174189.fb2 Letzte Diagnose - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

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Lucy Grainger befand sich auf dem Weg zur Pathologie, als Pearsons untersetzte Gestalt vor ihr im Gang des Erdgeschosses auftauchte. Als sie ihn anrief, blieb er stehen.

»Haben Sie etwas Besonderes, Lucy?« Es war sein üblicher rauher, grollender Ton, aber sie war froh, daß sie keine Unfreundlichkeit heraushörte. Sie hoffte, gegenüber seiner schlechten Laune wie immer immun zu sein.

»Ja, Joe. Ich möchte Sie bitten, sich eine meiner Patientinnen einmal anzusehen.«

Er war damit beschäftigt, eine seiner unvermeidlichen Zigarren anzuzünden. Als sie brannte, musterte er die Glut an ihrer Spitze. »Was liegt denn vor?«

»Es handelt sich um eine unserer Lernschwestern, ein Mädchen namens Vivian Loburton. Sie ist neunzehn. Kennen Sie sie?«

Pearson schüttelte den Kopf. Lucy fuhr fort: »Der Fall beunruhigt mich etwas. Ich vermute einen Knochentumor und habe für übermorgen eine Probeexcision angesetzt. Die Gewebeprobe kommt natürlich zu Ihnen hinunter, aber ich dachte, Sie würden sich das Mädchen vielleicht vorher auch einmal ansehen.«

»Gewiß. Wo ist sie?«

»Ich habe sie zur Beobachtung aufgenommen«, antwortete Lucy. »Sie liegt auf dem zweiten Stock. Wollen Sie es jetzt gleich tun?«

Pearson nickte. »Warum nicht?« Zusammen gingen sie in die Haupthalle zu dem Personenaufzug.

Lucys Bitte an Pearson war nicht ungewöhnlich. In Fällen dieser Art, bei denen die Möglichkeit der Bösartigkeit bestand, war es der Pathologe, der das letzte Urteil über den Zustand des Patienten abgab. Bei der Diagnose jeder Art von Tumor wirkten viele sich manchmal widersprechende Faktoren mit, die der Pathologe gegeneinander abwägen mußte. Aber die Entscheidung über einen Knochentumor war noch schwieriger als in anderen Fällen, und Lucy wußte das. Folglich war es für den Pathologen ein Vorteil, an einem derartigen Fall von Anfang an mitzuarbeiten. Auf diese Weise kannte er den Patienten, konnte die Symptome überprüfen und die Ansicht des Röntgenarztes einholen. Das alles trug zu seinem eigenen Wissen bei und half ihm bei der Diagnose.

Als sie in den Aufzug traten, blieb Pearson stehen und stöhnte. Er legte eine Hand auf den Rücken.

Lucy drückte auf den Knopf zum zweiten Stock. Während die Türen zuglitten, fragte sie: »Haben Sie Rückenschmerzen?«

»Manchmal.« Mühsam richtete Pearson sich auf. »Wahrscheinlich von dem zu langen Über-dem-Mikroskop-Hocken.«

Sie musterte ihn besorgt. »Warum kommen Sie nicht zu mir in die Sprechstunde, damit ich es mir ansehe?«

Er puffte an seiner Zigarre und grinste dann. »Das will ich Ihnen gern sagen, Lucy. Ich kann mir Ihre Honorare nicht leisten.«

Die Türen öffneten sich, und sie traten auf den zweiten Stock hinaus. Als sie durch den Gang gingen, widersprach sie: »Sie behandele ich doch ohne Honorar. Ich halte sowieso nichts davon, Kollegen Rechnungen zu schicken.«

Er warf ihr einen amüsierten Blick zu. »Sie sind also nicht so wie die Psychiater?«

»Nein, wirklich nicht.« Sie lachte. »Die schicken einem sogar eine Rechnung, wenn man mit Ihnen die Sprechstundenräume teilt, wie ich gehört habe.«

»Das stimmt.« Lucy hatte Pearson selten so ausgeglichen und gelassen gesehen. »Sie behaupten, das gehöre zu ihrer Behandlung.«

»Hier ist es.« Sie öffnete eine Tür, und Pearson trat zuerst ein. Sie folgte ihm und schloß die Tür hinter sich.

Es war ein kleines Krankenzimmer, in dem nur zwei Patienten lagen. Lucy grüßte eine Frau in dem Bett neben der Tür, trat dann zu dem zweiten Bett, in dem Vivian lag und von der Zeitschrift aufblickte, in der sie gelesen hatte.

»Vivian, dies ist Dr. Pearson.«

»Hallo, Vivian«, sagte Pearson abwesend, während er das Krankenblatt nahm, das Lucy ihm reichte.

Höflich antwortete Vivian: »Guten Tag, Doktor.«

Für Vivian war es immer noch rätselhaft, weshalb sie überhaupt hier lag. Sie hatte wieder Schmerzen in ihrem Knie gehabt, das stimmte, aber es schien ihr nicht wichtig genug, um deshalb im Bett zu liegen. Allerdings hatte sie auch nicht viel dagegen einzuwenden. In gewisser Weise war ihr die Unterbrechung in dem Schwesternkursus willkommen, und es war eine angenehme Abwechslung, lesen und sich ausruhen zu können. Mike hatte auch gerade angerufen. Er schien besorgt, nachdem er gehört hatte, was geschehen war, und hatte versprochen, später, sobald er könne, zu ihr zu kommen.

Lucy zog den Vorhang zwischen den beiden Betten vor, und jetzt sagte Pearson. »Zeigen Sie mir bitte Ihre beiden Knie.«

Vivian schlug die Bettdecke zurück und zog den Saum ihres Nachthemdes hoch. Pearson legte das Krankenblatt hin und beugte sich zur Untersuchung vor.

Lucy beobachtete, wie die kurzen, plumpen Finger des Pathologen vorsichtig ihre Beine betasteten.

Sie dachte: Für jemand, der zu anderen Leuten so grob sein kann, ist er überraschend zart. Einmal stöhnte sie unter dem Druck seiner Finger auf. Pearson blickte auf. »Hier tut es Ihnen weh, wie?« Vivian nickte.

»In Dr. Graingers Aufzeichnungen steht, daß Sie sich vor etwa fünf Monaten das Knie angeschlagen haben?« fragte er.

»Ja, Doktor.« Vivian gab sich große Mühe, die Tatsachen wahrheitsgemäß zu berichten. »Zunächst konnte ich mich nicht mehr daran erinnern. Erst als ich genau nachdachte. Ich stieß damit gegen den Boden eines Schwimmbeckens. Vielleicht bin ich zu tief getaucht.«

Pearson fragte: »Hat das damals sehr weh getan?«

»Ja, aber die Schmerzen vergingen bald, und später dachte ich nicht mehr daran. Es fiel mir jetzt erst wieder ein.«

»Gut, Vivian.« Er winkte Lucy, die die Bettdecke wieder heraufzog.

Er fragte Lucy: »Haben Sie die Röntgenaufnahmen?«

»Hier sind sie.« Sie reichte ihm einen großen, braunen Umschlag. »Es sind zwei Serien. Die erste Serie zeigt gar nichts.

Dann machten wir weichere Aufnahmen, um die Muskeln erkennen zu können, und diese Aufnahmen zeigen eine Veränderung am Knochen.«

Vivian hörte dem Gespräch interessiert zu. Sie fühlte sich plötzlich wichtig, weil sie in seinem Mittelpunkt stand.

Pearson und Lucy waren zum Fenster getreten, und der Pathologe hielt die Röntgenaufnahmen gegen das Licht. Als er den zweiten Satz studierte, deutete Lucy: »Dort. Sehen Sie?« Gemeinsam betrachteten sie den Film.

»Ah ja.« Pearson grunzte und reichte ihr die Filme zurück. Seine Einstellung gegenüber Röntgenaufnahmen wurde immer durch die Vorbehalte eines Spezialisten bestimmt, der sich auf das unbekannte Gebiet eines anderen vorwagt. Er sagte: »Schatten aus dem Land der Schatten. Was meint die Röntgenabteilung dazu?«

»Ralph Bell bestätigt die Veränderung«, antwortete Lucy. »Aber er kann nicht genug sehen, um eine Diagnose zu stellen. Er ist auch der Ansicht, daß ich eine Probeexcision vornehmen soll.«

Pearson drehte sich wieder der Patientin zu: »Wissen Sie, was eine Probeexcision ist, Vivian?«

»Ich habe eine ungefähre Vorstellung« - das Mädchen zögerte -, »aber ganz genau weiß ich es nicht.«

»Das haben Sie in Ihrem Schwesternkursus wohl noch nicht durchgenommen, wie?«

Sie schüttelte den Kopf.

Pearson erklärte: »Nun, Dr. Grainger beabsichtigt, ein kleines Stück Knochengewebe unter Ihrem Knie herauszunehmen, gerade dort, wo etwas nicht in Ordnung zu sein scheint. Das kommt dann zu mir herunter, und ich werde es untersuchen.«

Vivian fragte: »Und können Sie daraus sehen, was damit ist?«

»Meistens kann ich das.« Er wollte gehen, zögerte dann. »Treiben Sie viel Sport?«

»O ja, Doktor. Tennis, Schwimmen, Skilaufen.« Sie fügte hinzu: »Ich reite auch sehr gern. In Oregon bin ich sehr viel geritten.«

»So, in Oregon«, antwortete er nachdenklich, und dann, während er sich abwendete: »Nun gut, Vivian, das ist im Augenblick alles.«