174189.fb2 Letzte Diagnose - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 45

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Aber die Warnung kam zu spät. Als der Assistent zugriff, entglitt das Bein seinen Händen und fiel von dem Operationstisch auf den Boden.

»Lassen Sie es liegen!« Lucys Ton war scharf, als der Assistent vergaß, daß er dadurch unsteril werden würde, und sich niederbeugte, um das Bein aufzuheben.

Die zweite Schwester trat hinzu, nahm das amputierte Glied auf und hüllte es in Gaze und Papier ein. Später würde es mit anderen Paketen, die chirurgische Proben enthielten, von einem Boten abgeholt und in die Pathologie gebracht werden.

»Halten Sie den Stumpf von dem Tisch fort, bitte.« Lucy winkte dem Assistenten, und er trat näher, um ihre Anweisung zu befolgen. Die Operationsschwester hielt eine Raspel bereit, und Lucy nahm sie, tastete nach den scharfen Spitzen am Knochen, die durch den Bruch entstanden waren, und beseitigte sie mit der Raspel. Wieder erklärte sie den Studenten: »Vergessen Sie nicht, das Knochenende zu glätten. Überzeugen Sie sich, daß keine kleinen Spitzen herausstehen, denn wenn das der Fall ist, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß sie wachsen und für den Patienten äußerst schmerzhaft werden.« Ohne aufzublicken fragte sie: »Wie lange dauert es schon?«

Der Narkosearzt antwortete: »Es sind jetzt siebzig Minuten.«

Lucy reichte die Raspel zurück. »Gut«, sagte sie, »jetzt können wir anfangen zu nähen.« Das Ende der Operation vor Augen, dachte sie dankbar an den Kaffee, der im Chirurgenzimmer unten am Gang auf sie wartete.

Mike Seddons hatte die Zeit über, in der Vivian operiert wurde, im wahrsten Sinne des Wortes geschwitzt. Mit den Loburtons - Vivians Eltern hielten sich noch in Burlington auf und beabsichtigten, vorläufig zu bleiben - wartete er in einem der kleinen Wartezimmer, die den Angehörigen von Patienten, die operiert wurden, vorbehalten waren. Am frühen Morgen, als das Leben im Hospital: gerade erst zu erwachen begann, hatte er sie im Hauptgang getroffen und in Vivians Krankenzimmer hinaufgebracht, um Vivian zu besuchen. Es war aber nicht mehr viel zu sagen gewesen, und Vivian, von einem Betäubungsmittel bereits benommen, schien sie kaum wahrzunehmen. Schon nach ein paar Minuten war sie ab geholt und in die Operationsabteilung gebracht worden.

Jetzt hatten sie in der unbehaglichen Hinterhofstimmung des spärlich möblierten Raumes mit seinen unbequemen Kunstlederstühlen und den lackierten Tischen ihre alltäglichen Unterhaltungsthemen erschöpft. Henry Loburton, groß und kräftig, mit dünn gewordenem, eisgrauem Haar, das Gesicht von den Jahren, die er im Freien verbracht hatte, gerunzelt und gegerbt, stand am Fenster und sah auf die Straße hinunter. Mike Seddons konnte voraussagen, daß er sich in ein oder zwei Minuten vom Fenster abwenden und zu seinem Kunstlederstuhl zurückkehren würde. Nach einer Weile würde er dann wieder aufstehen, um an das Fenster zu treten. Es war ein monotones Hin und Her, das der alte Mann schon seit über einer Stunde befolgte, in einer langsamen, auf die Nerven gehenden Monotonie, von der Seddons verzweifelt wünschte, daß er endlich eine Abwechslung hineinbringen würde - entweder seine Schritte beschleunigen oder den Abstand zwischen jedem Platzwechsel variieren.

Im Gegensatz dazu verhielt sich Vivians Mutter still. Fast schien es, als ob sie sich nicht bewegt habe, seit sie hierhergekommen waren. Sie hatte einen geradlehnigen Stuhl einer der anderen, scheinbar bequemeren Sitzgelegenheiten, vorgezogen und hielt sich in einer Weise aufrecht, die auf eine altgewohnte bewußte Selbstbeherrschung hinwies. Schon seit einiger Zeit sah Angela Loburton gerade vor sich hin, ihr Blick, wie es schien, in die Unendlichkeit gerichtet, die Hände auf dem Schoß leicht gekreuzt. Sie war heute noch blasser als sonst, aber die hohen Backenknochen, die ihre natürliche Würde und Haltung betonten, traten wie immer hervor. Diese Frau erschien gleichzeitig zerbrechlich und unzerstörbar.

Seit ihrer ersten Begegnung vor ein paar Tagen hatte Mike Seddons viel über Mrs. Loburton nachgedacht. Ihre Gefühle für Vivian und die Sorge um ihre Tochter traten bei ihr viel weniger offensichtlich zutage als bei ihrem Mann, und doch spürte Seddons im Verlauf dieser Tage, daß sie ebenso tief, vielleicht noch tiefer waren. Er vermutete auch, daß trotz der unverkennbaren Männlichkeit, die Vivians Vater zeigte, ihre Mutter bei weitem den stärkeren Charakter besaß, daß sie das solide Fundament dieser Ehe bildete, von dem ihr Mann im Lauf der Jahre abhängig geworden war.

Seddons überraschte sich bei dem Gedanken, wie es zwischen ihm und Vivian in der vor ihnen liegenden Zeit sein würde. Wer von ihnen würde sich am Ende als entschlossener und ausdauernder erweisen? Er wußte, daß es keine zwei Menschen gab, die sich ganz gleich waren, weder in der Charakterstärke noch in der Gabe zu führen, nicht einmal in der Fähigkeit zu lieben. Er wußte auch, daß das mit dem Geschlecht wenig zu tun hatte, daß bei Frauen Verstand und Herz oft stärker waren als bei Männern und daß nach außen gezeigte Männlichkeit manchmal nur eine hohle Pose war, um innere Schwäche zu verbergen.

War Vivian stärker als er selbst? War ihr Charakter besser, ihr Mut größer? Diese Frage hatte er sich am Abend vorher gestellt, und seither hatte sie ihn nicht losgelassen. Als er erfuhr, daß die Entscheidung für die Amputation gefallen war, und er wußte, daß Vivian unterrichtet war, war er zu ihr gegangen. Er hatte sie nicht in Tränen aufgelöst, sondern lächelnd angetroffen. »Komm herein, Mike, Liebling«, hatte sie gesagt, »und mache bitte kein so düsteres Gesicht. Dr. Grainger hat mir alles gesagt, und ich habe mich ausgeweint. Jetzt ist es vorüber, oder wird es morgen wenigstens sein.«

Bei diesen Worten fühlte er, wie seine Liebe für sie sich vertiefte. Er preßte sie an sich und küßte sie leidenschaftlich. Sie wühlte zärtlich in seinem Haar, bog seinen Kopf zurück und sah ihm gerade in die Augen.

»Für den Rest meines Lebens werde ich nur ein Bein haben, Mike«, sagte sie. »Ich werde nicht mehr das Mädchen sein, das du kennengelernt hast. Nicht mehr so, wie du mich zum erstenmal gesehen hast, und nicht mehr so, wie du mich jetzt kennst. Wenn du zurück willst - ich kann es verstehen.«

Voller Nachdruck erwiderte er: »Du sollst so etwas nicht sagen.«

»Warum?« fragte sie. »Fürchtest du dich, darüber zu sprechen?«

»Nein!« Es war ein lauter, harter Protest, aber im gleichen Augenblick, als er ihn aussprach, wußte er, daß er log. Er fürchtete sich. Ebenso, wie er spürte, daß Vivian sich nicht fürchtete - jetzt nicht, jetzt nicht mehr.

Es war das Abbild Vivians, erkannte er, das er jetzt in ihrer Mutter sehen konnte, oder richtiger umgekehrt. Die Kraft, die sie beide besaßen, war unverkennbar. War seine Kraft ebenso groß? Zum erstenmal beschlichen ihn unbehagliche Zweifel.

Mr. Loburton hatte sein monotones Hin und Her unterbrochen. Mitten zwischen dem Fenster und dem Stuhl war er stehengeblieben. »Michael«, sagte er, »es sind jetzt anderthalb Stunden. Kann es noch viel länger dauern?«

Seddons bemerkte, daß auch Vivians Mutter ihn ansah. Er schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Dr. Grainger sagte, sie wolle sofort herkommen, wenn, unmittelbar danach.« Er schwieg, fügte dann hinzu: »Wir werden es bald wissen - sehr bald.«

XIX

Dr. Dornberger griff durch die beiden runden Öffnungen an den Seiten des Brutkastens und untersuchte das Kind der Alexanders gründlich. Dreieinhalb Tage waren seit der Geburt vergangen, eine Tatsache, die normalerweise als ein hoffnungsvolles Zeichen gewertet werden konnte. Aber es zeigten sich Symptome, die ständig deutlicher wurden, von denen Dornberger wußte, daß sie bedenklich waren.

Er ließ sich Zeit bei seiner Untersuchung, trat dann nachdenklich zurück, erwog in Gedanken die vorliegenden Anzeichen, filterte sie durch seine in langen Jahren und bei den zahllosen von ihm behandelten Fällen gesammelten Erfahrungen. Am Ende bestätigten seine Überlegungen, was ihm sein Instinkt bereits sagte. Die Prognose war außerordentlich ungünstig. »Wissen Sie«, sagte er, »eine Zeitlang habe ich geglaubt, er würde es schaffen.«

Die junge Schwester, die das Säuglingszimmer mit den Frühgeburten unter sich hatte - die gleiche, mit der John Alexander vor ein paar Tagen gesprochen hatte -, sah Dornberger erwartungsvoll an. Sie sagte: »Sein Atem war bis vor einer Stunde noch ganz regelmäßig. Dann wurde er schwächer. Deshalb rief ich Sie an.«

Eine Lernschwester auf der anderen Seite des Brutkastens folgte aufmerksam der Unterhaltung. Ihre Augen über der Gazemaske wanderten zwischen Dornberger und der Stationsschwester hin und her.

»Nein, die Atmung ist nicht gut«, bestätigte Dornberger langsam. Er dachte laut weiter, versuchte sich zu vergewissern, daß er nichts übersah. »Die gelbe Verfärbung ist stärker geworden, als sie sein dürfte, und die Füßchen scheinen geschwollen zu sein. Geben Sie mir noch einmal das Ergebnis der Blutzählung.«

Die Stationsschwester blickte auf ihre Notiztafel: »4,9 Millionen rote Blutkörperchen, sieben rote Blutkörperchen mit Kernen auf je hundert weiße Blutkörperchen.«

Wieder entstand eine Pause, während die beiden Schwestern Dr. Dornberger beobachteten, der über den Befund nachdachte. Er überlegte: Im ganzen ist die Anämie zu groß, obwohl sie natürlich eine überstarke Reaktion normaler Art sein kann. Laut sagte er: »Wissen Sie, wenn der Sensibilitätsbefund nicht vorläge, würde ich vermuten, daß das Kind Erythroblastose hat.«

Die Stationsschwester sah ihn überrascht an. »Aber zweifellos, Doktor,«, dann brach sie ab.

»Ich weiß, das kann nicht passieren.« Er deutete auf die Notiztafel. »Trotzdem. Zeigen Sie mir den Laborbefund. Das Original über das Blut der Mutter.«

Die Stationsschwester schlug ein paar Blätter um, fand das Formular und zog es heraus. Es war der Bericht, den Dr. Pearson nach seinem Zusammenstoß mit David Goleman unterschrieben hatte. Dornberger studierte ihn sorgfältig, reichte ihn zurück. »Nun, das ist eindeutig genug - Sensibilität negativ.«

Natürlich sollte das eindeutig sein, aber er konnte einen nagenden Zweifel nicht unterdrücken. War der Befund etwa doch falsch? Unmöglich! sagte er sich, die pathologische Abteilung kann niemals einen so groben Fehler begehen. Trotzdem entschloß er sich, nach seiner Visite Joe Pearson aufzusuchen und mit ihm zu sprechen.

Zu der Stationsschwester sagte Dornberger: »Im Augenblick können wir nichts weiter tun. Benachrichtigen Sie mich bitte sofort, wenn eine Veränderung eintritt.«

»Ja, Doktor.«

Ab Dornberger fort war, fragte die Lernschwester: »Was hat der Doktor gesagt? Erythro.?« Sie stolperte über das Wort.

»Erythroblastose. Das ist eine Blutkrankheit bei Säuglingen. Sie tritt manchmal auf, wenn das Blut der Mutter Rh-negativ und das des Vaters Rh-positiv ist.« Die junge Stationsschwester mit dem roten Haar beantwortete die Frage genau und sachlich wie immer. Die Lernschwestern ließen sich bei der Verteilung der Arbeit gern ihr zuweisen, da sie nicht nur im Ruf stand, eine der besten Schwestern des Krankenhauses zu sein, sondern weil es auch nur wenig über zwölf Monate her war, daß sie ihre eigene Lehrzeit als Beste ihres Kursus abgeschlossen hatte. Das wußten die Lernschwestern und zögerten deshalb nicht, sie auszufragen.

»Ich dachte, in diesen Fällen würde das Blut des Kindes gleich nach der Geburt ausgetauscht.«

»Sie meinen durch eine Austauschtransfusion?«

»Ja.«

»Nur in manchen Fällen«, erklärte die Stationsschwester bereitwillig. »Es hängt von dem Sensibilitätsbefund über das Blut der Mutter ab. Wenn der Befund positiv ist, bedeutet es im allgemeinen, daß das Kind mit Erythroblastose geboren wird und daß unmittelbar nach der Geburt eine Austauschtransfusion vorgenommen werden muß. In dem vorliegenden Fall war der Laboratoriumsbefund aber negativ, so daß die Austauschtransfusion nicht notwendig war.« Die Stationsschwester schwieg. Dann fügte sie nachdenklich, halb zu sich selbst, hinzu: »Die Symptome sind allerdings auffällig.«

Seit der Auseinandersetzung über die Frage der Laborüberprüfungen vor einigen Tagen war der alte Pathologe mit keinem Wort auf David Colemans Arbeit im serologischen Labor zurückgekommen. Coleman hatte keine Ahnung, was das Schweigen bedeutete ob er seinen Standpunkt durchgesetzt hatte und ihm die Serologie nun unmittelbar unterstand oder ob Pearson beabsichtigte, die Frage später wieder aufzugreifen. Inzwischen hatte der junge Pathologe allerdings die Gewohnheit angenommen, regelmäßig im Labor zu erscheinen und die in Arbeit befindlichen Untersuchungen zu überprüfen. Das Ergebnis war, daß er schon verschiedene klare Vorstellungen davon besaß, wo und wie die Verfahren geändert werden mußten, und einige der geringfügigeren Änderungen in den letzten beiden Tagen bereits angeordnet hatte.

Zwischen ihm und Carl Bannister, dem alten Laboranten, herrschte etwas, das man fast ab einen latenten Waffenstillstand bezeichnen konnte. John Alexander hatte andererseits klar zu er kennen gegeben, daß er Colemans Aufmerksamkeit gegenüber dem Labor begrüßte, und hatte in den beiden letzten Tagen ein paar Anregungen vorgebracht, die von Coleman gebilligt worden waren.

Alexander hatte am Tag, nachdem seine Frau in das Krankenhaus gebracht worden war, trotz einer geknurrten, aber freundlichen Bemerkung Pearsons, er könne Urlaub nehmen, wenn er wolle, seine Arbeit wiederaufgenommen. Coleman hatte gehört, wie Alexander dem alten Pathologen sagte: »Trotzdem vielen Dank, Doktor, aber wenn ich nicht arbeite, denke ich zuviel nach, und das macht es nicht besser.« Pearson hatte genickt und geantwortet, Alexander könne tun, was ihm behage, und wenn er wolle, aus dem Labor nach oben gehen, um seine Frau und das Kind zu besuchen.

Jetzt öffnete David Coleman die Tür zum serologischen Labor und trat ein. Er fand John Alexander an dem mittleren Arbeitstisch vor einem Mikroskop, und ihm gegenüber stand eine Frau mit außergewöhnlich großen Brüsten in einem weißen Mantel, die er, wie Coleman sich undeutlich erinnerte, schon ein paarmal nach seiner Ankunft im Krankenhaus gesehen hatte.

Als er eintrat, sagte Alexander: »Sie sollten Dr. Pearson oder Dr. Coleman fragen. Ich leite den Befund an sie weiter.«

»Um was handelt es sich?« Als Coleman gleichmütig fragte, wendeten ihm beide die Köpfe zu.

Die Frau sprach zuerst: »Oh, Doktor.« Sie sah ihn forschend an. »Sind Sie Dr. Coleman?«

»Ja.«

»Ich bin Hilda Straughan.« Sie reichte ihm die Hand und fügte hinzu: »Die Küchenleiterin.«

»Freut mich sehr.« Während sie ihm die Hand schüttelte, bemerkte er fasziniert, daß ihre prachtvollen Brüste die Bewegung ihrer Arme mitmachten - ein wallendes, wogendes, rollendes Auf und Ab. Er riß sich von diesem Anblick los und fragte: »Kann ich Ihnen behilflich sein?« Er wußte aus eigener Erfahrung, daß die Pathologie mit der Küchenleitung im allgemeinen in Fragen der Ernährungshygiene eng zusammenarbeitete.

»In den letzten Wochen hatten wir einige Fälle von Darmgrippe«, erklärte die Küchenleiterin. Sie fügte hinzu: »Hauptsächlich unter den Angestellten des Krankenhauses.«