174189.fb2 Letzte Diagnose - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

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»Ich habe eine falsche Diagnose klargestellt. Das ist alles.« Jetzt war Pearson selbst aggressiv. »Wollen Sie sagen, daß wir über derartige Dinge schweigen sollen?«

»Sie wissen selbst, wie unsinnig diese Frage ist.« O'Donnells Antwort klang scharf, er bemühte sich diesmal nicht, die harte Kälte in seiner Stimme zu mildern. Er sah, wie Pearson zögerte, und nahm an, daß der alte Mann erkannte, er sei zu weit gegangen.

Knurrend räumte Pearson ein: »So habe ich es auch nicht gemeint.«

Gegen seinen Willen lächelte Kent O'Donnell. Sich zu entschuldigen fiel Joe Pearson nicht leicht. Diese Äußerung mußte ihn einiges gekostet haben. Etwas ruhiger fuhr O'Donnell fort: »Ich meine, daß es bessere Methoden gibt, Joe. Wenn Sie damit einverstanden sind, bin ich dafür, daß Sie bei den Konferenzen den Obduktionsbefund bekanntgeben und es mir überlassen, die anschließende Diskussion zu leiten. Ich glaube, wir können dann diskutieren, ohne daß jemand herausgefordert wird.«

»Ich sehe nicht ein, warum sich jemand herausgefordert sah.«

Pearson knurrte immer noch, aber O'Donnell bemerkte, daß er nachgab.

»Wie dem auch sei, Joe. Ich möchte die Sitzungen auf meine Weise leiten.« Ich will ihm nicht zu hart zusetzen, dachte O'Donnell, aber diesmal muß ich ihm die Lage eindeutig klarmachen.

Pearson hob die Schultern. »Wenn Sie es unbedingt wollen.«

»Danke, Joe.« O'Donnell erkannte, daß er gewonnen hatte. Es war leichter gegangen, als er erwartet hatte. Vielleicht war das eine günstige Gelegenheit, eine andere Frage aufzuwerfen. »Da wir schon zusammen sind, Joe, ich habe noch etwas.«

»Ich habe viel zu tun. Hat das nicht Zeit?« Als Pearson antwortete, konnte O'Donnell fast seine Gedanken lesen. Der Pathologe brachte klar zum Ausdruck, daß er seine Unabhängigkeit nicht aufgegeben hatte, weil er in diesem einen Punkt nachgab.

»Meiner Ansicht nach nicht. Es handelt sich um die pathologischen Befunde.«

»Was ist damit?« Pearsons Reaktion war aggressive Abwehr.

Kühl fuhr O'Donnell fort: »Ich habe Beschwerden erhalten. Es dauert bei manchen Berichten zu lange, bis sie von der Pathologie heraufkommen.«

»Rufus wahrscheinlich.« Pearson war unverkennbar verbittert. Man konnte ihn fast denken hören: Noch so ein Chirurg, der Schwierigkeiten macht.

O'Donnell war entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen. Ruhig erwiderte er: »Bill Rufus auch. Aber es waren noch andere. Das wissen Sie, Joe.«

Einen Augenblick antwortete Pearson nicht, und ODonnell ging es durch den Kopf, daß ihm der alte Mann in gewisser Weise leid tue. Die Jahre verstrichen. Pearson war jetzt Sechsundsechzig. Im günstigsten Falle standen ihm noch fünf oder sechs aktive Jahre bevor. Manche Menschen unterwerfen sich unvermeidlichen Veränderungen, finden sich damit ab, daß Jüngere aufsteigen und die Führung übernehmen. Aber nicht Pearson, und er gab seinen Widerstand klar zu erkennen. O'Donnell fragte sich, was hinter dieser Haltung stehe. Fühlte er, daß er nachließ, daß er nicht in der Lage war, mit den jüngsten Entwicklungen in der Medizin Schritt zu halten? Falls das zutraf, war er nicht der erste. Und trotzdem sprach bei all seiner Kratzbürstigkeit vieles für Joe Pearson. Das war einer der Gründe für O'Donnells behutsames Vorgehen.

»Ja, ich weiß es.« Pearsons Antwort hatte einen resignierten Unterton. Mit der Tatsache hatte er sich also abgefunden. Das ist für ihn typisch, dachte O'Donnell. Von Anfang an hatte er im Three Counties Hospital Pearsons Gradheit geschätzt und sie mitunter benutzt, um den Standard der Chirurgie zu heben.

O'Donnell erinnerte sich, daß zu den Problemen, denen er in der Anfangszeit an dem Krankenhaus gegenüberstand, gehörte, unnötige Operationen auszuschalten. Unter diese Bezeichnung fiel eine unnatürlich große Zahl von Hysterectomien. Und in zu vielen Fällen waren von den Chirurgen des Krankenhauses eine gesunde, normale Gebärmutter entfernt worden. Das geschah durch Ärzte, die im Operieren eine bequeme und gewinnbringende Methode sahen, weibliche Beschwerden aller Art zu heilen, selbst in Fällen, die durch Medikamente behandelt werden konnten. In diesen Fällen griff man zu beschönigenden Diagnosen, wie >chronische Myometritis< oder >Fibrose des Uterusc, und benutzte sie als Nebelwand, um den Befund der Pathologie über die entfernten Organe zu tarnen. O'Donnell erinnerte sich, wie er zu Pearson gesagt hatte: »Wenn Sie über Gewebebefunde berichten, wollen wir die Dinge beim rechten Namen und eine gesunde Gebärmutter eine gesunde Gebärmutter nennen.« Pearson hatte gegrinst und im vollen Umfang mitgearbeitet. Die Folge war, daß der größte Teil der unnötigen Operationen aufhörte. Die Chirurgen empfanden es peinlich, wenn Organe, die sie aus ihren Patientinnen entfernt hatten, vor ihren Kollegen offiziell als normal und nicht erkrankt beurteilt wurden.

»Hören Sie, Kent.« Pearsons Ton war jetzt entgegenkommend. »In letzter Zeit bin ich besonders mit Arbeit überhäuft. Sie machen sich keine Vorstellung, wieviel wir zu tun haben.«

»Doch, ich weiß es genau, Joe.« Das war die Eröffnung gewesen, auf die O'Donnell gehofft hatte. »Viele von uns meinen, daß es für Sie zuviel wird. Es ist Ihnen gegenüber nicht fair.« Er war versucht, >...in Ihrem Alter< hinzuzufügen, hielt es aber für unangebracht. Statt dessen sagte er: »Wie wäre es mit einer Hilfe?«

Die Reaktion erfolgte sofort. Pearson schrie fast: »Sie sagen mir, ich brauche Hilfe? Aber Mann Gottes, seit Monaten bettele ich um mehr Laboranten. Wir brauchen mindestens drei. Und wieviel wurden mir zugestanden? Einer! Und Schreibkräfte. Seit Wochen häufen sich bei mir die Berichte, aber wer soll sie denn schreiben?« Ohne auf Antwort zu warten fuhr er ungestüm fort: »Ich etwa? Wenn die Verwaltung ihre Phantastereien aufgäbe, könnte vielleicht einiges geschehen, einschließlich schnellerer Erledigung pathologischer Befunde. Und nun sagen Sie mir, ich sollte Hilfe bekommen. Das hört man gern.«

O'Donnell hatte ruhig zugehört. »Nun«, fragte er, »sind Sie fertig, Joe?«

»Ja.« Pearsons Antwort klang gedämpft. Er schien über seinen Ausbruch fast beschämt.

»Ich dachte nicht an Laboranten oder Schreibkräfte«, erklärte O'Donnell. »Wenn ich Hilfe sage, meine ich einen weiteren Pathologen. Jemand, der Sie bei der Leitung der Abteilung unterstützen kann. Der vielleicht hier und da etwas modernisiert.«

Bei dem Wort >modernisiert< war Pearson aufgefahren, aber O'Donnell ließ sich nicht unterbrechen. »Immer mit der Ruhe. Ich habe Ihnen zugehört, Joe, jetzt hören Sie auch mich an. Ich dachte an einen vernünftigen jüngeren Mann, der Ihnen einen Teil Ihrer Arbeit abnehmen kann.«

»Ich brauche keinen zweiten Pathologen.«

Das war eine eindeutige Antwort, heftig und unnachgiebig.

»Warum, Joe?«

»Weil für zwei qualifizierte Leute nicht genug Arbeit anfällt. Ich kann mit der ganzen Pathologie allein fertig werden - ohne jede Hilfe. Außerdem habe ich schon einen Assistenzarzt in meiner Abteilung.«

O'Donnell blieb ruhig, aber hartnäckig. »Ein Assistent ist zur Ausbildung bei uns, Joe, und im allgemeinen immer nur für kurze Zeit. Gewiß, er kann einen Teil der Arbeit übernehmen, aber Sie können ihm keine Verantwortung übertragen, und Sie können ihn nicht an der Leitung beteiligen. Und das ist es, wozu Sie gegenwärtig dringend Hilfe brauchen.«

»Überlassen Sie das nur mir. Geben Sie mir ein paar Tage Zeit, und ich bin mit den pathologischen Befunden auf dem laufenden.«

Es war offensichtlich, daß Joe Pearson nicht beabsichtigte, nachzugeben. O'Donnell hatte mit Widerstand gegen die Anstellung eines neuen Pathologen gerechnet, aber die Schärfe des anderen verwunderte ihn. Lag der Grund seines Widerstandes in der Abneigung, sein persönliches Reich zu teilen, oder wollte er nur einfach seine Stellung schützen? Befürchtete er, ein neuer und jüngerer Mann könne sie untergraben? Bisher war O'Donnell noch nicht der Gedanke gekommen, Pearson von seiner Stellung zu entfernen. Auf dem Gebiet der pathologischen Anatomie war seine langjährige Erfahrung nur schwer zu ersetzen. O'Donnells Absicht war, die Abteilung zu stärken und damit das gesamte Krankenhaus. Vielleicht sollte er diesen Punkt eindeutig hervorheben.

»Joe, es steht keine grundlegende Umstellung zur Diskussion. Daran denkt niemand. Sie behalten nach wie vor die Leitung.«

»In diesem Fall lassen Sie mich die Pathologie auf meine Weise leiten.«

O'Donnell fühlte, wie sich seine Geduld erschöpfte. Er entschied, daß er im Augenblick in dieser Sache genug getan hatte. Er würde ein oder zwei Tage verstreichen lassen und es dann wieder versuchen. Eine endgültige Auseinandersetzung wollte er vermeiden, sofern es möglich war. Ruhig sagte er: »An Ihrer Stelle würde ich es mir überlegen.«

»Da gibt es nichts zu überlegen.« Pearson war an der Tür. Er nickte kurz und ging hinaus.

Das wäre es also, dachte O'Donnell. Die Kampfstellungen sind bezogen. Er stand da und überlegte, welches der nächste Zug sein mußte.

V

Die Kantine des Three Counties Hospitals war der traditionelle Treffpunkt für die meisten Ärzte und Angestellten des Krankenhauses. Es war auch der Umschlagplatz für den Krankenhausklatsch, von dem sich die Kanäle und Abzweigungen weit in alle Abteilungen und Stationen erstreckten. Wenig ereignete sich in dem Krankenhaus -Beförderungen, Skandale, Entlassungen und Neueinstellungen -, was nicht in der Kantine schon lange bekannt war und diskutiert wurde, ehe es offiziell verkündet wurde.

Die Ärzte benutzten die Kantine häufig zu >Straßenrandkonsultationen< mit Kollegen, die sie außer bei den Mahlzeiten oder in einer Kaffeepause selten zu sehen bekamen. An den Kantinentischen wurden viele medizinische Probleme ernsthaft diskutiert, und gewichtige Urteile von Spezialisten, die unter anderen Umständen mit einer erheblichen Rechnung verbunden waren, wurden frei über den Tisch gegeben. Häufig erfolgten sie zum großen Nutzen von Patienten, die, wenn sie sich später von einem Leiden erholten, das sich zunächst als schwierig zu behandeln anließ, nie auf die Vermutung kamen, auf welche in gewisser Weise beiläufige Art ihre endgültige Behandlung zustande kam.

Es gab Ausnahmen. Ein paar der Ärzte widersetzten sich hin und wieder dieser formlosen Ausnutzung ihrer mühevoll erworbenen Kenntnisse und verwahrten sich gegen die Versuche von Kollegen, sich in die Diskussion bestimmter Fälle hineinziehen zu lassen. Bei solchen Gelegenheiten war ihre übliche Antwort: »Das beste wäre, wenn Sie mich in meiner Praxis aufsuchen. Dann läuft auch das Tachometer.«

Gil Bartlett war einer, der diese Versuche mißbilligte, und mitunter zeigte er sich bei der Ablehnung dieser nebenbei erteilten Beratungen sehr unverblümt. Eine Anekdote, die über seine persönliche Abwehrtaktik erzählt wurde, spielte nicht in der Kantine, sondern bei einer Cocktailparty in einem Privathaus. Seine Gastgeberin, eine große Dame der Burlingtoner Gesellschaft, hatte Bartlett am Knopf festgehalten und ihn mit Fragen über ihre wirklichen und eingebildeten Leiden überschüttet. Bartlett hatte eine Weile zugehört und dann mit lauter Stimme, die den überfüllten Salon zum Schweigen brachte, verkündet: »Gnädige Frau, nach dem, was Sie mir sagen, scheinen Sie an Menstruationsbeschwerden zu leiden. Wenn Sie sich bitte freimachen wollen, werde ich Sie gleich untersuchen.«

In den meisten Fällen akzeptierten die Ärzte jedoch, sosehr sie sich sonst gegen formlose Konsultationen außerhalb des Krankenhauses verwahrten, den Meinungsaustausch in der Kantine auf Grund der Tatsache, daß jeder dabei ebensoviel gewann, wie er verlieren konnte. Und manche Ärzte des Krankenhauses verwendeten den schon reichlich abgestandenen Scherz: »Ich bin in meiner zweiten Sprechstunde«, wenn sie hinterließen, wo sie zu finden waren. Damit war keine weitere Erklärung erforderlich.

Im allgemeinen war die Kantine ein demokratisches Gebiet, wo die Hierarchie des Krankenhauses, wenn auch nicht vergessen, so doch zumindest zeitweise ignoriert wurde. Eine Ausnahme bildete vielleicht die Gepflogenheit, eine Gruppe von Tischen nur den Ärzten vorzubehalten. Mrs. Straughan, die Küchenleiterin, kontrollierte dieses Gebiet regelmäßig, weil sie wußte, daß selbst geringfügige Verstöße gegen die Sauberkeit oder Mängel in der Bedienung zu scharfen Beschwerden auf der nächsten Sitzung des medizinischen Ausschusses führen würden.

Mit wenigen Ausnahmen benutzten die älteren Ärzte die reservierten Tische. Der Hausstab dagegen nahm es weniger genau, und die Assistenzärzte und Praktikanten dokumentierten mitunter ihre Unabhängigkeit, indem sie sich den Schwestern oder anderen Gruppen anschlossen. Es war also nichts Ungewöhnliches daran, daß sich Mike Seddons gegenüber von Vivian Loburton niederließ, die, früher als ihre Mitlernschwestern von einer Arbeit entlassen, allein vor ihrem Mittagessen saß.

Seit sie sich vor zehn Tagen im Obduktionsraum begegnet waren, hatte Vivian Mike Seddons verschiedentlich im Krankenhaus gesehen, und bei jeder Gelegenheit hatte er ihr -seine störrische rote Mähne und sein breites Grinsen von Ohr zu Ohr - besser gefallen. Intuitiv hatte sie erwartet, daß er sich ihr bald unmittelbar nähern würde, und hier war er also.

»Hallo«, sagte Seddons.

»Hallo.« Vivians Gruß klang etwas undeutlich, denn sie hatte gerade mit gesundem Appetit in ein Hühnerbein gebissen. Sie deutete auf ihren Mund und muffelte: »Entschuldigen Sie.«

»Macht gar nichts«, sagte Seddons. »Lassen Sie sich Zeit. Ich sitze hier, um Ihnen einen Antrag zu machen.«

Sie schluckte den Bissen Huhn hinunter und sagte dann: »Ich dachte immer, das käme später.«

Mike Seddons grinste. »Haben Sie noch nichts davon gehört? Wir leben im Düsenzeitalter. Keine Zeit mehr zu Formalitäten. Hier ist mein Antrag: Übermorgen ins Theater, vorher Abendessen im Cuban Grill.«