174189.fb2 Letzte Diagnose - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 30

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»Ja, bitte?«

»Er bittet Sie, herunterzukommen und sich auf eine Operation vorzubereiten, falls Sie können. Auf der Autobahn war ein Verkehrsunfall mit mehreren Schwerverletzten, darunter eine gefährliche Brustverletzung. Dr. Clifford bittet Sie, diesen Fall zu übernehmen.«

»Sagen Sie ihm, ich komme sofort.« Bartlett hängte den Hörer auf. »Tut mir leid, Lucy, wir müssen die Diskussion ein andermal weiterführen.« Er ging zur Tür, blieb noch einmal stehen. »Aber eines will ich Ihnen sagen. Ich glaube nicht, daß wir befürchten müssen, arbeitslos zu werden. Solange immer größere und schnellere Autos gebaut werden, gibt es für Chirurgen immer Arbeit.«

Er ging hinaus, und mit einem freundlichen Nicken für Lucy folgte ihm O'Donnell. Als sie allein war, wartete Lucy einen Augenblick und nahm dann wieder das Telefon ab. Als sich die Zentrale meldete, sagte sie: »Ich möchte ein Ferngespräch, bitte, mit einem Teilnehmer in Salem, Oregon.«

Mit der Übung langer Praxis suchte sich Kent O'Donnell seinen Weg durch das Hin und Her auf dem Gang und ging zu seinem eigenen Büro im Krankenhaus. Auch sein Vormittag war ausgefüllt. In weniger als einer halben Stunde mußte er in den Operationsräumen erscheinen, danach war eine Sitzung des medizinischen Ausschusses angesetzt, und später erwarteten ihn in der Stadt mehrere Patienten. Sein Programm erstreckte sich bis spät in den Nachmittag.

Auf seinem Weg dachte er wieder an Lucy Grainger. Als er sie vor wenigen Augenblicken sah, ihr nahe war, stiegen wieder die Fragen nach Lucy und sich selbst in ihm auf. Aber gleich bedrängten ihn auch die alten, bekannten Zweifel, das Gefühl, daß sie für eine ständige Verbindung vielleicht zu viele gemeinsame Interessen besaßen.

Er fragte sich, weshalb er in letzter Zeit so viel an Lucy dachte oder genaugenommen: an Frauen überhaupt. Vielleicht weil Anfang Vierzig von jeher ein Alter ist, in dem Männer ungeduldig sind. Dann lächelte er innerlich, als er sich erinnerte, daß es in seinem Leben selten Perioden gegeben hatte, in denen sich nicht eine gelegentliche Liebesaffäre der einen oder anderen Art ganz natürlich ergab. Jetzt lagen sie nur weiter auseinander. Und er war auch genötigt, dabei erheblich diskreter vorzugehen als in jüngeren Jahren.

Von Lucy sprangen seine Gedanken zu Denise Quantz über. Nach ihrer Einladung, sie in New York aufzusuchen, die sie an dem Abend ausgesprochen hatte, als er ihr in Eustace Swaynes Haus begegnete, hatte O'Donnell seine Teilnahme an dem chirurgischen Kongreß angemeldet. Jetzt fiel ihm ein, daß der Kongreß in der nächsten Woche stattfand. Wenn er Mrs. Quantz sehen wollte, mußte er bald eine Verabredung treffen. Als er in sein Büro kam, sagte ihm ein Blick auf die Uhr, daß er vor seiner ersten Operation noch zwanzig Minuten Zeit hatte. Er nahm das Telefon auf und redete sich dabei selbst ein, es sei immer richtig, Dinge zu erledigen, wenn man an sie dachte.

Er hörte, wie die Zentrale die Nummer von der New Yorker Auskunft erfragte. Dann folgte ein surrender Ton und anschließend ein Knacken. Eine Stimme meldete sich: »Hier ist die Wohnung von Mrs. Quantz«

»Ich habe ein Ferngespräch für Mrs. Denise Quantz«, meldete sich das Amt in Burlington.

»Mrs. Quantz ist nicht anwesend.«

»Wissen Sie, wo sie zu erreichen ist?« Die Telefongesellschaft war immer bemüht, ihren Kunden zu helfen.

»Mrs. Quantz hält sich in Burlington, Pennsylvania, auf. Wünschen Sie ihre dortige Nummer?«

»Ja, bitte.« Das war wieder das Fernamt in Burlington.

»Die Nummer ist Hunter 6-5735.«

»Danke, New York.« Wieder ein Knacken, dann fragte das Fernamt: »Haben Sie die Nummer verstanden, Teilnehmer?«

»Ja, danke«, antwortete O'Donnell und hängte ein. Mit der anderen Hand hatte er schon nach dem Burlingtoner Telefonbuch gegriffen. Er blätterte darin, bis er zu >Swayne, Eustace R. < kam. Wie erwartet entsprach der Anschluß der Nummer, die er gerade erhalten hatte.

Wieder nahm er den Hörer ab und wählte.

Eine männliche Stimme antwortete: »Hier ist die Wohnung von Mr. Eustace Swayne.«

»Ich möchte mit Mrs. Quantz sprechen.«

»Einen Augenblick, bitte.«

Es folgte eine Pause, dann: »Hier Mrs. Quantz.«

Bis zu diesem Augenblick hatte O'Donnell vergessen, wie sehr ihre Stimme ihn angezogen hatte. Sie war von einer sanften Gedecktheit, die den einfachsten Worten Charme zu verleihen schien.

»Hier ist Kent O'Donnell«, meldete er sich, »ich weiß nicht, ob Sie sich meiner erinnern.«

»Selbstverständlich, Dr. O'Donnell. Wie nett von Ihnen, mich anzurufen.«

In einer plötzlichen Vision sah er sie am Telefon, ihre dunkles Haar, das auf ihre Schultern fiel. Er sagte: »Ich wollte Sie gerade in New York anrufen. Dort nannte man mir Ihren hiesigen Anschluß.«

»Ich bin gestern abend mit dem Flugzeug hergekommen«, antwortete Denise Quantz. »Vater hat eine leichte Bronchitis, und ich wollte für ein oder zwei Tage bei ihm sein.«

Höflich fragte er: »Hoffentlich ist es nichts Ernstes?«

»Durchaus nicht.« Sie lachte. »Vater besitzt auch die Konstitution eines Maultieres, nicht nur seine Bockigkeit.«

Er dachte, das glaube ich gern. Laut sagte er: »Ich wollte Sie bitten, mit mir in New York zu Abend zu essen. Ich werde nächste Woche dort sein.«

»Das können Sie mich jetzt gleich fragen.« Ihre Antwort erfolgte sofort und vorbehaltlos. »Nächste Woche bin ich wieder in New York.«

Einer Eingebung folgend fragte er: »Können wir uns nicht schon vorher sehen? Haben Sie in Burlington noch einen Abend frei?«

Nach einer kurzen Pause antwortete sie: »Die einzige Möglichkeit wäre heute abend.«

O'Donnell überlegte schnell. Die Patienten in seiner Sprechstunde würden ihn bis sieben Uhr festhalten, aber wenn sich nichts weiter ergab.

Seine Gedanken wurden unterbrochen. »Nein, warten Sie«, sagte Denise Quantz, »ich hatte vergessen, daß Dr. Pearson zum Abendessen zu Vater kommt. Ich glaube, dazu muß ich bleiben.« Sie fügte hinzu: »Vielleicht wollen Sie auch kommen?«

Er lachte lautlos vor sich hin. Joe Pearson würde überrascht sein, wenn er ihm dort begegnete. Sein Instinkt sagte ihm indessen, das sei kein guter Einfall. Er antwortete: »Vielen Dank, aber vielleicht ist es doch besser, wenn wir es verschieben.«

»Wie schade.« Auch ihre Stimme klang enttäuscht; dann war sie wieder munter. »Aber wenn Sie wollen, können wir uns nach dem Abendessen treffen. Vater und Dr. Pearson werden bestimmt Schach spielen, und dann bemerken sie gar nicht, ob noch jemand anwesend ist.«

Der Vorschlag entzückte ihn. »Das wäre wunderbar. Ab wann sind Sie frei?«

»Gegen halb zehn, denke ich.«

»Soll ich Sie abholen?«

»Wahrscheinlich sparen wir Zeit, wenn wir uns gleich in der Stadt treffen. Bestimmen Sie, wo.«

Er überlegte einen Augenblick und schlug dann vor: »Im Regency Room.«

»Sehr gut. Um halb zehn also. Auf Wiedersehen.«

Als O'Donnell den Hörer zurücklegte, erfüllte ihn eine freudige Erwartung. Er blickte wieder auf die Uhr. Er mußte sich beeilen, wenn er rechtzeitig in den Operationsraum kommen wollte.

Die Schachpartie nach dem Abendessen zwischen Eustace Swayne und Dr. Joseph Pearson war schon seit vierzig Minuten im Gange. Die beiden alten Männer saßen an einem niedrigen Spieltisch aus Rosenholz einander in der eichengetäfelten Bibliothek gegenüber, in der vor drei Wochen O'Donnell und Swayne ihr Wortgefecht geführt hatten. Nur zwei Lampen brannten in dem Raum; eine unter einem Schirm hing unmittelbar über dem Spieltisch, die andere, eine gedämpft schimmernde Rokokolampe, stand neben der Tür zur Halle. Die Köpfe beider Männer lagen im Schatten, das Licht zwischen ihnen fiel unmittelbar auf das eingelegte Schachbrett in der Mitte des Tisches. Nur wenn der eine oder der andere sich vorbeugte, um eine Figur auf dem Brett zu ziehen, ließ der Rand des Lichtscheins kurz ihre Gesichter erkennen.

Im Augenblick schwiegen beide. Die tiefe Stille des Zimmers lag wie eine dämpfende Hülle über den beiden Louis XV.-Sesseln, in denen sie saßen. Eustace Swayne hatte sich zurückgelehnt. Er hielt ein Kognakglas aus Rubinkristall zwischen den Fingern und überprüfte den Stand der Partie.

Dr. Joseph Pearson war zuletzt am Zug gewesen. Vor ein oder zwei Minuten hatte er die weiße Dame der kostbaren, aus indischem Elfenbein geschnitzten Schachfiguren behutsam aufgenommen und die Figur ein Feld vorgeschoben.

Jetzt stellte Eustace Swayne das Kognakglas ab und schob den Bauern an seinem äußersten rechten Flügel zwei Felder vor. Dann unterbrach er das Schweigen und sagte brummend: »Ich habe gehört, daß es im Krankenhaus Veränderungen gegeben hat.«

Joe Pearson studierte das Schachbrett im Lichtschein der Lampe. Nachdem er überlegt hatte, beugte er sich vor, schob seinen äußersten linken Bauern ein Feld weiter und blockierte damit den Weg des Gegners. Erst dann antwortete er mit dem einzigen geknurrten Wort: »Einige!«

Wieder herrschte Schweigen, Friede, als ob die Zeit stillstehe. Dann regte sich der alte Finanzmann in seinem Stuhl. »Finden diese Veränderungen Ihre Zustimmung?« Er griff vor und schob seinen Läufer zwei Felder diagonal nach rechts. Halb belustigt blickte er über den Tisch in das Halbdämmer; sein Ausdruck besagte: Schlage diesen Aufmarsch, wenn du kannst.