jahr hatte er nach Abzug aller Ausgaben 28 000 verdient und dafür hatte er schwer gearbeitet: Er hatte sich mit Mandanten herumgeschlagen, die zu arm oder zu unzuverlässig gewesen waren, um ihn zu bezahlen, hatte einen Bogen um Gerichtssäle gemacht, hatte sich mit kleinkarierten Immobilienmaklern und Bankiers gestritten, sich über seine Sekretärin geärgert und das Finanzamt betrogen.
Ach, die Freuden schnellen Geldes! Er hatte an das Ding, das die Bruderschaft drehte, nicht so recht glauben wollen, doch jetzt erschien es ihm brillant. Man brauchte bloß Leute zu erpressen, die nicht zur Polizei gehen konnten. Wirklich eine clevere Sache.
Und da es so gut funktionierte, würde Spicer die Schraube weiter anziehen. Die Briefe würden zahlreicher werden und er würde häufiger nach Trumble fahren. Aber wenn es sein musste, würde er mit Freuden täglich hinfahren, Briefe holen und abliefern und Wärter bestechen.
Während der Wind auffrischte und die Wellen brachen, planschte er mit den Füßen durchs Wasser.
Noch cleverer wäre es, den Erpressern einen noch größeren Anteil abzunehmen — immerhin waren es verurteilte Verbrecher, die ihn wohl kaum verklagen würden. Es war ein böser Gedanke, für den er sich beinahe schämte, aber dennoch war er einer Erwägung wert. Man musste sich alle Optionen offen halten. Seit wann hatten Diebe eine Ehre?
Er brauchte eine Million Dollar, nicht mehr und nicht weniger. Er hatte es oft ausgerechnet, wenn er nach Trumble gefahren war, wenn er bei Pete's herumgehangen und sich betrunken hatte, wenn er allein und hinter verschlossener Tür an seinem Schreibtisch gesessen hatte. Eine lausige Million, und er konnte seine jämmerliche kleine Kanzlei schließen, seine Zulassung zurückgeben, sich ein Segelboot kaufen und den Rest des Lebens damit verbringen, sich vom Wind durch die Karibik treiben zu lassen.
Er war diesem Ziel näher denn je.
Richter Spicer wälzte sich auf seinem Bett — dem unteren der beiden Betten — herum. Er schlief nur selten gut in diesem winzigen Bett, in dieser winzigen Zelle, die er mit einem kleinen, unangenehm riechenden Mann namens Alvin teilte. Alvin schnarchte oben. Jahrzehntelang hatte er sich als Landstreicher durchgeschlagen, doch in vorgerücktem Alter hatte er begonnen, sich nach einem Dach über dem Kopf und regelmäßigen Mahlzeiten zu sehnen, und einen Landbriefträger in Oklahoma überfallen. Zu seiner Ergreifung hatte er maßgeblich beigetragen, indem er im FBI-Büro in Tulsa erschienen war und verkündet hatte:»Ich war's. «Die Beamten hatten sechs Stunden lang in Unterlagen kramen müssen, um die Anzeige zu finden. Selbst dem Richter war klar, dass Alvin alles genau geplant hatte. Er wollte kein Bett in einem Staatsgefängnis, sondern in einer Bundesvollzugsanstalt.
Heute fiel Spicer das Einschlafen noch schwerer als sonst, weil der Rechtsanwalt ihm Sorgen machte. Jetzt, da die Sache langsam in Schwung kam, ging es um größere Summen. Und es würde noch mehr Geld kommen. Je mehr sich auf dem Konto von Boomer Realty auf den Bahamas ansammelte, desto größer würde die Versuchung für Trevor werden. Er war in der Lage, ihnen ihr unrechtmäßig erworbenes Geld zu stehlen, ohne etwas befürchten zu müssen.
Doch ohne einen Komplizen außerhalb des Gefängnisses funktionierte die ganze Sache nicht. Jemand musste die Briefe hinein und hinaus schmuggeln. Und jemand musste das Geld einkassieren.
Es musste eine Möglichkeit geben, diesen Anwalt auszubooten, und Joe Roy war entschlossen, sie zu finden, auch wenn das bedeutete, dass er einen Monat lang kein Auge zutat. Kein schmieriger Anwalt sollte ein Drittel des Geldes einstreichen und sich dann auch noch mit dem Rest davonmachen.