172806.fb2 Ein Totenhemd f?r einen Erzbischof - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 15

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XIII

SCHWESTER FIDELMA KLAMMERTE SICH

an der Seite des kleinen Einspänners fest, den Furi-us Licinius mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die schmalen Straßen lenkte. Dabei scherte er sich nicht groß um die Fußgänger, die im letzten Augenblick aus dem Weg sprangen, mit geballten Fäusten hinter ihm herschimpften und einen Schwall von - für Fidelma glücklicherweise unverständlichen - Flüchen ausstießen. Auf der anderen Seite des Wagens hielt sich ein blasser und sehr unglücklicher Bruder Eadulf am Korbgeflecht fest. Seine Knöchel traten weiß hervor, während der Wagen über das Kopfsteinpflaster sprang.

Es war Fidelmas Einfall gewesen, Puttoc so rasch wie möglich zu folgen. Als sie von Furius Li-cinius erfahren hatte, daß der Abt sich ausgerechnet nach Marmorata bringen ließ, hatte sie unbedingt herausfinden wollen, was er im Schilde führte. Daß es die Gegend war, wo die arabischen Kaufleute ihre Unterkünfte hatten, ließ das Ganze höchst verdächtig erscheinen.

Weder Licinius noch Eadulf erhielten die Gelegenheit, irgendwelche Einwände vorzubringen, als sie im Laufschritt durch den Palast zum Haupttor rannte. Da sie aus Erfahrung wußte, wie flink die lecticula-Träger in den engen Straßen vorankamen, würde es sehr schwierig werden, Puttocs lecticula zu Fuß einzuholen. Daher wies sie den zunächst noch etwas widerstrebenden Licinius an, von einem seiner Kameraden einen Einspänner auszuleihen und mit ihr und Bruder Eadulf die Verfolgung aufzunehmen.

Es war eine atemberaubende Fahrt. Immer wieder fürchtete Fidelma, das holpernde Gefährt könnte sich überschlagen, aber Licinius hielt geschickt das Gleichgewicht und hatte beide Zügel fest in der Hand.

Sie fuhren am Fuß des Celius-Hügels entlang, überquerten die Valle Murcia mit ihrem großartigen Circus in Richtung Südwesten und fuhren dann den Aventinus, den südlichsten der sieben Hügel Roms, hinauf. Herrliche Häuser, die prunkvollen Villen römischer Adliger, säumten die Straßen.

Erstaunt betrachtete Fidelma die prächtigen Gebäude mit ihren üppigen Gärten.

«Ist das der richtige Weg?» rief sie Licinius zu. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß es unweit dieser gepflegten Gegend ein Elendsviertel gab.

Der tesserarius nickte und schnalzte mit den Zügeln, um das Pferd zu noch größeren Anstrengungen anzuspornen.

«Vermutlich werden Puttocs Träger den Weg über die Valle Murcia, vorbei am Circus Maximus nehmen», rief er über die Schulter zurück und deutete auf den nördlichen Abhang des Aventinus. «Wahrscheinlich umrunden sie den Hügel und halten sich am südlichen Tiberufer, weil das weniger beschwerlich ist. Von dort aus geht es direkt nach Marmorata. Ihr könnt es am Ufer liegen sehen, dort, wo die Schiffe ankern.»

Über die Kuppe des Aventinus fuhren sie direkt auf eine kleine, hübsche Basilika zu, wo Licinius die Pferde zügelte. Von der Basilika aus bot sich ihnen ein hervorragender Blick auf den Tiber, der sich gemächlich durch den Norden der Stadt, an deren westlicher Grenze entlang und schließlich in Richtung Süden schlängelte, um sich dann zwischen den beiden Hafenstädten Ostia und Porto ins Mittelmeer zu ergießen.

Licinius sprang vom Wagen und ging zu einer kleinen Mauer, hinter der das Gelände rasch zum Fluß hin abfiel.

«Irgendein Zeichen von Puttoc?» rief Eadulf, der sich vorsichtig aus seiner verkrampften Haltung löste und seine Glieder reckte.

Furius Licinius schüttelte den Kopf.

«Wir haben ihn doch hoffentlich nicht verpaßt?» fragte Fidelma besorgt und nutzte ebenfalls die Gelegenheit, Arme und Beine zu lockern.

«Nein. Es sei denn, Puttoc hat unterwegs sein Ziel geändert», antwortete Licinius. Fidelma sah sich um und betrachtete die kleine Basilika. Sie mußte zugeben, daß es in Rom viele hübsche kleine Kirchen gab. Und auch die herrliche Flora rings um die römischen Häuser, die knospenden Sträu-cher, duftenden Blumen und Büsche, die immergrünen Stechpalmenhaine und Lorbeerbäume und die hoch aufragenden Zypressen und die Trauerweiden rangen ihr immer wieder Bewunderung ab. Von allen Hügeln Roms schien der von der Sonne verwöhnte Aventinus jedoch der schönste zu sein. Über den großzügig angelegten Häusern und den prächtigen Denkmälern spannte sich ein wolkenloser, strahlend blauer Himmel. In Fidelmas Augen verkörperte dieser Ort vollkommene Harmonie mit der Natur.

Furius Licinius stieß einen plötzlichen Schrei aus. «Da ist Puttocs lecticula! Kommt, wir schneiden ihnen den Weg ab, ehe sie Marmorata erreichen.»

«Nein!» Fidelma hielt ihn zurück. «Puttoc soll nicht merken, daß wir ihm folgen.»

Licinius sah sie erstaunt an. «Warum nicht, Schwester?»

«Wir wollen ihn lieber unauffällig im Auge behalten und sehen, wohin er geht», antwortete Fidelma. «Wenn er sich mit den Arabern trifft, können wir die Falle immer noch zuschnappen lassen.»

Die Augen des jungen tesserarius leuchteten auf, als er Fidelmas Plan begriff, und er grinste zufrieden.

«Dann steigt ein. Wir werden ihm über den Hügel folgen und uns vorsichtig von hinten nähern, sobald sie die emporia, erreichen.»

«Emporia?» fragte Eadulf, während er mit sichtlichem Unbehagen in den Wagen kletterte.

«Ja. Das ist der große Marktplatz, um den herum sich Marmorata ausgebreitet hat. Allerdings werden die Geschäfte dort nur von Sklaven abgewickelt, denn anständige Leute lassen sich in dieser Gegend nicht gerne blicken», erklärte Licinius.

In einem gemächlichen Trab trottete das Pferd den südlichen Abhang des Aventinus hinab. Weiter unten konnten sie die stämmigen Träger mit der unverwechselbaren Gestalt Puttocs in Richtung Mar-morata laufen sehen. Der lange Weg durch die Stadt hatte die beiden Männer offenbar nicht ermüdet.

Allmählich veränderte sich die Gegend, und anstelle von stuckverzierten Steinhäusern waren mehr und mehr baufällige Holzhütten zu sehen. Die Umgebung wurde immer ärmlicher und trister, und Fidelma konnte kaum fassen, daß das dieselbe Stadt sein sollte, die sie noch vor wenigen Minuten bewundert hatte. Sie spürte, wie sich eine düstere, bedrohliche Stimmung über alles legte.

An einer Kreuzung hielt Licinius den Wagen an. Fidelma wollte ihn schon nach dem Grund fragen, als von rechts Puttocs lecticula in Sicht kam und die Träger an ihnen vorbeitrotteten.

Licinius wartete eine Weile, dann knallte er mit der Peitsche und folgte der lecticula in einigem Abstand.

Der unverwechselbare Geruch sagte Fidelma, daß sie sich dem Fluß näherten. Bald vermischte er sich mit anderen fauligen Gerüchen, so daß Fidelma angewidert die Nase rümpfte.

«Das ist Marmorata», erklärte Furius Licinius grinsend.

Die Straßen hier waren dunkel und eng, und die ungewöhnliche Kleidung vieler Menschen in der dichtgedrängten Menge ließ auf deren fremdländische Herkunft schließen. Laute Rufe erschollen in den unterschiedlichsten Sprachen.

Eadulf grinste. «<Wohlauf, laßt uns herniederfahren und ihre Sprache verwirren, daß keiner den anderen mehr verstehe»», zitierte er salbungsvoll aus der Bibel.

«Ja», nickte Fidelma ernst. «Die heilige Schrift lehrt uns, daß Gott die Sprachen der Welt schuf, indem er die Menschen von Babel aus in alle Länder verstreute und damit die unterschiedlichen Völker entstehen ließ.»

Der Gestank wurde immer durchdringender, während sie der schmaler werdenden, schmutzigen Gasse zu einem großen, überdachten Marktplatz folgten. Es herrschte eine drückende Hitze. Zwischen den schmuddeligen Ständen und Buden wimmelte es von streitenden Erwachsenen und schreienden Kindern. Der Anblick von Männern und Frauen, die in anzüglicher Umarmung aus den Tavernen taumelten, trieb Fidelma die Schamesröte ins Gesicht. In den Gossen sonderte ein trüber Strom aus tierischen und pflanzlichen Abfällen in allen Stadien der Verwesung ekelerregende Dünste ab.

Furius Licinius brachte sein Pferd zum Stehen. Durch eine Lücke zwischen zwei Marktbuden konnten sie erkennen, daß Puttocs lecticula angehalten hatte. Der Abt war abgestiegen, warf den Trägern eine Münze zu und sagte etwas zu ihnen. Dann drehte er sich um und verschwand in einem Haus.

Fidelma sah, wie die Träger einander zugrinsten, ihre lecticula absetzten, die nächstbeste cau-pona, eine billige Taverne, ansteuerten, sich auf zwei der im Freien aufgestellten Stühle niederließen und etwas zu trinken bestellten.

«Schaut nur!» flüsterte Eadulf.

Ein kleiner Mann in fließenden Gewändern, einem Tuch als Kopfbedeckung und einem buschigen schwarzen Bart eilte durch die Menge auf das Gebäude zu, das Puttoc soeben betreten hatte. Vor der Tür blieb er stehen und blickte sich noch einmal argwöhnisch um, ehe er ebenfalls hineinging.

«War das ein Araber?» wandte Fidelma sich an Furius Licinius.

Der tesserarius nickte mit finsterer Miene.

«Wenn zwischen Euren Völkern Krieg herrscht, warum erlaubt Ihr ihnen dann, sich in Rom niederzulassen?» fragte Eadulf.

«Im Krieg befindet sich Rom nur mit den Arabern, die dem neuen Propheten folgen», erklärte Li-cinius. «Es gibt viele Araber, die noch nicht zum neuen Glauben übergetreten sind. Mit diesen Kaufleuten aus dem Osten treiben wir seit vielen Jahren einen regen Handel, den im Grunde niemand missen will.»

Fidelma musterte das große Gebäude, in dem sich Puttoc und jetzt auch der Araber befanden. Es war eines der wenigen Steinhäuser in dieser Gegend und hatte zwei Stockwerke und Fenster mit dicken Holzläden, die alle geschlossen waren. Ehe sich das Elendsviertel rundherum ausgebreitet hatte, war es wahrscheinlich einmal die Villa eines wohlhabenden Römers gewesen.

«Kennt Ihr dieses Gebäude, Licinius?»

Der junge custos schüttelte den Kopf.

«Ich verkehre nicht in diesem Teil der Stadt, Schwester», sagte er, ein wenig gereizt wegen der Unterstellung, die er aus ihrer Frage herauszuhören glaubte.

«Darum geht es mir nicht», erwiderte Fidelma. «Mich interessiert, ob Ihr eine Vermutung habt, wofür das Gebäude genutzt wird - ob es den Kaufleuten gehört?»

Auch diese Frage konnte Furius Licinius nicht beantworten.

«Seht nur!» flüsterte Eadulf plötzlich.

Er deutete auf das ganz rechts gelegene Fenster im oberen Stockwerk des Gebäudes.

Es war eindeutig Abt Puttoc, der sich dort herauslehnte, um den Fensterladen aufzuschieben und Licht hereinzulassen. Gleich darauf verschwand er wieder in dem dahinterliegenden Zimmer.

«Zumindest wissen wir, in welchem Zimmer sich Abt Puttoc befindet», murmelte Fidelma.

«Und was machen wir jetzt?» fragte Licinius.

«Da Puttoc und der Araber im Haus sind, schlage ich vor, daß wir hineingehen und unseren Freund, den Abt von Stanggrund, zur Rede stellen.»

Furius Licinius grinste und klopfte zufrieden mit einer Hand auf sein gladius. Das war endlich ein Plan, der ihm gefiel und den er verstand - im Gegensatz zu dem ständigen Fragen und Grübeln.

Sie stiegen aus dem Wagen.

Licinius sah sich um und wandte sich an einen gefährlich wirkenden, pockennarbigen Mann, der gerade über die Straße kam. Er war stämmig - kein Mensch, mit dem man gerne Streit bekam.

«He, du da! Wie heißt du?»

Der Mann blieb erstaunt stehen. Es geschah nicht alle Tage, daß er von einem jungen Offizier der custodes angesprochen wurde.

«Ich heiße Nabor», knurrte er mit tiefer Stimme.

«Nun, Nabor», sagte Licinius, den das bedrohliche Äußere des Mannes offenbar nicht einschüchtern konnte. «Ich möchte, daß du das Pferd und den Wagen bewachst. Wenn ich zurückkomme und beides noch da ist, gebe ich dir einen sestertius. Wenn nicht, werde ich es dir mit meinem gladius heimzahlen.»

Die groben Züge des Mannes verzogen sich zu einem Grinsen. «Ein sestertius ist mir lieber als Euer gladius. Ich werde gut aufpassen.»

Die Aussicht auf einen so leicht verdienten Lohn ließ ihn zufrieden vor sich hinkichern. Beruhigt ließen Licinius, Fidelma und Eadulf ihn bei dem Wagen zurück.

Fidelma schenkte Licinius einen anerkennenden Blick. Der junge Soldat war manchmal äußerst geistesgegenwärtig. Daran, daß ein Wagen, den man in dieser Gegend unbewacht zurückließ, sofort verschwinden würde, hatte sie nicht gedacht.

Sie bahnten sich einen Weg durch die dichte Menschenmenge auf dem Marktplatz. Auf den Stufen des Steinhauses hielten sie noch einmal inne, um sich zu beraten.

«Wir gehen sofort zu dem Zimmer, in dem wir den Abt gesehen haben», sagte Fidelma. «Mit etwas Glück haben wir das Rätsel bald gelöst.»

Sie wandte sich um und schritt als erste durch die große Tür. Muffige, unheimliche Düsternis empfing sie, und sie mußte husten. Wegen der geschlossenen Fensterläden war es stockfinster, nur eine einzige Kerze flackerte auf einem kleinen Tisch. Mehrere Räucherlampen verbreiteten einen aufdringlichen Duft, der ihr fast den Atem nahm.

Als eine Holzdiele knarrte, wandte sich Fidelma rasch um. In einem offenen Torbogen erschien eine große, rundgesichtige Frau und wischte sich die Hände an ihrer kurzen Schürze ab. Sie trug ein Kleid aus grobem Leinen. Ihr Haar war wirr und ungekämmt. Überrascht musterte sie die geistliche Tracht der Eindringlinge.

«Was zum Teufel wollt Ihr hier?» keifte sie streitlustig. «Leute Eures Standes sind hier nicht willkommen.»

«Wir wollen ins obere Stockwerk», entgegnete Fidelma und trat auf sie zu.

Zu ihrem Erstaunen stieß die Frau ein heiseres Kreischen aus und stürzte sich mit wild fuchtelnden Händen auf die irische Nonne. Doch Fidelma brauchte nur wenige Augenblicke, um sich von dem ersten Schock zu erholen. Ohne auf Licinius’ Warnschrei zu achten, streckte sie die Arme aus, um den zweiten Angriff der Frau abzuwehren. Licinius und Eadulf sahen entgeistert zu, wie Fidelma die Frau geschickt an den Schultern packte. Da die Angreiferin nicht mehr innehalten konnte, wurde sie zurückgestoßen und prallte mit einem dumpfen Geräusch gegen die Wand.

Dennoch behielt die kräftige Frau ihr Gleichgewicht, wandte sich verblüfft zu Fidelma um, schüttelte den Kopf und knurrte:

«Verdammtes Miststück!»

Mit gezücktem gladius trat Licinius vor, aber Fidelma hielt ihn zurück und stellte sich der Tobenden entgegen. Wieder schien es, als streckte sie nur die Hände aus, als sie ihre Gegnerin an den wild fuchtelnden Armen packte, hochhob und über die Hüfte warf. Die Frau wurde quer durch den Raum geschleudert, wo sie sich den Kopf an einem Holzpfosten stieß und besinnungslos zu Boden sank.

Rasch beugte sich Fidelma über die Frau, fühlte ihr den Puls und untersuchte die Kopfwunde.

«Sie wird es überstehen», verkündete sie und richtete sich erleichtert wieder auf.

Furius Licinius strahlte sie bewundernd an. «Wahrhaftig, ich habe kaum einen römischen Soldaten gesehen, der sich im Nahkampf besser behauptet hätte», sagte er. «Wie habt Ihr das gemacht?»

«Das ist nichts Besonderes», winkte Fidelma ab. «Die gelehrten Männer, die früher durch mein Heimatland reisten, um die uralten Philosophien unseres Volkes zu verbreiten, wurden auf den Landstraßen von Räubern und Dieben überfallen. Da sie es jedoch aus Überzeugung ablehnten, Waffen zu tragen, waren sie gezwungen, eine Kunst zu entwickeln, die sie troidsciathaigid nannten -Kampf durch Verteidigung. Ich lernte diese Selbstverteidigung ohne Waffen schon in sehr jungen Jahren. Auch für viele unserer Missionare gehört sie ganz selbstverständlich zur Ausbildung.»

Gefolgt von Licinius und Eadulf, ging Fidelma durch die nächste Tür, hinter der sich eine Treppe befand. Auf der untersten Stufe blieb Fidelma stehen und lauschte angestrengt. Sie hörte Stimmen und das Lachen junger Mädchen. Ansonsten war es im Haus vollkommen still. Außer der Frau hatte niemand ihr Eindringen bemerkt. Sie drehte sich um und flüsterte: «In das Zimmer ganz rechts im oberen Stock! Kommt schnell!»

Sie liefen die Stufen hinauf und gelangten in einen langen Korridor. Es war nicht schwer, die Tür des Zimmers zu finden, an dessen Fenster sie Put-toc gesehen hatten.

Vor der Tür hielt Fidelma noch einmal inne, um zu lauschen. Wieder drang das Gelächter junger Mädchen an ihr Ohr. Sie nickte ihren Gefährten zu, drehte vorsichtig den Türknauf herum und schob die Tür auf.

Nicht einmal Fidelma hätte mit diesem Anblick gerechnet.

Im Zimmer war es hell, da Abt Puttoc - wie zuvor beobachtet - einen der Fensterläden aufgeschoben hatte, um das Tageslicht hereinzulassen. In einer Ecke stand ein großes Bett mit frischen, jedoch abgenützten Laken. An der Wand waren ein paar Stühle aufgereiht. Das einzige andere Möbelstück war eine große Holzwanne, vor der mehrere leere Eimer standen. Das heiße Wasser, mit dem sie gefüllt gewesen waren, dampfte jetzt in der dickbauchigen Wanne.

Darin saß ein völlig überraschter Abt Puttoc. Soweit sich dies von der Tür aus sagen ließ, war er splitterfasernackt. Breitbeinig auf seinem Schoß hockte ein ebenfalls nacktes, höchstens sechzehn Jahre altes Mädchen. Die beiden waren in einer eindeutigen Umarmung erstarrt. Hinter ihnen, einen Eimer mit dampfendem Wasser in der Hand, das sie gerade über die beiden gießen wollte, stand ein zweites, ebenfalls nacktes Mädchen.

Mit finsterer Miene trat Fidelma vor und sah sich im Zimmer um, da sie jeden Irrtum ausschließen wollte. Die Gewänder des Abts befanden sich auf dem Stuhl am Fußende des Bettes. Ein Kleid, das offenbar einem der jungen Mädchen gehörte, lag daneben.

Sie wandte sich an den noch immer verblüfften Abt und zog höhnisch die Augenbraue hoch. «Nun, Abt Puttoc?» fragte sie mit unverhohlenem Spott.

Das Mädchen in der Wanne löste sich als erste aus der Erstarrung. Als sie herauskletterte, schwappte das Wasser in alle Richtungen. Anscheinend war es ihr überhaupt nicht peinlich, in dieser Lage ertappt worden zu sein, denn sie stemmte die Hände in die Hüften, baute sich nackt vor Fidelma auf und stieß einen Schwall von Beschimpfungen aus. Ihre Freundin ließ den Eimer fallen, und die beiden kamen drohend auf Fidelma zu.

Doch Furius Licinius hielt sie zurück, indem er sie mit scharfer Stimme zurechtwies und seine Worte mit erhobenem Schwert unterstrich. Erschrocken wichen die Mädchen in eine Ecke des Zimmers zurück, von wo aus sie die Eindringlinge mit feindseligen Blicken durchbohrten.

Puttoc saß noch immer reglos in der Wanne. Er war leichenblaß geworden und sah Fidelma und Eadulf haßerfüllt an.

Furius Licinius wechselte ein paar Worte mit den Mädchen, dann wandte er sich verlegen zu Fidelma um.

«Dieses Haus ist ein bordellum, Schwester, ein Ort, wo ...»

Fidelma beschloß, dem jungen Mann weitere Peinlichkeiten zu ersparen. «Ich weiß sehr wohl, was ein Bordell ist, Furius Licinius», sagte sie ernst. «Viel mehr interessiert mich aber die Frage, was ein Abt der heiligen Kirche dort zu suchen hat.»

«Ich glaube nicht, daß ich Euch das wirklich in allen Einzelheiten erläutern muß, Fidelma von Kil-dare.» Abt Puttocs Miene war schicksalsergeben.

Fidelma verzog das Gesicht. «Da habt Ihr vielleicht sogar recht.»

«Ich nehme an, Ihr werdet Bischof Gelasius von der Angelegenheit berichten, Eadulf von Canterbury?» wandte sich Puttoc an den sächsischen Bruder.

Eadulf sah ihn angewidert an. «Ich hätte nicht von Euch erwartet, daß Ihr überhaupt Anlaß für solche Überlegungen bietet», erwiderte er knapp. «Ihr kennt die Regeln unseres Glaubens. Mit Sicherheit wird man erwarten, daß Ihr von Eurem Amt zurücktretet. Eine Bestrafung wird folgen.»

Puttoc rang nach Luft und blickte zweifelnd zwischen Licinius, Fidelma und Eadulf hin und her. «Könnten wir das alles nicht in einer günstigeren Umgebung besprechen?»

«Günstiger wofür, Puttoc?» fragte Fidelma. «Nein, ich glaube, es gibt in dieser Sache nichts zu sagen, was unsere Haltung und unsere Absichten ändern würde. Eine Frage könnt Ihr mir allerdings noch beantworten: Seid Ihr nur hergekommen, um der Fleischeslust zu frönen, oder wolltet Ihr Euch hier auch mit jemandem treffen?»

Puttoc sah sie verständnislos an. «Mit jemandem treffen? Wen meint Ihr damit?»

«Ihr habt keinerlei Verbindung zu arabischen Kaufleuten?»

Die Verblüffung auf seinem Gesicht war echt. «Ich verstehe Euch nicht, Schwester?»

Fidelma sparte sich die Mühe, ihm Näheres zu erklären. Enttäuscht mußte sie erkennen, daß ihr Instinkt sie getrogen hatte. Sie hatte Licinius und Eadulf überredet, einer falschen Fährte zu folgen. Puttoc hatte sich schuldig gemacht - allerdings nur der Unkeuschheit, nicht des Mordes.

«Wir werden Euch jetzt Eurer Wollust überlassen, Puttoc», sagte sie. «Den Preis dafür müßt Ihr selbst zahlen.»

Der Abt streckte die Hand aus, als wollte er sie am Gehen hindern.

Eadulf warf ihm einen vernichtenden Blick zu, ehe er Fidelma aus dem Zimmer folgte. Furius Li-cinius grinste dem Abt anzüglich zu, steckte sein Schwert weg und trottete hinterdrein.

Unten in der Eingangshalle kam die Frau gerade ächzend wieder zu sich.

Mit einem Seufzer blieb Fidelma stehen. Aus ihrem marsupium zog sie eine Münze hervor und legte sie auf den Tisch.

«Entschuldigt, daß ich Euch weh getan habe», sagte sie zu der noch immer benommenen Frau.

Draußen wartete der pockennarbige Nabor neben ihrem Wagen.

«Einen sestertim, junger custos», grunzte er und fügte mit einem lüsternen Grinsen hinzu: «Wenn ich gewußt hätte, daß Ihr ausgerechnet dieses Haus besuchen wollt, hätte ich Euch etwas Besseres empfehlen können ...»

Furius Licinius errötete heftig, warf ihm die versprochene Münze zu und kletterte in den Wagen.

Schweigend fuhren sie am Tiber entlang, durch die Valle Murcia und schließlich in östlicher Richtung zurück zum Lateranpalast.

Decurion Marcus Narses kam die breite Treppe hinunter auf sie zugelaufen.

«Schwester, ich habe Neuigkeiten von Bruder Osimo Lando», keuchte er.

«Sehr gut», antwortete Fidelma. Vielleicht würde sie nun herausfinden können, was Ronan Ragallach mit den Arabern zu schaffen gehabt hatte. «Warum ist er heute nachmittag nicht zu seiner Arbeit erschienen? Ist er krank?»

Marcus Narses schüttelte den Kopf. Noch ehe er sprach, wußte Fidelma, was er sagen wollte.

«Ich fürchte, Schwester, Bruder Osimo weilt nicht mehr unter den Lebenden.»

«Nicht mehr unter den Lebenden?» Eadulf sah erschrocken auf.

«Wurde er erdrosselt?» fragte Fidelma mit betont ruhiger Stimme.

«Nein, Schwester. Osimo ist vom Aquädukt gesprungen. Er war auf der Stelle tot.»