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»Vielleicht können Sie kurz mit ihm sprechen, Harry.« O'Donnell nickte der Sekretärin zu. »Erlösen Sie Kathy von ihm. Ich warte solange.«
»Also gut.« Der Verwaltungsdirektor griff nach einem seiner beiden Telefone.
»Es ist Leitung vier.« Die Sekretärin wartete, bis die Verbindung hergestellt war, und ging dann in das Vorzimmer zurück.
»Verwaltung.« Tomasellis Ton war freundlich. Dann hörte er mit etwas gerunzelter Stirn dem Mann am anderen Ende der Leitung zu.
O'Donnell konnte die knarrende Stimme aus dem Hörer vernehmen. Er verstand einzelne Worte: ».unmögliche Situation.. .Belastung für die Familie. muß geklärt werden.«
Tomaselli legte seine Hand über die Sprechmuschel. Zu O'Donnell sagte er: »Er ist wirklich in Fahrt. Irgend etwas mit seiner Frau. Ich verstehe noch nicht ganz.« Er hörte noch einen Augenblick zu. »Bitte, Mr. Bryan. Erklären Sie mir von Anfang an genau, um was es sich handelt.« Er griff nach einem Block und nach einem Bleistift und sagte dann: »Ja, Sir.« Eine Pause. »Nun sagen Sie mir bitte, wann Ihre Frau im Krankenhaus aufgenommen wurde.« In dem Hörer rauschte es wieder, und der Verwaltungsdirektor notierte schnell. »Und wer ist Ihr Arzt?« Wieder eine Notiz. »Und das Datum der Entlassung?« Eine Pause. »Ja, ich verstehe.«
O'Donnell verstand die Worte: ».kann keine befriedigende Erklärung bekommen.« Dann sprach Tomaselli wieder.
»Nein, Mr. Bryan, ich entsinne mich im einzelnen nicht an den Fall, aber ich werde nachforschen. Das verspreche ich Ihnen.« Er hörte wieder zu und antwortete: »Ja, Sir, mir ist bekannt, was eine Krankenhausrechnung für eine Familie bedeutet. Aber wie Sie wissen, arbeitet das Krankenhaus zu Selbstkosten.«
O'Donnell konnte immer noch die Stimme in dem Hörer vernehmen, aber sie klang ruhiger, durch Tomasellis entgegenkommenden Ton besänftigt. Jetzt sagte der Verwaltungsdirektor: »Nun, Sir, der Arzt trifft die Entscheidung, wie lange ein Patient im Krankenhaus bleibt. Ich rate Ihnen, noch einmal mit dem Arzt Ihrer Frau zu sprechen, und inzwischen werde ich durch unsere Buchhaltung Ihre Rechnung Punkt für Punkt überprüfen lassen.« Er hörte noch einmal kurz zu. Dann: »Danke, Mr. Bryan. Guten Tag.« Er legte den Hörer zurück, riß das Blatt mit den Notizen ab und legte es in einen Korb mit der Aufschrift >Diktat<.
»Was wollte er denn?« fragte O'Donnell beiläufig. In einem vielbeschäftigten Krankenhaus sind Beschwerden über die Behandlung oder über die Rechnungen nicht selten.
»Er beschwert sich, daß seine Frau zu lange hierbehalten wurde. Nun muß er Schulden machen, um die Rechnung zu bezahlen.«
O'Donnell entgegnete scharf: »Woher weiß er, daß sie zu lange hierbehalten wurde?«
»Er sagt, er habe sich erkundigt, was er damit auch meint.« Nachdenklich fügte Tomaselli hinzu: »Es kann natürlich notwendig gewesen sein, aber die Frau war fast drei Wochen hier.«
»Und was folgt daraus?«
»Normalerweise würde ich dem keine große Bedeutung beimessen, aber wir haben ungewöhnlich viele Beschwerden dieser Art erhalten. Sie sind nicht immer so scharf wie diese hier, liegen allerdings in der gleichen Richtung.«
Ein Gedanke ging O'Donnell durch den Kopf: das Wort Pathologie. Laut fragte er: »Wer war der behandelnde Arzt?«
Tomaselli sah in seine Notizen. »Reubens.«
»Wir wollen versuchen, ihn hierherrufen zu lassen.«
Tomaselli schaltete die Sprechanlage ein: »Kathy«, sagte er, »versuchen Sie, Dr. Reubens zu finden.«
Sie warteten schweigend. Von dem Gang draußen konnten sie die gedämpfte Stimme aus der Lautspreche ranlage des Krankenhauses hören: »Dr. Reubens, Dr. Reubens.« Gleich darauf schnarrte das Telefon. Tomaselli nahm den Hörer ab und meldete sich. Dann reichte er ihn O'Donnell.
»Reub? Hier ist Kent O'Donnell.«
»Ja, was kann ich für Sie tun?« O'Donnell vernahm die dünne, präzise Stimme von Reubens durch den Apparat.
»Hatten Sie eine Patientin« - er blickte auf Tomasellis Notizen, die der Verwaltungsdirektor ihm hingeschoben hatte -, »eine Mrs. Bryan?«
»Ja, das stimmt. Was ist denn? Hat ihr Mann sich beschwert?«
»Sie wissen also davon?«
»Natürlich weiß ich davon.« Reubens klang verärgert. »Persönlich bin ich der Meinung, daß er allen Grund hat, sich zu beschweren.«
»Woran lag es denn, Reub?«
»Es geht darum, daß ich Mrs. Bryan unter Verdacht eines Brustkrebses einwies. Ich habe die Geschwulst entfernt. Sie erwies sich als gutartig.«
»Warum haben Sie die Frau dann drei Wochen hierbehalten?« Während er fragte, ging es O'Donnell durch den Kopf, daß man mit Reubens immer dieses Frage-und-Antwort-Spiel durchlaufen mußte. Er gab selten von sich aus Auskünfte. Jetzt antwortete er: »Fragen Sie am besten Joe Pearson.«
»Es ist einfacher, wenn Sie es mir sagen, Reub.« O'Donnell blieb hartnäckig. »Schließlich handelt es sich um Ihre Patientin.«
Es folgte ein Schweigen. Dann antwortete die dünne, knappe Stimme: »Also gut. Ich sagte schon, daß der Tumor gutartig war. Aber es nahm zwei und eine halbe Woche in Anspruch, um das festzustellen. Solange dauerte es, bis Pearson ihn sich unter dem Mikroskop vornahm.«
»Haben Sie ihn daran erinnert?«
»Nicht nur einmal, sondern über ein halbes Dutzend Mal.
Wahrscheinlich hätte es noch länger gedauert, wenn ich nicht ständig hinter ihm hergewesen wäre.«
»Und das ist der Grund, weshalb Sie Mrs. Bryan hierbehalten haben? Ganze drei Wochen?«
»Natürlich.« Die Stimme am Telefon nahm einen sarkastischen Klang an. »Oder wollen Sie andeuten, ich hätte sie entlassen sollen?«
Reubens hatte in diesem Fall Grund, verärgert zu sein, dachte O'Donnell. Fraglos war er in eine schwierige Lage gebracht worden. Wenn er die Patientin entließ, konnte er gezwungen sein, sie zu einer weiteren Operation ins Krankenhaus zurückzuholen, wie es Bill Rufus passiert war. Andererseits bedeutete jeder Tag mehr im Krankenhaus eine zusätzliche finanzielle Belastung für die Familie. Er antwortete verbindlich: »Ich will nichts andeuten, Reub. Ich stelle nur ein paar Fragen.«
Offensichtlich hatte Reubens sich mit dem Problem beschäftigt. »Dann täten Sie gut daran, mit noch ein paar anderen zu reden. Ich bin nicht der einzige, dem das widerfahren ist. Kennen Sie die Geschichte von Bill Rufus?«
»Ja, ich kenne sie. Offen gesagt war ich der Ansicht, es sei inzwischen besser geworden.«
»Davon habe ich noch nichts gemerkt. Was gedenken Sie wegen Bryans Rechnung zu unternehmen?«
»Ich weiß nicht, ob sich da etwas tun läßt. Schließlich war seine Frau drei Wochen hier im Krankenhaus. Das Krankenhaus ist knapp bei Kasse, wie Sie wissen.« O'Donnell fragte sich: Wie wird Reubens wohl auf die Aufforderung reagieren, sechstausend Dollars zum Baufonds des Krankenhauses beizusteuern?
»Das ist bedauerlich. Der Mann ist sehr ordentlich. Tischler oder so was, der selbständig arbeitet, und er ist nicht versichert. Daran wird er lange zu kauen haben.« O'Donnell antwortete nicht. Seine Gedanken liefen bereits voraus, waren auf das nächste gerichtet.
Wieder kam Reubens Stimme durch die Leitung: »War das alles?«
»Ja, Reub, das war alles. Danke.« Er reichte Harry Tomaselli den Hörer zurück.
»Harry, ich möchte heute nachmittag eine Besprechung abhalten.« O'Donnell hatte sich entschlossen, was er tun wollte. »Wir wollen versuchen, ein halbes Dutzend der älteren Ärzte zu versammeln. Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir uns hier treffen, und ich möchte, daß Sie daran teilnehmen.« Tomaselli nickte. »Das läßt sich machen.« O'Donnell ging im Geist die Namen durch. »Selbstverständlich brauchen wir Harvey Chandler als Chef der inneren Abteilung. Und es wäre gut, wenn auch Bill Rufus und Reubens dabei wären.« Er überlegte. »O ja, und Charlie Dornberger. Er könnte eine Hilfe sein. Wieviel sind das?«
Der Verwaltungsdirektor überflog die Namen, die er niedergeschrieben hatte. »Sechs mit Ihnen und mir. Wie wäre es mit Lucy Grainger?«
O'Donnell zögerte kurz. Dann sagte er: »Also gut, dann sollen es sieben sein.«
»Die Tagesordnung?«Tomaselli hielt seinen Bleistift hoch. O'Donnell schüttelte den Kopf. »Wir brauchen keine. Es gibt nur ein Thema: Die Verhältnisse in der Pathologie.«
Als der Verwaltungsdirektor Lucy Graingers Namen nannte, hatte O'Donnell nur aus einem Grund gezögert. Es erinnerte ihn an sein Zusammensein mit Lucy am Abend vorher.