174189.fb2 Letzte Diagnose - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

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Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, und O'Donnell empfand Erleichterung. Er wußte, daß das Problem verstanden worden war und daß jetzt wenigstens etwas geschehen würde. Wenn dieser Versuch fehlschlug, mußte er unmittelbare Schritte unternehmen. Manchmal, dachte er, wäre es einfacher, wenn das medizinische Protokoll weniger kompliziert wäre. In der Industrie wurde ein Mann, der seine Aufgabe nicht angemessen erfüllte, entlassen. Wenn man wünschte, daß ihm ein Assistent zur Seite stehe, wurde ihm das mitgeteilt, und im allgemeinen war der Fall damit erledigt. Aber in der Medizin und in einem Krankenhaus ging man weniger gradlinig vor. Die Grenzen der Autorität waren selten klar gezogen, und der Leiter einer medizinischen Abteilung war nach seiner Ernennung weitgehend Herr in seinem Reich. Noch wichtiger war, daß man vor wirklich drastischen Maßnahmen zurückscheute, weil man es mit mehr als nur einem Arbeitsplatz zu tun hatte. Man stellte ungern die Fähigkeiten eines Mannes in Frage, der, wie man selbst, von seinem beruflichen Ansehen abhing. Es war eine delikate Frage, bei der eine einzige Entscheidung die gesamte Zukunft und den Lebensunterhalt eines Kollegen beeinflussen konnte. Das war der Grund, weshalb man vorsichtig vorging, Dinge dieser Art sorgfältig verhüllte und dem Einblick von außen entzog.

Harry Tomaselli sagte leise: »Wir werden uns also nach einem Pathologen umsehen müssen, wenn ich richtig verstehe.«

»Ich denke, wir sollten damit anfangen«, antwortete O'Donnell dem Verwaltungsdirektor und sah dann die anderen an. »Ich nehme an, daß die meisten von uns Verbindungen besitzen, durch die man es verbreiten kann. Wenn Sie von irgend jemand hören - vielleicht einem guten Mann, der gerade seine Zeit als Assistenzarzt abgeschlossen hat -, wäre ich dankbar, wenn man mich informierte.«

»Pathologen können gegenwärtig weitgehend nach Belieben wählen«, meinte Bill Rufus.

»Ich weiß. Es wird gar nicht so leicht sein. Das ist ein Grund mehr, Joe vorsichtig zu behandeln«, fügte O'Donnell dann hinzu.

Harry Tomaselli hatte in eine seiner Schreibtischschubladen gegriffen und einen Aktendeckel herausgezogen. »Hier ist vielleicht etwas, das Sie interessiert«, sagte er.

»Was haben Sie denn da?« fragte Harvey Chandler.

»Ich habe kürzlich die Liste der frei werdenden Pathologen erhalten«, antwortete Tomaselli. »Offen gesagt, hatte ich etwas Ähnliches schon erwartet und darum gebeten. Vor ein oder zwei Wochen erhielt ich diesen Namen.«

»Darf ich sehen?« O'Donnell griff nach dem Papier, das Tomaselli in der Hand hielt. Er wußte, daß die sogenannte >Offene Liste< Krankenhäusern auf Verlangen in regelmäßigen Abständen zugeschickt wurde. Sie enthielt Informationen über Pathologen, die für offene Stellen zur Verfügung standen, und die genannten Männer hatten genehmigt, daß ihr Name aufgenommen wurde. Es gab ferner eine vertrauliche Liste, die aber ausschließlich den Mitgliedern des Fachverbandes der Pathologen zur Verfügung stand. Zum größten Teil enthielt die >Vertrauliche Liste < Ärzte, die mit ihrer gegenwärtigen Stellung unzufrieden waren und unauffällig nach einer anderen suchten. Krankenhäuser, die einen Pathologen einstellen wollten, teilten das dem Fachverband mit, der die Ärzte, die auf der >Vertraulichen Liste< standen, informierte. Dann konnte jeder, der wollte, sich direkt an das Krankenhaus wenden. Doch ungeachtet dieser Einrichtung wurden, wie O'Donnell bekannt war, die meisten Pathologen immer noch auf Grund persönlicher Verbindungen und Empfehlungen angestellt.

Er betrachtete das Blatt, das der Verwaltungsdirektor ihm gereicht hatte. Es nannte den Namen eines Dr. David Coleman, einunddreißig Jahre alt. O'Donnell zog die Augenbrauen hoch, als er Colemans Zeugnisse und Ausbildungsgang sah. Mit Auszeichnung die Universität von New York absolviert, Assistent im Bellevue, zwei Jahre in der Armee, den größten Teil als Pathologe, fünf Jahre Assistenzarzt für Pathologie, auf drei gute Krankenhäuser verteilt. Das war ein Mann, der sich um die denkbar beste Ausbildung bemüht hatte.

Er reichte das Papier an Rufus weiter. »Ich bezweifle sehr, daß er uns überhaupt in Frage ziehen wird«, sagte er zu Tomaselli. »Bei seinen Qualifikationen und dem Anfangsgehalt, das wir ihm bezahlen können, glaube ich es nicht.« O'Donnell wußte aus einem früheren Gespräch mit dem Verwaltungsdirektor, daß sich das Gehalt auf etwa zehntausend Dollars im Jahr beschränken mußte.

Rufus sah auf. »Das scheint mir auch. Der Mann kann zwischen den Krankenhäusern in den großen Städten wählen.« Er gab das Blatt an Harvey Chandler weiter.

»Nun, Tatsache ist.« Tomaselli schwieg. Sein Ton war ungewöhnlich zurückhaltend, als ob er seine Worte genau abwäge.

Neugierig fragte O'Donnell: »Ja, was, Harry?«

»Nun, Tatsache ist, daß sich Dr. Coleman für unser Krankenhaus durchaus interessiert.« Tomaselli machte eine Pause. »Ich vermute, daß er etwas von den Veränderungen in letzter Zeit und unseren Plänen für die Zukunft gehört hat.«

O'Donnell beendete das plötzliche Schweigen. »Woher wissen Sie das?«

»Ich habe mit ihm korrespondiert.«

»Ist das nicht etwas ungewöhnlich, Harry?« fragte Rufus.

»Vielleicht war ich voreilig. Aber nachdem ich das da erhielt« - Tomaselli deutete auf das Papier, das Lucy jetzt in Händen hielt -, »schrieb ich an Dr. Coleman. Selbstverständlich nichts Endgültiges. Es war nur ein Vorfühlen, um seine Ansicht kennenzulernen.« Er wandte sich an O'Donnell. »Das war nach unserer Unterhaltung vor etwa zwei Wochen. Sie erinnern sich, Kent?«

»Ja, ich entsinne mich.« O'Donnell wünschte, daß Harry ihn vorher darüber unterrichtet hätte. Natürlich konnte Tomaselli als Verwaltungsdirektor korrespondieren, mit wem er wollte. Er hatte das Krankenhaus damit in keiner Weise festgelegt. Vermutlich war der Briefwechsel vertraulich; er konnte sich möglicherweise als ein geschickter Zug erweisen. Zu Tomaselli sagte er: »Und Sie meinen, er sei interessiert?«

»Ja, er will gern herkommen und sich mit uns unterhalten. Wenn die Sprache nicht gerade darauf gekommen wäre, hätte ich Sie ohnedies unterrichtet.«

Dornberger hatte jetzt das Papier. Er klopfte mit dem Zeigefinger darauf. »Und was soll ich damit?«

O'Donnell sah die anderen um ihre Zustimmung suchend an, »Ich meine, Sie sollten es an sich nehmen, Charlie«, antwortete er, »und ich würde vorschlagen, daß Sie es Joe Pearson zeigen.«

VII

In dem an den Obduktionsraum angrenzenden Zimmer saß Roger McNeil, der Assistenzarzt der Pathologie, und war für das pathologische Kolloquium bereit. Nur Dr. Joseph Pearson fehlte noch, damit sie anfangen konnten.

Im Three Counties Hospital bildete wie in vielen Krankenhäusern das pathologische Kolloquium die zweite Phase der Obduktion. Vor einer halben Stunde hatte George Rinne, der Diener der Leichenkammer, die Organe hereingebracht, die bei den drei Obduktionen dieser Woche herausgenommen worden waren. In weißen Emailleeimern standen zwei Gruppen von Organen nebeneinander und dahinter in Glasgefäßen drei Gehirne. Die Mitte des Raumes nahm ein Steintisch mit einem großen, eingelassenen Becken und einem Wasserhahn darüber ein. Gegenwärtig war der Hahn aufgedreht. Darunter stand der dritte Eimer mit Organen, und das Wasser spülte das Formalin heraus, in dem die Organe aufbewahrt worden waren und das ihnen gleichzeitig einen Teil des schwer zu ertragenden Geruchs nahm.

McNeil warf einen letzten prüfenden Blick um sich. Pearson geriet leicht in Wut, wenn irgend etwas nicht griffbereit lag. Er fand, daß der Raum, in dem sie arbeiteten, seiner Aufgabe angemessen makaber wirkte. Besonders, wenn die Organe nebeneinandergereiht dalagen, wie es in wenigen Minuten der Fall sein würde, und ihm das Aussehen eines Metzgerladens gaben. Er hatte in Krankenhäusern Sezierräume gesehen, in denen alles nur aus schimmerndem, rostfreiem Stahl bestand. Aber das war die moderne Schule, die in der pathologischen Abteilung des Three Counties Hospitals noch keinen Eingang gefunden hatte. Jetzt hörte er die vertrauten, halb schlürfenden Schritte, und Pearson kam herein, von der unvermeidlichen Wolke Zigarrenrauch umgeben.

»Keine Zeit zu verlieren.« Pearson hielt sich selten mit Vorreden auf. »Es ist anderthalb Wochen her, daß ich diese Auseinandersetzung mit O'Donnell hatte, und wir hängen immer noch zurück.« Die Zigarre tanzte auf und ab. »Wenn wir damit fertig sind, wünsche ich eine Überprüfung aller rückständigen pathologischen Befunde. Welches ist der erste Fall?« Während er sprach, hatte er eine schwarze Gummischürze angelegt und Gummihandschuhe übergestreift. Jetzt trat er an den Tisch in der Mitte und nahm Platz. McNeil setzte sich auf einen Hocker neben ihn und sah in die Krankenpapiere des Falles.

»Fünfundfünfzigjährige Frau, Todesursache laut Diagnose des Arztes Brustkrebs.«

»Zeigen Sie her.« Pearson griff selbst nach den Papieren. Manchmal saß er geduldig da, während ihm der Assistenzarzt den Fall schilderte. In anderen Fällen wollte er alles selbst lesen. Darin war er, wie in allem anderen, unberechenbar.

»Hm.« Pearson legte die Papiere hin und drehte den Wasserhahn zu. Dann griff er in den Eimer und tastete darin herum, bis er das Herz fand. Er öffnete es mit beiden Händen.

»Haben Sie den Schnitt gemacht?«

Der Assistenzarzt schüttelte den Kopf.

»Habe ich auch nicht geglaubt.« Pearson betrachtete wieder das Herz. »Seddons?«

McNeil nickte etwas zögernd. Er hatte selbst bemerkt, daß das Herz schlecht aufgeschnitten worden war.

»Das Zeichen des Zorro.« Pearson grinste. »Sieht aus, als hätte er damit ein Duell veranstaltet. Wo ist Seddons übrigens?«

»Ich glaube, in der Chirurgie. Dort wird eine Operation vorgenommen, die er mit ansehen wollte.«

»Sagen Sie ihm, solange er der Pathologie zugeteilt ist, erwarte ich, daß er an allen Kolloquien teilnimmt. Also weiter.«

McNeil balancierte eine Notiztafel auf seinen Knien und war bereit, zu schreiben. Pearson diktierte: »Herz zeigt eine leichte Verdickung und Schrumpfung der mitralen Klappe. Sehen Sie es hier?« Er hob das Organ hoch.

McNeil beugte sich vor. »Ja, ich sehe es«, bestätigte er.

Pearson fuhr fort: »Die Klappenbänder sind verklebt, verkürzt und verdickt.« Beiläufig fügte er hinzu: »Sieht nach einem alten Gelenkrheuma aus. Das war allerdings nicht die Todesursache.«

Er schnitt ein kleines Stück des Gewebes ab und legte es in ein mit einem Schild versehenes Gefäß von der Größe eines Tintenglases. Es sollte später mikroskopisch untersucht werden. Dann schob er mit der Mühelosigkeit langer Übung das übrige Herz genau in ein Loch weiter unten am Tisch. Darunter stand ein Metallkübel. Nach dem Kolloquium wurde er geleert und gesäubert und sein Inhalt in einem Spezialofen zu feiner Asche verbrannt.

Nun nahm Pearson die Lungen. Er öffnete den ersten Lungenflügel wie zwei Seiten eines großen Buches und diktierte McNeil: »Lunge zeigt zahlreiche metastatische Knötchen.« Wieder hielt er das Gewebe hoch, so daß der Assistenzarzt es sehen konnte.

Er hatte sich dem zweiten Lungenflügel zugewandt, als sich hinter ihm eine Tür öffnete.

»Sehr beschäftigt, Dr. Pearson?«

Pearson drehte sich gereizt um. Es war die Stimme von Carl Bannister, dem ersten Laboranten der pathologischen Abteilung. Bannister hatte den Kopf vorsichtig durch die Tür geschoben. Hinter ihm im Gang stand noch jemand.

»Natürlich bin ich beschäftigt. Was wollen Sie?« Es war der Ton, halb drohend, halb vertraulich, den Pearson Bannister gegenüber gewohnheitsmäßig anschlug. Im Laufe der Jahre hatten sich beide daran gewöhnt. Jede etwas freundlichere Note hätte sie wahrscheinlich beide verwirrt.

Bannister blieb ungerührt. Er winkte mit dem Finger nach hinten. »Kommen Sie.« Dann sagte er zu Pearson: »Das ist John Alexander. Sie erinnern sich, der neue Laborant, den Sie in der vorigen Woche angestellt haben. Er beginnt heute mit der Arbeit.«

»Ah ja. Ich vergaß, daß es heute war. Kommen Sie 'rein.« Pearsons Ton war freundlicher als gegenüber Bannister. McNeil dachte, vielleicht will er den Neuen nicht schon am ersten Tag vergraulen.

McNeil musterte den Eintretenden neugierig. Zweiundzwanzig, dachte er. Später erfuhr er, daß er genau richtig geschätzt hatte. Es war ihm bereits bekannt, daß Alexander unmittelbar von einer Fachschule kam, an der er ein Examen als medizinischer Laborant abgelegt hatte. Nun, sie konnten hier so jemand brauchen. Bannister war zweifellos kein Louis Pasteur.

McNeil sah den ersten Laboranten an. Wie üblich kam ihm Bannister wie eine Art Volksausgabe Pearsons vor. Seine untersetzte, füllige Gestalt wurde von einem fleckigen Laborkittel zum Teil verhüllt. Er hatte den Mantel nicht zugeknöpft, sein Anzug darunter war abgetragen und ungebügelt. Bannister war fast kahl, und die wenigen Haare, die er noch besaß, sahen aus, als würden sie nie gepflegt.