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1AN EINEM ORT AM ENDE DER WELT 

Anno DOMINI 1388, am Tag des heiligen Dominicus. Vierzig lange Jahre habe ich mich vor dem Tod versteckt. Vierzig Jahre lang habe ich geglaubt, dass ich dem düsteren Schnitter von der Sensenklinge gesprungen wäre. Vierzig Jahre lang hoffte und betete ich, dass der HERR mir meine Sünden vergeben hätte, dass ihn das Leuchten in den Augen meiner Frau und das Lachen meiner Kinder und Enkel so erfreuen, so gnädig und milde stimmen würde wie mich. Doch SEINE Wege sind unergründlich, SEINE Geduld ist grenzenlos, SEINE Strafe fürchterlich. Et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris.

Ich bin fortgezogen aus dieser verfluchten Stadt Paris, diesem Sodom und Gomorrha, dieser großen Hure Babylon. Bin an das Ende der Welt gezogen — ein Ende, von dem ich doch weiß, dass es nicht das Ende ist. Meine Stube ist bescheiden, die Decke niedrig, der Kamin verrußt, die grauen Steinmauern angefressen von der salzigen Luft. Doch wenn ich den Laden vor meinem Fenster öffne, schweift mein Blick hinaus auf den gewaltigen Ozean und das rauschende Spiel der Wogen. Das Grollen der Brandung in den feucht glänzenden Felsen der Steilküste, das Kreischen der Möwen sind mir ein süßerer Lobpreis SEINER Herrlichkeit als der mächtigste Hymnus, den meine Brüder je zum weitgespannten Dach unserer Kirche emporgetragen haben.

Ob einer meiner Brüder heute noch am Leben ist? Ob mir mein alter Prior, ob mir mein Novizenmeister, der mich als elternlosen Jungen voll väterlicher Liebe großzog, vergeben würden, sähen sie mich hier? Sicher würden sie mit mir beten.

Doch ich will nicht klagen. Des Menschen Schicksal liegt nicht ganz allein in SEINER Hand, denn wozu sonst hätte ER uns freien Willen gegeben und die Fähigkeit, das Gute vom Bösen zu scheiden? Und ich habe mich für die Sünde entschieden, obwohl es mir selbst jetzt noch schwerfällt, sie auch als das Böse zu erkennen. Nun, da ich das Alter spüre und die Kälte des Todes, muss ich mein Gewissen erleichtern. Und auch, warum es verschweigen, da ich fürchte, bald vor SEINEM Richterstuhl zu stehen. Nun also werde ich aufschreiben, wie es dazu kam, dass ich fehlte. Wie die gute Stadt Paris unterging und mit ihr das Abendland. Wie Eltern ihre Kinder und Kinder ihre Eltern verließen, wie Ärzte die ihnen anvertrauten Kranken im Stich ließen und wie — die Feder sträubt sich, dies niederzuschreiben — selbst Mönche, Priester, Männer des HERRN Sterbende in ihrer Not allein ließen.

Und wie sich, fast unbemerkt inmitten dieses Wütens der apokalyptischen Reiter, verschwiegene, gefährliche Männer zu einer Verschwörung vereinten. Einer Verschwörung, so gewaltig, dass sie über Jahrhunderte wirken wird, ja vielleicht für alle Zeiten. Jeden Tag bete ich zum HERRN, dass er den Verschwörern Einhalt gebieten möge. Dann wieder überfällt mich in düsteren Stunden der Zweifel und Bangigkeit schleicht sich in mein Herz. Und wenn die Verschwörer nun nicht Kreaturen Satans sind, sondern doch Werkzeuge des HERRN? Wenn nun ich in meiner Schwäche nicht mehr erkennen kann, was gut ist und was böse?

Oh, wie gerne würde ich beichten! Wie gerne würde ich meine Seele öffnen! Und wie sehne ich mich danach, auf einer harten Bank zu knien und irgendwann aus dem dunklen Beichtstuhl die erlösenden Worte zu hören: Deinde ego te absolvo.

Doch gebeichtet habe ich nicht mehr seit vier Jahrzehnten, obwohl ich allen Nachbarn als guter Christ und Kirchgänger gelte. Mein Wissen und meine Erinnerungen, meine Sünden und meine Qualen bedrücken mich. Statt einem Diener des HERRN werde ich mich nun dem Pergament zur Beichte anvertrauen.

Es ist August, der Monat der Ernte. Es dunkelt schon, die Öllampe flackert und rußt im feuchten Hauch, der vom Ozean herüberweht. Meine Frau ruht, meine Kinder und Enkel schlafen den Schlaf der Gerechten.

Ich muss die geschliffenen Gläser, die Jorge letztes Jahr aus Venedig mitgebracht hat, vor die Augen halten, um die Zeichen klar zu sehen, die ich schon auf das Pergament geworfen habe. Vor vierzig Jahren bedurfte ich dieser kunstvoll geschliffenen Gläser noch nicht. Da waren meine Augen scharf wie die eines Falken. Und doch sahen sie die Zeichen nicht, obwohl sie übergroß geschrieben waren. Nun will ich berichten von jenem Jahr des HERRN, 1348, da die Pest nach Paris kam und die Verschwörung begann.