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Montagmorgen um acht Uhr wurde Roger O'Bannons Leiche exhumiert. Da er noch nicht so lange in der Erde lag, waren seine Gesichtszüge sowie Finger und Zehen erhalten, aber sein Körper war mit Gasen gefüllt.
Rick verabscheute Exhumierungen. Sie waren unerfreulich und unangenehm, aber er meinte bei dieser zugegen sein zu müssen für den Fall, dass Sean auftauchte. Zwar hatte Sean seiner Mutter versprochen, sich ihren Wünschen zu fügen, aber ein Mensch konnte ausrasten, konnte es sich anders überlegen. Emotionen waren selbst in den besten Zeiten wie Quecksilber. Dies war wahrlich nicht die beste aller Zeiten, weswegen besondere Wachsamkeit geboten war.
Rick begleitete den Leichnam zu Marshall Wells. Während er bei der Arbeit war, erklärte der neue Gerichtsmediziner, er könne nicht genau sagen, wann die Ergebnisse aus Richmond eintreffen würden, aber er glaube nicht, dass es länger als eine Woche dauern werde. Glücklicherweise sei um diese Zeit nicht viel los.
Auf der Rückfahrt vom Gerichtsmediziner rief Rick Coop an, die heute allein in ihrem Streifenwagen war.
»Coop, wir treffen uns bei O'Bannon's Salvage.«
»Ärger mit Sean?«
»Nein, aber ich will mir das Gelände noch mal vornehmen.«
»Wäre's nicht ratsam, noch zu warten? Ich könnte mir vorstellen, dass Sean heute ein bisschen unwirsch ist.«
»In einer vollkommenen Welt hätte Ihr Vorschlag Hand und Fuß. Aber wenn er in der Sache drinsteckt oder wenn er seinen Bruder getötet hat, könnte er sich womöglich verraten, verstehen Sie?«
»Okay. Ich bin in zehn Minuten da. Bin jetzt an der Kreuzung Route 250 und 240. Wollen Sie 'n Sandwich?« An der Kreuzung war ein guter Lebensmittelladen.
»Hab keinen Appetit.«
»'tschuldigung. Hatte ich vergessen.« Sie war froh, dass sie nicht bei der Exhumierung war.
Sean war kurz angebunden, aber nicht direkt grob. Er sagte ihnen, sie könnten überall hingehen, wohin sie wollten.
Zuerst schritten sie die Umgrenzung der vier Morgen ab. Rick wollte sich das Gelände genau einprägen. Es gab nichts Ungewöhnliches zu sehen, außer dass das Geschäft genug Platz hatte, um sich räumlich auszudehnen, was immer ein Vorteil war.
Die wenigen kleinen Nebengebäude enthielten GartenWerkzeug oder kleine Stücke, die gesäubert werden mussten. Manche Altwarenhändler überließen die Säuberung dem Käufer. Sean hatte entdeckt, dass er, wenn er etwas Zeit in die Säuberung investierte, höhere Preise verlangen konnte. Dafür lohnte sich die Mühe.
Dann stießen sie die Tür zur Werkstatt auf. Das große Schiebetor, groß genug für Fahrzeuge, war abgeschlossen, aber die kleine Tür links davon war offen.
»Blitzsauber«, sagte Coop.
»Ja.« Rick ging zu der hydraulischen Hebebühne hinüber.
»Das ist ja 'n Ding.«
»Hier ist nicht viel drin. Er hat wohl gerade an nichts gearbeitet. Den Büchern zufolge hat er eine Woche vor seinem Tod das letzte alte Auto verkauft, ein 1932er Ford Coupe. Er hat siebenundzwanzigtausend dafür gekriegt. Deuce Coupe. So eins würde mir gefallen.«
»Ja.« Rick war kein Autonarr, aber für alte Autos hatte er was übrig. Sie waren individueller, zumindest kam es ihm so vor. »Nichts Auffälliges. Die meisten alten Autos hat er in South Carolina und Georgia aufgetrieben. Die Quellen sind überprüft. Er hat wohl abgewartet, bis er die nächsten ein, zwei Autos fand. Er hat offenbar seinen Teil zu diesem Laden beigesteuert. Er war nicht an vorderster Front, aber er hat gearbeitet. Was anderes hätte Sean auch nicht geduldet.«
»Hier ist 'ne Popcorntüte.« Coop bückte sich und hob die leere Alutüte auf. »Das ist der einzige Abfall.« Sie warf sie in den Mülleimer.
Sie gingen hinaus und schlenderten draußen durch sämtliche großen Angebotsstapel. Sie probierten die Tür zu dem Eisenbahnwaggon. Abgeschlossen. Coop sauste zurück. Sean gab ihr den Schlüssel. Den Pfützen ausweichend, lief sie zu Rick zurück. Sie schloss die hintere Tür auf, zog dann die Rouleaus an den Fenstern hoch. Licht strömte herein. »Cool.«
In der Mitte stand ein Kanonenofen. Der Fußboden aus hartem Eichenholz war sauber, und kein Stäubchen lag auf den zwei Stühlen und auf dem schweren Schreibtisch in der Ecke.
»Auch Sean ist ein Sauberkeitsfanatiker«, bemerkte Rick.
»Das würde ein nettes Restaurant abgeben. Ich hoffe, er zieht das durch«, sagte Coop.
Sie zogen die Schreibtischschubladen auf. Nichts bis auf einen alten, brüchigen Zelluloidfüllhalter.
»Das war's dann wohl«, meinte Rick. »Ich wünschte, ich wüsste, wonach wir suchen.«
»Ich wäre schon froh gewesen über eine einzige Marihuanapflanze im Fenster.« Cooper seufzte. Auf dem Weg zur Tür sagte sie: »Mist, wir haben Matsch hier reingetragen. Ich sag's Isabella. Ich wisch's auch auf.«
»Coop, wir haben nicht Unmengen Schlamm reingeschleppt. Wenn Sean so einen krankhaften Reinlichkeitsfimmel hat, dass er sich deswegen in die Hose scheißt, soll er's doch selber wegmachen.« Auf dem Weg zur Tür blickte Rick auf die nassen Fußabdrücke hinunter. Ein Lichtstrahl fiel auf getrocknete Abdrücke mit wenig Matsch. »Hey.« Er kniete sich hin. »Die können höchstens ein paar Tage alt sein.«
Coop kniete sich ebenfalls hin. »Ja.« Sie verfolgte die Spuren: eine Person, große Füße. Zwei Schritte, und dann hinten heraus, die Schritte überschnitten sich mit den Eintrittsspuren. »Rein und raus.«
»H-h-m.«
»Chef, ist Ihnen bange?«
»Ja.«
»Mir auch.«
Papst Ratte, der sie von seinem gemütlichen Quartier aus beobachtete, knurrte:»Schisser.«