174189.fb2
Coleman lächelte. »Das ist bei vielen Eheleuten der Fall. Daraus ergibt sich noch kein Problem, solange der Sensibilitätstest negativ ausfällt.«
»Das ist ja gerade der Punkt, Doktor, der Test.«
»Wieso?« Coleman war verwundert. Ihm war durchaus nicht klar, worauf der junge Laborant hinauswollte.
Alexander erklärte: »Ich bin der Ansicht, wir sollten bei Sensibilitätstests mit allen Blutproben einen indirekten Coombs-Test ausführen, nach den Tests in Salzlösung und konzentriertem Protein.«
»Selbstverständlich. «
Darauf folgte Schweigen. Alexander brach es schließlich. »Würden Sie das bitte noch einmal sagen, Doktor?«
»Ich habe gesagt: selbstverständlich. Natürlich muß ein indirekter Coombs durchgeführt werden.« Coleman verstand immer noch nicht, worauf diese Diskussion abzielte. Für ein serologisches Labor war das eine elementare, grundlegende Selbstverständlichkeit.
»Aber hier wird kein indirekter Coombs durchgeführt, Doktor.« Alexander warf Bannister einen triumphierenden Blick zu. »Die Rh-Sensibilitätstests werden hier nur mit Salzlösung und mit konzentriertem Protein vorgenommen. Coombs-Serum wird hier überhaupt nicht verwendet.«
Zunächst war Coleman überzeugt, daß Alexander sich irren müsse. Anscheinend arbeitete der junge Laborant erst seit kurzer Zeit hier, und zweifellos verwechselte er etwas. Aber dann ließ der überzeugte Ton, mit dem Alexander gesprochen hatte, Coleman stutzig werden. »Stimmt das?« fragte er Bannister.
»Wir führen alle unsere Tests entsprechend den Anweisungen von Dr. Pearson durch.« Der alte Laborant gab klar zu erkennen, daß diese ganze Diskussion seiner Meinung nach Zeitverschwendung war.
»Vielleicht weiß Dr. Pearson nicht, daß Sie Tests auf den Rh-Faktor in dieser Weise vornehmen.«
»Das weiß er genau.« Dieses Mal ließ Bannister seinen Verdruß erkennen. Mit neuen Leuten war es immer das gleiche. Sie waren noch keine fünf Minuten an einem neuen Platz, und schon fingen sie an, Schwierigkeiten zu machen. Er hatte versucht, zu dem neuen Arzt freundlich zu sein, und das hatte er nun davon. Nun, eines war gewiß, Joe Pearson würde den Mann bald in seine Schranken verweisen. Bannister hoffte nur, daß er dabei sein würde.
Coleman entschloß sich, den Ton des ersten Laboranten zu überhören. Ob er wollte oder nicht, er mußte mit diesem Mann einige Zeit arbeiten. Trotzdem, die Frage mußte jetzt sofort geklärt werden. Er sagte: »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz richtig. Sie wissen doch sicher, daß manche Antikörper im Blut einer schwangeren Frau durch die Tests in Salzlösung und konzentriertem Protein nicht entdeckt werden, wohl aber bei einem weiteren Test mit Coombs-Serum.«
Alexander warf dazwischen: »Das habe ich ja auch gesagt.«
Bannister gab keine Antwort. Coleman fuhr fort: »Jedenfalls werde ich es bei Gelegenheit Dr. Pearson unterbreiten. Ich bin überzeugt, daß es ihm nicht bekannt war.«
»Und was sollen wir mit diesem Test und den weiteren von jetzt an tun?« fragte Alexander.
»Sie führen sie selbstverständlich mit allen drei Medien durch Salzlösung, konzentriertes Protein und Coombs-Serum.«
»Wir haben kein Coombs-Serum im Labor, Doktor.« Alexander war jetzt sehr froh, daß er die Sache vorgebracht hatte. Dieser neue Pathologe gefiel ihm. Vielleicht würde er auch noch einiges andere hier ändern. Der Himmel weiß, dachte er, es gibt eine Menge, das es vertragen kann.
»Dann wird welches beschafft.« Coleman war vorsätzlich knapp. »Es ist schließlich keine Mangelware.«
»Wir können nicht einfach losgehen und Material für das Labor holen«, sagte Bannister. »Dazu muß eine Einkaufsanforderung vorliegen.« Er zeigte ein überlegenes Lächeln. Schließlich gab es doch noch ein paar Dinge, die diese naseweisen Neulinge nicht wußten.
Coleman beherrschte seine Gefühle sorgfältig. Sehr bald konnte es notwendig werden, daß er diesem Bannister seine Stellung eindeutig klarmachen mußte. Auf keinen Fall hatte er die Absicht, sich dieses Betragen ständig bieten zu lassen. Aber der erste Tag in seiner neuen Stellung war offensichtlich nicht der geeignete Zeitpunkt. Immer noch freundlich, aber nachdrücklich sagte er: »Dann geben Sie mir ein Formular. Ich werde es wohl unterschreiben können. Das ist einer der Gründe, weshalb ich hier bin. «
Der alte Laborant zögerte kurz, öffnete dann eine Schublade und nahm einen Formularblock heraus, den er Coleman reichte. »Einen Bleistift, bitte.«
Mit dem gleichen Widerwillen zog Bannister einen aus der Tasche. Während er ihn Coleman reichte, sagte er mürrisch: »Dr. Pearson wünscht alle Bestellungen für Labormaterial selbst zu unterschreiben.«
Coleman kritzelte die Bestellung und unterschrieb sie. Mit einem knappen, kühlen Lächeln antwortete er: »Ich nehme an, daß meine Verantwortung hier etwas weiter reicht als für eine Bestellung von Kaninchenserum im Wert von fünfzehn Dollars. Hier.« Während er Block und Bleistift zurückreichte, klingelte das Telefon auf der anderen Seite des Labors.
Das war für Bannister ein Vorwand, sich umzudrehen. Mit vor Ärger über seine Niederlage gerötetem Gesicht ging er an den Wandapparat und meldete sich. Nachdem er kurz zugehört hatte, gab er eine knappe Antwort und hängte den Hörer zurück. »Muß zur ambulanten Abteilung.« Die fast gemurmelten Worte waren an Coleman gerichtet.
Er antwortete eisig: »Gehen Sie nur.«
Nachdem der Zwischenfall vorüber war, erkannte Coleman, daß er wütender geworden war, als er bemerkt hatte. Was war das für eine Disziplin, die Laboranten Unverschämtheiten dieser Art erlaubte? Das unzulängliche Testverfahren war ernsthaft genug. Aber sich erst mit den Einwendungen eines Mannes wie dieses Bannister auseinandersetzen zu müssen, um etwas zu verbessern, war unerträglich. Wenn das ein Beispiel für die allgemein herrschende Ordnung war, dann war die gesamte pathologische Abteilung noch viel verlotterter, als er zunächst angenommen hatte.
Als Bannister fort war, begann er, das gesamte Labor sehr gründlich zu inspizieren. Die abgenutzten Geräte und Instrumente, manche unzulänglich, waren ihm bereits aufgefallen. Jetzt sah er, wie erschreckend schlampig und unorganisiert der ganze Betrieb war. Auf Tischen und Bänken standen und lagen die verschiedensten Apparate und Materialien unordentlich herum. Er bemerkte eine Ansammlung schmutziger Glasgeräte, einen Stapel vergilbter Papiere. Während er durch das Labor ging, fiel ihm auf, daß sich an einer Stelle auf einem Arbeitstisch Schwamm gebildet hatte. Von der anderen Seite des Raumes beobachtete Alexander unbehaglich seinen Rundgang.
»Sieht es in dem Labor immer so aus?« fragte Coleman.
»Es ist nicht gerade sehr ordentlich.« Alexander schämte sich, daß jemand den Raum in diesem Zustand sah. Was er nicht sagen konnte, war, daß er sich schon angeboten hatte, das Labor neu zu ordnen, daß Bannister ihm aber nachdrücklich befohlen hatte, alles so zu lassen, wie es war.
»Ich wüßte einen treffenderen Ausdruck dafür.« Coleman strich mit einem Finger über ein Regal. Er war mit Schmutz bedeckt, als er ihn betrachtete. Angewidert dachte er: Das muß alles anders werden. Dann sagte er sich allerdings, daß er wahrscheinlich noch eine Weile warten müsse. Ihm war klar, daß er diesen Leuten gegenüber behutsam vorgehen mußte, und aus eigener Erfahrung hatte er gelernt, daß es für alles, was man schnell erreichen konnte, eine Grenze gab. Dennoch wußte er, daß es ihm schwerfallen würde, seine angeborene Ungeduld zu zügeln, insbesondere in Anbetracht der schmutzigen Unordnung, die er hier vor sich hatte.
Während der letzten Minuten hatte Alexander Coleman genau beobachtet. Vom ersten Augenblick an, als der neue Arzt mit Bannister in das Labor kam, glaubte er ihn irgendwoher zu kennen. Er war jung - wahrscheinlich nicht sehr viel älter ab Alexander. Aber das allein war es nicht. Jetzt sagte Alexander: »Doktor, entschuldigen Sie, daß ich das sage, aber ich habe das Gefühl, als ob wir uns schon einmal begegnet seien.«
»Gut möglich«, antwortete Coleman absichtlich gleichgültig. Er wollte bei dem Laboranten nicht den Eindruck aufkommen lassen, daß zwischen ihnen in irgendeiner Form eine Allianz bestehe, nur weil er den Mann in einer Sache unterstützt hatte. Dann fragte er sich, ob er vielleicht nicht etwas zu schroff gewesen sei und fugte hinzu: »Ich war als Praktikant im Bellevue, anschließend im Walter Reed und im Massachusetts General.«
»Nein.« Alexander schüttelte den Kopf. »Dann muß es früher gewesen sein. Waren Sie einmal in Indiana, in New Richmond?«
»Ja«, antwortete Coleman überrascht, »ich bin dort geboren.«
Alexander strahlte. »Ich hätte mich natürlich an den Namen erinnern müssen. Dann muß Dr. Byron Coleman Ihr Vater gewesen sein.«
»Woher wissen Sie das?« Es war lange her, daß ein anderer als er selbst sich an den Namen seines Vaters erinnert hatte.
»Ich bin auch aus New Richmond«, antwortete Alexander, »und meine Frau auch.«
»Wirklich?« fragte Coleman, »haben wir uns dort gekannt?«
»Ich glaube nicht. Ich erinnere mich aber, Sie ein paarmal gesehen zu haben.« Im gesellschaftlichen Leben New Richmonds hatte John Alexander mehrere Stufen unter den Kreisen des Arztsohnes gestanden. Während ihm das durch den Kopf ging, ertönte ein >Kling< von der der Zentrifuge. Er unterbrach sich, um die geschleuderte Blutprobe herauszunehmen, und fuhr dann fort: »Mein Vater war ein Gemüsefarmer. Wir wohnten ein paar Meilen vor der Stadt. Vielleicht erinnern Sie sich aber an meine Frau, Elizabeth Johnson. Ihre Familie besaß die Eisenwarenhandlung.«
Coleman sagte nachdenklich: »Ja, ich glaube, ich erinnere mich wirklich.« In seinem Gedächtnis regte sich etwas. »War da nicht irgend etwas mit ihr. hatte sie nicht einen Unfall, oder so etwas?«
»Das stimmt«, antwortete John Alexander. »Ihr Vater kam bei einem Autounfall an der Eisenbahnkreuzung ums Leben. Elizabeth saß bei ihm im Wagen.«
»Ich erinnere mich, daß ich davon gehört habe.« David Colemans Gedanken liefen um Jahre zurück - zu dem Sprechzimmer seines Vaters, der als Landarzt so vielen Kranken geholfen hatte, bis seine eigene Gesundheit versagte. »Ich ging damals aufs College, aber mein Vater hat es mir später erzählt.«
»Elizabeth starb beinahe. Aber sie gaben ihr Bluttransfusionen, und sie kam durch. Ich glaube, das war das erste Mal, daß ich je in einem Krankenhaus war. Ich habe dort fast eine Woche gelebt.« Alexander schwieg. Dann sagte er, immer noch über seine Entdeckung erfreut: »Wenn Sie zufällig mal einen Abend frei haben, Dr. Coleman. Ich bin überzeugt, meine Frau würde sich freuen, Sie zu sehen. Wir haben eine kleine Wohnung.« Er zögerte, weil er die Wahrheit spürte. Obwohl sie beide New Richmond verlassen hatten, lag immer noch eine gesellschaftliche Kluft zwischen ihnen.
Auch Coleman war sich dessen bewußt. Sein Gehirn funkte eine Warnung: Sei vorsichtig im Umgang mit Untergebenen, selbst bei einem wie diesem hier. Nüchtern überlegte er: Das ist diesmal kein Snobismus, das ist nur eine Frage der Krankenhausdisziplin und des gesunden Menschenverstandes. Laut sagte er: »Ich werde zunächst einmal sehr viel Arbeit haben. Wir wollen es vorläufig lassen und sehen, wie sich die Dinge entwickeln.«
Ihm selbst klangen seine Worte falsch und hohl.
Er dachte: das hättest du freundlicher sagen können. Im Geist fügte er für sich die Bemerkung hinzu: du hast dich nicht geändert, mein Freund; du hast dich nicht im geringsten geändert.
Einen Augenblick lang wünschte Harry Tomaselli, daß Mrs. Straughan in ihre Küche zurückgehen und dort bleiben würde. Dann nahm er sich zusammen. Eine gute Küchenleiterin war ein kostbares Juwel. Und Mrs. Straughan war gut. Diese Tatsache war dem Verwaltungsdirektor klar bewußt.
Aber es gab Zeiten, zu denen er sich fragte, ob Hilda Straughan an das Three Counties Hospital je als eine Einheit, als ein Ganzes, dachte. Wenn er mit ihr sprach, gewann er meistens den Eindruck, daß die Küche das Herz des Krankenhauses bildete, um das die anderen, weniger wichtigen Organe sich herumgruppierten. Er berücksichtigte allerdings auch - Harry Tomaselli war in erster Linie ein gerecht denkender Mann -, daß man diese Haltung häufig bei Leuten findet, die ihre Aufgabe ernst nehmen. Und wenn das ein Mangel war, dann zog er ihn zweifellos der Trägheit und der Gleichgültigkeit vor. Ein anderer Punkt: ein guter Abteilungsleiter war immer bereit, für etwas, an das er glaubte, zu kämpfen und sich dafür einzusetzen, und Mrs. Straughan kämpfte und setzte sich mit jedem Kubikzentimeter ihrer fülligen Person für ihre Sache ein.