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Pearson schien das Ganze nicht zu behagen. Mit einem Anflug von Verlegenheit sagte er zu Coleman: »Ich wollte es Ihnen die ganze Zeit sagen. Es ist mir nur entfallen.«
David Colemans Verstand war jetzt eisklar. Aber ehe er weiterging, wollte er eine Tatsache eindeutig geklärt haben. »Habe ich richtig verstanden«, fragte er Alexander, »daß überhaupt kein indirekter Coombs-Test durchgeführt wurde?«
Als Alexander nickte, warf Dornberger scharf dazwischen: »Einen Augenblick. Das will ich genau wissen. Meinen Sie, daß die Mutter - Mrs. Alexander - doch sensibilisiertes Blut haben kann?«
»Selbstverständlich kann sie das.« Rücksichtslos schlug Coleman mit scharf erhobener Stimme zu. »Die Tests in Salzlösung und konzentriertem Protein sind in vielen Fällen ausreichend, aber nicht in allen. Jeder, der in der Hämatologie auf dem laufenden ist, weiß das.« Er warf einen Seitenblick auf Pearson, der sich nicht gerührt zu haben schien. Zu Dornberger gewandt fuhr er fort: »Deshalb habe ich einen indirekten Coombs-Test angeordnet.«
Der Verwaltungsdirektor versuchte immer noch, die medizinische Bedeutung zu verstehen. »Wenn Sie diesen Test angeordnet haben, warum wurde er dann nicht ausgeführt?«
Coleman fuhr auf Bannister los. Mit erbarmungslosen Augen fragte er: »Was ist mit der Einkaufsanforderung geschehen, die ich unterschrieben habe - die Anforderung für Coombs-Serum?« Als der Laborant zögerte: »Nun?«
Bannister zitterte. Kaum hörbar murmelte er: »Ich habe sie zerrissen.«
Ungläubig rief Dornberger aus: »Was? Sie haben die Anforderung eines Arztes zerrissen? Und ohne es ihm zu sagen?«
Rücksichtslos fuhr Coleman fort: »Auf wessen Anweisung hin haben Sie das getan?«
Bannister sah zu Boden. Widerwillig antwortete er: »Dr. Pearson hat es befohlen.«
Dornberger überlegte schnell. Zu Coleman sagte er: »Das bedeutet, daß das Kind Erythroblastose haben kann. Alles deutet auch daraufhin.«
»Werden Sie eine Austauschtransfusion vornehmen?«
Bitter erwiderte Dornberger: »Wenn es überhaupt nötig war, hätte es gleich nach der Geburt geschehen müssen. Aber vielleicht besteht noch eine Chance, so spät es schon ist.« Er sah den jungen Pathologen an, als wolle er ausdrücken, daß nur auf Colemans Urteil vertraut werden könne. »Aber ich will sicher sein. Das Kind hat nicht mehr sehr viel Kraft einzusetzen.«
»Wir brauchen einen direkten Coombs-Test mit dem Blut des Kindes.« Coleman reagierte schnell und sachlich. Jetzt spielte die Szene zwischen Dornberger und ihm. Pearson stand immer noch da, als ob er von der Schnelligkeit, in der sich alles abspielte, betäubt sei. Coleman fuhr Bannister an: »Gibt es Coombs-Serum hier im Krankenhaus?«
Der Laborant schluckte. »Nein.«
Hier ging es um eine Frage, die in den Bereich des Verwaltungsdirektors gehörte. Er fragte knapp: »Wo kann man es bekommen?«
»Dazu fehlt uns die Zeit.« Coleman schüttelte den Kopf. »Wir müssen den Test woanders durchführen lassen, bei jemand, der die Möglichkeit dazu hat.«
»Die Universität wird es tun. Ihr Labor ist sowieso größer als unseres.« Harry Tomaselli ging zum Telefon. Er sagte zu der Zentrale: »Geben Sie mir das Universitätskrankenhaus, bitte.« Zu den anderen gewandt: »Wer leitet dort die pathologische Abteilung?«
Dornberger sagte: »Dr. Franz.«
»Dr. Franz, bitte. «Tomaselli fragte: »Wer will mit ihm sprechen?«
»Ich.« Coleman nahm den Hörer. Die anderen hörten ihm zu: »Dr. Franz? Hier spricht Dr. Coleman, stellvertretender Pathologe am Three Counties Hospital. Können Sie für uns dringend einen Coombs-Test durchführen?« Es folgte eine Pause, in der Coleman zuhörte. Dann sagte er: »Ja, wir schicken die Probe sofort hinüber. Danke, Doktor. Guten Tag.« Er drehte sich wieder um. »Wir brauchen sofort eine Blutprobe.«
»Ich werde Ihnen helfen, Doktor.« Das war Bannister, der schon ein Tablett mit den erforderlichen Geräten in den Händen hielt.
Coleman war im Begriff abzulehnen, als er das stumme Flehen im Blick des alten Laboranten erkannte. Er zögerte noch, ehe er zustimmte: »Also gut, kommen Sie mit.« Als sie hinausgingen, rief der Verwaltungsdirektor ihnen nach: »Ich organisiere einen Streifenwagen der Polizei. Dann kriegen Sie die Probe schneller hin.«
»Bitte, ich möchte sie hinbringen - mit dem Polizeiwagen fahren.« Das war John Alexander.
»Gut.« Der Verwaltungsdirektor hatte den Hörer am Ohr. Kurz sagte er in den Apparat: »Geben Sie mir die städtische Polizei« Zu Alexander gewandt: »Gehen Sie mit den anderen und bringen Sie die Blutprobe in die Notaufnahme hinunter. Ich werde den Streifenwagen dort warten lassen.«
»Ja, Sir.« Alexander ging schnell hinaus.
»Hier ist der Verwaltungsdirektor des Three Counties Hospitals.« Tomaselli sprach wieder in das Telefon. »Ich bitte Sie um einen Polizeiwagen, um eine dringende Blutprobe zu befördern.« Er hörte kurz zu. »Ja, unsere Leute werden an dem Eingang der Notaufnahme warten.« Als er den Hörer einhängte, sagte er: »Ich überzeuge mich am besten selbst davon, daß alles klappt.« Er ging hinaus und ließ Pearson und Dornberger allein.
In den letzten Sekunden hatten sich im Kopf des alten Geburtshelfers die Gedanken gehetzt. Es war unvermeidlich gewesen, daß Charles Dornberger während der vielen Jahre, in denen er Medizin praktiziert hatte, Patienten nicht am Leben erhalten konnte. Manchmal schien ihr Tod fast vorausbestimmt zu sein. Aber immer hatte er um ihr Leben gekämpft, zeitweise wild und verbissen, und nie vor dem endgültigen Ende aufgegeben. Und in allen Fällen - ob er Erfolg gehabt hatte oder nicht - konnte er von sich selbst aufrichtig sagen, daß er in Ehren bestanden, daß er hohe Anforderungen an sich gestellt, daß er nichts dem Zufall überlassen, daß er sich immer mit seinen ganzen Kräften eingesetzt hatte. Es gab Ärzte, die es manchmal weniger genau nahmen, das wußte er. Aber nach seinem besten Wissen und Gewissen hatte er niemals einen Patienten durch Versäumnisse oder Nachlässigkeit verloren.
Bis zu diesem Augenblick.
Jetzt schien ihm, daß er vor dem Ende seiner eigenen Laufbahn stand, daß er die traurige und bittere Ernte der Unfähigkeit eines anderen teilen mußte. Und das schlimmste war - eines Mannes, der sein Freund war.
»Joe«, begann er, »ich muß dir etwas sagen.«
Pearson hatte sich auf einen Laborhocker sinken lassen. Sein Gesicht hatte jede Farbe verloren, sein Blick ging ins Leere. Nun sah er langsam auf.
»Dieses Kind war eine Frühgeburt, Joe, aber es war normal, und wir hätten sofort nach der Geburt eine Austauschtransfusion vornehmen können.« Dornberger schwieg. Und als er fortfuhr, lag der ganze Aufruhr seiner Gefühle in seiner Stimme: »Joe, wir sind sehr lange Freunde gewesen. Und manches Mal bin ich für dich aufgestanden und habe dir geholfen, deine Kämpfe auszufechten. Aber dieses Mal, wenn dieses Kind stirbt, so wahr mir Gott helfe, werde ich dich schonungslos vor den medizinischen Ausschuß bringen.«
XX
»Du lieber Himmel, was machen die da drüben nur. Warum haben wir noch nichts gehört?« Dr. Joseph Pearsons Finger trommelten einen kurzen Wirbel auf seiner Schreibtischplatte. Es war eineinviertel Stunden her, seit dem Kind der Alexanders die Blutprobe abgenommen und sofort ins Universitätskrankenhaus gebracht worden war. Nun warteten der alte Pathologe und David Coleman in Pearsons Arbeitszimmer.
Coleman sagte ruhig: »Ich habe Dr. Franz noch einmal angerufen. Er versprach, uns das Ergebnis sofort telefonisch durchzugeben.«
Pearson nickte dumpf. »Wo ist der Junge - Alexander?« fragte er.
»Die Polizei hat ihn wieder zurückgebracht. Er ist bei seiner Frau.« Coleman zögerte. »Meinen Sie nicht, daß wir uns mit dem Gesundheitsbüro über die Situation in der Küche auseinandersetzen sollten, solange wir doch warten müssen? Und uns vergewissern, ob die Untersuchung des Küchenpersonals begonnen hat?«
Pearson schüttelte den Kopf. »Später. Erst wenn das vorüber ist.« Er sagte heftig: »Ich kann an nichts anderes denken, solange der Fall nicht geklärt ist.«
Zum erstenmal, seit an diesem Vormittag in dem Labor die Ereignisse so unvermittelt ihren Anfang genommen hatten, dachte David Coleman über Pearson und das, was der alte Mann empfinden mochte, nach. Colemans Erklärung über den Sensibilitätstest war mit keinem Wort angezweifelt worden, und durch sein Schweigen schien Pearson stillschweigend zuzugeben, daß sein jüngerer Kollege besser informiert war als er selbst, zumindest auf diesem Gebiet. Coleman dachte: es muß bitter für ihn sein, das einzugestehen, und zum erstenmal empfand er für den alten Mann eine Regung der Sympathie.
Pearson hörte auf zu trommeln und schlug mit der flachen Hand hart auf den Tisch. »Warum rufen sie denn nicht an, verdammt noch mal?« rief er ungeduldig aus.
»Etwas Neues von der Pathologie?«
Dr. Charles Dornberger wartete, gewaschen und im Operationsanzug, für den Eingriff bereit in dem kleinen Operationsraum neben der Entbindungsstation. Die Frage war an die Stationsschwester gerichtet, die gerade hereingekommen war.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Doktor.«
»Wie weit sind wir mit den Vorbereitungen?«
Die Schwester füllte zwei Gummiwärmflaschen und legte sie unter die Decke auf dem kleinen Operationstisch, der für Säuglinge benutzt wurde. Sie antwortete: »In ein paar Minuten ist alles fertig.«
Ein Praktikant trat ein und fragte Dr. Dornberger: »Beabsichtigen Sie, mit der Austauschtransfusion zu beginnen, auch wenn das Ergebnis des Coombs-Tests noch nicht vorliegt?«
»Ja«, antwortete er. »Wir haben schon zuviel Zeit verloren, und ich will nicht noch länger warten.« Er überlegte, dann fuhr er fort: »Jedenfalls ist die Anämie an dem Kind jetzt so deutlich erkennbar, daß die Austauschtransfusion auch ohne den Test gerechtfertigt ist.«
Die Schwester sagte: »Übrigens, Doktor, die Nabelschnur des Kindes ist sehr kurz abgeschnitten worden. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist.«
»Doch. Ich weiß es. Danke.« Dem Praktikanten erklärte Dornberger: »Wenn wir vorher wissen, daß eine Austauschtransfusion notwendig ist, lassen wir die Nabelschnur bei der Geburt lang, um einen leicht zugänglichen Verbindungspunkt zu haben. Bedauerlicherweise wußten wir in diesem Fall nicht rechtzeitig Bescheid, und darum wurde sie kurz abgeschnitten.