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Die Tragödie hatte sich in einer kleinen Gasse abgespielt, die auf die Hauptstraße zulief. Mrs. Aschers Laden lag rechter Hand ungefähr in der Mitte des Häuserblocks.
Als wir in die Gasse einbogen, sah Poirot auf seine Uhr, und erst da wurde mir klar, weshalb er seinen Besuch des Tatorts bis jetzt hinausgeschoben hatte. Es war eben halb sechs. Er wollte die Atmosphäre des gestrigen Abends so genau wie nur möglich rekonstruieren.
Aber wenn das wirklich seine Absicht gewesen war, dann sah er sie gründlich vernichtet. Die Straße bot jetzt ganz bestimmt auch nicht annähernd denselben Anblick wie gestern Abend. Zwischen Privathäusern ziemlich ärmlichen Aussehens lagen ein paar kleine Geschäfte. Ich stellte mir vor, dass normalerweise hier nur wenige Leute auf und ab gingen – meist Angehörige der ärmeren Schichten – und dass bestimmt sonst viele Kinder auf der Straße und in den Hausfluren spielten. Heute jedoch stand eine ansehnliche Menschenmenge da und starrte auf eines der Häuser – unschwer zu erraten, auf welches. Wir sahen also vorerst nur diese beträchtliche Ansammlung aufgescheuchter Durchschnittsbürger, die sich wie gebannt zu der Stelle hingezogen fühlten, wo eine der Ihrigen der Tod ereilt hatte.
Wir näherten uns langsam. Vor einem kleinen, ziemlich verwahrlost aussehenden Haus mit verschlossenen Fensterläden stand ein erschöpfter junger Polizist, der die Menge unablässig aufforderte, weiterzugehen. Mit Hilfe eines Kollegen gelang es ihm, einen gewissen Fluss der Dinge aufrechtzuerhalten, da ein Teil der Leute sich brummend und seufzend entschloss, ihren täglichen Obliegenheiten nachzugehen; aber sofort nahmen andere ihren Platz ein, um ihrerseits den Ort, wo ein Mord geschehen war, aufmerksam in Augenschein zu nehmen.
Poirot blieb in einiger Entfernung von der Menschenmenge stehen. Von unserem Platz aus konnte man die Firmentafel über der Tür deutlich sehen. Poirot las halblaut vor:
«A. Ascher… Oui, c’est peut-être là…»
Hier stockte er.
«Kommen Sie, Hastings, wir wollen hineingehen.»
Wir drängten uns durch die Leute und erreichten mühsam den jungen Polizisten. Poirot zeigte seine Vollmacht, der Mann nickte und schloss die Tür auf, um uns eintreten zu lassen. Die Zuschauer verfolgten jede unserer Bewegungen mit ungeheurem Interesse.
Im Innern des Hauses herrschte durch die verschlossenen Fensterläden ein trübes Zwielicht. Der Polizist fand jedoch den Schalter und drehte das Licht an. Da die Birne sehr schwach war, blieb es auch jetzt noch ziemlich düster. Ich sah mich um.
Eine trostlose Umgebung. Ein paar billige Illustrierte lagen herum, die Zeitungen von gestern, und auf allem befand sich eine Staubschicht. Hinter dem Ladentisch stand ein hohes Gestell, das bis zur Decke reichte und mit Tabak- und Zigarettenpäckchen voll gestopft war. Auch einige Röllchen Pfefferminz und ein paar Stangen Gerstenzucker standen zum Verkauf feil. Ein gewöhnliches kleines Geschäft, wie es Tausende anderer gibt.
Der Polizist schilderte uns die Situation bei Entdeckung der Tat.
«Hinter dem Ladentisch lag sie, ganz zusammengesunken. Der Doktor sagte, sie habe bestimmt nicht geahnt, was gleich geschehen würde. Muss gerade etwas vom Gestell genommen haben.»
«Hielt sie etwas in der Hand?»
«Nein, Sir, aber neben ihr auf dem Boden lag ein Päckchen Players.»
Poirot ließ seine Augen beobachtend, aufmerksam durch den kleinen Raum schweifen.
«Und wo lag der Fahrplan?»
«Hier, Sir.» Der Polizist bezeichnete die Stelle auf dem Ladentisch ganz genau. «Es war die Seite mit den Zügen ab Andover aufgeschlagen, er lag aber mit dem Rücken nach oben da. Jemand muss die Züge nach London nachgesehen haben. In diesem Fall kann es aber kein Einwohner von Andover gewesen sein. Und schließlich könnte der Fahrplan auch irgendjemand ganz Fremdem gehört haben und gar nicht mit dem Mord in Verbindung stehen, sondern einfach vergessen worden sein.»
«Fingerabdrücke?», fragte ich.
Der Mann schüttelte den Kopf.
«Wir haben alles danach abgesucht, Sir, aber nicht einen einzigen gefunden.»
«Auch auf dem Ladentisch nicht?», wunderte sich Poirot.
«Viel zu viele, Sir! Alle durcheinander und verwischt.»
«Welche von Ascher darunter?»
«Zu früh, das einwandfrei festzustellen, Sir.»
Poirot nickte und fragte dann, ob die alte Frau über dem Geschäft gewohnt habe.
«Jawohl, Sir. Sie können durch jene Tür dort hinten hinaufgehen. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich nicht mitkomme, aber ich muss hier unten bleiben…»
Poirot ging durch die bezeichnete Tür, und ich folgte ihm. Hinter dem Laden befand sich ein winziger Raum – eine Kombination von Küche und Wohnzimmer –, sehr sauber und aufgeräumt, aber unsäglich armselig möbliert. Auf dem Kaminsims entdeckte ich verschiedene Fotografien. Ich trat näher, gefolgt von Poirot, um sie von nahem zu betrachten.
Drei Bilderrahmen. Im ersten steckte eine Aufnahme von Mary Drower, offensichtlich die Arbeit eines billigen Ateliers. Miss Drower trug ihre besten Kleider, und ihr Gesicht wurde durch das festgefrorene, hölzerne Lächeln verzerrt, das so oft die gestellten Aufnahmen unnatürlich erscheinen lässt.
Das zweite Bild war die etwas bessere Aufnahme einer älteren Frau mit weißen Haaren. Ein Pelzkragen umrahmte das sorgfältig retuschierte Gesicht. Wahrscheinlich war dies Miss Rose, die Dame, die Mrs. Ascher durch ein kleines Legat zur Eröffnung dieses Tabakgeschäfts verholfen hatte.
Die dritte Fotografie war sehr alt, gelb geworden und verblasst. Ein junger Mann und eine junge Frau in altmodischen Kleidern standen Arm in Arm da. Der Mann trug ein Sträußchen im Knopfloch, und über dem Paar lag eine irgendwie festliche Stimmung.
«Wahrscheinlich ein Hochzeitsbild. Sehen Sie, Hastings! Ich habe doch gesagt, dass sie eine schöne Frau gewesen sein muss.»
Er hatte Recht. Obwohl durch altmodische Frisur und Kleidung entstellt, nahm die Schönheit des jungen Mädchens auf dem Bild, der lebendige Ausdruck des klaren, fein geschnittenen Gesichts, den Betrachter sofort gefangen. Ich sah mir auch die zweite Figur genau an. Es war fast unmöglich, in dem hübschen, militärisch straffen, jungen Menschen die Jammergestalt des heutigen Ascher wieder zu erkennen.
Die Erinnerung an den betrunkenen, kreischenden alten Mann und an das stille, erloschene, zerfurchte Gesicht der toten Frau brachte mir die Unbarmherzigkeit der verrinnenden Zeit so deutlich zum Bewusstsein, dass ich erschauerte.
Von diesem Wohnzimmer aus führte eine Treppe zu zwei Räumen im oberen Stock. Einer war leer und unmöbliert; der andere war das Schlafzimmer der Toten gewesen. Die Polizei hatte eine Durchsuchung vorgenommen, aber sonst war das Zimmer unberührt geblieben. Alte, brüchige Leintücher im Bett – ein Stoß abgetragener Unterwäsche in einem Kasten – Kochrezepte in einer Schublade – ein Buch, in Packpapier eingeschlagen: The Green Oasis – ein Paar neue Strümpfe, unsäglich rührend in ihrem billigen Glanz – ein ziemlich angeschlagener und oft geleimter Meißner Porzellanschäfer und ein dito blau und gelb getupfter Hund – ein schwarzer Regenmantel und eine Wolljacke, die auf Kleiderbügeln hingen… das waren die weltlichen Besitztümer der verstorbenen Alice Ascher.
Wenn irgendwelche persönlichen Papiere vorhanden gewesen waren, dann hatte die Polizei sie wahrscheinlich mitgenommen.
«Pauvre femme», murmelte Poirot. «Kommen Sie, Hastings, es gibt hier nichts für uns zu tun.»
Als wir wieder im Freien standen, zögerte Poirot eine Minute lang; dann überquerte er die Straße. Fast genau gegenüber von Mrs. Aschers Laden war ein Obst- und Gemüsegeschäft.
Poirot gab mir leise einige Verhaltensmaßregeln, dann trat er ins Innere des Ladens. Nach ein, zwei Minuten ging ich ihm nach. Er war gerade dabei, einen Salatkopf zu erstehen. Ich kaufte ein Pfund Erdbeeren.
Poirot unterhielt sich angeregt mit der dicken Frau, die ihn bediente.
«Gerade hier gegenüber ist doch dieser Mord geschehen, nicht wahr? Eine entsetzliche Sache! Sie müssen sich unsagbar aufgeregt haben!»
Die dicke Frau war es offensichtlich müde, über diesen Mord zu sprechen. Vermutlich hatte sie den ganzen Tag nichts anderes getan. So bemerkte sie nur:
«Es wäre gut, wenn die Gaffer da draußen endlich gehen wollten. Was gibt es denn schon zu sehen, möchte ich wissen!»
«Ja, gestern Abend war das natürlich etwas ganz anderes», stimmte Poirot ihr zu. «Möglicherweise haben Sie ja sogar den Mörder hineingehen sehen – ein großer, blonder Mann mit einem Bart, ein Russe – wenn ich recht gehört habe.»
«Was?!» Die Frau sah ihn scharf an. «Ein Russe war es?»
«Ich glaube, die Polizei hat ihn bereits verhaftet.»
«Was Sie nicht sagen!» Die Frau war nun plötzlich sehr gesprächig. «Ein Ausländer?»
«Mais oui. Und da dachte ich eben, er wäre Ihnen vielleicht gestern aufgefallen.»
«Ja, sehen Sie, ich habe nicht viel Zeit, zum Fenster hinauszusehen, das können Sie mir glauben. Am Abend haben wir am meisten zu tun, und da gehen sowieso immer viele Leute vorbei, wenn sie von der Arbeit kommen. Ein großer Blonder mit einem Bart…? Nein, so einen habe ich meines Wissens nicht gesehen.»
Hier hatte ich mich einzumischen.
«Entschuldigen Sie», sprach ich Poirot an, «aber ich glaube, dass man Sie da nicht richtig informiert hat. Mir wurde der Mann klein und dunkel geschildert.»
Woraufhin sich eine lebhafte Diskussion entspann, an welcher sich die dicke Frau, ihr schmächtiger Mann und ein kleiner Lehrjunge im Stimmbruch eifrig beteiligten. Nicht weniger als vier kleine, dunkle Männer waren beobachtet worden, und der gicksende Knabe versicherte, auch einen großen Blonden gesehen zu haben, der aber keinen Bart gehabt habe, wie er bedauernd hinzufügte.
Endlich hatten wir unsere Einkäufe getätigt und verließen das Geschäft, ohne unsere Falschmeldungen richtig zu stellen.
«Was war eigentlich der Zweck des Ganzen?», fragte ich Poirot ein wenig vorwurfsvoll.
«Parbleu! Ich wollte wissen, welche Chance ein Fremder hatte, ungesehen, unbeobachtet in das gegenüberliegende Geschäft zu gelangen!»
«Hätten Sie das nicht ganz einfach fragen können – ohne dieses Lügengespinst?»
«Nein, mon ami! Wenn ich nur ‹ganz einfach gefragt› hätte, wie Sie sich ausdrücken, dann hätte ich überhaupt keine Antwort bekommen. Sie selber sind doch Engländer, aber Sie scheinen trotzdem nicht zu wissen, wie Ihre Landsleute auf eine direkte Frage reagieren, nämlich unweigerlich mit Misstrauen und einer sich daraus logischerweise entwickelnden Zurückhaltung. Wenn ich diese Leute um eine Auskunft gebeten hätte, dann wären sie verschlossen wie Austern gewesen. Aber durch eine Behauptung (noch dazu eine so ausgefallene und unwahrscheinliche) und durch Ihren Widerspruch wurden die Zungen unverzüglich gelöst. Jetzt wissen wir, dass die fragliche Zeit jene war, während welcher ‹am meisten zu tun› ist, das heißt, dass jeder mit seiner Arbeit beschäftigt war und dass viele Leute die Straße entlanggingen. Unser Mörder hat den Zeitpunkt recht geschickt gewählt, Hastings.»
Er sah mich an und setzte mit ehrlichem Tadel hinzu:
«Haben Sie eigentlich gar keinen gesunden Menschenverstand, Hastings? Ich habe Ihnen gesagt: ‹Kaufen Sie irgendetwas› – und Sie nehmen ausgerechnet Erdbeeren! Und schon beginnen sie durch die aufgeweichte Tüte zu kleckern und Ihren guten Anzug ernstlich zu gefährden!»
Unangenehm berührt, musste ich feststellen, dass dem tatsächlich so war.
Ich schenkte die Erdbeeren dem erstbesten kleinen Buben, der sie höchst erstaunt und ein bisschen unsicher in Empfang nahm. Und als Poirot ihm auch noch seinen Salatkopf überreichte, stand dem Kleinen die pure Fassungslosigkeit ins Geschieht geschrieben. Poirot fuhr in seiner Strafpredigt fort.
«In einem billigen Obst- und Gemüseladen kauft man doch keine Erdbeeren! Erdbeeren, die nicht erstklassig und nicht ganz frisch gepflückt worden sind, werden leicht matschig und verlieren den Saft. Eine Banane – Apfel – sogar ein Kohlkopf… Aber Erdbeeren…»
«Es ist mir im Augenblick nichts anderes eingefallen», versuchte ich eine lahme Entschuldigung.
«Das ist Ihrer Vorstellungsgabe unwürdig», wies Poirot mich streng zurecht.
Er blieb auf dem Trottoir stehen.
Das Haus und der Laden rechts von Mrs. Aschers Tabakgeschäft standen leer. «Zu vermieten» hieß es an der Tür. Links schien jemand zu wohnen. Jedenfalls hingen ziemlich rußgeschwärzte Vorhänge an den Fenstern.
Auf dieses Haus schritt Poirot zu und ließ in Ermangelung einer Klingel den Klopfer einige Male energisch gegen die Tür donnern.
Nach einigen Augenblicken wurde die Tür von einem sehr schmutzigen Kind, dessen Nase dringend einer Reinigung bedurft hätte, aufgemacht.
«Guten Abend», grüßte Poirot freundlich. «Ist deine Mutter zu Haus?»
«Was?», fragte das Kind.
Es starrte uns böse und misstrauisch an.
«Deine Mutter», wiederholte Poirot.
Es dauerte ungefähr zwölf Sekunden, bis die Frage in dem Gehirn Platz gefunden hatte; dann wandte sich das Kind um und trompetete in Richtung Treppe: «Mam, es ist jemand da!», worauf es sich wieder in die Dunkelheit des Hausinnern zurückzog.
Eine Frau mit scharfem, knochigem Gesicht beugte sich über das Treppengeländer und kam dann langsam herunter.
«Sie vergeuden nur Ihre Zeit…», begann sie, aber Poirot fiel ihr sofort ins Wort.
Er nahm seinen Hut ab und verbeugte sich förmlich.
«Guten Abend, Madame. Ich gehöre zur Redaktion des Evening Flicker und komme, um Ihnen ein Honorar von fünf Pfund anzubieten, wenn Sie uns zu einem interessanten Artikel über Ihre verstorbene Nachbarin, Mrs. Ascher, verhelfen wollen.»
Die unliebenswürdigen Worte der Abwehr erstarben auf den Lippen der Frau. Sie kam die Treppe ganz herunter, strich sich das Haar zurecht und zupfte an ihrem Rock.
«Bitte, treten Sie ein, Sir – gleich hier links. Wollen Sie sich nicht setzen?»
Der winzige Raum war zwar voll gepfropft mit schweren Möbeln in jakobinischem Stil, aber es gelang uns doch einzutreten, uns zwischen den Möbeln durchzudrücken und endlich auf einem harten Sofa Platz zu nehmen.
«Sie müssen mir verzeihen, dass ich ein wenig scharf gesprochen habe vorhin, aber Sie können sich nicht vorstellen, wie einem diese Kerle, die etwas verkaufen wollen, das Leben sauer machen – dauernd stehen sie da mit Staubsaugern, Strümpfen, Lavendelsäckchen und solch dummem Zeug. Und dann reden sie noch so freundlich und wissen den Namen… ‹Wenn Mrs. Fowler vielleicht dies oder das… ›»
Poirot griff den Namen sofort auf.
«Nun, Mrs. Fowler, ich hoffe, dass Sie uns behilflich sein können.»
«Das weiß ich noch nicht.» Die fünf Pfund standen verlockend vor Mrs. Fowlers innerem Auge. «Natürlich habe ich Mrs. Ascher gekannt, aber jetzt etwas über sie zu schreiben, das ist…»
Hercule Poirot beruhigte sie. Sie selber sollte gar keine Mühe damit haben. Er wollte einfach die Tatsachen von ihr hören, und daraus würde dann in der Redaktion ein Interview zusammengestellt.
Solcherweise getröstet und ermutigt, tauchte Mrs. Fowler willig in die Tiefen der Erinnerungen, Vermutungen und Gerüchte.
Sehr zurückgezogen hatte sie gelebt, diese Mrs. Ascher. Gerade freundlich war sie nicht gewesen, aber eben – sie hatte viel Unangenehmes erlebt, die arme Seele, das wusste man ja. Und wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, dann hätte Franz Ascher schon vor Jahren hinter Schloss und Riegel gehört. Nicht etwa, weil Mrs. Ascher sich vor ihm gefürchtet hätte! Nein, sie konnte eine wahre Teufelin sein, wenn sie gereizt war! Die konnte sich schon wehren! Aber eben – der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Wieder und wieder habe sie, Mrs. Fowler, zu ihrer Nachbarin gesagt: «Eines Tages wird der Kerl sie noch umbringen, denken Sie dann an meine Worte!» Und so war es jetzt gekommen, nicht wahr? Und sie, Mrs. Fowler, war da nebenan gewesen und hatte nichts davon bemerkt.
Poirot nutzte eine Atempause der Erzählerin, um eine Frage einzuwerfen.
«Hat Mrs. Ascher vielleicht jemals merkwürdige Briefe bekommen? Briefe, die nicht ordentlich unterschrieben waren, sondern nur mit ABC oder so?»
Bedauernd musste Mrs. Fowler sich vor dieser Frage geschlagen bekennen.
«Ich weiß genau, was Sie meinen – anonyme Briefe nennt man das –, meistens voll von Ausdrücken – die einen erröten ließen, wenn man sie laut lesen müsste. Ja, also das weiß ich nicht, ob Franz Ascher jemals solche Briefe geschrieben hat. Mrs. Ascher hat mir nie etwas davon gesagt… Wie meinen Sie? Ein Fahrplan? Ein ABC? Nein, so einen habe ich nie bei ihr gesehen, und ich bin sicher, dass Mrs. Ascher es mir erzählt hätte, wenn man ihr so etwas ins Haus geschickt hätte. Diese Nichte von ihr hätte doch bei ihr logieren können. Er wird sie noch umbringen, habe ich ihr immer gesagt, und jetzt hat er sie umgebracht! ‹Man weiß nie, wozu ein Betrunkener imstande ist, und dieser Mord ist der beste Beweis dafür›, sage ich.»
«Aber niemand hat diesen Ascher in das Geschäft gehen sehen, nicht wahr?», fragte Poirot.
Mrs. Fowler schnob verächtlich durch die Nase.
«Natürlich hat er sich nicht blicken lassen!»
Wie Mr. Ascher das Geschäft betreten sollte, ohne sich blicken zu lassen, fand sie zu erklären nicht der Mühe wert.
Sie stellte fest, dass es keinen Hintereingang zu dem Haus gebe und dass Ascher allen Anwohnern wenigstens vom Sehen her gut bekannt gewesen sei.
«Aber er wollte nicht dafür hängen», erklärte sie, «und deshalb hat er sich gut versteckt.»
Poirot hielt die Konversation noch so lange in Fluss, bis er sicher war, dass Mrs. Fowler alles, was sie wusste, nicht nur einmal, sondern wiederholt gesagt hatte; dann beendete er dieses Interview, indem er das versprochene Honorar auszahlte.
«Ziemlich leicht verdiente fünf Pfund», bemerkte ich, als wir wieder auf der Straße standen.
«Ja, eigentlich schon.»
«Glauben Sie, dass die Frau mehr weiß, als sie uns gesagt hat?»
«Mein Freund, wir sind in der eigenartigen Lage, nicht zu wissen, was wir fragen sollen. Wir sind wie kleine Kinder, die im Dunkeln cache-cache spielen. Mit ausgestreckten Händen tasten wir herum. Mrs. Fowler hat uns alles gesagt, was sie zu wissen glaubt – und als Dreingabe hat sie noch ein paar Vermutungen geliefert. Dennoch kann ihre Aussage sich in Zukunft als nützlich erweisen. Und in diese Zukunft habe ich die fünf Pfund investiert.»
Mir erschien diese Antwort ziemlich dunkel, aber in diesem Augenblick begegneten wir Inspektor Glen.