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14DER SCHATTEN VON PARIS

Es kam so, wie ich es befürchtet hatte. Magister Jean Courtecuisse, der Bischof von Paris, zelebrierte am folgenden Sonntag eine Messe in Notre-Dame. Alle Mönche aus dem Kloster waren anwesend und meine Mitbrüder versicherten mir, dass sie nie zuvor eine derart große Zahl von Gläubigen in der Kathedrale gesehen hätten wie an jenem Tag, nicht einmal, als der König von Frankreich das letzte Mal Paris mit seiner Gegenwart beehrt hatte. Zwar erinnerte ich mich der wenig schmeichelhaften Worte, welche Meister Philippe über die Gelehrsamkeit des Bischofs geäußert hatte, doch muss ich zugeben, dass er an jenem Morgen sehr gut und sehr verständig sprach.

Schon im Morgengrauen, direkt nach der Prim, waren wir vom Kloster zur Kathedrale geeilt — und hätten doch keine Plätze mehr bekommen, wären nicht zwei Reihen den Dominikanern von Saint-Jacques vorbehalten gewesen. Das Volk stand in dichtem Gedränge wohl an die hundert Schritt weit draußen auf dem Platz. Im riesigen Kirchenschiff wogten Geistliche und Adelige, Kaufleute und Gelehrte der Universität, Handwerker und Bettler zwischen den mächtigen Pfeilern wie ein Meer aus guten Christenmenschen hin und her. Es war ein heißer Tag und stickig war die Luft in Notre-Dame, sodass schon lange vor der Messe wohl gar mancher die Besinnung verlor. Doch als Magister Jean Courtecuisse endlich auf der Kanzel erschien, da donnerte seine tiefe Stimme über die unzähligen Köpfe seiner Herde hinweg. In höchsten Tönen lobte der Bischof die GOTT gefälligen Taten der Inquisition und insbesondere die meines Meisters. Dann schilderte er noch einmal in allen grausigen Einzelheiten — Philippe de Touloubre hatte sie ihm ohne Zweifel eingehend beschreiben müssen — die Mordtaten an Heinrich von Lübeck und am Domherrn Nicolas d'Orgemont. Viele Gerüchte waren darob schon in Umlauf gewesen, doch hörten es die Menschen nun aus berufenem Mund und viele vernahmen die Geschichten der Morde gar zum ersten Mal. Der Bischof deutete diese unerhörten Sünden als die Taten, welche GOTTES Zorn auf Paris, ja auf ganz Frankreich gelenkt hatten. So erfuhren die Christen von ihrem Oberhirten die Gründe für die schreckliche Heimsuchung, vor der sie sich seit Wochen ängstigten. Nur Jacquettes Tod erwähnte er mit keinem Wort. Sodann malte Magister Jean Courtecuisse den Gläubigen die Folter aus, die Pierre de Grande-Rue erdulden musste, bevor ER ihn vor SEINEN Richterstuhl befohlen hatte. Der Bischof schloss seine Predigt mit einem Bild der Höllenqualen, welche den Vaganten nun für alle Ewigkeiten heimsuchen würden — und den Segnungen, welche die guten Bürger von Paris hingegen davon erwarten durften, dass die Inquisition den Unhold gefasst hatte, dem zwei Männer GOTTES erlegen waren.

Selbst ich, der ich doch die schrecklichen Einzelheiten jener Sünden besser als fast jeder andere Zuhörer in Notre-Dame kannte, schauderte, als der Bischof in klaren, wohlgesetzten Worten die Morde und die Folter schilderte. Erleichtert seufzte auch ich auf, da er uns nun verhieß, dass für uns Christen in Paris der Zorn GOTTES noch einmal im letzten Augenblick abgewendet worden sei. Doch zugleich erfüllte mich auch Trauer. Eine Trauer um Jacquette, deren Schicksal niemandem auch nur ein Wort wert war; Trauer auch um den Vaganten, der ohne Zweifel ein Sünder gewesen war, der es jedoch nicht verdiente, dass sein Ansehen derart geschwärzt wurde wie in dieser Predigt; und, wenn auch keine Trauer, so doch Mitleid mit mir selbst, dass ich nicht in der Kathedrale aufstehen konnte, um der Christenheit mit lauter Stimme zuzurufen, dass der Mörder, vor dem sich alle fürchteten, noch immer frei unter uns herumlaufen musste, ja, dass er vielleicht gerade in jenem Augenblick, da der Bischof predigte, unter den Zuhörern in der Kathedrale zu finden war. Oh, hätte ich doch geahnt, wie Recht ich in meiner Verzweiflung gehabt hatte!

So aber schwieg ich betrübt - und mied den Blick von Meister Philippe.

Auch diese Furcht war wohl begründet: Der Inquisitor sprach an jenem und auch an keinem anderen Tag mehr mit mir über das geografische Werk des Castorius, das er aus dem Versteck des Vaganten geborgen hatte. Genauso verlor er kein weiteres Wort über die terra perioeci - es war, als hätte es dieses geheimnisvolle Land niemals gegeben, als hätte ich jene beiden Begriffe nicht selbst mit eigenen Augen gelesen.

Mit jeder Stunde, die verging, war ich mir sicherer, dass er mir etwas verschwieg. Doch was mochte er verbergen? Und warum? Die Tage nach der Predigt des Bischofs waren erfüllt von Lobgesang und Preis GOTTES. Allenthalben, in allen Kirchen und Klöstern von Paris, wurden Messen gelesen und Prozessionen gesegnet. Es war - man konnte es fast körperlich spüren - als wäre jedem Bürger der Stadt eine Last, schwer wie eine Fuhre Steine, von den Schultern genommen. Freier gingen Männer und Frauen durch die Straßen, elastischer war ihr Schritt. Die Mägde sangen wieder fröhliche Lieder, die Burschen schauten ihnen hinterher und wagten auch manch unzüchtiges Wort, die Kinder lachten und pfiffen. Alle waren froh, dass der Unhold gefunden und damit der Zorn GOTTES abgewendet worden war. Zumal jetzt so gut wie keine neuen Flüchtlinge mehr in die Stadt kamen. Die Seuche, so flüsterte man an jeder Ecke, zog wieder ab, jeden Tag wohl ein paar Hundert Schritt weiter weg von den Mauern.

Doch die Fröhlichkeit der Menschen war eine Spur zu laut, ihr Lobpreis GOTTES klang zu dankbar, ihre Erleichterung über die Aufdeckung der Untat und die Strafe des Sünders erschien mir zu groß. So ließ uns der Prior Messen lesen; Bruder Carbonnet schickte zudem seine begabtesten Prediger aus, auf dass sie an allen Ecken der Stadt zu den Menschen sprachen. Denn wir spürten wohl, dass die Freude dünn war wie ein Firnis auf einem Gemälde — und dass darunter noch immer eine tiefe, namenlose, dunkle Furcht lauerte. Wohl kann ich behaupten, dass niemals zuvor so viele Christen uns Dominikanern lauschten wie in jenen Tagen.

Einzig, dass ich das Kloster nicht zu verlassen wagte, schmerzte mich. Denn mit Messen und Predigten gab es so viel zu tun, dass ich mich nicht unauffällig zur Bibliothek im Kollegium de Sorbon hätte stehlen können. Außerdem war es undenkbar, dass ich gegen den Willen Klaras zu ihr geschlichen wäre oder der Jüdin Lea bas Nechenja einen Besuch abgestattet hätte.

Selbst als nach wenigen Tagen die Erregung der Bürger abflaute und wir nicht mehr zu jeder Stunde Messen lesen mussten, wagte ich mich nicht hervor. Ich fürchtete mich vor Meister Philippe. Denn wenn er mir etwas verschwieg, dann mochte er mir misstrauen. Und wenn er mir misstraute, dann mochte er meinen geheimen Wegen auf die Schliche kommen.

Ich hoffte nur, dass am verabredeten Tag - dem Tag der heiligen Margareta — mein demütiges und gehorsames Verhalten seine Aufmerksamkeit etwas eingeschläfert hatte, sodass ich die Dienerin und über sie endlich meine Geliebte würde wiedersehen können. Doch als schon fast die Stunde gekommen war, da ich hoffen durfte, Klara wieder in den Armen zu halten, wurde ich Zeuge von einem Ereignis, das meine Seele erzittern ließ.

*

In jener Nacht vor dem Tag der heiligen Margareta entlud sich über Paris ein schreckliches Gewitter. Der HERR schickte eine Flut hernieder, wie er sie wohl auch an jenem Tag gesandt hatte, da Noah seine Arche besteigen musste. Donnerschläge hallten durch die Stadt, sodass die Mauern der mächtigsten Bauwerke erzitterten, und Blitze aus gleißendem Höllenlicht zuckten am Himmel.

Schlaflos lag ich auf meiner Pritsche. Doch nicht allein das schreckliche Unwetter gab meinem Geist keine Ruhe, auch ein wirrer Gedankenreigen ließ mich nicht eintauchen ins süße Meer des Vergessens und der Träume. Ich dachte an Klara und sehnte unsere nächste Begegnung herbei. Zugleich jedoch quälten mich Bilder des gefolterten Vaganten, Bilder von Jacquette, die mit klaffender Wunde auf dem Boden lag, Bilder von Lea, die mich anflehte, ihren Vater zu retten, Bilder von einigen schwarzen, blauen und roten Strichen auf altem Pergament, die einen Namen umschlossen:

terra perioeci. Irgendwann, es war wohl schon weit nach Mitternacht, doch das Unwetter tobte noch immer heftig über der Stadt, vermeinte ich, wieder Geräusche im Kloster zu hören, die nicht vom Regen oder vom Donner herzurühren schienen.

Konnte ich es wagen, meine Zelle zu verlassen, oder würde draußen ein Schatten auf mich lauern? Lohnte sich das Risiko einer Entdeckung noch? Denn was hätte ich schon davon, klärte ich die Geheimnisse jener unheimlichen Treffen auf?

Andererseits, so dachte ich mir, hatte ich, seit ich in Paris weilte, noch keine Sache wahrhaft zu Ende geführt. Nichts wusste ich, keine Frage hatte ich beantwortet, keine Spur bis zu deren Ende verfolgt. Wenigstens dieses Rätsel wollte ich nun klären, wenn ich auch nicht hoffte, darüber jemals mit einem anderen Menschen sprechen zu können. So erhob ich mich denn, schlich zur Tür und warf mich dort zu Boden. Ich wartete eine gute Weile hingekauert auf dem kalten Stein, bis ein besonders heftiger Doppelschlag von Blitz und Donner das Kloster bis in die Grundfesten erzittern ließ. Sofort drückte ich die Tür auf und kroch hinaus.

Ich hoffte, dass die tobenden Elemente das leise Scheuern meiner Kutte auf dem Boden und das Knarzen der Zellentür verschluckten und dass ich in meiner Haltung nicht mehr als ein Schatten war, den selbst ein aufmerksamer Wächter übersah.

Rasch blickte ich mich um: Niemand war an beiden Enden des Ganges zu erkennen, doch konnte ich nicht sicher sein, ob sich nicht doch jemand irgendwo verbarg. Also richtete ich mich nicht auf, sondern schob mich, Brust und Bauch am kühlen Boden, Handbreit um Handbreit voran.

So gelangte ich schließlich bis zum Kreuzgang. Ich zitterte am ganzen Leib, denn die Kühle des Bodens war mir inzwischen bis in die Knochen gedrungen. Doch noch immer wagte ich nicht, mich zu erheben. So kroch ich denn weiter, der Schlange, dem Tier der Falschheit, ähnlicher als einem Menschen, bis ich in der Mitte des vom Kreuzgang allseits umschlossenen Gartens angekommen war, wo ich mich hinter der Mauer des Springbrunnens verbarg.

Der Regen schlug mir ins Gesicht und durchnässte meine Kutte, sodass mir die Kälte bald unerträglich dünkte. Ich überlegte schon, ob ich nicht einem Wahngebilde aufgesessen sei und es nicht besser wäre, in meine trockene Zelle zurückzukehren, bevor ich mir in Nässe und Kälte ein womöglich tödliches Leiden zuzöge, da gewahrte ich an einem Ende des Kreuzgangs eine lange Reihe schweigender Schatten. Dort stand wohl ein Dutzend oder mehr Mönche mit hochgeschlagenen Kapuzen.

Mir stockte der Atem. Keine der Gestalten hatte eine Kerze oder Fackel entzündet. Lautlos bewegten sie sich in Richtung des Lesesaals der Bibliothek. Wer mochten sie sein? Warum versammelten sie sich zu nächtlicher Stunde?

Ich wäre gerne näher herangeschlichen, doch wagte ich dies nicht, denn der Brunnen, hinter dem ich mich versteckt hielt, erhob sich in der Mitte des Kreuzganges. Wo auch immer ich mich hätte hinwenden mögen: Stets hätte ich ein Stück weit über eine freie Fläche kriechen müssen, bevor ich in die Dunkelheit der pfeilergeschmückten Gänge hätte eintauchen können.

Also rührte ich mich nicht, spähte nur vorsichtig über den Brunnenrand und hoffte, noch einen Blick auf die Schatten zu erhaschen. Und wahrlich, GOTT erhörte mein Flehen. Denn gerade, als die Mönche die Pforte öffneten, welche den Gang zum Lesesaal verschloss, zerriss ein fürchterlicher Blitz den Nachthimmel. Es waren gleißend gelbe Feuerzacken, die von West nach Ost das Gewölbe über der Welt zu sprengen schienen. Irgendwo in Paris fuhr dieser Blitz nieder. Ein gewaltiges Donnern rollte durch die Straßen, ein Grollen und Krachen. Es stank nach Schwefel.

Doch jener Blitz erhellte die Dunkelheit für einen Augenblick. Alles tauchte er in ein unwirtliches, grelles Licht, das keinen Schatten mehr ließ. Die Mönche allerdings hatten ihre Häupter furchtsam gesenkt oder abgewandt, sodass ich ihre Gesichter trotz der plötzlichen Helligkeit nicht erkennen konnte.

Nur einer, der Erste, der an der Pforte stand, hielt sein Haupt erhoben und zuckte nicht einmal, da der Blitz die Nacht erschütterte. Deutlich konnte ich die Züge unter der Kutte ausmachen. Einen Augenblick zwar nur, doch brannte sich mir das Bild in die Augen und in die Seele. Dort stand Meister Philippe.

*

Ich wartete zitternd und zagend, bis die Mönche lautlos im Lesesaal verschwunden waren. Nun, da ich wusste, wer zu ihnen gehörte, wagte ich es nicht mehr, ihnen näher zu kommen. So schlich ich mich denn bei der erstbesten Gelegenheit zurück in meine Zelle. Erschöpft warf ich mich auf meine Pritsche. Die Kälte war mir in die Knochen gefahren - und doch war es nicht die Kälte des Regens, die mich erschauern ließ.

Wer waren die Mönche, mit denen sich der Inquisitor nächtens traf? Andere Inquisitoren? Was hatten sie zu bereden? Warum diese Heimlichkeit? Hatten diese Zusammenkünfte etwas mit den Toten zu tun, deren Schicksal Meister Philippe und mich aneinander gekettet hatte? Oder fanden sie gänzlich unabhängig davon statt? Gab es sie vielleicht schon seit Jahren? Wussten die meisten Mönche im Kloster Saint-Jacques vielleicht sogar davon? War nur ich nicht eingeweiht? Oder — im Gegenteil - war ich der Einzige, der ihnen auf die Schliche gekommen war? Was sollte ich nun tun? Hatte ich dadurch nicht noch einen Grund mehr, Meister Philippe zu misstrauen? Mit diesen Gedanken verbrachte ich den Rest der Nacht. Einer Nacht, die in ganz Paris wohl für Unruhe sorgte, denn das Gewitter blieb Stunde um Stunde über der Stadt, als wollte der Himmel selbst zornig auf die Dächer einschlagen.

Als allerdings der Morgen heraufdämmerte, lösten sich die Wolken auf, als hätte es sie nie gegeben. Blau war der Himmel, strahlend und klar und wie rein gewaschen die Luft. Schon nach der Prim wärmte uns die Sonne, nach der Terz stand sie bereits hoch und brannte heiß.

Meister Philippe sang bei den Gottesdiensten im Chor der Mönche, als wäre nichts geschehen. Er sah erfrischt aus und ruhig wie immer.

Ich wagte nicht, ihn anzusprechen, aus Furcht, dass ich in einem unbedachten Moment etwas verraten mochte, das den Inquisitor auf die Spur meiner nächtlichen Suche gebracht hätte. Außerdem befürchtete ich, dass Meister Philippe mich fragen mochte, was ich an diesem Tage außerhalb des Klosters zu schaffen hatte.

Denn schon nach der Prim war ich auf die Rue Saint-Jacques getreten, doch zu meiner großen Enttäuschung gewahrte ich nirgendwo Klaras Dienerin. Nach der Terz eilte ich wieder hinaus - und mein Herz jubilierte, denn nun sah ich sie!

Wir verständigten uns nur durch einen Blick; keine Geste sollte uns verraten. Die Dienerin wandte sich die Straße hinab und ging Richtung Seine. Ich folgte ihr — doch wie erstaunt war ich, als ich nach einiger Zeit bemerkte, dass wir nicht zum »Haus zum Hahn« gingen. Stattdessen führte mich die Dienerin in die Kathedrale Notre-Dame. Mit einem Blick bedeutete sie mir, an einem der Pfeiler im Kirchenschiff zu warten. Dann zog sie sich zu einer Kapelle am Chor zurück und sank dort nieder zum Gebet. Ich blickte mich ratlos um, grübelnd, was dies zu bedeuten hatte.

In der Kirche drängte sich ungewöhnlich viel Volk für diese Stunde. Dann gewahrte ich mehrere Priester, die vor den Altar traten, um eine Messe zu lesen. Eine Totenmesse.

Neugierig und nicht wenig beunruhigt trat ich näher. Ich lauschte dem aufgeregten Gerede mehrerer Müllerinnen, die in der Nähe des Pfeilers beisammen standen, wo auch ich ausharren sollte. So erfuhr ich denn, dass in der Nacht zuvor jener Blitz, der mir das Gesicht des Inquisitors enthüllt hatte, tatsächlich in Paris eingeschlagen war: Er war hineingefahren in die kleine Kirche Notre-Dame-de-Liesse, wo sich Christenmenschen zur Mitternachtsmesse versammelt hatten.

Vier Menschen hatte der Blitz getötet, dreißig weitere hatte er ihrer Glieder oder ihres Verstandes beraubt. So gewaltig war die Kraft des Flammenstrahls, dass sogar steinerne Platten und Eisengitter, welche den Zugang zur Krypta verschlossen hielten, vom Boden hochgerissen und durch die Luft geschleudert worden waren.

Nun hielten vier Priester die Totenmesse in der größten Kirche von Paris, denn gar viele Angehörige, Freunde und Nachbarn hatten sich eingefunden und auch viele Bürger, obwohl sie keines der Opfer gekannt hatten.

Die Heiterkeit und Hoffnung, die einen jeden in den letzten Tagen beflügelt hatten, waren wie weggeflogen. Die Ängste, die bösen Gerüchte, die unheilvollen Vorzeichen, die ein jeder gesehen haben wollte, machten wieder in getuschelten Worten die Runde. So trauerte ich zwar ob der vier Opfer, schlug das Kreuz und murmelte die Gebete, doch noch mehr beunruhigte mich das Geschwätz der Lebenden als das Schicksal der Toten. Es war, als könnte ich die Furcht wieder spüren, wie sie umging in Notre-Dame und mich streifte, gleich einem kühlen Lufthauch aus einer Gruft. Deshalb zuckte ich eher erschrocken, denn erfreut zusammen, als ich plötzlich Klaras Stimme hinter mir vernahm.

»Dreh dich nicht um, mein Geliebter«, flüsterte sie. »Niemand soll uns bemerken.«

Mir klopfte das Herz im Halse. Oh, wie gerne hätte ich in jenem Augenblick die Gattin des Reeders in meine Arme genommen! Doch war ich vernünftig genug, meine Leidenschaft zu bezähmen. Nicht einmal aus den Augenwinkeln sah ich sie an, sondern starrte unverwandt nach vorne, wo einer der Priester gerade den Kelch hob. »Ich bin glücklich, dass du hier bist«, flüsterte ich. »Doch warum durfte ich nicht in dein Haus kommen?«

»Das ›Haus zum Hahn‹ gleicht einem Bienenkorb. Stündlich gehen Menschen ein und aus, nie bin ich allein. Es ist so viel geschehen in den letzten Tagen. Ich werde dir alles erzählen - aber nicht hier. Ich habe dich hierherkommen lassen, weil Notre-Dame ein großer, belebter und deshalb unauffälliger Ort für ein Treffen ist. Ich bin ungesehen hier angekommen. Meine Dienerin Magdalena wird nun sehen, ob auch du von niemandem verfolgt worden bist.« Erst da gewahrte ich, dass die Dienerin nicht länger in jener Seitenkapelle kniete, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Irgendwann musste sie unauffällig aus der Kathedrale geschlichen sein; ich jedenfalls konnte sie nirgends sehen.

»Du wirst verfolgt?«, fragte ich entsetzt und eine Spur zu laut. »Sei nicht beunruhigt!«, ermahnte sie mich. »Bald wirst du alles erfahren. Wir müssen allerdings noch vorsichtiger sein als zuvor. Gedulde dich.«

Tatsächlich sah ich bald die Dienerin, wie sie wieder zum Portal hineinkam. Sie ging mit gesenktem Haupt an uns vorbei, doch nickte sie ihrer Herrin zu, zumindest deutete ich eine Kopfbewegung so. »Gut«, flüsterte Klara. »Wir können es wagen: Magdalena wird dich zum Haus eines reichen Wollhändlers in der Rue Darnetal führen. Ihre Schwester ist dort Dienerin. Ich werde in ihrer Stube auf dich warten. Alles ist abgesprochen, fürchte dich nicht. Ich werde nun dorthin eilen. Du wirst bis zum Ende der Messe bleiben, dann folgst du Magdalena unauffällig. Sie wird dir den Weg weisen. Ich erwarte dich sehnlichst!«

Mit diesen Worten verschwand sie und ließ mich verwirrt zurück. Wer mochte der Verfolger sein, vor dem sich Klara ängstigte? Mochte er auch mir nachstellen? Ich betete, dass ihr nichts geschehen möge. Ich bezwang meine Ungeduld und Unruhe und harrte bis zum Ende der Messe in Notre-Dame aus. Das Licht, das durch die prachtvollen Rosetten fiel und mir doch sonst wie eine Offenbarung GOTTES dünkte, schien mir nun ein teuflischer Zauber zu sein. Ich sah gelb, rot und blau leuchtende Kreise, Punkte, Dreiecke, die auf den Pfeilern und über den Köpfen der demütig betenden Gläubigen tanzten - und erkannte in ihnen doch nur die unruhigen Seelen der Toten und der Dämonen, die uns der Herr der Finsternis schickt, um uns zu quälen. Die Pfeiler, die mir doch sonst gen Himmel strebend vorkamen, als trügen sie irgendwo weit oben, im Halbdunkel des Kirchenschiffes, das Paradies versteckt, erschienen mir nun wie wuchtige, drohende Balken eines gigantischen Galgens, errichtet, um Hunderte Menschen in seinen Schlingen zu tragen. Die heiligen Worte der Messe und die Hymnen, welche doch sonst mein Herz erfreuten und meine Seele leicht machten, klangen auf einmal hohl und lügnerisch. Oh, wie sehnte ich den letzten Segen herbei, um aus Notre-Dame eilen zu können!

Als es endlich so weit war, gewahrte ich im Gedränge an der Pforte vor der Kathedrale die Dienerin Magdalena. Ich folgte ihr in gehörigem Abstand. Sie führte mich auf die andere Seite der Stadt und mehrere Straßen entlang, die ich nie zuvor gegangen war. So versuchte ich, mir den Weg zu merken, auf dass ich ihn später ohne Schwierigkeiten würde zurückgehen können.

So schritten wir an der Kirche Saint-Sauveur vorbei und kamen unmittelbar danach an ein prachtvolles, helles Bürgerhaus beim Brunnen Fontaine de la Reine. Das Haus war wohlgepflegt, doch still. Kein Laden war an den Fenstern im Obergeschoss geöffnet, die massive Türe war verschlossen, kein Schatten regte sich hinter den Fenstern aus hellem Glas im Erdgeschoss.

Die Dienerin ging zur rechten Seite des Hauses, wo eine kleine Treppe zu einer etwas höher gelegenen Pforte hinaufführte. Es war dies wohl der Eingang für das Gesinde und für Lieferanten, die Waren für die Küche des Hausherren bringen mochten.

Magdalena schlüpfte hinein und ließ die Pforte einen Spalt weit offen. Ich verstand — und blieb draußen auf der Straße stehen. Es war mein Schicksal, dass ich mich durch Hintereingänge in Häuser schleichen musste wie ein Dieb — ein Sünder, der sich nahm, was ihm nicht zustand. Eine Weile sah ich mich um und als ich glaubte, dass niemand meiner achtete, eilte ich mit wenigen großen Sprüngen die Treppe hoch und verschwand im Innern des Hauses.

Ich hatte richtig geraten, denn ich fand mich in einer großen, wohlgepflegten Küche wieder. Allerdings sah es dort so aus, als habe schon seit Tagen niemand mehr gekocht, zumindest nicht für eine größere Gruppe von Menschen. Alles war sauber, ordentlich und aufgeräumt. Niemand war zu sehen, auch Magdalena nicht mehr. Ich eilte durch die Küche, kam auf einen Gang und erspähte, dass von den vielen Türen, die dort zu beiden Seiten die Wände durchbrachen, nur eine geöffnet war: Einen Augenblick später lag Klara in einer winzigen Stube in meinen Armen.

*

Oh süße Lust, die uns alle Sorgen vergessen lässt! Auf dem Weg zum Haus des Wollhändlers hatte ich mich immer wieder umgesehen, aus Sorge um einen geheimnisvollen Verfolger. Ich hatte Angst um Klara.

Mein Geist war verwirrt vom Gesicht des Inquisitors im nächtlichen Licht des Blitzes und vom Anblick des gefolterten Vaganten, der für ein Verbrechen gestorben war, das er nicht begangen hatte. Ich fragte mich, wo sich die terra perioeci befinden mochte und wie ich, ohne Verdacht zu erregen, geografische Werke studieren konnte. Ich fühlte mit der Jüdin Lea, die sich um ihren Vater ängstigte. Ich fürchtete einen Mann, der mit der Linken zwei Männer GOTTES und eine schandbare, mir jedoch teure Frau erstochen hatte. Dann kam Klara und brannte mit ihrem ersten Kuss all die Bedrängnisse meiner Seele zu Asche. Ich seufzte auf und ergab mich ihren Liebkosungen, die ich so viele Tage entbehrt hatte. Erst nach einer langen Zeit kam ich wieder zu Sinnen. Ich lag auf einem schmalen, harten Bett, der nackte Körper meiner Geliebten schmiegte sich noch immer an den meinen. Ich blickte mich um. Das Zimmer der Dienerin war klein, die Wände glänzten kahl, das winzige Fenster ließ nur wenig Licht ins Innere.

Klara, die mich beobachtete, lächelte. »Mach dir keine Sorgen, Ranulf«, flüsterte sie. »Der Wollhändler ist schon im Frühling nach Brügge aufgebrochen. Längst sollte er zurückgekehrt sein, doch seit Wochen hat niemand mehr etwas von ihm gehört. Seine Gattin führt den Haushalt, doch sie verbringt ihre Tage bei einer verheirateten Tochter auf der anderen Seite des Flusses. Sie wird, wie stets, erst am Abend zurückkehren. Sollte sie doch wider Erwarten früher kommen, dann wird sie uns hier in dieser Stube des Gesindes nicht finden. Meine Dienerin Magdalena hat alles vorbereitet.« Ich dachte an die Bettler und Krüppel, welche die Augen der Inquisition waren. Wenn schon diese Elenden würdig waren, der Kirche zu dienen, dann könnten doch sicher auch Dienerinnen dazu auserkoren sein. »Ist Magdalena verschwiegen?«, fragte ich deshalb nicht ohne Unruhe.

Klara lachte. »Es ist ein bisschen spät, dass du dir darüber Sorgen machst, mein Geliebter!«, schalt sie mich neckisch. »Doch sei ohne Furcht: Magdalena ist in meinem Elternhaus groß geworden, folgte mir zu meinem Gatten und ist mir bedingungslos ergeben. Ihr allein traue ich - denn sonst traue ich niemandem mehr.«

Kälte durchfuhr meinen Körper. Ich richtete mich auf und blickte Klara an.

»Was ist vorgefallen?«, begehrte ich zu wissen.

Die Reedersgattin wurde ernst. Die Spottlust, die ich so an ihr liebte, war in ihren Augen erloschen. »Ranulf«, fragte sie mich, »ist es möglich, dass in wenigen Stunden Dinge geschehen mögen, die ein Leben, das doch schon so manches Jahr währt, von Grund auf verändern können?«

Ich lächelte schwach. »Die erste Liebesnacht, die du mir schenktest, währte wohl kaum mehr als eine Stunde — und machte doch zwei Jahrzehnte Keuschheit und Gehorsam zunichte«, erinnerte ich sie. »Und«, setzte ich rasch hinzu, um ihr Gewissen nicht zu belasten, »ich habe diese große Veränderung seither nicht einen Augenblick bereut.«

Klara blieb ernst. »Ich jedoch bereue die Veränderungen der letzten Stunden«, flüsterte sie und seufzte.

»Es begann alles mit der Einladung zum Bischof«, fuhr sie dann fort. »Magister Jean Courtecuisse war äußerst zuvorkommend, ja huldvoll gegen mich und meinen Gatten. Auch wenn — ich gestehe meine weibliche Eitelkeit — es mich schmerzte zu sehen, dass ihm die Reize einer Frau nichts bedeuteten, denn er achtete meiner während des ganzen Abends nicht mehr, als es die Höflichkeit gebot.«

»Ich bin froh zu hören, dass der Bischof von Paris nicht mein Rivale wird«, bemerkte ich da säuerlich.

Sie fand ihr altes Lachen wieder und gab mir einen neckischen Stoß in die Rippen. »Habe ich dir nicht soeben bewiesen, welchem Mann meine Gunst gehört?«, fragte sie mich.

Dann wurde sie wieder ernst. »Nun, trotz all der auserlesenen Speisen, trotz der leisen Musik, die einige Flöten- und Lautenspieler im Nebenraum erklingen ließen, trotz Kerzenlicht und damastenen Tischdecken, trotz all der salbungsvollen Worte des Bischofs kam es mir bald vor, als müssten mein Gatte und ich einem Inquisitor Frage und Antwort stehen.«

Ich dachte daran, wie Meister Philippe den Vaganten verhört hatte, doch verzichtete ich auf eine Erwiderung.

»Höflich und in langen, verschlungenen Sätzen zwar, doch letztlich hartnäckig wie ein Jäger fragte Magister Courtecuisse meinen Gatten nach dem Wann und Wohin der ›Kreuz der Trave‹. Mir schien es, dass der Bischof sehr wohl wusste, dass wir beabsichtigen, in nächster Zeit abzulegen — doch dass er weder das Datum noch das Ziel unserer Reise kannte.

Aus irgendeinem Grund jedoch wagte er auch nicht, meinen Gatten frank und frei danach zu fragen. Er schien auch nicht die Macht zu haben, uns diese Auskünfte einfach zu befehlen — oder unsere Kogge im Hafen festzuhalten, wenn es ihm denn so beliebte. Es war mehr, als wäre Magister Courtecuisse nicht der oberste Seelenhirte von Paris, sondern ein anderer Reeder, der neugierig einen Konkurrenten auszuhorchen versuchte. Neugierig und«, Klara zögerte kurz, »irgendwie auch voller Furcht.«

»Und was antwortete ihm dein Gatte?«

»Oh«, sie lachte, »der Bischof nötigte ihn, ein Glas Burgunder nach dem anderen zu leeren. Das hätte wohl für manches Abendmahl gereicht!«

Als sie meinen entsetzten Blick bemerkte, küsste sie mich und flüsterte. »Verzeih mir, ich vergesse immer wieder, dass du ein keuscher Mann des HERRN bist.«

Dann blickte Klara nach oben zur Decke. Es war, als würden sich die Geschehnisse der letzten Nacht nun vor ihrem Geiste noch einmal zutragen. »Mein Gatte hielt sich achtbar — ob aus Geschick oder aus schierer Not, das vermag ich allerdings nicht zu sagen. Den Tag der Abreise verriet er jedenfalls nicht. Auch das Ziel der Fahrt wusste er geschickt bis zum Ende jener denkwürdigen Einladung zu verschweigen. Hier jedoch vermute ich, dass es ihm leichter fiel als mit dem Datum, denn so sehr der Bischof auch nachfragte und so sehr mein Gatte darüber ins Schwitzen geriet: Ich glaube, dass Magister Courtecuisse nichts von ihm erfahren konnte, weil mein Mann das Ziel selbst nicht kennt.

Ich glaube ferner, dass der Bischof dies irgendwann erkannt haben muss. Denn urplötzlich schien er alles Interesse an uns verloren zu haben. Nach einigen Sätzen, welche die Höflichkeit erforderte, entließ er uns aus seiner Gunst. Es war allerdings auch schon spät — doch die Nacht war da noch längst nicht vorüber.

Wir ließen uns in einer Trage nach Hause bringen, umringt von Dienern und Fackelträgern. Es war zu jenen Stunden, da das Gewitter mit Macht einsetzte. Es regnete, als hätten sich die Schleusen des Himmels geöffnet. Es donnerte und blitzte, dass selbst ich mich fürchtete. Viele Fackeln unserer Diener erloschen im Regen oder in plötzlichen, heftigen Böen. Auch konnte ich aus der Trage heraus kaum etwas erkennen. Und doch: Fast bin ich sicher, dass uns ein Schatten gefolgt ist, von der Residenz des Bischofs bis zum ›Haus zum Hahn‹.« Mich durchfuhr ein Schauder. »Konntest du ihn erkennen?«, fragte ich und wusste doch zugleich, wie überflüssig diese Frage war. Klara schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin ja nicht einmal sicher, dass uns wahrhaftig jemand gefolgt ist. Vielleicht war es auch eine Einbildung meiner überreizten Sinne. Mein Gatte jedenfalls, ermüdet vom vielen Wein und der hartnäckigen Befragung durch den Bischof, schlummerte auf dem Weg ein und bemerkte sicherlich nichts und niemanden.

Zum seligen Schlaf allerdings sollte er noch lange nicht finden. Kaum waren wir im ›Haus zum Hahn‹ angelangt — wir hatten uns noch nicht einmal unserer nassen Obergewänder entledigt —, da klopfte es laut an die Tür. Ich erschrak und mein Gatte wohl ebenso. Trotzdem hieß er einem Diener nachzusehen, wer uns zu dieser späten Stunde zu stören wagte. Es war ein Mönch.«

Ich glaubte, dass sich der Boden unter mir öffnete und ich in den tiefsten Schlund der Hölle fallen würde.

»Welchem Orden gehörte er an?«, wollte ich wissen — und konnte mir die Antwort doch schon denken.

»Es war einer deiner Mitbrüder«, antwortete Klara und bedachte mich mit einem seltsamen Blick. »Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, denn er hatte die Kapuze übergeworfen und unser Haus wurde zu so später Stunde nur durch eine Kerze erhellt, deren flackerndes Licht nicht bis zu ihm reichte.«

»Was wollte der Dominikaner?«, fragte ich.

»Auch das weiß ich nicht. Denn sobald mein Gatte des Mönches ansichtig wurde, verfärbte sich sein Gesicht. Er wurde blass. Dann wies er mich aus dem Zimmer. Seine Worte mir gegenüber waren unhöflich, ja grob, doch hörte ich, wie seine Stimme dabei zitterte. Also schluckte ich die scharfe Erwiderung auf diese Ungehörigkeit, die mir schon auf der Zunge gelegen hatte, wieder hinunter und gehorchte schweigend. Zumindest tat ich so. Denn kaum hatte mein Gatte die Tür hinter mir geschlossen, da schlich ich zurück und versuchte, die beiden zu belauschen. Leider sind die Türen in unserem Haus aus dicken Eichenbrettern, sodass ich kein Wort verstehen konnte. Nur so viel glaube ich zu wissen: Es hörte sich an, als ob der Mönch meinem Gatten in bestimmendem Tonfall Befehle erteilt hätte, die dieser, wiewohl voller Furcht, doch demütig entgegennahm. Ich wagte auch, durchs Schlüsselloch zu spähen, und sah dabei, wie der Dominikaner meinem Gatten ein Buch übergab. Dann jedoch musste ich mich rasch verstecken, denn der Mönch und mein Gatte näherten sich der Tür.

Lautlos eilte ich in unser Schlafgemach, ging zu Bett und stellte mich tief schlummernd. Nach einiger Zeit kam mein Gatte und legte sich zu mir. Der Wein übermannte ihn sofort und er schlief rasch ein, doch seine Angst - ob durch den Besuch beim Bischof verstärkt, durch den Mönch oder beide Ereignisse — quälte ihn weiter. Außerdem erfüllten die zuckenden Blitze und der grollende Donner die Nacht, auf dass nicht einen Moment Ruhe einkehrte in unserem Haus. So warf er sich unruhig hin und her, sprach manches unverständliche Wort und wurde wohl auch von finsteren Albträumen heimgesucht. Ich wartete wohl eine halbe Stunde, ob mein Gatte wieder erwachen würde. Stets trieb er am Rand des Schlummers dahin, ohne jedoch die Augen aufzuschlagen. Deshalb wagte ich es irgendwann, mich vorsichtig und leise vom Bett zu erheben. Eine Kerze mochte ich nicht anzünden, denn ich fürchtete, dass dieses zusätzliche Licht meinen Mann wecken würde. Mir musste das flackernde Leuchten der Blitze genügen.

Zur großen Truhe schlich ich mich, auf die mein Gatte in seiner Müdigkeit achtlos sein Wams geworfen hatte. Dieser Ermattung schreibe ich es auch zu, dass er nicht mehr daran gedacht hat, jenes Buch besser zu verstecken, welches ihm der Mönch zuvor überreicht hatte. Es steckte noch in der Innentasche seines Gewandes. Es war ein alter Kodex, gebunden in brüchiges, braunes Leder.«

Mir schwante Unheimliches. »Um was handelte es sich bei diesem Werk?«, fragte ich - und fürchtete mich doch schon vor der Antwort.

Klara nickte. »Im Licht der Blitze war nur wenig zu erkennen. Ich hatte nur Zeit, es einmal aufzuschlagen. Dann rollte ein so heftiger Donner über den Himmel, dass mein Gatte sich erschrocken im Bett aufrichtete. Ich musste an seine Seite eilen, bevor er richtig erwachte. Danach wagte ich es nicht mehr, das Bett noch einmal zu verlassen. Am nächsten Morgen, ich musste irgendwann entschlummert sein, da waren alle seine Gewänder weggeräumt — und das Buch war verschwunden.«

»Was hast du in jenem kurzen Augenblick gesehen?« drängte ich ungeduldig.

»Landkarten«, verriet mir meine Geliebte. »Ich sah Karten von Ländern und Meeren, doch vermag ich nicht zu sagen, welche Region auf GOTTES Erde ich dort verzeichnet fand. Eines nur weiß ich: Der Name des Kartografen prangte in großen roten Lettern auf der Titelseite.«

»Castorius aus Ravenna«, murmelte ich.

Klara blickte mich überrascht an. »Du weißt es schon?«, entfuhr es ihr.

»Ich ahnte es«, erwiderte ich resigniert.

Meine Hände zitterten, mein Herz raste, meine Gedanken tanzten wirbelnde Kreise. Das geheimnisvolle geografische Werk, das Heinrich von Lübeck in der Nacht seines Todes bei sich getragen hatte, lag nun in den Händen des Reeders. Sollte es von Anfang an in die Hände Richard Helmstedes gelangen? Doch wozu? Es musste etwas mit dessen baldiger Abreise zu tun haben — war sein Ziel auf den Karten des Castorius verzeichnet?

Konnte dieses Ziel irgendein anderes Land sein als die terra perioecp. Welche Rolle spielte dabei Philippe de Touloubre? Ich zweifelte keinen Moment, dass es der Inquisitor war, welcher, sobald er das Buch aus dem Versteck des Vaganten geborgen hatte, den Entschluss fasste, das Werk des Castorius dem Reeder aus Lübeck zu übergeben. Wahrscheinlich war es Meister Philippe selbst, der in der letzten Nacht Richard Helmstede aufgesucht hatte. In der letzten Nacht.

Da war der Inquisitor auch Teilnehmer jener heimlichen Versammlung, die ich, wenn auch nur kurz, gesehen hatte. War er also wahrhaftig beim Reeder gewesen? Klara hatte mir die exakte Stunde nicht sagen können — und ich wusste ja selbst nicht genau, zu welcher Zeit ich Meister Philippe in der Dunkelheit des Klosters erspäht hatte. Gut möglich, dass der Inquisitor zuvor oder danach den Weg zum Reeder gemacht hatte. Dann mochten die nächtlichen Zusammenkünfte irgendetwas mit dem Reeder zu tun haben — und auch mit dem Tod unseres Mitbruders Heinrich von Lübeck.

Andererseits: Ich konnte nicht ausschließen, dass der nächtliche Besucher im »Haus zum Hahn« genau zu jener Zeit anklopfte, da ich Meister Philippe im Kloster in der Rue Saint-Jacques gewahrte — am anderen Ende von Paris, gut eine halbe Stunde Fußweg entfernt. Dann musste es ein anderer Mönch gewesen sein, der Richard Helmstede aufgesucht hatte. Nur wer? Und wie mochte er in den Besitz des Werkes von Castorius gelangt sein? Wusste Meister Philippe davon? Tausend Fragen quälten meine Seele und verwirrten meinen Geist. Ich beriet mich mit Klara und berichtete ihr von allem, was ich wusste und von allem, was ich nur vermutete. Doch auch sie vermochte keine neuen Schlüsse zu ziehen. Anders als ich erkannte sie jedoch, wann es Zeit war, einen Weg, der nirgendwohin führte, wieder zu verlassen. Während ich noch grübelte und alles immer und immer wieder bedachte, redete sie plötzlich in der Sprache der Liebe zu mir. Das ganze Haus war ruhig, kein Laut drang in unsere kleine Stube. Golden war das Licht, das durch das winzige Fenster drang und einen Schimmer um die seidige Haut meiner Geliebten legte gleich einem Heiligenschein, wiewohl sie doch eine Sünderin war.

Während ich noch ausgestreckt auf der Schlafstatt lag und mich in fruchtlosen Überlegungen erging, spürte ich plötzlich ihre Lippen und ihre Fingerspitzen auf meiner Haut. Jeder Kuss und jede Berührung war sanft und zugleich fordernd. Sie brauchte keine Worte, um mir zu befehlen: Komm, ergib dich mir!

So verscheuchte sie meine düsteren Gedanken an die Vergangenheit und die Zukunft. Ganz überließ ich mich ihr und der Gegenwart in unserem stillen Versteck inmitten der großen Stadt Paris. Wir genossen die Wollust mit der Leidenschaft der Verzweiflung. Wir tranken einander, wie Verdurstende das erquickende Nass in sich aufsaugen. Wir hielten uns fest am anderen, als müssten wir allein aus dieser Welt stürzen. Wir liebten uns, als hätten wir in jenem Augenblick schon geahnt, dass wir uns niemals wieder lieben würden.

*

Die Sonne stand schon weit im Westen, als Klara und ich voneinander schieden. »Die Frau des Wollhändlers wird bald zurückkehren«, hatte sie gesagt und mich dann zärtlich gedrängt, mich zu eilen. »Wann werde ich dich wiedersehen?«, fragte ich, da ich schon die Tür der Stube geöffnet hatte.

»Ich werde Magdalena vor das Kloster schicken, wenn die Gelegenheit günstig ist. Nun, da wir dieses Versteck entdeckt haben, mag es hoffentlich häufiger geschehen als zuvor.« Dann verabschiedete sie mich mit einem Kuss. Ich schlich mich aus dem Haus, obwohl ich noch immer kein Geräusch vernahm, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Klaras Dienerin war nirgendwo zu sehen. Doch ich hatte mir glücklicherweise den Weg gemerkt, den wir genommen hatten, sodass ich mich gut zurechtfand.

Meine einzige Sorge war, dass mich jemand erspähen würde, wenn ich aus dem Haus trat. Kaum hatte ich jedoch die Rue Darnetal betreten, erkannte ich, dass diese Furcht unbegründet war, denn die Angst war in die Straßen von Paris zurückgekrochen.

Freude und Hoffnung, welche die Predigt des Bischofs auf alle Gesichter gezaubert hatte, waren wieder wie weggewischt. Viel Volk war auf der Rue Darnetal unterwegs; junge Burschen standen müßig um den Brunnen Fontaine de la Reine. Alle zeigten verdrossene oder furchtsame Mienen. Obwohl sich so viele Menschen auf der Straße drängten, sprach doch kaum jemand ein Wort. Kein Gesang, keine Scherzworte erklangen zwischen den Häusern, kein Kinderlachen erscholl.

Was war geschehen? Vielleicht war es die Totenmesse für die vielen Opfer des Blitzschlages gewesen, welche in der abergläubischen Menge neue Furcht erregt hatte — eine Furcht, die von Mund zu Mund getragen wurde und die niemand stoppen konnte. Möglich auch, dass neue Nachrichten von außerhalb der Stadtmauern nach Paris gebracht worden waren. Hatte sich die Krankheit im Land doch nicht zurückgezogen? War die Seuche vielleicht sogar nähergerückt?

Zwei Ärzte der Universität gingen genau in dem Augenblick, da ich aus dem Haus trat, die Rue Darnetal entlang. Stolz schritten sie einher in ihren purpurnen Gewändern mit pelzbesetzten Kragen, mit Silber durchwirkten Gürteln und güldenen Sporen an den Fersen. Doch niemand entbot ihnen mehr den Respekt, der ihnen gebührte. Es waren zwei ältere Männer, umgeben von wohl einem Dutzend Dienern, und sie schritten mit starren Gesichtern voran, so, als bemerkten sie nicht die gezischten Verwünschungen, die hinter ihnen laut wurden. Noch gestern hatte man sie fast so hoch geehrt wie Männer GOTTES oder Edelleute; heute jedoch murrte das Volk wider sie. Auf einmal flog eine Handvoll Kot durch die Luft und traf einen der Ärzte am Kopf. Die Burschen am Brunnen lachten, während die Diener der medici drohend ihre Stöcke hoben und Schimpfworte ausstießen. Die Ärzte jedoch taten, als sei nichts geschehen. Sie beschleunigten nur ihre Schritte. Fast sah es aus wie eine Flucht. Ich nutzte den kleinen Tumult, den der Auftritt jener unglücklichen Ärzte ausgelöst hatte, um unauffällig vom Haus zur Rue Darnetal zu schreiten und mich dort in die Menge zu drängen. Ein Mönch immerhin blieb noch unbehelligt - wenn ich auch nicht wusste, wie lange dies wohl noch anhalten mochte. Ich drängte mich an einigen Marktweibern vorbei und glaubte mich schon in Sicherheit, denn nach einigen Schritten auf jener belebten Straße mochte niemand mehr meine Anwesenheit mit dem Haus des Wollhändlers in Verbindung bringen - da sah ich eine verhüllte Gestalt.

Am gemauerten Rand des Brunnens, abseits der Burschen und verborgen hinter dem hoch aufragenden Wasserspeier, löste sich plötzlich ein Schatten aus seiner Erstarrung. Es war ein Mann — oder vielleicht war es auch eine Frau. Jedenfalls war der Unbekannte trotz der Sommerhitze in einen grauschwarzen Mantel gehüllt, dessen hochgeschlagene Kapuze sein Gesicht verbarg.

Mir schauderte. Auch ich schlug die Kapuze hoch und beschleunigte meine Schritte.

Die Schattengestalt schwebte fast wie ein Geist vom Brunnen und folgte mir nach.

Ich ging schneller. Wurde ich verfolgt? Von wem? Oder war dies alles nur Ausfluss meiner überreizten Einbildung? Mehrmals blickte ich mich um: Der Unbekannte war stets hinter mir, ja, er schien mir langsam näherzukommen.

Wohin sollte ich mich wenden? Sollte ich auf dem schnellsten Wege zum Kloster zurückkehren? Doch dafür musste ich quer durch Paris laufen. War es da nicht möglich, dass mir der Unbekannte irgendwo auf dem Weg eine Falle stellen mochte? War es nicht besser, ihm zu entkommen, ihn abzuschütteln wie der Hirsch den Jäger? Ich versuchte zu ergründen, ob der Schattenmann wohl Linkshänder sei. Doch beide Arme hielt er in den Falten seines Umhangs verborgen, sodass ich nicht sah, ob er eine Waffe führte — und falls dem so war, in welcher Hand er sie hielt. Doch fürchtete ich, dass ich das nächste Opfer sein könnte, das man in Paris fände, mit einer klaffenden Wunde in der rechten Brust.

So fasste ich mir denn ein Herz, als ich einen älteren Bauern erblickte, der einen Handkarren zog, welcher bis oben hin mit Äpfeln beladen war. Plötzlich nämlich stürzte ich los, stieß den Bauern beiseite, kippte den Karren auf das Straßenpflaster und bog in eine kleine Seitengasse ein, die schon halb im Dunkeln lag.

Hinter mir hörte ich den Bauern fluchen, ein paar Weiber kreischten, Kinder und Burschen lachten und riefen Spottworte. Ich vernahm noch Lärm und dumpfe Schläge, dann war ich schon am Ende der Gasse. Ich kam auf eine große Straße und wandte mich nach links. Ich hoffte, dass der Schattenmann im Durcheinander aufgehalten worden sei, doch wagte ich nicht, Zeit zu verlieren, indem ich mich umdrehte.

Ohne auf die erstaunten Gesichter der Leute und ihre Rufe zu achten, eilte ich die Straße hinunter, so schnell mich meine Füße trugen. Es kam mir zupass, dass ich zu Fuß von Köln nach Paris gewandert war und seither mit Meister Philippe gar manchen weiten Weg durch diese Stadt zurückgelegt hatte. So waren meine Beine kräftig und mein Herz war stark. Ich rannte wohl fast so schnell wie ein Treiber bei den Jagden der adeligen Herren.

Erst nach über einhundert Schritt wagte ich es, den Kopf zu wenden. Mir stockte der Atem: Ich sah den Unbekannten, den ich schon abgehängt glaubte, in der Straße. Er war zurückgefallen - doch ohne Zweifel hatte er mich noch im Blick.

Ich verdoppelte meine Anstrengung und hastete weiter. Plötzlich öffnete sich die Straße vor mir - und ich fand mich auf der Place de Greve wieder. Ich schlängelte mich an Lastenträgern und Seeleuten vorbei, duckte mich hinter Weinfässer und hoch aufgeschichtete Stoffballen, auf dass mein Verfolger mich aus den Augen verlöre. Dann stürzte ich zum Grand Pont und hastete zur Seine-Insel. Wieder blickte ich mich um und wieder sah ich ihn, doch mittlerweile noch weiter entfernt.

Mit letzter Kraft rannte ich auf Notre-Dame zu. Mein Herz hämmerte mir in der Brust, mein Atem schmerzte mit jedem Zug, ich schmeckte bereits Blut in meinem Mund. Ich wollte durch das Hauptportal in die Kathedrale stürzen, da ich mich dort in Sicherheit wähnte, doch im letzten Augenblick hatte ich eine rettende Eingebung: Ich bog ab und eilte stattdessen an der linken Seite des Hauses GOTTES entlang.

»HERR, beschütze mich!«, flehte ich im Geiste, denn für Worte hatte ich keinen Atem mehr.

Und GOTT erbarmte sich meiner.

Ich tauchte ein in das Gewirr der steinernen Streben und Pfeiler, der kühnen Bögen und verwinkelten Vorsprünge, in jenes granitene Labyrinth, welches die Kapellen wie eine Dornenkrone umschließt. Ich betrat das düstere Reich der Schönfrauen und ihrer Liebhaber, der Taschendiebe und Bettler - und jeder Sünder dort, der meine Kutte sah, schreckte zurück, verkroch sich tiefer in das steinerne Dickicht, war Schatten unter Schatten. Das mochte meinen Verfolger, so hoffte ich, bereits gehörig verwirren.

Dann plötzlich sprang ich nach rechts und stürzte mich durch eine Pforte ins Innere der Kathedrale. Es war, wie ich im letzten Augenblick mit einem Schaudern sah, jene Porte Rouge, über der Maria als Himmelskönigin thronte — und vor der Heinrich von Lübeck erstochen worden war.

Im Innern sah ich mich um. Durch die Rosetten strömte gelbes, rotes und blaues Licht in das Schiff von Notre-Dame. Doch die Sonne stand schon so tief, dass manche Fenster kaum noch beschienen wurden. Zwar waren, wie immer, unzählige Kerzen vor den Altären entzündet worden, doch auch ihr flackernder Schein drang längst nicht überall hin.

Andererseits waren noch immer Hunderte Gläubige hier und beteten oder wanderten langsam und gedankenschwer durch das riesige Haus GOTTES. Sie glichen verlorenen Seelen, die lautlos durch das Reich der Toten schwebten.

Ich bezähmte meine Unruhe, senkte demütig den Kopf und ging nun gemessenen Schrittes weiter, bis ich eine Seitenkapelle erreicht hatte, die bereits im Dunkeln lag. Hier verbarg ich mich hinter dem geöffneten Flügel eines Altarbildes.

Irgendwann gewahrte ich den Schattenmann. Er war durch das Hauptportal eingetreten. Ich durfte wieder hoffen, denn war dies nicht ein Indiz dafür, dass er meinen Weg nicht mehr hatte verfolgen können? Dass er sich nicht einmal sicher war, mich in der Kathedrale zu finden? Ich sah an seinem zögernden Schritt und an der Art, wie er den Kopf mal nach links, mal nach rechts wandte — jedoch stets so, dass ich nie sein Gesicht erkennen konnte —, dass mein unbekannter Verfolger ratlos war.

So streifte er durch die Kathedrale wie ein unruhiger Wolf, der wieder Witterung aufnehmen wollte. Andererseits konnte er nicht sicher sein, dass ich mich überhaupt in Notre-Dame verborgen hielt. Er musste damit rechnen, dass ich, während er durch die Kathedrale schlich, längst woanders war und mich mit jedem Augenblick weiter von ihm entfernte.

Ich sah, wie er immer unruhiger wurde, wie er sich immer häufiger nach dem Hauptportal umwandte - als bedauerte er, überhaupt das Haus GOTTES betreten zu haben.

Schließlich hielt es der Unbekannte offensichtlich nicht länger aus, denn plötzlich drehte er sich um und eilte hinaus. Ich atmete auf. Doch hielt ich es für klüger, mich noch länger verborgen zu halten. Erst als die Sonne zum Abend hin rot erglänzte, wagte ich mich durch die Porte Rouge wieder aus Notre-Dame hinaus. Vorsichtig blickte ich mich um: Viele Gestalten sah ich wohl zwischen den Pfeilern und ahnte auch ihr sündhaftes Tun, doch niemand schien mir darunter zu sein, der meinem Verfolger ähnelte. So ging ich denn entlang enger Gassen einen großen Bogen durch die Stadt. Erst nach vielerlei Umwegen durch Paris gelangte ich wieder zu meinem Kloster - und zwar von der stadtauswärts führenden Seite der Rue Saint-Jacques her. Sollte mein Verfolger vorgehabt haben, mich vor dem Kloster abzufangen, dann, so hoffte ich, würde er sich zwischen diesem und der Seine versteckt gehalten haben, denn dies war ja der direkte Weg von Notre-Dame bis dorthin. Doch wie dem auch war, ich gelangte unbehelligt bis zur Pforte, wo mich der Portarius einließ. Der ältere Mitbruder bedachte mich zwar mit einem missbilligenden Blick, doch schwieg er. Ich wiederum wagte nicht, ihn nach einem Unbekannten mit einem grauschwarzen Mantel zu fragen, denn ich wollte nicht noch mehr Misstrauen erregen. Sollte er nämlich Meldung machen beim Prior, dann mochte mir der Ehrwürdige Vater wohl mein freies Kommen und Gehen untersagen.

Ich jedoch wollte das Kloster schon am nächsten Tag wieder verlassen.