172637.fb2 Die Katze l?sst das Mausen nicht - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 19

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Eine Gewitterserie krachte vierundzwanzig Stunden lang durch Crozet. Zwischendurch war es ein paar Minuten still, und ab und zu hellte sich der Himmel auf, aber binnen einer halben Stunde verfinsterte er sich wieder, Regen fiel, und tiefes Donnergrollen hallte durch Berg und Tal.

Harry sortierte inmitten von Donnerschlägen die Post. Tucker hatte sich unter dem kleinen Tisch im hinteren Bereich des Postamts verkrochen. Mrs. Murphy saß auf der Trennklappe zwischen Publikums- und Arbeitsbereich. Der breite, glatte alte hölzerne Schalter, der sich an einer Stelle hochklappen ließ, hatte Generationen von Crozetern ihre Post holen gesehen.

Die Eisenbahn, gebaut von Claudius Crozet, dem genialen Ingenieur der Neuen Welt, brachte Post und Nachrichten schneller in den nach ihm benannten Ort. Die Bewohner warteten nicht mehr auf die Postkutsche. Sie konnten am Bahnhof stehen und zusehen, wie die Postsäcke vom Zug geworfen wurden. Die Post aus Crozet wurde an eine Art Galgen gehängt, so dass der Sack vom fahrenden Zug aus geschnappt werden konnte. Die Züge hatten als Postämter eingerichtete Waggons, und oft war Geld in so einem Postwagen, weshalb die Postangestellten vorsichtshalber eine Pistole bei sich trugen.

Die Stadt hatte ihr jetziges Postamt an der Wende des neunzehnten Jahrhunderts gebaut und eine einzige Änderung vorgenommen, um mehr Parkplätze zu schaffen, da Autos mehr Raum brauchen als Pferde. In dem hübschen Gebäude waren in hundert Jahren dreimal neue Leitungen verlegt worden, das letzte Mal 1998. So klein die Poststelle auch war, sie war mit dem nationalen Postcomputersystem vernetzt. Miranda weigerte sich, mit dem Rechner zu arbeiten. Die viel jüngere Harry beherrschte es im Nu. Sie war klug genug, Miranda nicht einzuweisen. Sie wartete, bis Miranda sie darum bitten würde - was sie letztendlich auch tat.

So verlockend die Verheißungen der Technik sein mögen, oft zieht sie nur neue Probleme nach sich. Die Postcomputer husteten, spuckten und lagen oft mit Virusinfektionen danieder. Wohl konnten sie Päckchen wiegen, blitzschnell Portokosten für In- und Ausland berechnen, doch jeder, der mit einer Waage umzugehen verstand, einem tausende Jahre alten Instrument, konnte dieselbe Information in ungefähr derselben Zeit liefern. Und so großartig der flimmernde Bildschirm sein mochte, Briefe mussten zuweilen immer noch von Hand entwertet werden, Gebührenvermerke erforderten Menschenhände, und das Sortieren der Post, sobald sie in den Postämtern eingetroffen war, erfolgte wie eh und je - Brief für Brief.

Kurzum, die Arbeitsweise der Postangestellten hatte sich im Laufe des letzten Jahrhunderts kaum gewandelt. Und auch die Ankunft des einundzwanzigsten Jahrhunderts hatte an dieser Arbeit nichts geändert.

Harry hatte einen Computer, mit dem sie E-mails verschickte oder sich gelegentlich im Internet einloggte, um etwas nachzusehen. Sie hatte einmal einen Abend damit verbracht, sich im Internet über Hereford-Rinder zu informieren. Dann war sie zur Angus-Seite gewechselt und hatte die Einträge verglichen. Doch meistens fand sie, dass die Revolution im Informationswesen mehr Rausch als Realität war.

Und nichts konnte einen Liebesbrief ersetzen. Die Sinnlichkeit des Papiers, seine Farbe, die Tinte, der Inhalt, das Vertrauliche waren unantastbar und einmalig.

Während Harry an diesem Montag die Post sortierte, dachte sie daran, Diego einen Brief zu schreiben. Vielleicht würde sie den Kuss im Regen erwähnen oder wie herrlich es gewesen war, an einem kühlen Frühlingsabend mit ihm zu tanzen. Sie konnte aber auch über die Heuernte schreiben. Sie summte vor sich hin, als Miranda das gestreifte Geschirrtuch von den Zimtteilchen mit Orangenglasur zog, die sie mit zur Arbeit gebracht hatte. Der Duft von Mirandas bester Kreation vermischte sich mit dem des Kaffees, der im Hinterzimmer gebrüht wurde.

»Das kommt vom Himmel.«

Miranda sah auf die alte Bahnhofsuhr an der Wand. »Vom Himmel, morgens um halb acht.« Ein Donnerschlag brachte sie zum Lachen. »Ich kann mich nicht erinnern, schon mal so viele Gewitter erlebt zu haben. Eins nach dem anderen. Ich komme gleich rüber und helfe Ihnen. Oh, Tee?«

»Ja, danke. Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Ist nicht so viel Post heute, was mich wundert. Genießen Sie die Flaute. Die Sommerurlaubspostkarten werden früh genug hereinflattern. Vorher kommen noch die Einladungen zu den Schulabschlussfeiern. Das nimmt nie ein Ende.« Sie sortierte Postkarten, als würde sie Spielkarten austeilen.

Miranda brachte ihr den Tee. Sich selbst schenkte sie eine Tasse stärkenden Kaffee ein. Miranda hatte sich von Mim überreden lassen, in einen Kaffeeclub einzutreten, und nun bekam sie jeden Monat eine andere Sorte teuren Kaffee aus Frankreich, Deutschland, Spanien, der Schweiz. Dieser köstliche Kaffee kam aus einem berühmten Wiener Kaffeehaus.

Auf ein leises Klopfen an der Tür neben dem Tiertürchen sagten beide Frauen »Herein.« »Hi.« Susan trat schnell ein, denn der Regen war stärker geworden. »Habt ihr schon mal so was ...?«

»Nein«, sagten sie wieder wie aus einem Munde.

»Seid ihr ein Duett, ihr zwei?« Lachend schüttelte Susan die Regentropfen aus ihren kastanienbraunen Haaren. Sie hatte eine Pagenfrisur.

»Hogendobber und Haristeen. Klingt gut. Wie wär's mit H. und H.?« Harry lachte.

»Hört sich an wie Süßigkeiten.« Susan schnupperte den feuchten Duft.

»Aus Wien.« Miranda schenkte ihr eine Tasse ein.

»Sie sind unsere Expertin, Miranda. Als Nächstes eröffnen Sie noch eins von diesen überkandidelten Cafes, wo eine Tasse drei Dollar kostet.«

»Er ist unverschämt teuer, aber guter Kaffee ist nun mal was Besonderes, und ganz besonders die erste Tasse.« Ein lauteres Donnern ließ aller Augen sich gen Himmel heben. Miranda senkte den Blick als Erste wieder. »O Tucker, du armes Schätzchen, ist ja gut.« Sie kniete sich hin, um den zitternden Corgi zu streicheln.

Pewter, die ganz unten im Postkarren war, sagte mit hellem Stimmchen: »Ich mag den Krach auch nicht.«

Harry ging zu der rundlichen grauen Katze, um sie zu liebkosen.

»Angsthasen«, kritisierte Mrs. Murphy die zwei kurz und bündig.

»Gemeine Zicke«, gab Pewter prompt zurück.

»Ich bin froh, dass ich nicht verstehe, was sie sagen.« Harry lachte. »Hey, wir waren gestern Abend mit Jack und Joyce Ragland auf Waschbärjagd. Sind klatschnass geworden. Wir waren jagen, bis der Sturm richtig wütete, aber es war trotzdem eine tolle Nacht. Die Stimmen der Ragland-Jagdhunde sind irre. Man kriegt 'ne Gänsehaut davon. Ich war erst heute Morgen zu Hause.«

»Sie haben doch keinen geschossen, oder?« Der Gedanke, Tiere zu schießen, war Miranda zuwider.

»Nein.«

»Während du auf Waschbärjagd warst, hab ich mit meinen zwei Engeln ihre Großeltern besucht. Danny« - Susan sprach von ihrem Sohn - »wollte den neuen Audi Sportwagen sehn, den Mama sich gekauft hat. Er hat ihr gesagt, sie sieht wie ein Teenager aus in ihrem TT. Ich glaube, so heißt er. Jedenfalls sieht er fabelhaft aus und fährt sich fantastisch. Meine Mutter, einundsiebzig Jahre alt, fährt einen Hightech-Sportwagen. Find ich super! Was haben Sie gemacht, Miranda?«

»Vorhänge genäht für Tracys Wohnung. Er hat meine Waschmaschine repariert. Romantisch. Ja, das war's wirklich. Wir hatten das ganze Wochenende beim Hartriegelfest mitgemacht. Da tat es gut, daheim zu sein und sich häuslich zu betätigen. Mädels, Sie müssen sich seine Wohnung mal ansehen, direkt über der alten Apotheke. Er hat die ganze Etage für dreihundertfünfzig im Monat. Es muss viel dran gemacht werden, aber Eddie Griswald konnte sich nicht davon trennen. Jeder in Crozet will ein eigenes Haus besitzen. Tracy ist erst mal heilfroh.«

»Ich kann anstreichen«, erbot sich Harry.

»Das wird ihn freuen.«

»Oh, das hab ich noch gar nicht erzählt. Guckt mal, was ich gestern Nacht gefunden habe.« Harry ging zu ihrer Tasche, einer alten dänischen Schulmappe, die stellenweise durchgescheuert war. Sie kramte am Boden der Tasche herum und holte den Mercedesstern heraus.

Susan nahm ihn ihr ab. »Die waren in den Achtzigern und frühen Neunzigern der Hit, erinnerst du dich? Stadtkinder haben sie abgerissen und getragen.«

»Das war vor meiner Zeit«, scherzte Harry.

»Ach hööör doch auf.« Susans Augenbrauen schnellten in die Höhe, während sie das Wort in die Länge zog. »Wo hast du ihn gefunden?«

»In der Nähe vom Durant Creek, wo wir jagen waren.«

»Den hatte doch der Junge um den Hals hängen.« Miranda griff sich ihr erstes und einziges Orangen- Zimtteilchen, ein Akt der Kasteiung. Im Vorjahr hätte sie um diese Zeit schon drei verzehrt gehabt, aber sie hatte den Genuss von Süßem drastisch reduziert und im vergangenen Jahr über dreißig Pfund abgenommen. Sie würde in ihre Kleider aus der Highschoolzeit gepasst haben, wenn sie sie aufgehoben hätte.

»Vielleicht ist es nicht seiner«, meinte Susan. »Andererseits, wie viele herrenlose Mercedessterne gibt's hier schon?«

»Gleich kommt wieder einer«, warnte Mrs. Murphy Tucker und Pewter, als ein heller Blitzstrahl ein gewaltiges Grollen ankündigte.

»So«, Susan hob fröhlich die Stimme, »und wann siehst du Diego wieder?«

»Äh - ich weiß nicht. Wenn nicht nächstes Wochenende, dann vielleicht übernächstes. Ich mag ihn.«

»Nicht zu übersehen.« Susan lächelte. »Und er mag dich.«

»Scheint so.«

»Welcher Mann würde Sie nicht mögen?« Für Miranda war Harry in mancher Hinsicht wie eine Tochter.

»Das haben Sie nett gesagt.« Harry war rot geworden.

»War Fair bei der Waschbärjagd?« Susans Neugierde sprudelte über.

»Ja.«

»Und?«

»Ziemlich genau, was man erwartet hätte«, sagte Harry. Sie warf ein Päckchen auf den Abschnitt A-B des Paketregals.

Miranda und Susan wechselten einen Blick, dann sahen sie wieder zu Harry.

»Eifersüchtig.« Mrs. Murphy sprach aus, was offensichtlich war; gewöhnlich tat sie das nicht, aber unter Menschen war es oft notwendig.

Little Mim hielt vor dem Postamt. Es goss in Strömen. Sie blieb in ihrem 83000 Dollar teuren Mercedes sitzen und wartete, dass der Regen nachließ, aber er hörte nicht auf. Es regnete nur noch heftiger.

Murphy mit ihren scharfen Augen bemerkte, dass der Stern an Little Mims Luxuswagen fehlte.»Ah-ha.«

»Wieso ah-ha?«, murrte Pewter am Boden des Postkarrens.

»AnLittle Mims mattsilbernem Mercedes fehlt der Stern.«

»Echt?« Pewter kletterte aus dem Postkarren, worauf dieser ein Stückchen in die Gegenrichtung rollte. Sie sprang neben Murphy auf die Trennklappe.»Tatsächlich.«

Als die Menschen bemerkten, dass die Katzen zu Little Mim hinausstarrten, sahen auch sie hin.

»Meine Güte, an ihrem Auto fehlt der Stern!« Miranda fiel es zuerst auf.

»Wahrhaftig.« Susan kicherte.

»Junge, Junge, Wesley Partlow wird bestimmt gevierteilt.«

Harry seufzte. »Ich werde ihr den Stern am besten geben, wenn sie reinkommt.«

»Was wolltest du auch sonst damit anfangen?«, fragte Susan.

»Auf einen Holzsockel montieren und ins Bücherregal stellen. Näher werde ich einem Mercedes wohl niemals kommen.« Harry nahm einen Schirm aus dem Ständer am Vordereingang. »Ich geh raus und hol sie rein. Also der Junge, der muss dämlich sein wie Rotze.«

»Harry, wie vulgär.«

»Verzeihung, Miranda.« Sie öffnete die Tür einen Spalt.

»Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.«

Wahrere Worte wurden nie gesprochen.