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X. KapitelDie Geschäfte des Königs

Obwohl sich der König in den letzten Wintern fast ausschließlich in Aachen aufgehalten hatte, wo ein großer Dom und eine neue Pfalz entstanden waren, gab es im Frankenreich keine Hauptstadt im eigentlichen Sinn. Der König zog mit seinem Hofstaat im Reich umher, von einer Königspfalz zur anderen, und dort, wo er sich gerade aufhielt, erledigte er seine Regierungsgeschäfte. Ausländische Gesandte, die in jenen Jahren häufig ins Frankenland kamen, suchten den König an den jeweiligen Orten auf, und so scheuten auch in diesem Sommer des Jahres 799 einige weitgereiste Besucher nicht den Weg nach Paderborn.

Ein Gesandter des Statthalters Michael von Sizilien namens Daniel überbrachte neben den Grüßen seines Herrn eine Botschaft der Kaiserin Irene. Die von Feinden im Äußeren und den Intrigen ihrer Palasteunuchen bedrängte Kaiserin versuchte wieder einmal, ein Bündnis mit dem Frankenkönig zu schmieden. Zu Beginn seiner Amtszeit hätte Karl das Angebot sicherlich geschmeichelt, doch jetzt entließ er den Gesandten mit einer höflichen, aber nichtssagenden Antwort.

Weitaus wohlwollender wurde ein Mönch aufgenommen, der kurz darauf die Paderborner Burg betrat. Es war kein Benediktiner, sondern ein bärtiger Mann in griechischer Tracht, der direkt aus Jerusalem kam. Zusammen mit einigen kostbaren Reliquien ließ der Patriarch von Jerusalem seine Segenswünsche an den König der Franken übermitteln. Dies war schon deshalb erstaunlich, weil die Kirche von Jerusalem zum Einflußgebiet Konstantinopels gehörte, wenngleich die politische Macht längst in den Händen des Kalifen von Bagdad lag, der den Christen in der Heiligen Stadt die Ausübung ihrer Religion erlaubte.

Bedeutete die Botschaft, daß sich der Patriarch von Jerusalem den Frankenkönig als Führer der Christenheit wünschte? Um näheres zu erfahren, schickte Karl Zacharias, einen fränkischen Geistlichen, mit Gegengeschenken ins Heilige Land.

Unterdessen kehrte Karls ältester Sohn, der ebenfalls Karl hieß, aus dem Osten zurück. Begleitet von einem Teil des Heeres, hatte er dort Verhandlungen mit den slawischen Stämmen der Wilzen und Abodriten geführt.

Und schließlich traf auch Karls jüngster Sohn Ludwig, der König von Aquitanien, in Paderborn ein. Ludwig war der unfähigste und unbegabteste von Karls Söhnen, mehrfach hatte man ihm schon bei Feldzügen den Befehl entziehen müssen, weil er in kritischen Situationen den Überblick verloren hatte.

Ludwig kam in der Tracht der Gascogner, er trug ein rundes Oberkleid, gebauschte Hemdsärmel, gepuffte Beinkleider und Stiefel mit Sporen.

Karl, der die derbe Kleidung der fränkischen Krieger bevorzugte, lächelte über den Aufzug seines Sohnes. „Was nutzt dir dieses Mäntelchen", spottete er, „wenn du auf freiem Feld übernachten mußt?"

Der Papst dagegen wartete vergeblich auf eine Antwort. Was die Frage der Kaiserkrönung betraf, hüllten sich der König und seine kirchlichen Berater in Schweigen.

Den Gegnern Leos erging es nicht besser. Paschalis und Campulus reisten aus Paderborn ab, ohne einen Bescheid des Frankenherrschers mit nach Rom nehmen zu können.

Fast beneidete der Bischof von Rom seine Widersacher. Sie durften in die Stadt am Tiber zurückkehren, während er in diesem öden Land der Sachsen verweilen mußte. Woche um Woche, in Sonne und Regen, harrte der Papst vor den Toren Paderborns aus, auf eine positive Entscheidung des mächtigen Germanenfürsten hoffend. Denn ohne den militärischen und geistlichen Schutz Karls, so viel war sicher, würde er im Lateran-Palast zum Freiwild für seine Feinde.

Über andere kirchliche Angelegenheiten wurde, beinahe wie zum Hohn, sehr intensiv geredet. In mehreren Gesprächsrunden, zu denen sich der König, der Papst und ihre höchsten kirchlichen Würdenträger in der Aula der Königspfalz zusammenfanden, beschloß man die Gründung von fünf neuen Bistümern. Bremen, Minden, Verden, Mimigernaford und Paderborn sollten Bischofssitze werden. In Bremen wurde Bischof Willehad eingesetzt, in Mimigernaford kam der Mönch Liudger, der dort ein Monasterium errichtet hatte, zu Bischofsehren, das Bistum Paderborn würde vorläufig von Würzburg aus verwaltet werden. Letzteres, das Karl besonders am Herzen lag, stattete er am reichsten mit königlichen Gütern aus. So schenkte der König dem Paderborner Stift unter anderem das Kloster St. Medard in der Nähe von Le Mans, wo die Gebeine des heiligen Liborius ruhten.

Leo III. nahm die Schenkungsurkunden entgegen und bestätigte sie durch seinerseits ausgefertigte Urkunden. Doch so gern er die Errichtung der Bistümer und die königlichen Schenkungen auch als Zeichen dafür ansehen wollte, daß Karl bereit war, die Kaiserkrone aufzusetzen - der Frankenherrscher ging auf keine seiner Anspielungen und versteckten Anfragen ein. Karl hatte beschlossen, den Papst schmoren zu lassen.

Den König erschöpften die Regierungsgeschäfte schneller als in früheren Jahren. Auch bedauerte er, daß er immer seltener die Gelegenheit fand, zu jagen, zu fischen und zu schwimmen.

Statt dessen saß er in finsteren, schlecht belüfteten Räumen und lauschte langwierigen, theoretischen Diskussionen.

Natürlich, das Reich der Franken, sein Reich, hatte sich verändert. Einst galt nur der als wahrer König, der seine Krieger auf dem Pferd anzuführen vermochte. Der König lebte von seinen Gütern und Bauernhöfen, wie die anderen Freien auch. Die jährliche Kriegsbeute wurde verteilt und schmiedete die Edlen zusammen.

Doch inzwischen hatten die Franken den römischen Luxus kennengelernt. Viele wollten nicht mehr jeden Sommer ihre Frauen allein zurücklassen, sie genossen das angenehme Leben in ihren Villen. Manche verkauften sogar ihre Güter, um nicht mehr kriegspflichtig zu sein.

Und auch der König mußte weitaus mehr beherrschen als die Kriegskunst. Es galt die Wissenschaften und die Künste zu fördern, die Bildung des Volkes zu heben und komplizierte theologische Fragen zu regeln. Der König war zum Bauherren geworden, der Kirchen und Paläste, Straßen, Brücken und Kanäle erbauen ließ.

Karl hatte die Veränderungen nicht nur akzeptiert, er hatte sie vorangetrieben. Er wollte sein Reich auf eine Stufe heben mit den alten Metropolen Rom und Konstantinopel.

Trotz allem spürte er aber auch das germanische Erbe in seinen Adern. Er liebte die nordischen Sagen, und vor allem lehnte er die strenge katholische Moral ab, die einem Mann nur eine Frau erlaubte. Selbst in seinem hohen Alter wollte er jederzeit die Freuden des Leibes genießen.

Im Halbschlaf bemerkte Karl, wie sich Gerswind, die Sächsin, von ihrem gemeinsamen Lager erhob.

Gerswind schlich über den nachtdunklen Flur. Ausgerechnet an diesem Abend mußte der König sie zu sich rufen lassen. Dabei hatte sie die Nacht einem anderen versprochen. Ungeduldig hatte sie den Moment erwartet, in dem Karl endlich eingeschlafen war. Jetzt hoffte sie, daß es ihrer Zofe gelungen war, den Liebhaber unentdeckt in ihr Gemach zu bringen und ihn auf später zu vertrösten.

Die schattenhafte Gestalt eines Mannes stand vor ihrer Tür. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen.

„Bist du es, Odo?" flüsterte Gerswind.

Der Schatten baute sich vor ihr auf. Zu spät sah die junge Sächsin das blitzende Messer.

Ihr Entsetzensschrei endete in einem blutigen Röcheln.

Zwei Leibgardisten rissen die Tür zu Gerswinds Gemach auf. Sie sahen gerade noch, wie ein Mann aus dem Fenster kletterte.

Der Mann rannte über den Domplatz und versuchte, zwischen den Holzhäusern auf der anderen Seite des Domes zu verschwinden. Doch inzwischen waren zahlreiche Scara-Männer auf den Beinen. Gegen die Übermacht seiner Verfolger hatte der Flüchtende keine Chance. Sie schlugen ihn zu Boden, verdrehten ihm die Arme und zerrten den vor Schmerz Winselnden zur Pfalz zurück.

Karl stand über seiner getöteten Konkubine und weinte. Als die Männer mit dem Gefangenen eintrafen, verwandelte sich seine Trauer in Wut.

„Warum? Warum hast du sie getötet, du Wurm?"

„Ich. Ich habe sie nicht getötet, Hoheit", stammelte der Jüngling. „Ich war in ihrem Gemach, als es geschah."

„Wieso warst du in ihrem Gemach?" tobte der König.

„Ich. Ich."

„Wer bist du überhaupt?"

„Ich bin Odo, der Sohn des Grafen Ascarius."

Karls Gesicht wurde kalkweiß. „Graf Ascarius, den ich immer für meinen Freund gehalten habe? Wie kannst du unwürdiges Geschöpf es wagen, eine meiner Frauen zu ermorden?"

„Ich habe sie nicht ermordet, Hoheit. Ich schwöre bei Gott, daß ich es nicht war."

„Heb dir deine Schwüre für den Ewigen Richter auf, dem du bald gegenübertreten wirst!" Karls Stimme bekam eine beißende Schärfe. „Aber vorher wirst du tausend Tode sterben, Odo. Das schwöre ich dir."