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»Ja?« Chandlers Ton machte deutlich, daß er über die Unterbrechung ungehalten war.

Freundlich sagte O'Donnell: »Wir werden auf diesen Punkt gleich zu sprechen kommen, Harvey. Für den Augenblick möchte ich Sie bitten, nur die klinischen Aspekte darzulegen.«

Er konnte den Ärger des anderen spüren. Harvey Chandler, der praktisch in der Krankenhaushierarchie den gleichen Status wie O'Donnell einnahm, gefiel das ganz und gar nicht. Außerdem liebte Dr. Chandler es, lange Reden zu halten. Er stand in dem Ruf, sich niemals mit einem Wort zu begnügen, wenn man zwei oder drei verwenden konnte. Jetzt murmelte er: »Also gut, wenn Sie das so wünschen, aber.«

Liebenswürdig, aber fest warf O'Donnell dazwischen: »Ich danke Ihnen.«

Chandler warf ihm einen Blick zu, der besagte: darüber werden wir uns später noch privat unterhalten. Dann fuhr er nach einem kaum wahrnehmbaren Zögern fort: »Zur Informierung jener, die mit Typhus nicht vertraut sind - und ich weiß wohl, daß es bei einigen der Fall sein wird, weil man Typhus heutzutage nicht mehr oft antrifft -, will ich die wichtigsten Symptome des Anfangsstadiums darlegen. Allgemein gesprochen, es tritt steigendes Fieber auf, mit Schüttelfrost und langsamem Puls. Die Blutzählungen sind niedrig, und natürlich treten die charakteristischen rötlichen Flecke auf. Außerdem wird der Patient neben all dem wahrscheinlich über dumpfe Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und allgemeines Unbehagen klagen. Manche Patienten werden sagen, daß sie tagsüber benommen und während der Nacht ruhelos sind. Ein weiterer Punkt besteht darin, auf Bronchitis zu achten, die recht häufig mit Typhus zusammen auftritt, und man kann auch Nasenbluten finden. Und selbstverständlich eine druckempfindliche geschwollene Milz.«

Damit setzte sich der Chef der inneren Abteilung. O' Donnell fragte: »Irgendwelche Fragen?«

Lucy Grainger sagte: »Ich nehme an, daß Typhusimpfungen angesetzt sind?«

»Ja, für alle Angestellten und Mitglieder des Ärztestabes und auch für die Patienten, deren Gesundheitszustand es zuläßt.«

»Welche Maßnahmen sind in der Küche vorgesehen?« Die Frage kam von Bill Rufus.

O'Donnell antwortete: »Wenn Sie erlauben, kommen wir noch darauf zu sprechen. Ist im Augenblick noch zum Medizinischen eine Frage?«Er sah sich um, überall Kopfschütteln. »Also gut. Hören wir jetzt die Pathologie.« Er verkündete ruhig: »Dr. Pearson.«

Bis zu diesem Augenblick waren im Hintergrund Geräusche zu hören gewesen. Unruhe, Rücken von Stühlen, gemurmelte Unterhaltung neben den Ausführungen der Sprecher. Aber jetzt herrschte völlige Stille, während sich die Blicke aller neugierig dem Platz in der Mitte des langen Tisches zuwandten, wo Joe Pearson saß. Seit er eingetreten war, hatte er kein Wort gesprochen, sondern schweigend vor sich hingestarrt. Zum erstenmal hatte er sich keine Zigarre angezündet, und das wirkte wie das Fehlen eines vertrauten Wahrzeichens. Selbst jetzt, als sein Name aufgerufen wurde, bewegte er sich nicht.

O'Donnell war schon im Begriff, den Pathologen noch einmal aufzurufen, als Pearson sich rührte. Der alte Mann schob seinen Stuhl zurück und stand auf.

Langsam wanderten seine Augen durch den Sitzungssaal, den ganzen Tisch entlang und wieder zu seinem Kopfende zurück. Während er O'Donnell gerade ansah, sagte Pearson: »Diese Epidemie hätte nicht auftreten dürfen. Es wäre auch nicht geschehen, wenn die Pathologie auf Versäumnisse bei den hygienischen Vorsichtsmaßregeln geachtet hätte. Für diese Nachlässigkeit ist meine Abteilung verantwortlich - und damit ich selbst.«

Wieder Schweigen. Es war wie ein historischer Augenblick. Viele Male hatte Joe Pearson in diesem Raum andere beschuldigt, Fehler begangen und Fehlurteile gefällt zu haben. Jetzt stand er vor ihnen und war Ankläger und Angeklagter zugleich.

O'Donnell fragte sich, ob er ihn unterbrechen solle. Er entschied sich dagegen. Wieder sah sich Pearson um. Dann sagte er langsam: »Nachdem festgestellt ist, wo ein Teil der Schuld liegt, müssen wir jetzt verhindern, daß sich die Epidemie weiter ausbreitet.« Er sah über den Tisch zu Harry Tomaselli hinüber. »Der Verwaltungsdirektor, die Abteilungsleiter und ich haben bestimmte Maßnahmen festgelegt, die sofort ergriffen werden müssen. Ich will sie Ihnen erläutern.«

Pearson schwieg. Als er weitersprach, klang seine Stimme fester. Es ist fast, dachte O'Donnell, als ob der alte Mann in diesem Augenblick einen Teil seiner Jahre abwerfe, als ob er ein Bild von dem bieten wolle, was er vor langer Zeit als junger Arzt einmal gewesen war: eindringlich, ernst, fähig. Der alte sarkastische Witz, seine Verachtung für die Hoheitsgebiete anderer, die sie alle in diesem Raum so gut kennengelernt hatten, waren verschwunden. An ihrer Stelle standen Autorität und Wissen und die gerade Offenheit eines Mannes, der ohne zu fragen voraussetzt, daß er mit seinesgleichen spricht.

»Das unmittelbare Problem«, sagte Pearson, »besteht darin, die Infektionsquelle festzustellen. Auf Grund des Versäumnisses, das Küchenpersonal in den vergangenen sechs Monaten regelmäßig und vorschriftsmäßig zu überwachen, liegt es nahe, den Krankheitsträger im Bereich der Küche zu vermuten und dort mit der Suche zu beginnen. Aus diesem Grunde muß das gesamte Küchenpersonal untersucht werden, noch ehe die nächste Mahlzeit im Krankenhaus ausgegeben wird.« Aus seiner abgetragenen Wollweste zog er seine Uhr und legte sie vor sich auf den Tisch. »Es ist jetzt vierzehn Uhr fünfzehn. Das gibt uns zweidreiviertel Stunden. In dieser Zeit muß jeder Angestellte, der in irgendeiner Form mit der Vorbereitung und der Ausgabe der Mahlzeiten im Krankenhaus zu tun hat, gründlich untersucht werden. Dazu sind die Kliniken für ambulante Patienten vorgesehen. Meines Wissens wurden alle Internisten und angestellten Ärzte des Krankenhauses schon vor der Sitzung darüber unterrichtet.«

Es sah sich wieder nach allen Seiten um und bemerkte, daß die Betroffenen zustimmend nickten. »Also gut. Sobald wir hier fertig sind, wird Dr. Coleman« - Pearson sah zu Coleman -»Ihnen einen Raum zuteilen.«

Pearson deutete auf die Küchenleiterin und sagte: »Mrs. Straughan sorgt dafür, daß das betroffene Personal sich versammelt, und es wird sich in Gruppen von je zwölf in den Kliniken melden. Unsere Aufgabe ist, in der zur Verfügung stehenden Zeit fünfundneunzig Personen zu untersuchen.

Bei diesen Untersuchungen wollen Sie übrigens daran denken, daß der Typhusträger - und wir vermuten, daß es einen Träger gibt - wahrscheinlich keines der von Dr. Chandler beschriebenen Symptome aufweist. Worauf Sie insbesondere achten müssen, ist mangelhafte persönliche Sauberkeit. Und jeder, bei dem Sie Zweifel haben, muß vorläufig von der Arbeit suspendiert werden.«

Pearson hielt inne, als ob er nachdenke. Bisher hatte er noch nicht seine Notizen zu Rate gezogen. Nun sprach er weiter: »Natürlich ist uns allen bekannt, daß diese Untersuchung uns nicht die Lösung bringen wird. Vielleicht haben wir Glück und finden auf diese Weise die Person, nach der wir suchen. Aber das ist höchst unwahrscheinlich. Vermutlich wird der Hauptteil der Arbeit in den Labors vorgenommen werden, sobald Ihre Untersuchungen abgeschlossen sind. Allen Personen, die Sie untersuchen, muß gesagt werden, daß Stuhlkulturen erforderlich sind, und alle Stuhlproben müssen morgen früh im Labor des Krankenhauses sein.« Er zeigte den Anflug eines Lächelns. »Verstopfung wird als Entschuldigung nicht anerkannt, und falls heute schon jemand eine Probe liefert, werden wir sie natürlich dankbar annehmen.

Die Labors richten sich jetzt schon darauf ein, alle erforderlichen Kulturen anzusetzen. Natürlich werden wir ein paar Tage brauchen - mindestens zwei oder drei -, um alle diese Proben zu untersuchen.«

Eine Stimme - O'Donnell hielt sie für die Gil Bartletts - sagte ruhig: »Fünfundneunzig Mann! Das gibt aber einen Haufen Scheiße.« Ein Gelächter lief um den Tisch.

Pearson drehte sich um. »Ja«, sagte er, »das gibt einen Haufen, aber wir werden unser Bestes tun.«

Damit setzte er sich.

Lucy hob die Hand, und O'Donnell nickte ihr zu. Sie fragte: »Wenn die Quelle der Infektion nicht sofort gefunden wird, bleibt die Krankenhausküche dann weiter in Betrieb, um die Patienten zu verpflegen?«

»Im Augenblick ja«, antwortete O'Donnell.

Der Verwaltungsdirektor fügte hinzu: »Mein Büro überprüft gerade die Möglichkeit, ob ein anderes Küchenunternehmen die Verpflegung übernehmen kann, falls es für notwendig erachtet werden sollte. Ich bezweifle allerdings, daß dazu hier in der Stadt die Möglichkeit besteht. Jedenfalls nicht so kurzfristig.«

Bill Rufus fragte: »Wie wird es mit Neuaufnahmen gehalten?«

»Verzeihen Sie«, antwortete O'Donnell, »ich hätte das erwähnen müssen. Bis auf weiteres nehmen wir keine neuen Patienten auf. Die Aufnahmeabteilung ist bereits informiert. Aber selbstverständlich hoffen wir, daß die Pathologie die Infektionsquelle schnell ausfindig machen kann. Und dann werden wir die Frage der Neuaufnahmen sofort überprüfen. Sonst noch etwas?«

Es lagen keine weiteren Fragen mehr vor. O'Donnell sah über den Tisch und fragte: »Dr. Coleman, haben Sie noch etwas hinzuzufügen?«

David Coleman schüttelte den Kopf. »Nein.«

O'Donnell schloß den Aktendeckel, der vor ihm lag. »Nun, meine Damen und Herren, ich schlage vor, wir gehen an die Arbeit.« Als dann mit den Stühlen gescharrt wurde und die allgemeine Unterhaltung begann, fragte er Pearson: »Joe, kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«

Sie traten zusammen an ein Fenster, abseits von den anderen, die den Raum verließen. O'Donnell vergewisserte sich erst, daß kein anderer ihn hörte, ehe er ruhig sagte: »Joe, selbstverständlich behalten Sie die Leitung der Pathologie während dieser Epidemie bei. Aber es muß Ihnen völlig klar sein, daß sich an allem anderen damit nichts ändert.«

Pearson nickte langsam. »Ja«, sagte er, »das hatte ich mir schon gedacht.«

XXII

Wie ein General, der vor der Schlacht seine Streitkräfte mustert, sah Dr. Joseph Pearson sich in dem pathologischen Labor um.

Anwesend waren David Coleman, der Assistenzarzt der Pathologie Dr. McNeil, Carl Bannister und John Alexander. Pearson, Coleman und McNeil kamen unmittelbar von der Sitzung. Die beiden anderen hatten auf Grund vorher erteilter Anweisungen das Labor aufgeräumt und alle nicht unmittelbar dringlichen Arbeiten beiseite gestellt.

Als Pearson seine Inspektion beendet hatte, wandte er sich an die vier. »Unser Problem«, verkündete er, »besteht in einer Detektivarbeit. Unsere Aufgabe ist, aus einem Kreis von rund fünfundneunzig Personen - dem Küchenpersonal - diejenige ausfindig zu machen, von der wir glauben, daß sie in unserem Krankenhaus Typhuserreger verbreitet. Weiter ist wichtig: wir müssen sie schnell finden. Je länger wir brauchen, desto schlimmer kann die Epidemie werden. Unsere Methode der Entdeckung besteht in Stuhlproben, von denen wir die ersten heute erhalten, den weitaus größten Teil aber erst morgen.«

Er wendete sich an Roger McNeil: »Dr. McNeil. Ihre Aufgabe in den nächsten Tagen besteht darin, alle Arbeit, die nicht unbedingt erforderlich ist, von dem Labor fernzuhalten. Überprüfen Sie alle eingehenden Anforderungen und entscheiden Sie, welchen Priorität zukommt und welche mindestens für ein oder zwei Tage zurückgestellt werden können. Die Untersuchungen, die Ihrer Meinung nach dringend sind, werden von Carl Bannister übernommen. Unterstützen Sie ihn dabei, so sehr Sie können, aber laden Sie ihm nicht mehr auf, als notwendig ist. Die übrige Zeit wird er mit an unserem Hauptprojekt arbeiten.« Als McNeil nickte, fuhr Pearson fort:

»Sie selbst müssen sich um alle pathologischen Befunde kümmern. Erledigen Sie alles, was dringend erscheint, und stellen Sie alles, was warten kann, zurück. Wenn Sie bei einer Diagnose nicht absolut sicher sind, wenden Sie sich an Dr. Coleman oder an mich.«

»Gut. Ich setze mich sofort mit dem Büro in Verbindung.« McNeil ging hinaus.

Zu den anderen sagte Pearson: »Wir werden für jede Stuhlkultur eine besondere Schale verwenden. Ich will nicht riskieren, mehrere Kulturen zusammen anzusetzen, damit sie nicht ineinanderwachsen. Dadurch würden wir nur Zeit verlieren und müßten von vorn anfangen.« Er fragte Alexander: »Haben wir genügend mittelgroße Schalen vorrätig, um fast hundert Kulturen anzusetzen?«

John Alexander war blaß und seine Augen gerötet. Vor einer halben Stunde war er von Elizabeth zurückgekommen. Aber er antwortete sofort: »Nein, ich glaube, wir haben kaum mehr als zwei Dutzend. Das reicht normalerweise für ein paar Tage.«

Als er gesprochen hatte, erkannte er, daß seine Antwort auf diese Frage über die Laborarbeit mechanisch erfolgt war. Er fragte sich, was er gegenüber Dr. Pearson empfand, und kam zu dem Ergebnis, daß er seine Gefühle nicht definieren konnte. Eigentlich müßte er diesen alten Mann doch hassen, dessen Nachlässigkeit den Tod seines Sohnes verschuldet hatte, und später würde er es vielleicht tun. Aber jetzt empfand er nur dumpfen, tiefsitzenden Schmerz und Kummer. Vielleicht war es ganz gut, daß ihnen allen im Augenblick sehr viel Arbeit bevorstand. Wenigstens konnte er versuchen, darüber einen Teil zu vergessen.

»Ah so«, sagte Pearson. »Gut, dann arbeiten Sie im Spülraum mit, und bleiben Sie dort, bis alle erforderlichen Schalen bereitstehen. Wir müssen sie heute noch haben.«

»Ich gehe sofort.« Alexander folgte McNeil hinaus.

Jetzt überlegte Pearson laut: »Wir müssen fünfundneunzig Kulturen ansetzen. Sagen wir hundert. Nehmen wir an, daß fünfzig Prozent auf Laktose positiv reagieren, dann bleiben weitere fünfzig Prozent, die wir weiter untersuchen müssen.« Er sah Coleman fragend an.

»Ganz meine Meinung.« Coleman nickte.

»Also gut. Wir brauchen zehn Reagenzgläser mit Zuckerlösung für jede Kultur. Fünfzig Kulturen bedeuten also fünfhundert Unterkulturen.« Zu Bannister gewandt fragte Pearson: »Wieviel Reagenzgläser liegen bereit? Sauber und sterilisiert.«

Bannister überlegte: »Vielleicht zweihundert.«