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»Aber verstehen Sie denn nicht? Ohne diesen Test gibt es keine unbedingte Gewißheit.« Alexander sprach nachdrücklich, ohne sich bewußt zu werden, daß er seine Stimme erhoben hatte. »Die beiden Tests, die hier ausgeführt werden, können zu einem negativen Ergebnis führen, obwohl das Blut der Mutter doch sensibilisiert und für das Kind gefährlich ist. Ohne ihn kann man ein Neugeborenes töten.«
»Nun, es ist nicht unsere Aufgabe, uns darüber den Kopf zu zerbrechen.« Bannister antwortete in seinem gröbsten Ton. Er schrie die Worte beinahe.
»Aber.«
»Da gibt es kein Aber. Pearson legt keinen Wert auf neue Methoden - besonders nicht, wenn sie mehr Geld kosten.« Bannister zögerte, und seine Aggressivität milderte sich etwas. Es war ihm bewußt, daß es eine Minute vor fünf war, und ihm lag daran, das Gespräch zu beenden und fortzugehen. »Passen Sie auf, mein Junge. Ich will Ihnen einen Rat geben. Wir sind keine Ärzte, und es wäre klug von Ihnen, wenn Sie aufhörten, sich als Arzt aufzuspielen. Wir sind Laboranten, und wir arbeiten hier so, wie es uns befohlen wird.«
»Soll das etwa heißen, daß ich nicht denken darf?« Nun wurde Alexander erregt. »Ich weiß nur, daß ich Wert darauf lege, daß der Test mit dem Blut meiner Frau in Salzlösung und in Protein und in Coombs-Serum durchgeführt wird. Sie interessiert das vielleicht nicht, aber für uns ist dieses Kind zufällig wichtig.«
Von der Tür sah der ältere Mann Alexander prüfend an. Er konnte jetzt klar erkennen, was er bisher nicht bemerkt hatte -der Junge da war ein Stänkerer. Und was mehr war, Stänkerer hatten die Gewohnheit, andere in Ungelegenheiten zu bringen. Vielleicht sollte man diesen eingebildeten Collegeschüler sich den Hals brechen lassen. Bannister sagte: »Ich habe Ihnen meine Meinung gesagt. Wenn Ihnen das nicht paßt, dann gehen Sie selbst zu Pearson. Sagen Sie ihm ruhig, daß Sie mit der Art und Weise, in der hier gearbeitet wird, nicht zufrieden sind.«
Alexander sah den ersten Laboranten fest an. Dann antwortete er ruhig: »Vielleicht tue ich das auch.«
Bannister verzog den Mund. »Ganz wie Sie wollen. Aber vergessen Sie nicht: ich habe Sie gewarnt.«
Nach einem letzten Blick auf die Uhr ging er hinaus und ließ John Alexander allein im Labor zurück.
XII
Vor dem Haupteingang zum Three Counties Hospital blieb Dr. David Coleman stehen, um sich umzusehen. Es war ein paar Minuten nach acht an einem warmen Morgen Mitte August, und jetzt schon stand ein drückend heißer Tag zu erwarten. In diesem Augenblick herrschte vor dem Krankenhaus wenig Leben. Außer ihm waren die einzigen Menschen in Sicht ein Hauswart, der mit einem Schlauch einen Teil des Staubes vom gestrigen Tage von dem Vorplatz schwemmte, und eine Schwester mittleren Alters, die auf der anderen Straßenseite gerade aus einem Bus gestiegen war. Er nahm an, daß der Betrieb des Krankenhauses etwa erst in einer Stunde voll einsetzen würde.
David Coleman ließ seinen Blick über den Gebäudekomplex wandern, der das Three Counties Hospital bildete. Zweifellos konnte man den Erbauern des Krankenhauses nicht vorwerfen, daß sie für ästhetisches Beiwerk Geld vergeudet hätten. Die Architektur war nüchtern, zweckbestimmt, die kahle Ziegelfront wurde durch kein anderes Mauerwerk belebt. Sie bestand aus einer Aneinanderreihung konventioneller Rechtecke: Mauern mit Türen und Fenstern. Nur neben dem Haupteingang fand sich eine Unterbrechung. Dort gab eine einzige behauene Natursteinplatte bekannt: »Der Grundstein wurde von dem ehrenwerten Bürgermeister Hugo Stouting im April 1918 gelegt.« Während David Coleman die Stufen zum Eingang hinaufstieg, fragte er sich, was für eine Art Mensch dieser langvergessene Würdenträger gewesen sein mochte.
Carl Bannister ordnete Papiere auf Dr. Pearsons Schreibtisch, als Coleman an dem Arbeitszimmer des Pathologen anklopfte und eintrat.
»Guten Morgen.«
Überrascht blickte der erste Laborant auf. Es war ungewöhnlich, daß so früh am Morgen Besucher kamen. Die meisten im Krankenhaus wußten, daß Joe Pearson selten vor zehn Uhr im Krankenhaus erschien, manchmal wurde es noch später.
»Guten Morgen.« Er erwiderte den Gruß nicht allzu freundlich. Am frühen Morgen war Bannister nie in der besten Laune. Er fragte: »Suchen Sie Dr. Pearson?«
»In gewisser Weise, ja. Ich beginne heute hier zu arbeiten.« Als er Bannisters Überraschung bemerkte, fügte er hinzu: »Ich bin Dr. Coleman.«
So ähnlich muß eine Henne reagieren, wenn man ihr Knallfrösche unterschiebt, dachte Coleman. Bannister ließ die Papiere schnell fallen und kam fast im Laufschritt um den Schreibtisch herum. Sein kahler Schädel glänzte. »Oh, verzeihen Sie, Doktor. Das wußte ich nicht. Ich habe zwar gehört, daß Sie kommen, hatte aber keine Ahnung, daß es so bald sein würde.«
Ruhig antwortete Coleman: »Dr. Pearson erwartet mich. Ist er übrigens schon im Haus?«
Bannister schien schockiert. »Dazu ist es noch zu früh. Er wird kaum vor zwei Stunden kommen.« Sein Gesicht verzog sich zu einem vertraulichen Von-Mann-zu-Mann-Lächeln. Er schien zu sagen: Ich erwarte, daß Sie die gleichen Arbeitsstunden einhalten, sobald Sie hier nicht mehr neu sind.
»Ah so.«
Während Coleman sich umsah, fiel Bannister ein, daß er etwas versäumt hatte. Er sagte: »Übrigens, Doktor, ich bin Carl Bannister, der erste Laborant.« Mit wohlüberlegter Liebenswürdigkeit fügte er hinzu: »Ich nehme an, wir werden viel miteinander zu tun haben.« Aus Prinzip riskierte Bannister gegenüber jedem, der ihm vorgesetzt war, nichts.
»Ja, das nehme ich auch an.« Coleman war sich nicht sicher, ob ihm die Aussicht besonders zusagte. Aber er drückte Bannister die Hand und sah sich dann nach einem Platz um, wo er den leichten Regenmantel aufhängen konnte, den er mitgebracht haue. Der Wetterbericht hatte am frühen Morgen Gewitter im Verlauf des Tages vorausgesagt. Wieder bemühte Bannister sich eifrig, gefällig zu sein und einen guten Eindruck zu machen.
»Geben Sie mir Ihren Mantel.« Er fand einen Kleiderbügel und hängte den Mantel auf dem Bügel sorgfaltig an einen Haken neben der Tür.
»Danke«, sagte Coleman.
»Nichts zu danken, Doktor. Soll ich Sie jetzt durch die Labors führen?«
Coleman zögerte. Vielleicht war es richtiger, auf Dr. Pearson zu warten. Andererseits waren zwei Stunden eine lange Zeit, um nur herumzusitzen, und er konnte in der Zwischenzeit ebensogut etwas tun. Die Labors würden ohnehin sein Arbeitsbereich sein. Was machte es also aus? Er antwortete: »Einen Teil der Labors hat mir Dr. Pearson bereits gezeigt, als ich vor ein paar Wochen hier war. Aber ich werde sie mir noch einmal ansehen, falls Sie nicht zuviel zu tun haben.«
»Nun, wir haben natürlich immer viel zu tun, Doktor, aber ich nehme mir gern die Zeit für Sie. Es ist mir sogar ein Vergnügen.« Bannisters Gedanken waren unglaublich leicht zu durchschauen.
»Hier, bitte.« Bannister hatte die Tür zum serologischen Labor geöffnet und trat beiseite, um Coleman vorzulassen. John Alexander, der Bannister seit der Auseinandersetzung am Abend vorher noch nicht gesehen hatte, blickte von der Zentrifuge auf, in die er gerade eine Blutprobe einsetzte.
»Das ist John Alexander, Doktor. Er ist kürzlich bei uns eingetreten.« Carl Bannister erwärmte sich an der Rolle des Fremdenführers. Er fügte scherzend hinzu: »Noch nicht ganz trocken hinter den Ohren. Kommt unmittelbar von der Fachschule, nicht wahr, John?«
»Wie Sie meinen«, antwortete Alexander unverbindlich. Die Herablassung ärgerte ihn, aber er wollte nicht grob werden.
Coleman trat vor und streckte seine Hand aus. »Ich bin Dr. Coleman.«
Während sie sich die Hände schüttelten, fragte Alexander interessiert: »Dann sind Sie der neue Pathologe, Doktor?«
»Ja, das bin ich.« Coleman sah sich um. Wie bei seinem vorhergehenden Besuch konnte er sehen, daß hier sehr vieles anders wer den mußte.
Bannister sägte großspurig: »Sehen Sie sich nur um, Doktor. Betrachten Sie sich alles, was Sie wollen.«
»Danke.« Coleman wandte sich wieder Alexander zu und fragte: »Woran arbeiten Sie gerade?«
»An einem Blutsensibilitätstest.« Er deutete auf die Zentrifuge. »Diese Probe stammt übrigens von meiner Frau.«
Coleman stellte fest, daß dieser junge Laborant ihm erheblich besser gefiel als Bannister, jedenfalls in der äußeren Erscheinung. »Wann erwartet Ihre Frau das Kind?« fragte er.
»In etwas über zwei Monaten.« Alexander balancierte die Zentrifuge aus, schaltete sie ein und griff dann nach der Zeiteinstellung. Coleman bemerkte, daß seine Bewegungen knapp und flink waren. In der Art, wie der junge Mann mit seinen Händen arbeitete, lag etwas Müheloses, Fließendes. Höflich fragte Alexander: »Sind Sie verheiratet, Doktor?«
»Nein.« Coleman schüttelte den Kopf.
Alexander schien im Begriff, eine weitere Frage zu stellen, unterdrückte sie dann aber.
»Wollten Sie noch etwas fragen?«
Für einen Augenblick entstand eine Pause. Dann entschloß sich Alexander. »Ja, Doktor. Das würde ich gern«, antwortete er.
Ob es nun Ärger gibt oder nicht, dachte Alexander, zumindest konnte er seine Zweifel offen aussprechen. Gestern abend nach der Auseinandersetzung mit Bannister, war er versucht gewesen, die ganze Frage des dritten Sensibilitätstests mit den Blutproben, die ins Labor kamen, fallenzulassen. Er entsann sich nur zu gut der Abfuhr, die er von Dr. Pearson bei seinem letzten Vorschlag erhalten hatte. Mit diesem neuen Arzt schien sich allerdings besser reden zu lassen. Und selbst wenn er der Ansicht war, daß Alexander sich irrte, schien es nicht wahrscheinlich, daß er daraus eine große Szene machen würde. Alexander wagte es also. »Es geht um die Bluttests, die wir hier zur Sensibilitätsbestimmung durchführen.«
Als er sprach, wurde ihm bewußt, daß Bannister im Hintergrund stand. Der erste Laborant bewegte seinen Kopf in gespannter Aufmerksamkeit hin und her, damit ihm nichts entging, was gesagt wurde. Jetzt trat er verärgert und aggressiv vor, um Alexander zur Ordnung zu rufen. »Hören Sie mal. Wenn Sie mit der gleichen Geschichte wie gestern abend anfangen wollen, behalten Sie das besser für sich.«
Coleman fragte interessiert: »Über was sprachen Sie gestern abend?«
Bannister ignorierte die Frage und fuhr in zurechtweisendem Ton zu Alexander fort: »Ich will nicht, daß Dr. Coleman mit diesen Geschichten, schon fünf Minuten, nachdem er hier ankommt, belästigt wird. Haben Sie verstanden?« Er wandte sich Coleman zu und setzte sein automatisches Lächeln auf. »Das ist nur eine verrückte Idee von ihm, Doktor. Wenn Sie jetzt mit mir weiterkommen wollen, zeige ich Ihnen das histologische Labor.« Er legte eine Hand auf Colemans Arm, um ihn fortzuführen.
Ein paar Sekunden bewegte Coleman sich nicht. Dann griff er nach unten und schob die Hand nachdrücklich von seinem Arm fort. »Einen Augenblick noch«, sagte er ruhig. Dann zu Alexander: »Handelt es sich um eine medizinische Frage? Hat es mit der Laborarbeit zu tun?«
Alexander vermied geflissentlich, in Bannisters finsteres Gesicht zu sehen und antwortete: »Ja, Doktor.«
»Also gut. Lassen Sie hören.«