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Bazooka, geschmeidig, durchtrainiert und sehr von sich eingenommen, tänzelte seitwärts zurück in den Stall. Addie war mit ihm ziemlich schnell geritten, aber er wäre am liebsten geflogen. Er stand ungern in seiner Box, und er beneidete Mims Jagdpferde, die ein normaleres Leben führten, sich auf den Weiden tummelten und nur nachts in ihre Boxen kamen.
Wie die meisten Rennpferde bekam Bazooka eine Kost mit hohem Proteingehalt und wurde ermutigt, während des Rennens gleichsam in die Luft zu gehen. Die meiste Zeit wollte er am liebsten zu Hause in die Luft gehen. Er wußte, daß er siegen konnte, sofern es keinen Unfall gab oder er nicht von einem hinterlistigen gegnerischen Jockey eingezwängt wurde. Er wollte siegen, um sich mit Ruhm zu bedecken. Bazookas Ego entsprach seiner Größe: enorm. Anders als die meisten Hindernispferde wußte er auch, daß er am Ende seiner Wettrenntage nicht verkauft würde. Mim würde ihn bei der Fuchsjagd einsetzen, ihn höchstwahrscheinlich selbst reiten, denn Mim war eine gute Reiterin.
Daß Mim besser reiten konnte als ihre Tochter, verschärfte nur Little Marilyns lebenslangen Groll. Gelegentlich durchbrachen Anwandlungen töchterlicher Ergebenheit das Verhalten der jüngeren Mim.
Mutter und Tochter sahen zu, als Bazooka stolz an ihnen vorbeitänzelte.
»Er ist heute gut drauf«, rief Addie ihnen zu.
Mim grinste. »Er hat den Adlerblick.«
»Ich bin schön«, prahlte Bazooka.
»Mom, ich wußte gar nicht, daß Harry vorbeikommt.« Little Marilyn war mit Mary Minor Haristeen aufgewachsen, doch wenn sie auch nicht sagen konnte, daß sie Harry nicht mochte, so konnte sie auch nicht sagen, daß sie sie mochte. Mit Persönlichkeiten war es wie mit Farben: Entweder sie harmonierten, oder sie harmonierten nicht. Diese beiden harmonierten nicht.
Mim dagegen fiel es leicht, sich mit Harry zu unterhalten, obwohl sie den mangelnden Ehrgeiz der jungen Frau beklagte.
Der supermanblaue Ford-Transporter tuckerte auf den Parkplatz hinter dem Stall. Tucker und Mrs. Murphy erschienen eher als Harry. Sie sagten guten Tag und liefen dann in den Stall. Harry trat zu Big Mim und Little Mim, die sie gelegentlich, wenn Harry in giftiger Stimmung war, auch Mini Mim nannte.
»Was haben Sie da?« fragte Mim, die bemerkte, daß Harry eine kleine Schachtel trug.
»Die Etiketten für die Einladungen zum Wildessen. Little Marilyn wollte die Einladungen drucken lassen.«
»Haben Sie die auf einem regierungseigenen Computer geschrieben?« Mim verschränkte die Arme.
»Ah - ja. Sind Sie nicht froh, daß Ihre Steuern für etwas Produktives verwendet wurden?«
Little Mim riß Harry die Schachtel aus den Händen. »Danke.«
»Wie sehen die Einladungen aus?« fragte Harry.
Little Marilyn blinzelte Harry an, was ihr hübsch geschminktes Gesicht verzerrte. »Hab sie noch nicht abgeholt.« Was soviel hieß wie: Sie hatte vergessen, sie in Auftrag zu geben, und die Etiketten sagten ihr, sie solle sich sputen. »Ich glaube, ich mach das jetzt gleich. Brauchst du was aus Charlottesville, Mum?«
»Nein. Ich habe deinem Vater meine Liste mitgegeben.«
»War nett, dich zu sehen, Harry.« Die tadellos gekleidete junge Marilyn spurtete zu ihrem Range Rover.
Es hätte keinen Sinn gehabt, sie zu kritisieren. Sie wußten beide, daß sie ihrer Aufgabe nicht nachgekommen war, doch unter Druck würde sie es tun. Ebenso sinnlos wäre es, das nun untereinander zu diskutieren.
Harry ging mit Mim in ihre wunderschön getäfelte Sattelkammer. Die Luft war schneidend, obwohl die Sonne hoch am Himmel stand.
»Wo ist Chark?«
»Am anderen Ende vom Stall. Er trainiert die letzten Pferde. Will alle vor elf Uhr bewegt haben, sagt er.«
Harry setzte sich, nachdem Mim auf einen Sitz gewiesen hatte, der mit einem hübschen dunklen Karo bezogen war. Harry hätte ohne weiteres in Mims Sattelkammer leben können, die schöner war als ihr eigenes Wohnzimmer.
»Mim, ich weiß, daß Mickey Townsend hier war, um Sie über die haltlosen Anschuldigungen gegen Fair zu informieren. Fair war gestern abend bei mir. Es ist unerhört« - ihr Gesicht lief rot an -, »daß jemand einen der besten praktizierenden Tierärzte verleumdet. Haben Sie eine Ahnung, wer eine solche Dreckschleuder sein könnte?«
»Nein.« Mim setzte sich Harry gegenüber. »Ich habe heute morgen als erstes Colbert und Arthur angerufen und ihnen gesagt, die Ermittlung soll bloß schnell und still vor sich gehen, sonst würde ich allen die Hölle heiß machen.« Sie hob die Hand, als wolle sie einem Publikum Schweigen gebieten. »Ich habe ihnen außerdem gesagt, daß es Zeitverschwendung ist, wo sie doch viel wichtigere Dinge zu tun haben.«
»Ja, und deswegen bin ich hier. Sie sind eine der einflußreichsten Persönlichkeiten im Verband.« Mim murmelte abwehrend, dabei hörte sie es ausgesprochen gern, und Harry fuhr fort: »Ich war heute morgen bei Ned Tucker. Susan hat ihn aufgeklärt. Er sagte, er würde Fair vertreten, unentgeltlich. Er hat ein Schreiben entworfen, ich habe es hier.«
Während Mim las, runzelte sie die Augenbrauen, dann lächelte sie. »Gut gemacht, Ned.«
Das Schreiben besagte in verschlungenem Juristencode, daß Fair nicht beabsichtige, sich ohne formelle Anklage einer Ermittlung zu unterziehen. Wenn man dies einreißen lasse, dann könne jeder Tierarzt, Trainer und Jockey durch zersetzenden Klatsch lahmgelegt werden. Er verlange, daß sein Ankläger sich melde, daß formell Klage erhoben werde. Sobald dies geschehe, werde er sich verteidigen.
»Was denken Sie? Vielmehr, was denken Sie, was der Nationale Hindernisrennverband denken wird?« Harry nahm den Brief aus Mims ausgestreckter Hand, die heute nur ihren Trauring und ihren Verlobungsdiamanten zur Schau trug, wieder entgegen.
»Ich nehme an, sie werden den Ankläger auf der Stelle festnageln. Aber können Sie Fair dazu bringen, das hier zu unterschreiben? Ich weiß, wie genau er es mit der Ehre nimmt. Neunzehntesjahrhundert, aber das ist es ja gerade, was ihn zu so einem großartigen Menschen macht.«
»Natürlich kann ich ihn nicht dazu bringen, das zu unterschreiben. Er findet, die Menschen sollen ihre Differenzen auf jede nur mögliche Weise lösen, bevor sie sich an Rechtsanwälte wenden. Er versteht nicht, daß das in Amerika so nicht mehr funktioniert. Kaum sind wir auf der Welt, engagieren wir schon einen Anwalt.«
»Und was machen wir nun?«
»Äh - Mim, ich hatte gehofft, daß Sie Colbert dieses Schreiben faxen würden. Vielleicht schreiben Sie dazu, daß Ned Tucker hiermit zu Ihnen gekommen ist, weil er den Verband nicht noch mehr in Verlegenheit bringen will. Sie wissen, der Mord, Probleme mit dem öffentlichen Ansehen und so weiter. Sie werden Colbert und Arthur auch dringend warnen wollen, damit sie sich eine Antwort zurechtlegen können, sollte sich die Presse hierauf stürzen.« Harry atmete tief durch. Sie hatte nicht gemerkt, wie nervös sie war.
Mim ließ sich auf ihrem Stuhl zurückfallen, ihre lackierten Fingernägel tappten auf die Armstützen. »Harry, Sie sind viel raffinierter, als ich gedacht hatte - natürlich mache ich das.«
»Oh, vielen Dank. Fair wird nichts davon erfahren, wenn Colbert es ihm nicht erzählt.«
»Ich werde in meinem Begleitbrief andeuten, daß das unterzeichnete Schreiben nie ankommen wird, wenn diese Sache umgehend beigelegt werden kann. Fair werde kein gerichtliches Verfahren einleiten.«
Harry strahlte. »Sie sind so clever.«
»Nein - das sind Sie. Und Sie lieben ihn noch immer.«
»Das sagen alle, aber nein, ich liebe ihn nicht mehr«, erwiderte Harry schnell. »Ich hab ihn gern, das ist was anderes. Er ist ein Freund und ein guter Mensch, und er hat diese üble Nachrede nicht verdient. Er würde für mich dasselbe tun.«
»Ganz bestimmt.«
Während Mim und Harry über Fair, die Liebe, Jim, Bazooka, Mirandas Kirchenchorveranstaltung zur Spendensammlung für die Kirche zum Heiligen Licht und über Gott und die Welt redeten, hielten Mrs. Murphy und Tucker ein Schwätzchen mit der Stallkatze, einem kräftigen, großen rötlichbraunen Kater namens Rodger Dodger. Seine schildpattfarbene Freundin Pusskin schlief auf dem Heuboden, erschöpft, weil sie am morgen ein Streifenhörnchen gejagt hatte.
Bazooka, der in der Waschbox abgerieben wurde, lauschte, enttäuscht, weil die anderen Tiere nicht über ihn sprachen.
»Wie steht's mit der Jagd?« fragte Rodger Dodger Mrs. Murphy.
»Gut.«
Tucker kicherte.»O ja, sie erlegt jeden Abend ihre Spielmaus.«
»Halt 's Maul. Ich leiste meinen Beitrag an Mäusen und Maulwürfen.« »Nicht zu vergessen den Blauhäher. Da ist Mom total ausgeflippt«, höhnte Tucker schadenfroh.
»Ich konnte den Blauhäher nicht ausstehen.«
»Ich kann die auch nicht ausstehen«, pflichtete Rodger ihr ernst bei.»Die stoßen senkrecht auf dich herunter und picken dich. Dann heben sie ab und segeln davon. Ich würde jeden einzelnen töten, wenn ich könnte.«
»Was tut sich hier?« lenkte Tucker vom Thema Erlegen von Nagetieren und Vögeln ab. Ja, wenn sie darüber reden wollten, wie man Rinder oder Schafe hütete, dann könnte sie viele Geschichten beisteuern.
Rodger ließ seine Schnurrhaare nach vorn schnellen und trat nahe an die Tigerkatze und die Corgihündin heran.»Gestern abend hat jemand Orion aus seiner Box geholt, ihn auf die Querschwelle gebracht und in der Box herumgegraben, aber er wurde gestört. Wer immer es war, hat das Loch wieder zugedeckt und Orion in die Box zurückgebracht.«
»Kannst du in der Box was riechen?«
»Erde.« Rodger Dodger setzte sich auf sein Hinterteil.
»Sehen wir uns das mal an.« Mrs. Murphy flitzte den Gang entlang. Da Orion ein Jagdpferd war, tummelte er sich draußen auf einem Feld. Die Tiere konnten in seine Box gehen.
Tucker hielt die Nase an die Erde. Die Katzen scharrten mit den Pfoten die Holzspäne fort. Die Erde war tatsächlich frisch umgegraben.
Mrs. Murphy untersuchte vorsichtig die anderen Ecken der Box. Nichts.
Rodger beobachtete Tucker.»Kann man nicht draus schlau werden, oder?«
»Ich weiß nicht.« Sie hob den Kopf, atmete frische Luft ein, hielt die Nase dann wieder über die geglättete Stelle.»Wenn wir jemanden dazu bewegen könnten, hier zu graben, finde ich womöglich was. Wenn etwas entfernt wurde, würde ich es riechen.« Sie schnupperte. »Im Moment ist tote Hose.«
Die drei Tiere setzten sich in der Box nieder.
»Weißt du, wer es war?« fragte Tucker.
»Nein, ich war letzte Nacht draußen im Geräteschuppen. Reiche Beute. Als Orion es heute morgen auf seinem Weg nach draußen erwähnte, war ich zu groggy, um ihn auszuquetschen.«
»Gehen wir Orion fragen.« Mrs. Murphy verließ die Box just in dem Moment, als Bazooka von Chark Valiant in seine Box gebracht wurde.
»Ihr braucht Orion nicht zu fragen«, sagte der Stahlgraue zu ihnen. »Ich hab gesehen, wer's war. Coty Lamont.«
»Coty Lamont!« rief Mrs. Murphy aus. Rodger sprang auf die Sattelkiste vor Bazookas Box und stellte sich auf die Hinterbeine, um mit dem Pferd zu plaudern.»Bazooka, warum war er hier?«
»Das hat er nicht gesagt«, erwiderte Bazooka spöttisch.»Aber Mickey Townsend kam auf Zehenspitzen rein und schloß die Boxen tür, als Coty drin war. Coty wollte raus, aber Mickey hat ihn nicht gelassen. Er hat ihm gesagt, er soll 's wieder zudecken und mit ihm kommen.«
»Der alte Kotex haßt Mickey.« Mrs. Murphy benutzte Cotys Spitznamen.»Charles Valiant übrigens auch.«
»Wetten, Coty ist nicht mitgegangen«, sagte Tucker.
»Oh, ist er wohl.« Bazooka genoß die Geschichte.»Mickey hat eine Pistole auf ihn gerichtet und ihm gesagt, er muß mitgehen.«
»Und er ist mitgegangen?« Tuckers glänzende Augen weiteten sich.
»Klar doch. Hört mal, ich weiß nicht, wie er hierhergekommen ist. Mickey ist einfach in den Stall geschlichen«, fügte Bazooka hinzu. »Jedenfalls, Mickey hat ihm gesagt, er soll die Hände hinter den Kopf nehmen. Er hat den Riegel von der Box zurückgeschoben, und Coty ist vor ihm hergegangen.«
»Mann, ist das unheimlich.« Rodger Dodger kratzte sich die Flanke mit dem Hinterbein.
Es war mehr als unheimlich, denn an diesem Abend wurde Coty Lamont, der beste Hindernisjockey seiner Generation, auf einer Lehmstraße im Osten von Albemarle County nicht weit von der Route 22 gefunden. Man hatte ihn auf die offene Ladefläche seines Ford- 3 5O-Lieferwagens gelegt, der in seiner Lieblingsfarbe lackiert war, metallic Kastanienbraun. Die Pikdame lag auf seinem Herzen, das von einem Stilett durchbohrt war.