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»Das weiß ich.« David Coleman versuchte, den sarkastischen Ton in seiner Stimme zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. »Hat jemals jemand versucht, etwas dagegen zu unternehmen?«
Der alte Mann warf ihm einen spöttischen Blick zu. Überraschend ruhig antwortete er: »Vermutlich denken Sie, daß hier alles sehr unfähig geleitet wird.«
»Da Sie mich danach fragen, ja!« Coleman preßte die Lippen zusammen. Er fragte sich, wie lange sie beide in dieser Art Atmosphäre zusammenarbeiten könnten.
Pearson hatte eine der unteren Schubladen seines Schreibtisches aufgezogen und wühlte zwischen Akten und Papieren. Während er suchte, sagte er in einem Ton, in dem sich Zorn und Depression in seltsamer Weise zu mischen schienen: »Sie sind so jung und grün und voller großer Rosinen. Sie kommen her, und zufällig zu einer Zeit, in der wir hier eine neue Verwaltung bekommen haben, in der mehr Geld als seit Jahren zur Verfügung steht. Folglich glauben Sie, hier sei alles nur deshalb falsch, weil nie jemand daran dachte, etwas zu verbessern, es nie jemand versucht hätte.« Er hatte gefunden, was er suchte, und warf ein umfangreiches Aktenstück auf den Schreibtisch.
»Das habe ich nicht gesagt.« Colemans Antwort kam scharf.
Pearson schob ihm das Aktenstück hin. »Hier haben Sie die Korrespondenz wegen der Heißwasseranlage in der Küche. Wenn Sie sich die Mühe machen und sie lesen, können Sie feststellen, daß ich schon seit Jahren für eine neue Heißwasseranlage kämpfe.« Pearson hob seine Stimme. Herausfordernd fügte er hinzu: »Nur zu. Sehen Sie sich das ruhig an.«
Coleman schlug den Aktendeckel auf und las das oberste Schreiben. Er blätterte um, dann weiter, überflog die folgenden Seiten. Sofort erkannte er, wie gründlich er sich geirrt hatte. Die Briefe erhielten verdammende Urteile Pearsons über die hygienischen Verhältnisse in der Krankenhausküche, waren in noch schärferen Ausdrücken gehalten, als er selbst verwendet hätte. Die Korrespondenz reichte mehrere Jahre zurück.
»Nun?« Pearson hatte ihn beobachtet, während er las.
Ohne zu zögern erklärte Coleman: »Es tut mir leid. Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Jedenfalls in diesem Punkt.«
»Lassen Sie nur.« Pearson winkte gereizt ab. Dann, als er den Sinn der Worte verstanden hatte: »Wollen Sie sagen, es gäbe noch mehr?«
Zurückhaltend antwortete Coleman: »Als ich die Mängel der Geschirrspülmaschine feststellte, entdeckte ich auch, daß seit nahezu sechs Monaten keine Laboruntersuchungen des Küchenpersonals mehr vorgenommen wurden.«
»Warum?« Die Frage kam scharf wie eine Explosion.
»Anscheinend wurden von dem Gesundheitsbüro keine Proben heruntergeschickt. Die Küchenleiterin geht dem jetzt nach.«
»Und wollen Sie behaupten, daß wir nicht zurückgefragt haben, daß niemand in der Pathologie sich darum kümmerte, wo sie blieben?«
»Offensichtlich nicht.«
»Dieser Idiot Bannister. Das ist ernst.« Pearson war ehrlich erschrocken, seine Feindschaft gegen Coleman schien vergessen.
Coleman sagte ruhig: »Ich dachte es würde Sie interessieren.«
Pearson hatte das Telefon aufgenommen. Nach einer Pause sagte er: »Geben Sie mir den Verwaltungsdirektor.«
Das Gespräch, das folgte, war knapp und sachlich. Pearson legte den Hörer zurück und stand auf. Er sagte zu Coleman: »Tomaselli kommt herunter. Wir wollen ihn im Labor treffen.«
Es dauerte nur wenige Minuten, um im Labor noch zu bestätigen, was Coleman bereits festgestellt hatte. John Alexander trug Tomaselli und Pearson aus seinen Aufzeichnungen nochmals seine Untersuchungsergebnisse vor, und Pearson betrachtete die Präparate durch das Mikroskop. Als er sich aufrichtete, kam gerade die Küchenleiterin ins Labor. Der Verwaltungsdirektor wendete sich zu ihr. »Was haben Sie festgestellt?«
»Es ist unglaublich, aber wahr.« Mrs. Straughan schüttelte verständnislos den Kopf. Sie wandte sich an Pearson. »Anfang des Jahres wurde im Gesundheitsbüro eine neue Arbeitskraft eingestellt, Dr. P. Niemand hat ihr etwas von den Laboruntersuchungen für das Küchenpersonal gesagt. Aus diesem Grunde wurden keine Proben mehr heruntergeschickt.«
Tomaselli sagte: »Es sind also seit einiger Zeit keine Untersuchungen mehr durchgeführt worden. Wie lange nicht?«
»Annähernd sechs Monate.«
Coleman bemerkte Carl Bannister, der mit ernstem Gesicht abseits der Gruppe stand. Scheinbar war er beschäftigt, aber Coleman beobachtete, daß der erste Laborant sich nichts entgehen ließ.
Der Verwaltungsdirektor fragte Pearson: »Was schlagen Sie vor? «
»Als erstes sollten alle, die seither eingestellt wurden, so schnell wie möglich untersucht werden«, antwortete der alte Pathologe nachdrücklich und knapp. »Danach müssen alle anderen nachuntersucht werden. Das bedeutet: Stuhlkulturen, Röntgenaufnahmen der Brust und eine allgemeine Untersuchung. Und das gesamte Küchenpersonal und jeder, der irgendwie mit Lebensmitteln zu tun hat, muß erfaßt werden.«
»Wollen Sie das organisieren, Mrs. Straughan?« fragte Tomaselli. »Arbeiten Sie mit dem Gesundheitsbüro zusammen, es kann den größten Teil der Einzelheiten übernehmen.«
»Ja, Mr. T, ich gehe sofort daran.« Sie wogte aus dem Labor.
»Sonst noch etwas?« Tomaselli hatte sich wieder Pearson zugewandt.
»Wir brauchen einen neuen Dampferhitzer für die Geschirrspülmaschinen. Entweder das, oder sie müssen ganz herausgerissen und durch neue ersetzt werden.« Pearson erhob erregt seine Stimme. »Das erkläre ich nun jedem seit Jahren.«
»Ich weiß.« Tomaselli nickte. »Ich habe die Akte geerbt, und es steht obenan auf unserer Liste. Die Schwierigkeit ist, daß wir so viele hohe Ausgaben für Anschaffungen hatten.« Er überlegte. »Ich wüßte gern, wie groß der Unterschied in den Kosten ist.«
Ungerechtfertigt gereizt antwortete Pearson: »Woher soll ich das wissen? Ich bin kein Installateur.«
»Etwas verstehe ich davon. Vielleicht kann ich helfen.« Auf die milde gesprochenen Worte hin, drehten die anderen sich um. Es war Dr. Dornberger, der mit seinen Händen an seiner unvermeidlichen Pfeife fingerte. Er war still und unbemerkt in das Labor gekommen. Als er Harry Tomaselli sah, fragte er: »Ich störe doch nicht?«
Pearson antwortete knurrend: »Nein, durchaus nicht.«
Dornberger bemerkte, daß John Alexander ihn ansah. Er sagte: »Ich war gerade bei Ihrem Kind, mein Junge. Ich fürchte, es geht ihm nicht sehr gut.«
»Besteht denn Hoffnung, Doktor?« Alexanders Stimme klang ruhig. Die anderen sahen zu ihm hin. Ihr Ausdruck war etwas besänftigt. Bannister legte seine Pipette hin und trat näher.
»Ich fürchte, nicht sehr viel«, antwortete Dornberger langsam. Es entstand ein Schweigen. Dann wendete sich Dornberger, als ob ihm wieder etwas eingefallen sei, an Pearson: »Ich nehme an, Joe, daß an dem Blutsensibilitätstest für Mrs. Alexander kein Zweifel besteht?«
»Zweifel?«
»Ich meine, daß das Ergebnis richtig ist?«
Pearson schüttelte den Kopf. »Es ist völlig in Ordnung, Charlie. Ich habe ihn selbst durchgeführt - sehr sorgfältig sogar.« Verwundert fügte er hinzu: »Warum fragst du?«
»Nur um mich zu vergewissern.« Dornberger paffte an seiner Pfeife. »Heute morgen hatte ich eine Zeitlang den Verdacht, das Kind habe Erythroblastose. Es scheint aber eine weit hergeholte Vermutung zu sein.«
»Das ist völlig unwahrscheinlich«, erklärte Pearson nachdrücklich.
Dornberger antwortete: »Ja, ich glaube es auch.«
Wieder herrschte Schweigen. Sie blickten auf Alexander. David Coleman wollte etwas sagen - irgend etwas, um die Aufmerksamkeit von John abzulenken, um es dem jungen Laboranten zu erleichtern. Fast ohne zu überlegen erklärte er Dornberger. »Es bestanden einmal gewisse Zweifel an den Sensibilitätstests, als in den Labors nur Salzlösung und konzentriertes Protein verwendet wurde. Damals wurden positive Fälle gelegentlich als negativ bezeichnet. Heute allerdings sind die Ergebnisse mit einem indirekten Coombs-Test absolut sicher.« Als er zu Ende gesprochen hatte, wurde ihm bewußt, daß dieser Test in dem Labor hier erst nach seiner Ankunft eingeführt worden war. Er hatte nicht die Absicht gehabt, Pearson eins auszuwischen. Im Augenblick hoffte er, der alte Mann würde es nicht bemerken. Es hatte schon genug Streit zwischen ihnen gegeben, und die Lage brauchte nicht unnötig verschärft zu werden.
»Aber, Dr. Coleman.« Alexander stand mit offenem Mund und entsetzten Augen da.
»Ja, was ist denn?« Coleman verstand nicht. Keines seiner Worte konnte diese Reaktion erklären.
»Wir haben keinen indirekten Coombs-Test durchgeführt.«
Trotz seiner Sympathie für Alexander ärgerte sich Coleman. Pearsons wegen wünschte er, jetzt nicht weiter über das Thema zu sprechen. Nun blieb ihm keine andere Wahl. »Aber ja. Sie taten es doch selbst«, sagte er von oben herab. »Ich erinnere mich, daß ich die Anforderung für Coombs-Serum unterschrieben habe.«
Alexander sah ihn verzweifelt mit flehenden Augen an. Er antwortete: »Aber Dr. Pearson sagte, es sei nicht notwendig. Der Test wurde nur in Salzlösung und konzentriertem Protein vorgenommen.«