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Kapitel 14

Das mußte irgendein abscheulicher Streich sein. Evan auf die linke Tour.

Es mußte ein besonders fauler Werbetrick sein, auf den Clifford Wenkins verfallen war.

Es durfte alles, nur nicht wahr sein.

Aber tief drinnen, im Eis gewordenen Innersten, wußte ich, daß diesmal kein Mädchen namens Jill kommen würde, um mich zu befreien.

Diesmal stand Sterben auf dem Plan. Der Tod starrte mir ins Gesicht. Griff bereits nach meinen Schultern, zog mich an den Armen.

Danilo spielte um seine Goldmine.

Ich fühlte mich benommen und krank. Was immer für ein Betäubungsmittel ich auch bekommen hatte, ich hatte es dicke bekommen. Wahrscheinlich viel zuviel für den Zweck. Wenn das außer mir wohl auch kaum jemanden kümmerte.

Weiter konnte ich eine Ewigkeit nicht denken. Die Benommenheit kam in feuchtkalten, erbsengrünen Wellen immer wieder. Mein körperliches Elend blockierte jeden anderen Gedanken, nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Auf Dämmerzustände folgte jedesmal ein neues Erwachen, das erneute Erkennen meiner Zwangslage, dann Übelkeit und Jammer.

Die erste objektive Beobachtung, die den Nebel durchdrang, war die, daß ich in Unterhosen ins Bett gegangen  war und jetzt Kleider anhatte. Die Hose vom Tag zuvor und das Hemd. Ebenso, als ich nachschaute, Socken und Slipper.

Die nächste Entdeckung — sie hatte schon einige Zeit an die Tür des Bewußtseins geklopft, war aber als unwillkommen ausgesperrt worden — war die, daß ich mit dem Sicherheitsgurt angeschnallt war. Er ging quer über meine Brust und über meinen Schoß, wie in dem Sportwagen.

Er saß nicht straff, aber ich kam nicht an den Verschluß heran.

Ich versuchte es. Der erste von vielen Versuchen mit vielen Dingen. Die erste von vielen Enttäuschungen.

Ich versuchte meine Hand aus den Handschellen zu ziehen; aber wie gehabt war es das Standardmodell der britischen Polizei, eigens so konstruiert, daß man die Hände nicht herauszwängen konnte. Meine Knochen, wie gehabt, waren zu stark.

Ich versuchte mit aller Kraft, das Steuer durchzubrechen, doch obwohl es im Vergleich zu dem des Sportwagens zerbrechlich aussah, schaffte ich es nicht.

Ich konnte mich ein wenig mehr bewegen als im Film. Der Gurt saß nicht so stramm, und ich hatte mehr Platz für die Beine. Davon abgesehen bestand wenig Unterschied.

Zum ersten Mal von vielen Malen fragte ich mich, wie lange es dauern würde, bis man nach mir suchte.

Evan und Conrad würden, wenn sie mein Fehlen bemerkten, sicher eine Suchaktion starten. Haagner würde sicher jeden Wildhüter im Park alarmieren. Es würde schon bald jemand kommen. Natürlich würden sie kommen. Sie würden mich befreien.

Es begann wärmer zu werden, und die Sonne am wolkenlosen Himmel schien hell durch das Fenster zu meiner

Rechten. Der Wagen stand folglich mit der Schnauze nach Norden, und bei dem Gedanken stöhnte ich, denn in der südlichen Hemisphäre scheint die Sonne mittags von Norden, und ich würde ihre Hitze und ihr Licht voll ins Gesicht bekommen.

Vielleicht kam jemand vor dem Mittag.

Vielleicht.

Die schlimmste Übelkeit ging nach ein bis zwei Stunden vorbei, wenn auch die Wellen des Unbehagens noch viel länger hin und her schwappten. Allmählich aber fing ich wieder an zu denken und hatte nicht mehr das Gefühl, es ginge mir so schlecht, daß es mir egal sein könne, ob der Tod mir im Nacken saß.

Der klare Gedanke Nummer eins war, daß Danilo mich in diesen Wagen gesperrt hatte, damit ich starb und er Nerissas Hälfte von der van-Horen-Goldmine erbte.

Nerissa vermachte mir ihren Anteil an Rojedda in ihrem Testament, und Danilo, der das Testament gelesen hatte, wußte es.

Danilo sollte den Reinnachlaß erben. Starb ich vor Nerissa, war das Rojedda-Legat frei, und der Anteil wurde dem Restnachlaß zugerechnet. Blieb ich am Leben, entging Danilo nicht nur ein Anteil an der Goldmine, er büßte auch noch Hunderttausende von Pfund ein.

Nach dem derzeit geltenden Recht, das noch gelten würde, wenn Nerissa starb, war die Erbschaftssteuer für alles, was sie besaß, aus dem Reinnachlaß zu bezahlen. Jeder für das Erbe, das Nerissa mir hinterließ, bezahlte Pfennig ging also Danilo verloren.

Hätte sie mir doch nur erzählt, was sie vorhatte, dachte ich unnützerweise; ich hätte ihr sagen können, warum sie es anders machen sollte. Vielleicht war sie sich nicht darüber im klaren gewesen, wie ungeheuer wertvoll der

Rojedda-Anteil war; sie hatte ihn erst kürzlich von ihrer Schwester erhalten. Vielleicht hatte sie nicht gewußt, wie die Erbschaftssteuer geregelt war. Bedachte man, welche Freude sie an ihrem fast schon vergessenen Neffen gefunden hatte, dann hatte sie bestimmt nicht gewollt, daß ich auf Kosten Danilos unermeßlich reich wurde.

Jeder Steuerberater hätte ihr das gesagt, aber ein Testament wurde normalerweise vom Notar, nicht von Steuerberatern aufgesetzt, und finanzielle Beratung war nicht Sache eines Notars.

Danilo mit seinem mathematischen Verstand hatte das Testament gelesen und die Haken darin gesehen, wie ich sie auch gesehen hätte. Danilo mußte genau in diesem Moment angefangen haben, meinen Tod zu planen.

Er hätte mir nur zu sagen brauchen, was sie geschrieben hatte. Aber woher sollte er das wissen? Wenn er mir im umgekehrten Fall eine Nase gedreht hätte, dachte er vielleicht, daß ich, daß jeder andere das auch tun würde.

Nerissa, dachte ich. Liebe, liebe Nerissa. Meinte es gut mit allen, hinterließ ihnen frohen Herzens Geschenke und brachte mich dadurch in die allergrößte, übelste Bedrängnis.

Danilo der Spieler. Danilo der Aufgeweckte, der wußte, daß Morbus Hodgkin tödlich war. Danilo, der kleine Intrigant, der damit anfing, daß er den Wert eines Lots Rennpferde verminderte, um weniger Erbschaftssteuer dafür zahlen zu müssen, und der, als er feststellte, daß es in Wirklichkeit viel mehr zu gewinnen gab, den Nerv hatte, sofort in die erste Spielklasse zu gehen.

Ich erinnerte mich an seine Faszination in der Mine, an seine Fragen nach den Fördermengen während des Mittagessens und an sein Tennismatch mit Sally. Er wollte alles, nicht bloß die Hälfte. Eine Hälfte erben und die andere heiraten. Egal, daß sie erst fünfzehn war; in zwei Jahren würde es eine überaus passende Verbindung sein.

Danilo…

Ich riß vergebens in plötzlicher, zitternder Wut an dem unbeeindruckten Lenkrad. Eine solche Grausamkeit war doch unmöglich. Wie konnte er — wie konnte irgendwer — einen Menschen in ein Auto sperren und ihn an Hitze, Durst und Erschöpfung zugrunde gehen lassen? Das gab es nur im Film — in einem Film: Der Mann im Wagen.

Steigen Sie nicht aus dem Fahrzeug, hatte Haagner gesagt. Aussteigen ist nicht sicher. Das war nun wirklich zum Lachen. Wenn ich aus diesem Wagen herauskam, nahm ich die Löwen gerne in Kauf.

Was hatte ich in dem Film für ein Geschrei veranstaltet. Kalt erinnerte ich mich daran. Die geistigen Qualen, die ich mir vorgestellt und die ich gespielt hatte. Der Zerfall einer Psyche, ein Vorgang, den ich in eine Serie von Bildern zerlegt hatte, die eins nach dem anderen präsentiert wurden, bis die Abfolge unerbittlich zu der leeren Hülse eines Menschen führte, der seelisch zu kaputt war, um sich davon jemals zu erholen, selbst wenn er physisch gerettet wurde.

Der Mann in dem Sportwagen war eine erfundene Figur gewesen. Er war gezeigt worden als jemand, der in jeder Situation impulsiv und gefühlsbetont reagiert, und deshalb konnte er in der äußersten Not auch Weinkrämpfe haben. Aber ich war nicht wie dieser Mann; in vieler Hinsicht war ich ihm genau entgegengesetzt. Ich sah das vorliegende Problem hauptsächlich von der praktischen Seite und gedachte das auch weiterhin zu tun.

Irgendwann würde irgend jemand mich finden. Ich mußte nur alles daransetzen, solange am Leben — und bei Verstand — zu bleiben.

Die Sonne stieg, und im Wagen wurde es heiß; aber das störte mich noch nicht weiter.

Meine Blase war zum Bersten voll.

Ich konnte die Hände so um das Lenkrad herum strek-ken, daß ich den Reißverschluß meiner Hose aufbekam. Aber ich konnte mich auf dem Sitz nicht viel bewegen, und selbst wenn es mir gelang, mit dem Ellbogen die Tür zu öffnen, hatte ich keine Chance, bis nach draußen zu kommen. Obwohl es sinnlos war, schob ich den unvermeidlichen Augenblick auf, bis das Zurückhalten eher schmerzhaft als lästig war. Aber der Widerstand hatte seine Grenzen. Als ich schließlich nachgeben mußte, ging viel zwar auf den Boden, aber viel auch nicht, und ich spürte, wie die Nässe vom Schritt bis zum Knie in meine Hose sickerte.

In einer Pfütze zu sitzen, machte mich ungemein wütend. Daß ich gezwungen worden war, mich naßzumachen, kam mir unsinnigerweise brutaler vor, als daß ich überhaupt in den Wagen gesteckt worden war. Im Film hatten wir dieses Problem überspielt, als wäre es gegenüber dem Geisteszustand belanglos. Wir hatten uns geirrt. Es gehörte dazu.

Das Resultat war, daß ich in meinem Entschluß, mich nicht unterkriegen zu lassen, nur bestärkt wurde. Es machte mich gemein und rachsüchtig.

Ich bekam einen Haß auf Danilo.

Der Morgen schleppte sich dahin. Die Hitze war anstrengend, und ich wurde das Stillsitzen leid. Aber in Spanien, sagte ich mir, hatte ich drei Wochen in genau der gleichen Haltung zugebracht. Da war es sogar viel heißer gewesen. Ich blendete bewußt den Gedanken aus, daß wir in Spanien immer eine Mittagspause eingelegt hatten.

Meiner Uhr nach war es bald schon Mittag. Nun… vielleicht kam ja jemand…

Und wie sollte einer hierherkommen? fragte ich mich. Vor mir war kein Weg, nur kleine Bäume, dürres Gras und karges Gestrüpp. Zu beiden Seiten das gleiche. Aber der Wagen mußte hierhergefahren worden sein, ein vorbeisegelnder Adler hatte ihn nicht fallen gelassen. Ich drehte den Hals, und in den Rückspiegel schauend sah ich, daß die Straße, soweit vorhanden, direkt hinter mir lag. Es war ein unbefestigter Weg, der kein Anzeichen von Instandhaltung und sehr viele Spuren von Verlassenheit aufwies, und etwa zwanzig Meter von dort, wo ich saß, lief er vollends aus. Mein Wagen war vom Ende des Wegs schnurstracks in den Busch gesteuert worden.

In weniger als einem Monat würde es regnen; die Bäume und das Gras würden saftig und grün werden und die Straße sich in Schlamm verwandeln. Niemand würde den Wagen finden, falls er noch da war, wenn der Regen kam.

Falls ich… noch da war, wenn der Regen kam.

Ich gab mir einen Ruck. Diese Gedankengänge führten geradewegs zum Geisteszustand des Mannes in dem Film, und ich hatte mir doch vorgenommen, klüger zu sein.

Natürlich.

Vielleicht würden sie einen Hubschrauber schicken…

Es war ein grauer Wagen, unscheinbar. Aber aus der Luft war sicher jedes Fahrzeug auszumachen. Es gab einen kleinen Flugplatz in der Nähe von Skukusa; ich hatte die Markierung auf der Karte gesehen. Bestimmt würde Evan einen Hubschrauber losschicken…

Aber wohin? Ich saß mit dem Gesicht nach Norden, am Ende eines unbenutzten Fahrwegs. Ich konnte überall sein.

Vielleicht würde mich, wenn ich doch Lärm schlug, jemand hören… All die Leute, die meilenweit weg in ihren sicheren kleinen Autos daherkurvten, mit brummendem Motor und fest geschlossenen Fenstern.

Die Hupe… nutzlos. Es war so ein Auto, bei dem man die Zündung einschalten muß, bevor die Hupe geht.

In der Zündung… kein Schlüssel.

Der Mittag ging vorüber. Ich hätte ein schönes kühles Bier vertragen können.

Ein lautes Rascheln in dem Gestrüpp hinter mir ließ mich hoffnungsvoll den Kopf in diese Richtung drehen. Jemand war gekommen. Na, hatte ich es nicht gewußt?

Aber keine Freiheit bringenden menschlichen Stimmen ertönten. Mein Besucher hatte gar keine Stimme, denn es war eine Giraffe.

Der große, braun-gelb gefleckte Wolkenkratzer schob sich rhythmisch schwankend an dem Auto vorbei und begann das spärliche Laub vom Wipfel des Baumes vor mir zu rupfen. Die Giraffe war so nah, daß ihr Körper die Sonne aussperrte und eine willkommene Oase des Schattens abgab. Riesenhaft und anmutig blieb sie eine Weile, äste friedlich und hielt hin und wieder inne, um das gehörnte Haupt zum Wagen hin zu beugen und ihn aus Augen anzuplinkern, die von unverschämt langen Wimpern eingerahmt waren. Jeder Vamp würde vor dem Wimpernschlag einer Giraffe vor Neid erblassen.

Ich begann laut mit ihr zu reden.»Schwirr doch mal ab nach Skukusa, ja, und sieh zu, daß unser Freund Haagner schleunigst mit seinem Rangerover herkommt.«

Der Klang meiner Stimme erschreckte mich, denn ich hörte meine eigenen Befürchtungen heraus. Ich hoffte vielleicht, daß Evan, Conrad, Haagner oder auch nur irgendein vorbeikommender Fremder mich finden würde, aber ich glaubte nicht daran. Unbewußt war ich wegen des Films bereits auf langes Warten eingestellt.

Daß schließlich jemand auftauchen würde, glaubte ich schon. Der Bauer würde mit seinem Esel daherkommen, den Wagen sehen und den Mann retten. Es war der einzig erträgliche Ausgang. Der, an den ich mich klammern und auf den ich hinarbeiten mußte.

Zu guter Letzt würde man mich suchen.

Wenn ich nicht zu der Premiere erschien, würde es Fragen und Nachforschungen geben und schließlich eine Suchaktion.

Die Premiere war nächsten Mittwoch.

Heute, nahm ich an, war Freitag.

Menschen konnten nur sechs bis sieben Tage ohne Wasser leben.

Ich starrte düster die Giraffe an. Sie klapperte mit den fantastischen Wimpern, schüttelte sacht den Kopf wie vor Kummer und schlenderte elegant davon.

Bis Mittwoch abend würde ich sechs volle Tage ohne Wasser verbracht haben. Am Donnerstag würde man mich noch nicht finden.

Freitag oder Samstag vielleicht, wenn sie es klug anfingen. Es ging nicht. Es mußte gehen.

Als die Giraffe ihr Fleckchen Schatten mit sich nahm, merkte ich, wie glühend heiß die Sonne geworden war. Wenn ich nichts unternahm, dachte ich, würde ich mir einen bösen Sonnenbrand zuziehen.

Am erbarmungslosesten der Sonne ausgesetzt waren merkwürdigerweise meine Hände. Wie in den meisten Autos warmer Länder war das obere Drittel der Windschutzscheibe als Blendschutz grün getönt, und wenn ich den Kopf zurücklegte, konnte ich mein Gesicht den einfallenden Strahlen entziehen; aber sie fielen ungehindert auf meinen Schoß. Ich vermied das Schlimmste, indem ich meine Manschetten aufknöpfte und die Hände in den gegenüberliegenden Ärmel steckte wie in einen Muff.

Danach überlegte ich, ob es ratsam war, meine Schuhe und Socken auszuziehen und das Fenster zu öffnen, um ein wenig frische und kühlere Luft hereinzulassen. Ich konnte nacheinander die Füße bis zu meinen Händen hochziehen, um die Socken abzustreifen. Ich konnte mich auch weit genug auf dem Sitz drehen, um mit den Zehen das linke Fenster herunterzukurbeln.

Nicht der Gedanke an eine Invasion von Tieren war es, der mich im letzten Moment davon abhielt, sondern die knifflige Frage der Luftfeuchtigkeit.

Das einzige Wasser, das mir in der ganzen Zeit, die ich hier saß, zur Verfügung stand, war dasjenige, das sich momentan in meinem Körper befand. Mit jeder Bewegung und jedem Atemzug griff ich den Vorrat an und gab Wasser in der Form von unsichtbarem Wasserdampf an die mich umgebende Luft ab. Wenn ich die Fenster geschlossen hielt, blieb der Wasserdampf größtenteils im Wageninneren. Öffnete ich sie, ging er sofort verloren.

Die Luft draußen war nach den regenlosen Monaten so trocken wie die Prohibition. Ich konnte zwar nicht verhindern, daß mein Körper eine Menge Feuchtigkeit verlor, aber mir schien, ich konnte sie bis zu einem gewissen Grad wiederverwenden. In feuchter Luft würde es länger dauern, bis meine Haut vom Wasserverlust rissig wurde. Durch Wiedereinatmen der kondensierten Luft ließ der Zeitpunkt sich ein wenig hinausschieben, an dem die Schleimhäute in Nase und Rachen austrockneten.

Kurz und gut, ich ließ das Fenster zu.

Wie ein Besessener kehrte ich immer wieder zu der Wippschaukel von Hoffnung und Verzweiflung zurück, mal überzeugt, daß Evan und Conrad Suchtrupps entsandt hatten, sobald sie mein Verschwinden bemerkten, dann wieder sicher, daß sie mein unmögliches Benehmen verflucht hatten und allein nach Norden aufgebrochen waren, wo Evan sich derart in Olifant versenken würde, daß E. Lincoln ihm aus dem Sinn ging wie die Nachrichten von gestern.

Niemand sonst würde mich vermissen. In Johannesburg wußten alle — die van Horens, Roderick, Clifford Wenkins —, daß ich für den Rest der Woche in das Wildtierreservat gefahren war. Keiner von ihnen würde Nachricht von mir erwarten. Keiner von ihnen erwartete mich vor Dienstag zurück.

Meine einzige Hoffnung lag bei Evan und Conrad… und bei dem Bauern, der mit seinem Esel vorbeikam.

Irgendwann im Laufe des langen Nachmittags kam mir der Gedanke, einmal nachzusehen, was ich noch alles vom Tag vorher in den Hosentaschen hatte. Ich hatte die Taschen nicht geleert, als ich mich auszog, sondern meine Kleider einfach auf das zweite Bett gelegt.

Es zeigte sich, daß meine Brieftasche noch in der zugeknöpften Gesäßtasche war, denn ich spürte ihre Form, wenn ich mich gegen den Sitz preßte. Aber Geld war unter diesen Umständen nutzlos.

Indem ich mich drehte und mich ein paar Zentimeter vom Sitz hochbog, gelang es mir, meine rechte Hosentasche nach vorn in die Mitte zu ziehen, und ihre sorgfältige Durchsuchung erbrachte als Gesamtausbeute ein Streichholzbriefchen vom Iguana Rock mit vier verbliebenen

Hölzern, einen blauen Gummiring und einen fingerlangen Bleistiftstummel ohne Spitze.

Ich steckte all das wieder dahin, wo es hergekommen war, und zog in der Gegenrichtung, bis ich in meine linke Tasche greifen konnte.

Darin waren nur zwei Sachen: ein Taschentuch… und die vergessene, zerknüllte Plastiktüte von Evans Sandwiches.

«Werfen Sie keine Plastiktüten aus dem Wagenfenster«, hatte Haagner gesagt.»Sie können für die Tiere tödlich sein.«

Und Menschen das Leben retten.

Gute, kostbare Plastiktüte.

Durchqueren Sie eine Wüste nie ohne.

Ich wußte, wie man in heißem Klima mit einem Stück Plastikfolie alle vierundzwanzig Stunden eine halbe Tasse Wasser gewinnen kann, aber das ging nicht, wenn man in sitzender Stellung in einem Auto festgeschnallt war. Man brauchte ein Loch im Boden, ein kleines Gewicht und etwas, um das Wasser aufzufangen.

Dennoch, das Prinzip war da, wenn ich es nur anzuwenden verstand.

Kondensation.

Die Loch-im-Boden-Methode funktionierte über Nacht. In der Hitze des Tages grub man ein Loch, knapp einen halben Meter tief und im Durchmesser etwas kleiner als das verfügbare Stück Plastik. Man stellte eine Tasse in die Mitte des Lochs. Man breitete die Plastikfolie über das Loch und beschwerte sie an den Rändern mit der ausgegrabenen Erde, dem ausgegrabenen Sand, um das Loch abzudichten. Schließlich legte man einen kleinen Stein oder ein paar Geldstücke in die Mitte der Folie, so daß sie an einem Punkt direkt über der Tasse niedergedrückt wurde.

Danach wartete man.

Der in der Nacht abkühlende Wasserdampf in der heißen Luft, die in dem Loch eingeschlossen war, kondensierte zu sichtbaren Wassertröpfchen, die sich auf der kalten, undurchlässigen Folie bildeten, von dort zum tiefsten Punkt rannen und in die Tasse tropften.

Eine Plastiktüte voll heißer Luft würde bis zum Morgen wohl einen Teelöffel Wasser hergeben.

Viel war das nicht.

Nach einiger Zeit zog ich eine Hand, soweit es ging, an mich heran, stemmte mich gegen den Gurt nach vorn und stellte fest, daß ich so in die Tüte blasen konnte, wenn ich sie in einem Ring aus Daumen und Zeigefinger lose umfaßt hielt.

Wohl eine halbe Stunde lang atmete ich durch die Nase ein und durch den Mund in die Plastiktüte aus. Zum Schluß hingen Hunderte von kleinen Tropfen innen an der Tüte — der Wasserdampf aus meinen Lungen, eingefangen und konserviert, statt in die Luft zu entweichen.

Ich stülpte die Tüte um und leckte daran. Sie war naß. Als ich sie soweit wie möglich abgeleckt hatte, hielt ich die kühle, feuchte Folie an mein Gesicht, und da übermannte mich — vielleicht wegen der Dürftigkeit des Erreichten — zum erstenmal das jähe Gefühl der Verzweiflung.

Ich kramte den blauen Gummiring wieder hervor und füllte, solange noch warm die Sonne schien, die Tüte erneut mit Luft, drehte den Hals gut zu und befestigte sie mit dem Gummi auf der einen Seite des Lenkrads. Sie hing da wie ein Spielzeugballon und wippte, wenn ich sie berührte.

Ich hatte den ganzen Tag Durst gehabt, aber es ließ sich aushalten.

Nach Einbruch der Dunkelheit gab ein zögerndes inneres Grollen sich als Hunger zu erkennen. Auch er ließ sich aushalten.

Das Blasenproblem meldete sich erneut und war wieder eine Katastrophe. Aber diese Schwierigkeit würde sich mit der Zeit wohl geben: keine Zufuhr, weniger Ausstoß.

Die Hoffnung mußte nach Einbruch der Dunkelheit zurückgestellt werden. Zwölf Stunden, bis man wieder in die Tretmühle des» Kommen sie? Kommen sie nicht?«steigen konnte. Einsame, schreckliche Stunden für mich.

Die Krämpfe, die ich im Film so einfallsreich dargestellt hatte, befielen mich jetzt wirklich, als die Hitze des Tages abklang und meine Muskeln steif wurden.

Zuerst wärmte ich mich durch ein Dutzend weitere Versuche auf, das Steuer von der Lenkradsäule abzureißen, und wieder überstand der Wagen die Kraftprobe glänzend. Danach versuchte ich ein gezieltes Programm von isometrischen Übungen zu absolvieren, die den Körper warm und leistungsfähig halten sollten, doch ich wurde nur halb fertig damit.

Gegen alle Wahrscheinlichkeit schlief ich ein.

Der Alptraum war noch da, als ich aufwachte.

Ich zitterte vor Kälte, war steif bis ins Mark und mehr als nur ein bißchen hungrig.

Ich hatte nichts zu essen als vier Streichhölzer, ein Taschentuch und einen stumpfen Bleistift.

Nach kurzem Nachdenken kramte ich den Bleistift aus und knabberte daran herum. Weniger wegen des Nährwerts, sondern um das Blei freizulegen. Mit diesem Bleistift, entschied ich, konnte ich Danilo zu Fall bringen.

Vor Tagesanbruch kam mir nach und nach die Erkenntnis, daß Danilo mich nicht ohne Hilfe in dem Wagen ausgesetzt haben konnte. Er mußte jemanden gehabt haben, der ihn wegbrachte, nachdem er mich eingesperrt hatte. Er war bestimmt nicht zu Fuß durch das Wildreservat gegangen, nicht nur wegen der gefährlichen Tiere, sondern auch, weil ein zu Fuß Gehender so auffällig gewesen wäre wie ein Rittersmann in voller Rüstung. Also hatte ihm jemand geholfen. Wer?

Arknold.

Er hatte die Augen vor Danilos Betrug verschlossen, als er dahintergekommen war; hatte geschwiegen, weil er durch mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen seine Lizenz aufs Spiel gesetzt hatte. Aber würde er sich auf Mord einlassen, damit ihm die Lizenz erhalten blieb?

Nein. Würde er nicht.

Barty, für Geld?

Ich wußte es nicht.

Einer — irgendeiner — von den van Horens, aus irgendeinem Grund?

Nein.

Roderick, für die Schlagzeilen? Oder Katya, oder Melanie? Nein.

Clifford Wenkins, der Reklame wegen?

Wenn er es war, war ich außer Gefahr, denn er würde mich nicht mehr lange hierlassen. Das würde er nicht wagen. Schon weil Worldic bestimmt nichts daran lag, daß ihre Ware in beschädigtem Zustand wieder auftauchte. Ich wünschte, ich hätte glauben können, daß es Wenkins war, aber ich tat es nicht.

Evan? Conrad?

Davor graute mir.

Sie waren beide da gewesen. An Ort und Stelle. Hatten nebenan geschlafen. Sehr praktisch, um in der Nacht einzudringen und mich mit Äther zu betäuben.

Einer von ihnen konnte es getan haben, während der andere schlief. Aber welcher? Und warum?

Wenn es Evan oder Conrad war, würde ich sterben, denn nur sie konnten mich retten.

Mit diesen trüben Gedanken brach der Tag an, und das Morgenlicht zeigte mir, daß meine Theorie über den Wasserdampf stimmte. Ich konnte vom Krüger-Nationalpark nichts sehen, denn alle Fenster waren angelaufen und mit perlendem Kondenswasser beschlagen.

Ich konnte die Scheibe neben mir erreichen und leckte daran. Ein tolles Gefühl. Die Trockenheit auf meiner Zunge und in meinem Hals wurde sofort gelindert, obwohl ich immer noch ein Halbes vom Faß hätte gebrauchen können.

Ich schaute durch die freigeleckte Stelle. Der gleiche alte Busch. Immer noch niemand da.

Mein Löffel voll Wasser hatte sich tatsächlich in der nun kalten Plastiktüte gebildet. Behutsam knotete ich sie auf, ohne sie aus dem Gummiring zu nehmen, und drückte die Luft heraus, um zu verhindern, daß sie sich nachher in der Hitze ausdehnte und das kostbare Naß wieder absorbierte. Ich würde erst später trinken, beschloß ich. Wenn es schlimmer wurde.

Bei all der kostbaren Feuchtigkeit, die innen an den Fenstern haftete, war es ungefährlich, eine Luftveränderung zu wagen. Ich zog einen Socken aus, drehte den Griff mit den Zehen und öffnete das linke Fenster knapp zwei Zentimeter weit. Durfte nicht riskieren, es nicht wieder schließen zu können; aber als die Sonne aufging, bekam ich es ohne große Mühe zu. Als die zunehmende Hitze die Scheiben freimachte, indem sie das Wasser wieder verdunsten ließ, konnte ich mich wenigstens mit der Gewißheit trösten, daß es ja noch im Auto war und sein Bestes tat.

Der Bleistift, den ich in der Nacht beknabbert (und zur sicheren Aufbewahrung unter mein Uhrarmband gesteckt) hatte, sah allmählich schon brauchbar aus. Noch eine Sitzung mit den Schneidezähnen, dann hatte er genügend blankes Blei zum Schreiben an der Spitze.

Das einzige in meinen Taschen, worauf ich schreiben konnte, waren die Innenseiten des Streichholzbriefchens, und das reichte gerade für» Danilo war es«, aber nicht für mein ganzes Vorhaben. Im Handschuhfach lagen jedoch Karten und Wagenpapiere, und nach einem langen Gerak-ker, bei dem ich mir die Zehen verrenkte und viel zuviel wertvolle Energie verbrauchte, bekam ich einen großen braunen Umschlag zu fassen und ein Kartenset mit schönen freien Rückseiten.

Es gab viel zu schreiben.