174189.fb2 Letzte Diagnose - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 35

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Coleman nahm sein Glas Milch und trank langsam. Dann entgegnete er: »Viele Leute mit einem Baby haben Medizin studiert. Und mit finanziellen Problemen.«

»Genau das sage ich auch immer«, erklärte Elizabeth nachdrücklich und beugte sich über den Tisch. »Ich bin froh, daß er es auch einmal von jemand anderem hört.«

Coleman betupfte sich mit der Serviette den Mund, legte sie dann hin. Er sah Alexander gerade an. Er hatte das Gefühl, als ob sein erster Eindruck von dem jungen Laboranten richtig gewesen sei. Er schien intelligent und gewissenhaft zu sein, und zweifellos war er an seiner Arbeit ehrlich interessiert. Das war gestern klar zu erkennen gewesen. »Wollen Sie meine Ansicht wissen, John? Ich meine, wenn Sie so empfinden, aber nicht Medizin studieren, solange Sie die Möglichkeit dazu haben, werden Sie es wahrscheinlich für den Rest Ihres Lebens bereuen.«

Alexander sah vor sich hin und aß in Gedanken verloren weiter.

Elizabeth fragte: »Es besteht doch immer noch ein großer Bedarf an Pathologen, nicht wahr?«

»Aber ja!« Coleman nickte nachdrücklich. »Bei den Pathologen vielleicht mehr als auf jedem anderen Gebiet.«

»Wie kommt das?«

»Zunächst einmal, weil noch viele Forschungsaufgaben gelöst werden müssen, um die Medizin weiterzubringen, um die offengebliebenen Lücken zu füllen.«

Sie fragte: »Was meinen Sie mit den offengebliebenen Lücken?«

David Coleman erkannte flüchtig, daß er unbefangener sprach als sonst. Er überraschte sich dabei, Gedanken auszusprechen, die er meistens für sich behielt. Aber die Gesellschaft der beiden Alexanders erschien ihm erfrischend, möglicherweise weil es eine Entspannung war, nach der Begegnung mit Dr. Pearson mit jüngeren Menschen zusammen zu sein. Er antwortete auf Elizabeths Frage: »In gewisser Weise ist es in der Medizin wie im Krieg. Genau wie im Kriege werden manchmal eindrucksvolle Siege errungen. In diesen Fällen drängen alle -Ärzte meine ich damit - an die neue Front, aber hinterlassen dabei Lücken im Wissen, die ausgefüllt werden müssen.«

Elizabeth fragte: »Und das ist die Aufgabe der Pathologen? Diese Lücken zu füllen?«

»Es ist die Aufgabe jedes Zweiges der Medizin. Aber mitunter bieten sich der Pathologie bessere Möglichkeiten.« Coleman dachte einen Augenblick nach, ehe er fortfuhr. »Und noch etwas anderes. Die ganze Forschung in der Medizin gleicht weitgehend dem Bau einer Mauer. Jemand bringt eine neue Erkenntnis, fügt einen weiteren Ziegel hinzu. Ein anderer schafft den nächsten Stein bei, und so wächst die Mauer, Stein für Stein, bis schließlich einer kommt und den letzten Ziegel oben aufsetzt.« Er lächelte. »Es ist nicht vielen vergönnt, etwas weithin Sichtbares zu leisten, ein Fleming oder ein Salk zu sein.

Das Größte, was ein Pathologe im allgemeinen leisten kann, besteht in irgendeinem bescheidenen Beitrag zu den medizinischen Erkenntnissen. Etwas, das innerhalb seines eigenen Bereiches, innerhalb seiner eigenen Zeit liegt. Aber das sollte er wenigstens tun.«

John Alexander hatte gespannt zugehört. Jetzt fragte er begierig: »Werden Sie hier Forschungsarbeiten durchführen?«

»Ich hoffe es.«

»Auf welchem Gebiet?«

Coleman zögerte. Das war ein Punkt, über den er noch nie gesprochen hatte. Aber er hatte schon so vieles gesagt, daß er glaubte, es komme auf etwas mehr nicht an. »Nun, zunächst einmal über Lipome - gutartige Tumore des Fettgewebes. Wir wissen sehr wenig über sie.« Ohne es zu bemerken, hatte er sich an seinem Thema erwärmt. Seine normale Kühle und Zurückhaltung waren von ihm abgefallen.

»Wissen Sie, daß es Fälle gibt, in denen Menschen verhungern, während sich in ihnen trotzdem diese Geschwülste bilden? Was ich zu erreichen hoffe, ist.« Er brach plötzlich ab. »Fehlt Ihnen etwas, Mrs. Alexander?«

Elisabeth hatte plötzlich gestöhnt und ihr Gesicht mit den Händen bedeckt. Jetzt senkte sie ihre Hände wieder und schüttelte den Kopf, wie um ihn klar zu bekommen.

»Elizabeth? Was ist dir?« Alarmiert sprang John Alexander von seinem Stuhl auf. Er ging um den Tisch herum.

»Es ist. es ist schon in Ordnung.« Elizabeth winkte ihn auf seinen Platz zurück. Sie schloß einen Augenblick die Augen, öffnete sie wieder. »Es war nur. einen Augenblick ein Schmerz, dann Schwindel. Es ist schon vorbei.«

Sie trank einen Schluck Wasser. Ja, es stimmte, es war vorbei. Aber einen Augenblick lang hatte sie geglaubt, spitze, glühende Nadeln in sich zu spüren - innen, wo sich das Kind bewegte -, dann war ihr schwindelig geworden und die Kantine hatte sich im Kreis um sie herum gedreht.

»Ist das schon einmal vorgekommen?« fragte Coleman.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Ganz bestimmt nicht, Liebling?« John fragte mit ängstlicher Stimme.

Elizabeth griff über den Tisch und legte ihre Hand auf die seine. »Mach dir keine Sorgen. Es ist zu früh für das Kind. Es dauert mindestens noch zwei Monate.«

»Trotzdem«, warnte Coleman ernst, »rate ich Ihnen, Ihren Arzt anzurufen und ihm zu berichten, was geschehen ist. Vielleicht will er Sie untersuchen.«

»Das werde ich tun.« Sie lächelte ihm herzlich zu. »Ich verspreche es Ihnen.«

In diesem Augenblick meinte Elizabeth, was sie sagte. Aber später, als sie nicht mehr im Krankenhaus war, schien es ihr zu albern, Dr. Dornberger wegen eines einzigen Schmerzes zu belästigen, der ganz kurz aufgetreten und so schnell wieder verschwunden war. Wenn er wiederkam, war gewiß noch Zeit genug, ihn anzurufen aber nicht jetzt schon. Sie entschloß sich also, zu warten.

XV

»Gibt es etwas Neues?«

Von ihrem Rollstuhl blickte Vivian zu Dr. Grainger auf, als Lucy in das Krankenzimmer trat. Vier Tage waren seit der Probeexcision vergangen, drei, seit Pearson die Schnitte nach New York und Boston geschickt hatte.

Lucy schüttelte den Kopf. »Ich sage Ihnen Bescheid, sobald ich etwas weiß, Vivian.«

»Wann. wann werden Sie es wissen.. endgültig?«

»Wahrscheinlich heute noch.« Lucy antwortete sachlich. Sie wollte nicht verraten, daß auch sie das Warten beunruhigte. Gestern abend hatte sie noch einmal mit Joe Pearson gesprochen. Dabei hatte er versprochen, die beiden Spezialisten anzurufen und zu bitten, ihren Befund sofort abzuschicken, wenn ihre Antwort bis heute mittag nicht eintreffe. Das Warten fiel allen schwer, auch Vivians Eltern, die am Tage vorher aus Oregon in Burlington angekommen waren.

Lucy nahm den Verband von Vivians Knie ab. Die Schnittnarbe schien gut zu verheilen. Während sie den Verband erneuerte, sagte sie: »Es ist schwer. Das weiß ich. Versuchen Sie, soviel wie möglich an anderes zu denken.«

Das Mädchen lächelte schwach. »Es ist wirklich nicht leicht.«

Lucy stand jetzt an der Tür. Sie sagte: »Vielleicht lenkt ein Besuch Sie ab. Hier kommt schon ein sehr früher.« Sie öffnete die Tür und winkte. Mike Seddons trat ein, als Lucy hinausging.

Seddons trug seinen weißen Krankenhausanzug. Er sagte: »Ich habe mir zehn Minuten gestohlen. Sie sind ganz für dich.«

Er kam zu ihr herüber und küßte sie. Einen Augenblick schloß sie die Augen und schmiegte sich fest an ihn. Er strich ihr mit der Hand über das Haar. Seine Stimme an ihrem Ohr war sanft.

»E» fällt einem schwer, nicht wahr, so zu warten?«

»Oh, Mike, wenn ich nur wüßte, was kommt. Ich glaube nicht, daß ich es nicht ertragen kann. Es ist dieses ständige. Sichfragen. diese Ungewißheit.«

Er hielt sie etwas von sich ab und sah ihr ins Gesicht. »Vivian, Liebling, ich wünsche so, daß ich etwas für dich tun könnte, und sei es noch so wenig.«

»Du hast schon sehr viel getan. «Vivian lächelte schwach. »Schon daß du da bist - daß du bei mir bist. Ich wüßte nicht, wie ich es ohne dich...«

Sie schwieg, als er die Hand ausstreckte und ihr einen Finger auf die Lippen legte.

»Sprich es nicht aus. Ich mußte hier sein. Es war vorausbestimmt, alles durch das kosmische Geschehen festgelegt.« Er zeigte ihr sein strahlendes, breites Lächeln. Nur er selbst spürte die Hohlheit hinter seinen Worten. Mike Seddons wußte wie Lucy genau, was die Verzögerung des pathologischen Befundes zu bedeuten hatte.

Es gelang ihm jedoch, Vivian zum Lachen zu bringen. »Unsinn«, sagte sie. »Wenn ich nicht zu dieser alten Obduktion gekommen wäre oder eine andere Lernschwester dich zuerst.«

»Na ja.« Dann schüttelte er den Kopf. »Es sieht vielleicht so aus, aber man kann seinem vorausbestimmten Geschick nicht entgehen. Seit unsere Urahnen sich von Baum zu Baum schwangen und sich die Unterarme kratzten, haben unsere Gene sich durch die sandigen Wüsten von Zeit, Leben und Schicksal einander genähert.« Er redete nur, um etwas zu sagen, sprach die ersten Worte aus, die ihm in den Kopf kamen, aber sie erzielten die gewünschte Wirkung.

Vivian sagte: »Oh, Mike, du redest so einen großartigen Quatsch, und ich liebe dich so.«

»Das kann ich verstehen.« Er küßte sie wieder sanft. »Ich glaube, deine Mutter mag mich auch.«

Sie legte eine Hand auf ihren Mund. »Da kannst du sehen, was du mit mir machst. Danach hätte ich als erstes fragen sollen. Ging alles gut, nachdem ihr gestern abend hier fortgegangen seid?«