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Die Sergeanten schleppten mich in den Kerker der Inquisition. Ich wehrte mich nicht, sondern ließ mich abführen, als hätte ich keinen Willen mehr. Da jedermann vor dem sterbenden Bettler geflohen war, zerrten mich die beiden Bewaffneten durch die verlassene Rue Darnetal. Die Menschen, die wir auf unserem weiteren Weg trafen, achteten kaum auf uns. Zu groß war die Furcht vor der Seuche, als dass sich jemand um zwei Sergeanten und einen Mönch bekümmert hätte. Die erste Folter, welche ich in Saint-Martin-des-Champs zu spüren bekam, war die Qual der Ungewissheit. Denn mit einem heftigen Stoß landete ich in einer der Zellen in jenem unterirdischen Verlies, das ich erst kurz zuvor als Protokollant des Inquisitors betreten hatte.
Dort blieb ich. Stundenlang. Tagelang.
Ich lag auf fauligem Stroh. Wanzen saugten mir das Blut aus den Adern. Ab und an öffnete eine Hand die Klappe in der winzigen Kerkerpforte und schob mir etwas hartes Brot und einen Krug schalen Wassers hin. Beides schlang ich sofort in mich hinein, denn beim ersten Mal, da ich zu erschöpft gewesen und zuvor eingeschlafen war, stellte ich nach dem Erwachen fest, dass Ratten, groß wie kleine Katzen, meine erbärmliche Mahlzeit gefressen hatten. Manchmal fiel der Schimmer einer Kerze oder Fackel durch den Spalt unter der Kerkertür hinein in meine Zelle, die meiste Zeit jedoch blieb es finster wie in einem Grab. Auch vernahm ich nichts: keine Stimme, keine Schritte, nicht das geringste Geräusch. Ich war allein mit meinen Gedanken.
Meine Sorgen galten Lea und Klara. Ob der jungen Jüdin die Flucht geglückt war? War nicht auch die Gattin des Reeders in Gefahr? Denn offensichtlich hatten uns die Sergeanten ja beim Haus des Wollhändlers aufgelauert, also wusste die Inquisition von unserer sündigen Verstrickung dort. Doch was konnte ich noch tun? Nichts, rein gar nichts.
Ich konnte nicht nach Lea suchen. Ich konnte Klara nicht warnen. Ich wusste nicht einmal, ob die beiden noch lebten. Hilflos schlug ich mir die Fäuste an den feuchten, schimmeligen Kerkermauern wund. War es nicht allein meine Schuld, dass diese beiden Frauen nun in höchster Gefahr schwebten? War ich nicht Quell und Ursprung eines jeden Unglücks?
Ich wollte beten, doch fand ich keine Worte, in die ich meine Reue, meine Scham, mein Flehen, meine Hoffnung kleiden konnte. Mutlos sank ich zu Boden und weinte wie ein kleiner Junge. Wie viele Stunden ich dort würdelos im Schmutz lag, vermag ich nicht zu sagen. Irgendwann jedoch durchfuhr mich ein Gedanke: Wie würde es aussehen, wenn genau in diesem Augenblick der Inquisitor die Kerkerpforte öffnete? Sollte man mich so finden, heulend wie ein Waschweib? Wehklagend wie eine Bäuerin? Ich war immer noch Dominikaner. Ich war ein Mann GOTTES. Es war, so glaubte ich, mein letzter Kampf. Also wollte ich ihn kämpfen bis zur Neige.
So ermahnte ich mich, tapfer und besonnen zu sein. Mir fielen die Worte des Baders Nicolas Garmel ein, dass jedermann unter der Folter zusammenbrechen werde. Wohlan, so wollte ich mich wappnen. Auf keinen Fall wollte ich schon aufgeben, noch bevor die Folter überhaupt begonnen hatte. Die beiden Knechte mit ihrer Streckbank und ihren glühenden Eisen sollten sehen, wie ein Mönch in diese Qualen ging.
So setzte ich mich denn nieder, bequem, so weit es eben ging. Dann dachte ich nach, um mir darüber klar zu werden, warum ich überhaupt in diese Hölle auf Erden geraten war, und auch, um alle Dämonen aus meiner Seele zu bannen.
Mein Unglück hatte begonnen, als ich zu dem toten Mönch geführt worden war. Genauer gesagt, es hatte mit der letzten Botschaft des sterbenden Heinrich von Lübeck begonnen: mit den Worten terra perioeci. Das Werk des Castorius aus Ravenna, selbst vielen Gelehrten unbekannt, hatte jener unglückliche Dominikaner bei sich getragen. Dieses Buch hatte jenes geheimnisvolle Land verzeichnet. Und dieses Buch war von dem Vaganten Pierre de Grande-Rue, der zufällig des Weges kam, dem Sterbenden oder schon Toten gestohlen worden. Dann gab es die Verbindung zu Richard Helmstede: Heinrich von Lübeck war Beichtvater von dessen Bruder gewesen. Dieser Bruder wiederum war mit seiner Kogge »Kreuz der Trave« auf eine rätselhafte Irrfahrt geraten, die schließlich den Kapitän und all seinen Männern das Leben gekostet hatte.
Die Kogge. Nun, in der Dunkelheit meiner Zelle und viel zu spät, um noch irgendetwas tun zu können, erinnerte ich mich wieder der eher beiläufigen Worte meiner Geliebten. Klara Helmstede hatte von dem schauderhaft anzusehenden Fell gesprochen, das sie an Bord des Schiffes gefunden hatte, dazu von einem seltsamen Korn. Alles war längst verbrannt worden.
Und doch: War dies nicht ein handfester Beweis dafür, dass die Kogge in einem fernen Land angelegt hatte? Einem Land, in dem schreckliche Wesen lebten und seltsame Pflanzen gediehen? Heinrich von Lübeck hatte dem daniederliegenden Kapitän die Beichte abgenommen. Was hätte ihn besser davon überzeugen können, dass er nicht den Fieberfantasien eines Sterbenden lauschte, sondern einer wahren Geschichte, wenn nicht das Fell und das Korn an Bord der »Kreuz der Trave«?
Heinrich von Lübeck wiederum, mir schauderte, musste das Geheimnis der Beichte gebrochen haben, musste jene Vertrautheit, die doch so groß sein sollte wie die zwischen Vater und Sohn, verraten haben. Was hatte ihn dazu bewogen?
Irgendwie musste er - oder war es der sterbende Kapitän? - zu dem Schluss gekommen sein, dass jenes Land, das die Kogge erreichte, das Land der Periöken sei. Vielleicht erschien das dem Mönch gewichtig genug, um sich gelehrten Mitbrüdern anzuvertrauen. Und wo lebten die gelehrtesten Dominikaner des Abendlandes? In Paris. War Heinrich von Lübeck nach Paris gereist, um hier seinen Mitbrüdern von der terra perioeci zu berichten? Wenn dem so war, dann musste dies zweifellos auch Philippe de Touloubre zu Ohren gekommen sein. Doch hatte dieser, als er die Leiche des Mönches erblickte, mit keinem Wort, mit keiner Geste angezeigt, dass er von jenem Land bereits zuvor gehört hatte. Hatte mich der Inquisitor getäuscht? Oder hatte ich etwas übersehen?
Als Heinrich von Lübeck so ruchlos niedergestreckt wurde, lag die »Kreuz der Trave« jedenfalls schon längere Zeit an dem Kai am Ufer der Seine. Es war außerordentlich, dass eine Kogge aus Lübeck bis nach Paris segelte. Noch ungewöhnlicher war, dass ihr Kapitän offenbar nicht einmal ahnte, warum er dorthin gefahren war. Heinrich von Lübeck musste Richard Helmstede irgendwie überzeugt — oder ihn dazu gezwungen — haben, Paris anzusteuern, obwohl nicht einmal er wusste, wozu. Wusste ich mehr als der Kapitän?
Es war nun nicht mehr schwer zu erraten, dass die »Kreuz der Trave« wohl jenes Land der Periöken ansteuern sollte. Die Karte des Castorius, endlich geborgen aus dem Versteck des Vaganten, die ein namenloser Mönch dem Reeder überreicht hatte: Was konnte sie anderes sein als die Karte, nach der Richard Helmstede den Kurs seines Schiffes richten sollte?
War Heinrich von Lübeck in der Nacht seines Todes mit jenem Werk auf dem Weg zu Richard Helmstede gewesen? Das Haus, das der Reeder gemietet hatte, lag einen langen Fußmarsch von Notre-Dame entfernt; die Kogge hingegen war nur einige Dutzend Schritte weiter festgemacht. Wurde der Mönch ermordet, um jene Karte nicht in die Hände des Reeders gelangen zu lassen? Doch wer sollte dies tun? Und weshalb? Vollendeten die Mitbrüder nun, was Heinrich von Lübeck begonnen hatte? Doch wozu? Weshalb hätte Meister Philippe mir gegenüber von alldem geschwiegen?
Weil dieses Werk oder die Fahrt der Kogge irgendetwas mit jenen Fälschungen zu tun hatte, auf deren Spur ich in der Bibliothek des Kollegium de Sorbon gekommen war — jenen stillen, sorgfältigen, unheimlichen Tilgungen hier und in vielleicht allen Bibliotheken der Christenheit?
War es vielleicht so, dass seit vielen Monaten Bücher allerorten geändert wurden — seit Heinrich von Lübeck sein Wissen um die terra perioeci den Mitbrüdern offenbart hatte? War es möglich, dass Paris das Zentrum jener weit verzweigten Verschwörung war? Falls dem so war: War es denkbar, dass die Mönche ihr Tun sogar dem Heiligen Vater in Avignon verschwiegen hatten? Wurde selbst der Papst von ihnen getäuscht?
Diese und noch viele andere Fragen vermochte ich nicht zu lösen, obgleich ich doch Stunde um Stunde in der Zelle saß und grübelte. Warum etwa war Heinrich von Lübeck kurz vor seiner Ermordung zum jüdischen Geldwechsler Nechenja ben Isaak gegangen? Warum begehrte er, ausgerechnet dort das kaum bekannte Werk »Liber floribus« des Lambert von Saint-Omer zu sehen? Ja, wenn ich Leas Worten Glauben schenken durfte, warum wollte er es gar in seinen Besitz bringen, zumindest aber kopieren? Auch dieses Buch nannte das Land der Periöken - hatte Heinrich von Lübecks Wunsch damit zu tun? Im Mittelpunkt all meiner Fragen stand jedoch Philippe de Touloubre: Welche Rolle spielte der Inquisitor in dem finsteren Spiel? Was wusste er von Heinrich von Lübeck, von terra perioeci, vom rätselhaften Auftrag des Lübecker Reeders? Was hatten die nächtlichen Versammlungen im Kloster, an denen Meister Philippe teilnahm, mit alldem zu schaffen? War Philippe de Touloubre vielleicht noch immer auf der Spur des Mörders? Wollte er die Schleier vor allen Geheimnissen zerreißen? Oder war er doch tief verstrickt in jene Geheimnisse — und suchte nun nach Wegen, sie auch weiterhin zu schützen? Tagelang zermarterte ich mir den Geist und war mir selbst mein eigener Folterknecht. Qualen litt ich, ohne dass dabei ein Tropfen Blut geflossen wäre. Ich wäre wohl dem Wahnsinn verfallen, hätte ich mich noch länger an diesen Rätseln versucht. Doch meine Rettung kam - ausgerechnet in Gestalt des Folterknechtes, der eines Tages im flackernden, rötlichen Schein einer Fackel die Pforte öffnete.
»Mitkommen«, befahl er mir. »Wohin?«, wagte ich zu fragen.
Da glomm ein tückisches Leuchten in seinen Augen auf. »Zur Streckbank«, antwortete er.
*
»Singt ein Ave Maria, Bruder Ranulf«, flüsterte mir der Folterknecht höhnisch zu, als ich mich mühsam aufrichtete und versuchte, mir das faulige Stroh aus der Kutte zu streichen. »Heute ist der Tag der Himmelfahrt der Mutter GOTTES.«
»Mariae Himmelfahrt?«, fragte ich entsetzt. So lange hatte ich schon im Kerker geschmachtet!
Dies war der Tag, an dem die »Kreuz der Trave« Paris verlassen sollte. Sollte ich GOTT lobpreisen, da Klara an diesem Tag jenem Unglücksort entkommen würde? Oder sollte mich Trauer übermannen, da ich sie nun nie wiedersehen würde?
Oh, wie grausam wurde mit mir gespielt! Kaum war ich aus meiner Zelle getaumelt, unbeholfen wie ein Kind, denn meine Gelenke waren steif und meine Glieder schwach, da erblickte ich mit in der ungewohnten Helligkeit blinzelnden Augen am gegenüberliegenden Ende des Ganges eine Gefangene, die in eine andere Zelle geleitet wurde.
Für einen Moment glaubte, ja hoffte ich geradezu, dass Satan meinen Sinnen einen bösen Streich gespielt hatte, doch in meinem tiefsten Innern wusste ich sofort, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Es war Klara Helmstede, die dort in eine Zelle geworfen wurde. Die Frau des Reeders hatte mich nicht gesehen. Ich stand wie betäubt, bis mich der Folterknecht mit einem groben Stoß vorantrieb. Klara im Kerker der Inquisition! Oh HERR, wie lässt DU andere für meine Sünden büßen! Jacquette, die mir vertraut hatte, hatte mit einem tödlichen Messerstich für ihre Rolle in diesem finsteren Drama bezahlt - und ich hatte sie nicht schützen können. Klara wartete nun in einem dunklen Verlies auf das Urteil der Inquisition - und ich war es, der sie auf jenen schrecklichen Weg gestoßen hatte. Dann erkannte ich die heimtückische Absicht hinter jenem kurzen Blick, der mir auf Klara Helmstede vergönnt gewesen war: Der Folterknecht hatte mir nicht zufällig mit Hohnworten klar gemacht, dass jener Tag Mariae Himmelfahrt war. Jemand hatte es ihm aufgetragen, jemand, der genau wusste, dass die »Kreuz der Trave« zu diesem Datum abfahren sollte. Dieser jemand hatte es so eingerichtet, dass ich Klara Helmstede erblicken, jedoch nicht mit ihr sprechen konnte. Eine neue Folter, ganz ohne Blutvergießen.
Zutiefst betrübt ließ ich mich vorwärtsstoßen. Was vermochte ich noch zu tun? In jenem Augenblick ahnte ich, dass ich Klara Helmstede, die mir das Paradies auf Erden geöffnet hatte, in diesem Leben niemals wiedersehen würde.
Ich wehrte mich nicht, als man mich in der Folterkammer auf die Streckbank warf und meine Arme und Beine in Fesseln legte. Noch waren die Stricke recht locker, ich konnte meine Glieder um eine Winzigkeit bewegen und ohne Anspannung atmen. Aus den Augenwinkeln erblickte ich den Bader Nicolas Garmel, der an einer Säule lehnte. Er sah müde und furchtsam aus und wirkte so, als würde er sich am liebsten in den kalten Stein der Säule drücken, um darin zu verschwinden.
Ich wollte ihn nicht gefährden, indem ich dem Folterknecht offenbarte, wie gut ich den Bader kannte. Also starrte ich nur kurz zu ihm hinüber, doch gab ich kein Zeichen der Begrüßung, noch irgendeinen Laut von mir. Auch er blieb stumm und wandte rasch sein Gesicht ab.
Da betrat der Mann die Folterkammer, dessen Anblick ich fürchtete und doch auch herbeigesehnt hatte, mein Verhängnis und meine Erlösung in einer Person: Meister Philippe de Touloubre, der oberste Inquisitor von Paris.
*
Philippe de Touloubre bedachte mich mit einem gütigen und zugleich mitleidigen Blick. »Bruder Ranulf, wie tut es meinem Herzen weh, dich so vor mir zu sehen«, hub er an.
Ich erwiderte nichts, sah jedoch, dass er keinen zweiten Mönch mitgebracht hatte. Niemand würde niederschreiben, was wir uns zu sagen hatten.
»Du hättest ein guter Inquisitor werden können«, fuhr Meister Philippe fort, »denn klug bist du und belesen. Neugierde treibt dich. Doch du bist zu schwach für das heilige Amt. Schwach vor allem im Fleisch. So bist du eine Schande für deinen Orden - und eine Gefahr für die Inquisition.«
»Klara Helmstede ist unschuldig!«, rief ich verzweifelt, denn ich fürchtete, dass er mir vor allem diese Sünde der Wollust vorhalten wollte. »Die Schuld liegt allein bei mir. Ich habe sie verführt.« Der Inquisitor lachte. »Als ob ich dir das glauben würde! Tunc Iesus ductus est in desertum ab Spiritu ut temptaretur a diabolo.« Dann hob er beschwichtigend die Hand.
»Sei unbesorgt um das Weib, das dich vom Pfad der Tugend abbrachte«, fuhr er dann fort und ich meinte, versteckten Spott in seiner Stimme zu vernehmen, obwohl seine Miene noch immer freundlich war und gütig.
»Klara Helmstede habe ich nur in den Kerker führen lassen, um ihren Willen zu brechen — was auch schon geschehen ist. Kein Folterknecht muss Hand an sie legen. Ihr sollte hier nur eindringlich gezeigt werden, dass die Inquisition um ihren Ehebruch weiß und dass wir gewillt sein könnten, ihr Vergehen fürchterlich zu strafen. Wir werden sie jedoch bald wieder freilassen. Mehr noch: Wir werden ihrem Gatten mit keinem Wort die schändliche Treulosigkeit seiner Frau verraten.
Sie wird kaum mehr als einige Stunden hier in diesem Kerker verweilen, sodass Richard Helmstede ihre Abwesenheit nicht einmal auffallen wird, denn zur gleichen Zeit haben wir wichtige Aufträge für ihn, die ihn auf der Kogge festhalten werden.
Seine eigene Gattin wird fortan das Auge der Inquisition sein. Sie wird uns von allen Dingen an Bord des Schiffes berichten, sie wird ihren Gatten und alle Seeleute getreulich beobachten. Klara Helmstede wird der Inquisition bis zum Ende ihrer irdischen Tage ergeben dienen — und damit einen Teil jener großen Schuld abtragen, die sie auf sich geladen hat, indem sie einen Mönch verführte.« Ich schloss ohnmächtig die Augen. Wie kalt waren die Gedanken des Inquisitors, wie präzise, wie erschreckend! Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass er Klara Helmstede vollkommen in seiner Gewalt hatte. Die Ketten, die er um sie geschmiedet hatte, mochten unsichtbar sein — doch waren sie unvergänglich und unzerstörbar. Meine Geliebte würde fortan sein Spitzel sein. Ebenso ergeben und vor Furcht zitternd wie der Bader Nicolas Garmel, der ehemalige Ketzer; ebenso aufmerksam und nach Belohnung heischend wie all die Krüppel und Bettler, die durch die Gassen von Paris schlichen. »Eigentlich wollten wir das Schiff schon losfahren lassen«, unterbrach Philippe de Touloubre meine Gedanken, »doch GOTT gefiel es, die ›Kreuz der Trave‹ noch einige Tage in Paris verweilen zu lassen.«
»Und dann wird sie hinaus auf den Atlantischen Ozean segeln«, sagte ich. »Zum Land der Periöken — wie sie es schon einmal getan hat.«
Philippe de Touloubre strich sich bedächtig über das Haupt und nickte. »Wie tut es meiner Seele weh, dass du nicht die Stärke eines Inquisitors hast«, murmelte er. »Ich hätte dich alles gelehrt, was es zu wissen gibt. Du hättest Inquisitor von Paris werden können und zugleich einer der größten Gelehrten unseres Ordens. Welcher Verlust für uns und für die Christenheit, dass du auf dem Scheiterhaufen enden musst.«
Ich versuchte, mich aufzurichten, so weit es die Fesseln erlaubten. Ich fürchtete mich. Doch GOTT ist mein Zeuge: Meine Angst vor den Flammen war nicht so groß wie meine Angst davor, in Unwissenheit zu sterben.
»Erweist mir, Meister Philippe, die Gnade und erzählt mir, warum ich sterben muss«, flehte ich.
Er blickte mich lange nachdenklich an, dann nickte er. »Selbst im Angesicht des Todes sehnst du dich nach Wissen«, sagte der Inquisitor. »Wohlan, du sollst alles erfahren.
Du hast sehr auf jene Worte geachtet, die Heinrich von Lübeck mit seinem Blut geschrieben hat. So wichtig der Hinweis auf die terra perioeci ist — eine andere Spur hast du darüber übersehen: das Geld.«
»Die Münzen, die Bruder Heinrich bei sich getragen hat«, murmelte ich schwach.
Der Inquisitor nickte. »Ja. Alte Münzen. Alle sind sie älter als vierzig Jahre. Sagt dir das immer noch nichts, selbst jetzt nicht?«
Ich dachte lange nach und plötzlich kam ich mir vor wie der größte Narr der Christenheit. Zugleich durchfuhr mich ein eisiger Schreck ob jenes verfluchten Namens. »Die Templer«, flüsterte ich.
»Ja, die Templer«, stimmte mir Meister Philippe zu. »Der große, mächtige und doch so sündige Ritterorden. Der Orden mit dem größten Schatz der Christenheit …«
»Heinrich von Lübeck trug Münzen aus dem Schatz der Templer bei sich?«, keuchte ich ungläubig.
Der Inquisitor sah mich mitleidig an. »Ein winziger Teil von jenem Gold und Silber«, sagte er und lächelte kalt.
»Es ist eine lange Geschichte«, fuhr er dann fort. Obwohl er sich bemühte, gleichmütig mit mir zu sprechen, konnte ich doch den Stolz aus seiner Stimme heraushören. Er sprach nicht nur, um mein quälendes Unwissen zu beenden. Er sprach auch, um in mir einen staunenden Zuhörer für eine Geschichte zu haben, die er vielleicht in dieser Form noch nie jemandem offenbart hatte denn GOTT. »Es ist nun einundvierzig Jahre her«, sagte Meister Philippe und seine Stimme wurde dabei so leise, dass ihn weder der Folterknecht noch der Bader verstehen konnten, »da ließ König Philipp der Schöne von Frankreich in einer einzigen Nacht alle Templer in seinem Reich in den Kerker werfen. Papst Clemens V. gab seinen Segen dazu. Sieben Jahre währte der Prozess gegen sie, sieben lange Jahre der Folter und der genauesten Befragung, in dieser Zeit waren Sünden fast ohne Zahl ans Tageslicht gekommen: Die Templer, die sich Streiter Christi nannten, beteten in Wahrheit den Satan in Gestalt einer riesigen schwarzen Katze an. Sie schändeten das Andenken Christi und das Kreuz. Sie betrieben Sodomie und hatten Verkehr mit Dämonen. Sie entboten ihrem Prior regelmäßig den ›Kuss der Schande‹, der so sündig ist, dass ich selbst dir, der du die Wollust gekostet hast, nicht verraten werde, was genau es damit auf sich hat. Und ihr in der ganzen Welt gerühmter Mut in der Schlacht, ja ihre Todesverachtung rührte nur von einem Geheimtrunk her, den sie aus der Asche verstorbener Mitbrüder und unehelicher Kinder zusammenrührten. Das zumindest gestanden die Templer.«
Philippe de Touloubre sah mich an und sinnierte. »Ich frage mich, ob ich all diese Dinge auch geglaubt hätte, wäre ich damals schon Inquisitor gewesen«, flüsterte er. »Doch war ich viel zu jung. Nun, da Seine Heiligkeit sie offensichtlich glaubte, müssen sie wahr gewesen sein, denn kann ein Papst in solchen Dingen irren?« Meister Philippe erwartete keine Antwort von mir — und ich war klug genug, ihm meine Meinung nicht kundzutun.
»Vor vierunddreißig Jahren dann«, fuhr er fort, »wurde Großmeister Jacques de Molay zusammen mit Sechsundsechzig weiteren Templern verbrannt. Es geschah vor der Kathedrale Notre-Dame, nur ein paar Schritt von der Stelle entfernt, an der Heinrich von Lübeck sein Leben aushauchte. Der Großmeister war einst der Freund des Königs gewesen und der Pate seiner Tochter. Nun, auf dem Scheiterhaufen, da die Flammen schon an ihm züngelten, rief er in letzter Todesnot: ›GOTT selbst wird mein Rächer sein!‹ Dann umhüllte ihn das Feuer und trug seine Seele von dannen — ob zum Himmel oder zur Hölle, das vermag kein Sterblicher zu sagen.«
»Der Fluch der Templer«, murmelte ich.
»Ja, in der Tat: der Fluch der Templer. Denn starben nicht Papst Clemens V. und König Philipp der Schöne noch vor Jahresfrist, wie de Molay es, schon brennend, geweissagt hatte? Fanden nicht auch alle drei Söhne des Königs, von denen ein jeder ihm auf den Thron folgte, den Tod? Sie waren verschieden jung an Jahren, der älteste starb mit nur dreiunddreißig Jahren, dem Alter unseres Heilandes, da er ans Kreuz geschlagen ward. Und obwohl die drei Söhne mit insgesamt sechs Frauen verheiratet gewesen waren, entspross doch keiner Ehe auch nur ein männlicher Erbe.«
Meister Philippe lächelte kalt. »Im Volk und selbst unter den Gelehrten in Paris wird dies als der Fluch der Templer gesehen — doch wir Inquisitoren wissen es besser …«
Ich blickte Philippe de Touloubre atemlos an, doch der erging sich in Gedanken und schien erst nach längerer Zeit wieder zurückzufinden zu unserem seltsamen Gespräch.
»Jacques de Molay, dessen Seele sich in jenem Augenblick vielleicht schon aus dem Körper löste und SEINES Reiches ansichtig wurde und deshalb klar war wie die keines anderen Menschen je zuvor, dieser Jacques de Molay hat GOTT als Rächer angerufen. Zwar hat ER all jene, welche die Templer verbrannten, zu sich gerufen, doch SEINE Pläne sind nicht so offensichtlich, dass sogar der gemeine Pöbel sie erkennt. Nein, sie sind versteckter, größer und schrecklicher in SEINEM Zorn.
Den legendären Schatz der Templer, all das Gold und Silber, das sie im Abendland und im Heiligen Land in einem Zeitraum von fast zwei Jahrhunderten zusammengerafft hatten, den fanden die Häscher des Königs nicht und auch nicht die Legaten des Papstes. Doch einigen Inquisitoren — allesamt Dominikaner aus Paris — wurde das Geheimnis offenbar. Sie waren die einzigen, die bei der Folterung eines unscheinbaren, ja nichtswürdigen Templers zugegen waren. Doch dieser Ritter, der Niedrigste des Ordens, hatte, wie sich herausstellte, die Kisten mit dem Gold und Silber im Temple zu Paris versteckt — und eines Nachts, nach langer Folter, verriet er das Versteck, bevor er verschied.
Einige Mitbrüder begaben sich noch in nämlicher Nacht zum Temple, folgten den Anweisungen, die der sterbende Templer hinterlassen hatte - und ein junger Mönch entdeckte hinter einer versteckten Pforte Münzen ohne Zahl: nicht eine Truhe, nicht eine Kammer, nein, einen ganzen Rittersaal voller Gold und Silber! Niemals zuvor hat irgendjemand dergleichen Reichtümer an einem Ort gehortet gesehen. Es war ein Funkeln und ein gleißendes Licht, als wären tausend Kerzen entzündet. Der junge Mönch trat in diese Höhle der Schätze. So betäubt war er von dieser Pracht, dass er nicht einmal auf die Schmerzen achtete, die er erlitt, als ein schwerer güldener Leuchter umstürzte und ihm dabei den kleinen Finger der rechten Hand zerschmetterte.«
»Ihr«, flüsterte ich ehrfürchtig und blickte auf die verstümmelte Rechte des Inquisitors, »Ihr wart jener junge Mönch.« Philippe de Touloubre nickte. »Kaum mehr als ein Novize war ich. Nur einem Zufall war es zu danken, dass ich während des Prozesses für einige Wochen aus dem Süden nach Paris entsandt worden war und zu jener Gruppe gehörte, welche den Temple durchstreifte.
Noch in der gleichen Nacht schafften wir den Schatz in ein anderes Versteck. Dort ruht er noch heute an einem verborgenen Ort. Allen sichtbar und dem Himmel so nah wie nirgendwo sonst und doch unsichtbar für die Augen der Uneingeweihten. Nicht der König, ja nicht einmal der Papst weiß davon. Stets sind es nur zwölf Dominikaner, die allesamt der Inquisition zu Paris dienen, die von diesem Schatz Kenntnis haben. Ihnen wiederum unterstehen zwölf Dutzend verschwiegene Mitbrüder, die alle ihnen erteilten Aufträge gewissenhaft ausführen, ohne auch nur zu ahnen, welchen Sinn sie haben.« Meister Philippe unterbrach seine Rede und starrte gedankenverloren zum schmutzigen Deckengewölbe der Folterkammer. »Ich gestehe«, fuhr er schließlich fort, »dass mich dieses Geld in Verwirrung stürzte, wie mich wohl nie eine ketzerische Irrlehre so in Verwirrung gestürzt hat. Denn was sollten wir mit all dem Gold und Silber anfangen?
Überall brennt doch die Christenheit, überall erhebt Satan sein Haupt. Die Sarazenen haben Jerusalem und das ganze Heilige Land zurückerobert: Bethlehem, wo Christus geboren ward, Nazareth, sein Heimatdorf, der Berg, von dem er predigte, der Jordan, in dem er getauft wurde, das Haus zu Kapernaum, da er die Schwiegermutter des Petrus heilte, der Ort, an dem er die Fünftausend speiste, das Grab des Lazarus, Jerusalems Tempel, die Schädelstätte Golgatha, über der sich sein Kreuz einst erhob, und auch das leere Felsengrab — alles in der Hand der Ungläubigen!
Aber sieh dich um, Bruder Ranulf: Wird es einen neuen Kreuzzug geben, das Heilige Land zurückzuerobern? Nein, die christlichen Fürsten des Abendlandes ziehen nicht gen Osten, sie zerfleischen sich in ihren eigenen Reichen. Stehen denn nicht die Englischen und Burgundischen in Frankreich und quälen das Land, statt gen Jerusalem zu fahren? Wer von diesen Landsknechten, wer von den Adeligen, die sie führen, verschwendet auch nur einen Gedanken an Jerusalem? Und das ist längst noch nicht alles. Ketzer predigen Irrlehren mitten in den Ländern der Christenheit: Katharer, Fraticellen und wie sie alle heißen. Mit der Predigt und mit dem Feuer ringt die Inquisition gegen diese Häretiker, doch kaum haben wir irgendwo eine Irrlehre nach harten Kämpfen ausgerottet, da erhebt sich irgendwo anders eine neue Ketzerei. Die Kirche gleicht einem wohlbestellten Garten, in dem wir Inquisitoren Unkraut ausrupfen. Doch so sehr wir uns auch mühen, stets wächst irgendwo ein neues giftiges Kraut aus dem Boden.
Als ob auch dies noch nicht ausreichen würde in unserer Bedrängnis: Selbst im Schoß der Mutter Kirche wächst die Ketzerei, getarnt durch eine neue Gelehrsamkeit. Männer mit zerstörerischer Neugier und einem gefährlichen Wissen tragen das geistliche Ornat. Wie jener Lambert von Saint-Omer, dessen »Liber floribus« du, Bruder Ranulf, doch so gerne gelesen hast. Ein ehrwürdiger Chorherr, fürwahr! Doch in seinem Werk finden sich mehr Ketzereien als in den Schriften der Katharer!
Bist nicht du, mein Mitbruder, selbst ein Beispiel für jene Männer GOTTES, die vom rechten Weg abgekommen sind? Wissen willst du, um des Wissens willen. Dafür zahlst du fast jeden Preis. Hat man dir befohlen, nachts heimlich durch das Kloster zu schleichen? Ist es eine Tugend, den Inquisitor von Paris zu belügen? Gefällt es GOTT, dass du durch Paris gehst und bei Juden einkehrst? Armut, Keuschheit und Gehorsam hast du einst geschworen. Arm bist du, oh ja. Über die Keuschheit wollen wir schweigen. Gefährlich ist jedoch, dass du auch den Gehorsam vergessen hast. Wenn nicht einmal mehr Mönche den Gehorsam der Kirche gegenüber leisten, wer sollte es dann noch tun?
Überall ist die Christenheit bedroht: An den Grenzen schwingen die Ungläubigen das Schwert, im eigenen Land erheben die Ketzer ihr Haupt, während die Männer GOTTES, Mönche wie Ritter, ihre Pflichten vergessen. Allein wir, die DOMINI canes, schützen noch die Herde der Rechtgläubigen vor den reißenden Wölfen. Nun befand sich auf einmal der größte Schatz der Christenheit in unserer Hand. Wir wussten sofort, dass GOTT ihn uns überlassen hatte, um SEINE Kirche zu schützen. Doch wie hätten wir dies tun sollen? Oh, Bruder Ranulf, ich kann dir nicht schildern, wie lange und quälend unsere nächtlichen Zusammenkünfte waren, da ein jeder von uns eine andere Idee hatte. Sollten wir zum Kreuzzug rufen und allen Rittern Geld aus dem Schatz dafür geben? Doch hätten die Landsknechte uns nicht einfach das Geld geraubt und wären von hinnen gezogen, lachend über die edelmütigen Ideen einiger Mönche? Hätten wir mit Geld einen einzigen Ketzer von seinen Irrlehren abbringen können? Oder einen der neuen Männer des Wissens von seiner zerstörerischen Neugier? Sieh dich doch an, Bruder Ranulf: Du bist gefährlich, allein das Gold reizt dich nicht. Deine größte Gier ist die Neugier, doch weltliche Reichtümer lassen dich kalt. Was also tun mit unserem Schatz?
Doch der HERR, der uns jenes Gold gesandt hatte, erbarmte sich unser, als ER sah, dass wir auch nach mehreren Jahren weder aus noch ein wussten.
Eines Tages klopfte Heinrich von Lübeck an die Pforte des Klosters von Saint-Jacques. Ein aufrechter Dominikaner, der den langen Weg von Deutschland bis nach Paris gegangen war, da ihn sein Wissen quälte.
Du ahnst es: Der sterbende Kapitän der ›Kreuz der Trave‹ hatte ihm von der terra perioeci erzählt. Bruder Heinrich war ein älterer Mönch, doch in seiner noch jugendlichen Neugier glich er dir. Was verbarg sich, so fragte er sich in einem fort, hinter jenem geheimnisvollen Land der Periöken? Da er keine Antwort darauf finden konnte, kam er zu uns, denn Paris ist das Zentrum der Gelehrsamkeit. GOTT lenkte seine Schritte — denn dieser Bruder, der nicht in unser Geheimnis eingeweiht war, gab uns endlich den Schlüssel in die Hand, der uns die Tür aus unserem Gefängnis öffnete. Ich erkannte es sofort: Ein Land jenseits des Ozeans, den Christen unbekannt, den Ketzern, den Sarazenen! Es war, ich gestehe es ohne falsche Scham, eine Offenbarung des HERRN! Plötzlich sah ich alles vor meinem geistigen Auge, so klar, als würde es schon geben, was ich mir noch erträumte.
Heinrich von Lübeck hatte uns Kunde von jenem Land gebracht. Wir hatten den Schatz der Templer. Also dachte ich, dass wir beides zusammenbringen müssten. Wir sollten all das Gold und Silber in jenes Land der Periöken schaffen. Dazu ausgesuchte, glaubensstarke, verschwiegene Christen.
Was könnten sie dort, reich und ungestört von Sarazenen, Ketzern, Zweiflern, alles erschaffen! Sie könnten dort siedeln und Kirchen und Städte und Burgen errichten, ohne je Gefahr laufen zu müssen, überfallen zu werden. Sie könnten ihren Glauben rein halten ohne Anfechtung von außen oder von innen. Denn die Inquisitoren würden sie regieren und leiten in allen Dingen. Sie könnten Waffen schmieden und Schiffe bauen …
Ein Neues Jerusalem am jenseitigen Ufer des Atlantiks, das stand vor meinem geistigen Auge: strahlend, machtvoll, rein! Und dereinst, nach vielen Jahren, würden die Glaubensstreiter von dort zurückkehren über den Ozean und unser sündiges Abendland mit Feuer und Schwert und dem Eifer ihrer Religion reinigen. Sie würden weiterfahren nach Jerusalem und die heiligen Stätten erobern, auf dass nie wieder ein Ungläubiger es wage, Hand auf sie zu legen!
Ja, dies alles wurde mir in einem einzigen Augenblick in die Seele gebrannt. Ich sprach mit Engelszungen und überzeugte meine Mitbrüder, nachdem wir uns so viele Jahre uneins waren, in einer einzigen Nacht von jenem Plan. Es war ein Wunder.«
Ich wusste nicht, ob ich die Vision des Inquisitors bestaunen oder fürchten sollte. Sie war hell und strahlend wie ein Feuer - doch verbrennt man sich nicht, kommt man den Flammen zu nahe? »Habt Ihr, …«, ich wagte jene nächste Frage kaum zu stellen, doch der Inquisitor hatte Recht: Ich wollte Wissen haben um jeden Preis. »Habt Ihr Heinrich von Lübeck dann getötet, damit das Geheimnis um die terra perioeci allein bei Euch liegt?«
Philippe de Touloubre schüttelte traurig den Kopf. »Oh nein, mein junger Mitbruder, im Gegenteil: Heinrich von Lübeck war doch SEIN Werkzeug, warum hätten wir da Hand an ihn legen wollen? Zunächst jedenfalls nicht.
Wir haben den Mitbruder aus dem fernen Norden zu einer unserer nächtlichen Zusammenkünfte gerufen - dort haben wir ihn eingeweiht. In alles, den Schatz und den Plan. Da fiel er auf die Knie, Tränen rannen über seine Wangen und er dankte GOTT für diese große Gnade, dass er bei einem so edlen Unternehmen seinen Beitrag leisten dürfe. So nahmen wir ihn auf in unsere Reihen. Als dreizehnten Mönch.
Heinrich von Lübeck war es, der Richard Helmstede dazu überredete, nach Paris zu segeln, mit der ›Kreuz der Trave‹. Denn da niemand von uns weiß, wo jenes geheimnisvolle Land genau liegt und wie es aussieht, dachten wir, es sei das beste, genau jenes Schiff zu nehmen, das erwiesenermaßen diese Reise bereits einmal überstanden hatte. Der Reeder kam denn auch nach Paris und mit ihm seine Gattin, womit wir nicht gerechnet hatten. Aber, wie du siehst: Auch dies war SEIN Wille, denn nun ist Klara Helmstede das Auge der Inquisition. Der Reeder weiß bis heute nicht, wohin die Reise gehen soll. Ich denke, dass er seine Vermutungen hat, doch ist er klug genug und schweigt. Er ahnt nicht, dass ich mit Heinrich von Lübeck in Verbindung stand und ihm Befehle gab. Denn stets schickte ich, wenn Anordnungen zu geben waren, einen unserer verschwiegenen Mitbrüder zu ihm.
Wir haben ihm viel Gold gegeben für die Fahrt — es ist die erste Ausgabe aus dem Schatz der Templer, die wir jemals getätigt haben. Wir lassen Kisten mit den Münzen an Bord bringen, dazu viele Vorräte. Im letzten Augenblick werden zwölf Mönche aus unserem Kreis die Kogge betreten. Sie werden die Gründer des Neuen Jerusalems sein, jenseits des Ozeans.
Richard Helmstede wird zurückkehren und fortan zwischen jenem fernen Land und unserer Christenheit reisen und Menschen und Vorräte transportieren - so wenig, dass es niemandem je auffallen wird. Langsam wird er sorgfältig ausgewählte christliche Siedler und Streiter über den Ozean bringen, ein, zwei Dutzend auf jeder Fahrt. Niemand wird sie vermissen.
Wir hätten den Kapitän schon längst ablegen lassen, doch die Seuche, die nun in Paris wütet, hat alles verzögert. Wir müssen abwarten, bis die Krankheit abgeklungen ist — was, wie ich glaube, schon bald der Fall sein wird. Es wird nur noch ein paar Tage dauern. Nur einmal hat Satan unsere Pläne bislang gestört — eine schreckliche Fügung! Heinrich von Lübeck war dazu ausersehen, einer jener zwölf Mönche zu sein, welche die Ehre haben, das Neue Jerusalem zu gründen. Er freute sich zunächst gar sehr darüber - doch dann befielen ihn Zweifel.
Um alle unsere Spuren zu verwischen, sandten wir verschwiegene Mitbrüder aus, welche, wie du inzwischen weißt, in den Bibliotheken der Christenheit jeden Hinweis auf die terra perioeci löschen sollen. Nur einige wenige zuverlässige Karten wollten wir behalten, für den Kapitän der Kogge. Ansonsten wollten wir alles tilgen, was auf das Land jenseits des Ozeans wies. Denn was ist gefährlicher als ein weiser Text, den ein Unbefugter liest?«
»Aber es ist ein Verbrechen und eine Sünde, so viele Bücher zu fälschen«, flüsterte ich.
Da lachte Meister Philippe und schüttelte den Kopf. »Warum? Wo steht geschrieben, dass es ein Verbrechen ist? Ist es nicht vielmehr so, dass die Inquisition nicht nur einzelne Seiten, sondern ganze Bücher verbrennt, weil sie häretisch und somit gefährlich für die Kirche sind? Diese Stellen über das Land der Periöken sind zwar keine Ketzerei, doch ebenso gefährlich. Also lassen wir seit einem Jahr nach Büchern suchen, die uns bedrohlich dünkten.«
»Du selbst hast mit eigener Hand Bücher gestohlen«, warf ich ihm vorwurfsvoll an den Kopf.
Er nickte. »Ja, das tat ich, in unserem Kloster, im Kollegium de Sorbon und auch noch andernorts. Manchmal bedauere ich dies, doch weiß ich, dass es notwenig war. Das Geheimnis um die terra perioeci rechtfertigt jeden Preis. Jeden.«
»Auch ein Menschenleben.«
»Auch dies.«
Meister Philippe schloss die Augen, seine Züge zeigten Trauer, ja Schmerz. »Heinrich von Lübeck«, fuhr er schließlich fort und senkte dabei die Stimme so weit, dass auch ich ihn nun kaum noch verstehen konnte, »begrüßte freudig unser Ziel und war voller Ehrgeiz. Doch als er erfuhr, dass wir die Bücher verändern mussten, da protestierte er.«
Der Inquisitor lächelte kurz. »Da glich er dir: Auch Heinrich von Lübeck hatte vom süßen Wein des Wissens gekostet und kam nun nicht mehr los davon. Er glaubte, dass es eine unentschuldbare Sünde sei, die Bücher zu nehmen oder Sätze aus ihnen zu tilgen. Immer heftiger wurde sein Protest, immer lauter erhob er seine Stimme. Er drohte, zum Bischof von Paris zu gehen. Er drohte uns sogar mit dem Heiligen Vater.
Wir flehten ihn an, doch zu bedenken, wie herrlich und offensichtlich GOTT gefällig unser Unternehmen ist. Wir beschworen ihn, niemandem etwas von unseren Plänen zu verraten, nun, da er ein Eingeweihter sei. Eindringlich machten wir ihm deutlich, in welche Verwirrung sich die Christenheit stürzen würde, wüsste sie um den Schatz der Templer und um die terra perioeci.
Vergebens. Nicht nur, dass Heinrich von Lübeck von all unseren guten Worten nichts hören wollte. Nein, wir kamen ihm auf die Schliche, dass er seinerseits heimlich damit begann, Werke der Geografie an sich zu nehmen. Dazu stahl er sogar Geld aus den Schatzkisten der Templer! Er wollte all die Bücher kaufen, kopieren, notfalls stehlen, die wir doch verschwinden lassen mussten. Schließlich ging er zum Juden Nechenja ben Isaak …«
»Wusstet Ihr, dass der Geldwechsler eine große Bibliothek besitzt?«, fragte ich, da der Inquisitor nicht weitersprach. »Ja«, gestand er mir. »Wir glaubten, dass wir viel Zeit hätten, sie an uns zu bringen. Kein Christ, so dachten wir, würde bei einem Juden Bücher lesen wollen und wie sollte uns ein Geldwechsler schon gefährlich werden können?
Doch an jenem Abend entdeckte ich, dass unter den Büchern, die wir bereits an uns gebracht hatten, das Werk des Castorius fehlte. Auch waren wieder Münzen verschwunden. Und dann berichtete uns ein Spitzel, dass ein Mönch das Haus des Nechenja ben Isaak betreten habe. Ein Dominikaner.«
Philippe de Touloubre schloss die Augen und betete ein PATER noster. Ich schwieg.
»Heute weiß ich, dass Heinrich von Lübeck beim Juden den ›Liber floribus‹ des ketzerischen Chorherren Lambert von Saint-Omer kopieren wollte. Doch was genau er in dieser Nacht vorhatte und wozu er das Werk des Castorius und die gestohlenen Münzen bei sich trug, war uns allen ein Rätsel.
Wir berieten darüber in jener schrecklichen Nacht, doch bis heute haben wir keine Antwort darauf gefunden.
Wir wussten nicht, was Heinrich von Lübeck als Nächstes unternehmen würde. Eine Befürchtung allerdings hatten wir: dass er mit dem Castorius und der Kopie und den Münzen zum Bischof gehen würde. Die beiden Werke mochten genügen, dem Bischof die Existenz von der terra perioeci zu beweisen, und das Geld würde den Bischof in seiner Gier antreiben, uns unverzüglich mit einem Haufen Bewaffneter zu stellen.
Hätten wir dieses Risiko eingehen dürfen? Hätten wir den Traum vom Neuen Jerusalem in jener Nacht opfern sollen? Nicht einmal die Flucht wäre uns geblieben, denn mit all dem Gold und Silber wären wir zu langsam gewesen.
Wir mussten also sofort etwas unternehmen, noch in jener Nacht. Noch bevor Heinrich von Lübeck das Haus des Nechenja ben Isaak wieder verlassen hatte, mussten wir unsere Entscheidung getroffen haben.«
»Und Ihr habt Euch für den Tod entschieden«, flüsterte ich fassungslos. »Ihr opfertet tatsächlich einen Mönch, einen Mitbruder, einen Mann GOTTES.«
Ich schluckte. Nun war es an mir, ein Gebet zu sprechen. Ich gedachte des toten Heinrich von Lübeck, den ich im Leben nie kennen gelernt hatte.
»Wart Ihr es, Meister Philippe, der in jener Nacht den Befehl gab, den Mitbruder zu erstechen?«, fragte ich schließlich. Im Geheimen hoffte, ja flehte ich, dass wenigstens dies nicht so war; dass jemand anderes diese schreckliche Tat angeordnet hatte; dass Meister Philippe einen solchen Befehl niemals hätte geben können. Doch der Inquisitor starrte mich nur wortlos an und schwieg. Und da verstand ich alles. Ich erinnerte mich plötzlich der Tintenflecke, die ich an jenem allerersten Tag, da ich dem Inquisitor im Kloster vorgestellt worden war, auf seiner linken Hand gesehen hatte. Seiner Schreibhand.
»Ihr seid Linkshänder!«, flüsterte ich. »Tag für Tag habe ich Euch gesehen - und doch ist es mir nie aufgefallen.«
Trauer und Scham übermannten mich und ich weinte, wie ich in meinem Leben noch nie und niemals wieder geweint habe seither. »Ja«, gestand der Inquisitor schließlich. Seine Stimme war kalt, doch hörte ich, wie schwer es ihm fiel, ein Zittern zu unterdrücken. »Ja, ich selbst habe Heinrich von Lübeck mit einem Dolch niedergestreckt. Doch kaum hatte ich die grausige Tat ausgeführt, da hörte ich Schritte. Es war, wie ich nun weiß, der Vagant Pierre de Grande-Rue, der sich, trunken und wollüstig, der Kathedrale Notre-Dame näherte. Ich floh.
Konnte ich denn ahnen, dass jener unglückselige Mönch noch nicht tot war, nachdem ich ihn getroffen hatte? Er war zu Boden gesunken und hatte sich nicht mehr gerührt, doch er muss noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt haben; vielleicht durch die rüden Griffe des Vaganten, der ihn ausplündern wollte und dann seinerseits vor Jacquette und dem Domherrn entfloh.
So ist jedenfalls noch einmal der Geist in Heinrich von Lübeck gefahren und er hat jenen Namen geschrieben, den wir doch um jeden Preis aus dem Gedächtnis der Christenheit tilgen wollten: terra perioeci.
Er wusste genau: Hätte er meinen Namen geschrieben, hätte er geschrieben, dass ich der Mörder bin, niemand hätte dies je geglaubt. Ich bin der oberste Inquisitor von Paris! Vielmehr hätte man gedacht, dass Heinrich von Lübeck mich auf diese Weise aufgefordert hätte, ihn zu rächen.
So aber schrieb er den Namen jenes verbotenen Landes, wohl in der Hoffnung, dass jemand seine blutigen Worte lesen würde, der neugierig sei. So neugierig, dass er sich auf die Suche nach dem Land der Periöken begeben würde und darüber erführe, welche Pläne uns bewegten.
Und ich, der ich am nächsten Morgen gerufen wurde, wusste davon nichts. Welch ein Schrecken durchfuhr mich, da ich schließlich die Blutschrift las!
Und dann gab es dafür auch noch einen Zeugen: dich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich ein Mitbruder zum Ort der Tat begleiten würde. Doch der Prior, der vom Schatz der Templer so wenig weiß wie vom Land der Periöken und der nicht einmal ahnt, dass sich verschwiegene Männer regelmäßig in seinem Kloster zu nächtlichen Versammlungen treffen, dieser heilige Narr verfügte es so, weil du ein Landsmann des Toten warst und er sich davon irgendwie eine Hilfe zur Aufklärung des Rätsels erhoffte.
Wie hätte ich die Anweisung des ehrwürdigen Vaters ablehnen können? Das wäre verdächtig erschienen. Zudem glaubte ich in jenem Moment nicht, dass du mir gefährlich sein würdest. Und so hatte ich jemanden mitgenommen, der genau so war, wie Heinrich von Lübeck es sich im Todeskampf erhofft hatte: jemanden, dem Wissen über alles geht.
Und als du erst einmal die blutigen Worte gelesen hattest, da konnte ich dich nicht mehr aus meinen Diensten entlassen, denn ich befürchtete, dass du, ohne meine Kontrolle, zu unbefugten Ohren davon reden und unwissentlich irgendjemanden auf meine Spur führen würdest. Denn Spuren gab es ja genug.
Noch in der Nacht des Mordes war ich in die Bibliothek des Kollegiums de Sorbon geeilt und hatte jeden Hinweis auf das Land der Periöken im ›Liber floribus‹ getilgt — dafür nutzte ich den Namen des Heinrich von Lübeck. Ich jagte den Vaganten zu Tode. Ich opferte die elende Schönfrau und den wollüstigen Domherrn. Große Sünden beging ich, fürwahr. Eines Tages werde ich mich dafür vor einem Richter verantworten, der in mein Herz sieht. Doch fürchte ich mich nicht, denn mein Herz ist rein. Ich tat, was ich tun musste, um das Neue Jerusalem zu beschützen; um die Kirche zu beschützen; um die Christenheit zu beschützen; um das Reich GOTTES zu begründen!«
Meine Tränen waren längst versiegt. Ich fühlte mich unendlich müde und leer. »HERR, lass mich sterben!«, flehte ich leise. »Nimm mich zu DIR. DEIN Reich will ich sehen, doch nicht auf Erden, sondern im Himmel.«
»Doch wie ich mich auch mühte, alle Spuren zu verwischen«, fuhr der Inquisitor scheinbar ungerührt fort, »stets blieb doch etwas zurück, das auf mich verwies. Ja, fast schien mir, dass ich, je mehr Spuren ich verwischen wollte, nur noch mehr Spuren legte.
Auch dich ließ ich verfolgen. Von dem Augenblick an, da ich gewahrte, dass du unsere nächtlichen Zusammenkünfte belauschen wolltest. Ich erfuhr von den unzähligen Augen der Inquisition, dass du den Geldwechsler Pietro Datini am Grand Pont aufsuchtest. Wozu, das konnte ich mir denken.
Ich wusste, dass du dich mit Lea, der Tochter des Geldwechslers trafst. Sogar das Buch, das sie dir heimlich gab, studierte ich in deiner Zelle, als du fort warst. Und fort warst du ja oft genug. Wir sahen, wie Jacquette mit dir sprach. Ja, du warst es, der uns wieder auf ihre Spur gebracht hatte, nachdem sie den Sergeanten entflohen war. Eine Zeit lang wusste ich nicht, wo sie sich versteckt hielt, und war sehr beunruhigt darüber. Doch als die Schönfrau zu dir kam, konnte sie uns nicht mehr entkommen.
Und dann war da noch Klara Helmstede. Oh Ranulf, wie gerne hätte ich dich geschont! Deine Sünden, so groß sie auch waren, hätte ich dir nachgesehen. Du hättest gesucht und gesucht und doch nichts gefunden. Doch dann trafst du die Gattin des Reeders - jenes Mannes, der in unserem Auftrag zum Land der Periöken segeln soll! Oh, ich weiß, es war die Wollust, welche dich in ihre Arme trieb. Doch konnte ich sicher sein, dass es nur das Fleisch war, das dich zu ihr hinzog, und nicht doch auch der Geist? Sprechen Mann und Frau in der Umarmung nicht manchmal Dinge, die sie, sind sie Herren ihrer Sinne, niemals zu äußern wagen würden?
Als du Klara Helmstede trafst, Bruder Ranulf, da warst du im Herzen unserer Verschwörung angelangt. Du wusstest es vielleicht noch nicht, doch wäre es nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis du alles aufgedeckt hättest. Also schlug ich zu - und ließ dich verhaften. Auch wenn es mich schmerzt, als hätte ich einen Sohn in den Kerker geworfen.«
Was hätte ich da erwidern sollen? Dass mich seine Worte schmerzten, als hätte ich, zum zweiten Mal in meinem Leben, meinen Vater verloren? Oder hätte ich den Inquistor gar bedauern sollen? Hätte ich um Vergebung flehen müssen? Hätte ich Verzeihung erbeten können? Ich sagte nichts dergleichen, denn jedes Wort kam mir nun einer Lüge gleich. Es bedeutete nichts mehr.
Meister Philippe sah plötzlich müde aus. »Die ›Kreuz der Trave‹ wird in wenigen Tagen lossegeln«, sagte er, dann erhob er sich und starrte auf mich, der ich auf der Streckbank lag, hinunter. Sein Blick war so kalt, dass mich fröstelte.
»Die Seuche hat den Steuermann Gernot geholt. Das allein schenkt dir ein paar Tage Leben. Denn wir müssen zunächst einen Ersatz für ihn finden. Dann wird die Kogge Paris verlassen und das Land der Periöken ansteuern.
Ich will so wenig Aufsehen wie möglich erregen. Also werde ich dich erst an dem Tag, da die ›Kreuz der Trave‹ Paris verlassen wird, öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen. Dies wird dem Volk ein großes Schauspiel sein — und niemand wird auf das Schiff achten, wenn es die Seine abwärts segelt. Du hast also noch ein paar Tage Zeit. Lebe wohl. Sammle deine Gedanken, reinige dein Herz und bete!« Mit diesen Worten schlug der Inquisitor das Kreuz über mir, drehte sich um und verließ die Folterkammer, ohne mir noch einmal einen Blick zu schenken.
*
In seiner großen Gnade hatte Philippe de Touloubre darauf verzichtet, mich foltern zu lassen. Ja, er hatte es nicht einmal für nötig erachtet, mich offiziell nach meinen Sünden zu befragen, sodass ich ihm nichts gestehen musste, das im Protokoll für die Ewigkeit verzeichnet worden wäre. Es gab keine Zeugen unserer Unterredung. So unbegreiflich dies klingen mag, ich war traurig darüber, dass mir die Streckbank und die glühenden Zangen erspart geblieben waren, denn ich wollte sterben. Die Folter, so hatte ich gehofft, würde mir die Tür öffnen, um jene Welt aus Blut und Sünde zu verlassen. So aber löste mir der Folterknecht schweigend die Fesseln der Streckbank und stieß mich zurück in meine düstere Zelle. Ich setzte mich dort nieder und haderte mit GOTT.