174542.fb2 Mord im Dom - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

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XV. KapitelErklärungen

Giselher stutzte, als er Hathumar erblickte, der am Wegesrand wartete. Dann lachte er schallend auf. „Hathumar, du!"

Der Mönch, der immer noch die Kleidung seines Schwagers trug, blieb ernst. „Ja, ich."

Giselher stieg vom Pferd. Jetzt standen sich die beiden Männer Auge in Auge gegenüber.

„Von dir hätte ich am wenigsten erwartet, daß du deine Kutte ablegst und dich unserer Sache anschließt."

Er wollte Hathumar umarmen, doch der stieß ihn zurück.

„Ich habe meine Kutte nicht abgelegt. Und die einzige Sache, der ich mich verschreibe, ist der Auftrag Jesu."

„Und was ist das?" Belustigt zeigte der Marschall auf die zu kurz geratene Tunika.

„Ich habe meine Kutte nur vorübergehend vertauscht. Weil ich unerkannt die Versammlung am gestrigen Abend besuchen wollte, bei der du deine Kriegsrede gehalten hast."

Der andere brauchte ein paar Augenblicke, um das Gehörte zu verdauen. „Du hast mich verfolgt. Ein elender Spitzel, das bist du also!" In seinen Augen blitzte Wut. „Und nenn' mich nicht mehr Giselher! Mein Name ist Thorbald."

„Wie du willst. Für mich ist der Name nicht wichtig."

„Aber für mich. Begreifst du nicht, warum ich den Namen Giselher angenommen habe? Er sollte mich daran erinnern, daß ich eine Geisel der Franken bin. Jedesmal, wenn man mich rief, hat man mir einen neuen Grund gegeben, ihre Knechtschaft zu verabscheuen, mich an jenem König zu rächen, der sich im Namen deines Herrn Jesu zum Besatzer unseres Landes aufgeschwungen hat."

„Für eine Geisel erging es dir nicht schlecht", versetzte Hathumar. „Noch vor wenigen Tagen hast du vom angenehmen Leben am Hof des Königs geschwärmt."

„Eine Finte, nichts weiter. Ich wußte, daß ich dir nicht vertrauen konnte. Die ganzen Jahre habe ich den heutigen Tag herbeigesehnt. Oh ja, ich war schlau genug, meine Verachtung zu verbergen. Ihnen meinen Haß ins Gesicht zu schleudern, wäre sinnlos gewesen. Sie hätten mich ausgelacht und als Sklave aufs Feld geschickt. Mich bei ihnen einzuschmeicheln, am Hof aufzusteigen, gehörte zu meinem Plan. Ich wollte zum engsten Kreis Karls gehören, ihm so nah kommen, daß ich ihm mein Schwert in den Leib stoßen kann."

Der Mönch schüttelte den Kopf. „Das ist doch Wahnsinn."

„Wahnsinn? Das sagst du? Wer hat den Franken das Recht gegeben, uns von unseren Eltern wegzureißen und in ein fremdes Land zu bringen. Ich kann mich erinnern, wie du sie in jenen Tagen verflucht hast."

„Damals war ich ein Kind. Ja, es stimmt, sie hatten kein Recht, uns als Geisel zu nehmen. Aber im Kloster hat man mich Dinge gelehrt, die ich in dem mir vorbestimmten Leben nie erfahren hätte. Heute bin ich dem Schicksal dankbar, das mich nach Corbie geführt hat."

Hathumar schaute Thorbald eindringlich an. „Und du! Du bist Marschall. Du könntest sogar Markgraf oder Königsbote werden. Vertraut man einem Feind ein solches Amt an? Es herrscht Friede zwischen den Völkern der Franken und der Sachsen. Friede ist ein kostbares Gut, das man nicht zerstören sollte."

Thorbald machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich scheiße auf den Marschall. Und der Friede, von dem du sprichst, ist ein Besatzerfriede. Der ist nichts wert. Wenn du bei der Versammlung warst, hast du gehört, daß mich die Sachsen zu ihrem Herzog gewählt haben. Davon habe ich immer geträumt. Herzog zu sein ist das Höchste, was ich mir gewünscht habe. Jetzt bietet sich die Gelegenheit, die Franken zu schlagen. Ich bin ganz dicht vor dem Ziel, Hathumar, und du wirst mich nicht davon abhalten."

„Aber warum?" beharrte der Mönch. „Warum ein erneutes Blutvergießen?"

„Hast du vergessen, daß Karl die Irminsul zerstört hat?" fuhr ihn Thorbald an. „Hast du das Blutbad von Verden vergessen? Viertausendfünfhundert Männer sind dort ermordet worden, von deinem geliebten König Karl. Nicht auf dem offenen Schlachtfeld, mit der Waffe in der Hand, sind sie gestorben. Sie hatten sich ergeben, sie waren Gefangene. Da hat man sie wie Lämmer zur Schlachtbank geführt, bis sich das Wasser der Aller vom Blut rot färbte. Mit welchem Recht, Hathumar? Sie waren Krieger. Sie haben ihr Land verteidigt, so wie es die Franken erobern wollten."

„Karl war ein grausamer Herrscher", gab Hathumar zu. „Aber seit der Zerstörung der Irminsul und dem Blutbad von Verden sind viele Winter vergangen. Manches hat sich geändert. Auch der König ist älter geworden. Hat er nicht die strenge Capitulatio de partibus Saxoniae* abgeschafft? Das heutige Capitulare Saxonicum* stellt die Sachsen mit den anderen Völkern des Reiches gleich."

„Du weißt nicht mehr, woher du kommst", grollte der Herzog. „Du redest wie ein Franke."

„Nein, ich werde immer ein Sachse bleiben. Und mir ist auch klar, daß nicht alles zum besten bestellt ist. Ich wollte, man würde die Lehre Christi mit der gleichen Inbrunst predigen, mit der man den Zehnt eintreibt. Statt dessen hat man den Sachsen unfähige Geistliche geschickt, die sich eher zu Räubern als zu Predigern eignen. Trotzdem rechtfertigt das alles keinen Krieg. Viele unserer besten Männer müßten für deinen Traum von Herrschaft sterben. Vielleicht kannst du heute eine Schlacht gewinnen. Doch spätestens im nächsten Sommer werden die Franken zurückkehren und sich blutig rächen. Es ist unser Volk, das Volk der Sachsen, das den größten Blutzoll leisten müßte."

„Rede nicht von unserem Volk!" herrschte ihn Thorbald an. „Du bist ein Spitzel des Königs." Er hielt inne, in seinem Gesicht spiegelte sich Mißtrauen. „Wieso bist du mir eigentlich gefolgt? Woher wußtest du von der Versammlung?"

„Ich wußte nichts von der Versammlung. Ich bin dir gefolgt, weil...", Hathumar holte Luft, „... ich Verdacht gegen dich geschöpft habe. Ich glaube, daß du der Mörder von Graf Bernhard, Bischof Odoaker und Gerswind bist."

Ein höhnisches Lächeln umspielte Thorbalds Lippen. „So? Wie kommst du darauf?"

„Du warst bei allen Verbrechen in der Nähe, und aufgrund deines hohen Amtes bist du den Wachen nicht aufgefallen."

„Das trifft auf etliche andere ebenfalls zu."

„Richtig. Zeitweise war ich auch davon überzeugt, daß Bischof Theodulf der Mörder ist. Ich vermutete, daß es ihm eigentlich darum ging, Erzbischof Hildebald zu beseitigen, und daß er den Mord an seinem Konkurrenten unter anderen Gewalttaten verstecken wollte. Bei drei Morden denkt man gleich an einen Irrsinnigen und fragt nicht nach dem Grund.

Du dagegen hast den Verdacht auf Aio, den Diener des Felix von Urgelis, gelenkt. Ein Schwachsinniger, der einen Grund zum Morden hatte, weil sein Herr gerade bestraft wurde, und der zudem aus einem Land kommt, in dem Skorpione leben -etwas Besseres konnte dir nicht passieren."

„Vergiß nicht, daß Aio an dem besagten Morgen, als Bischof Odoaker gestochen wurde, im Dom war." „Darauf komme ich gleich zurück. Laß mich zunächst in meinem Gedankengang fortfahren: Als Gerswind ermordet wurde, war ich mir endgültig sicher, daß Aio nicht der Mörder ist."

„Wieso? Er ist in der Nacht geflohen, als Gerswind starb."

„Falsch", sagte Hathumar. „Aio ist nicht geflohen, er ist befreit worden. Und zwar vom Mörder selbst. Du mußtest nämlich befürchten, daß Aio weiterhin seine Unschuld beteuern würde."

„Das sind doch alles Mutmaßungen", bemerkte Thorbald abschätzig. „Hast du auch einen Beweis?"

„Ja. Ich erinnerte mich, daß der erste Hinweis auf Aio von dir kam. Du hast den Bäcker gefunden, der Aio an jenem Morgen gesehen haben wollte. Also habe ich den Bäcker gesucht. Ich habe alle befragt, die auch nur entfernt mit Backwaren zu tun haben, keiner von ihnen konnte deine Aussage bestätigen. Aio war aber tatsächlich in der Kirche, somit blieb nur eine Schlußfolgerung: Du hast Aio gesehen. Du hast dich im Dom aufgehalten, um den Skorpion zu verstecken, als Aio hereinkam."

Thorbald grinste. „Schlau. Das hätte ich dir nicht zugetraut, Hathumar."

„Man muß nur die richtigen Fragen stellen, dann bekommt man auch die richtigen Antworten. Schließlich habe ich noch erfahren, daß du dich am Tag vor ihrem Tod mit Gerswind gestritten hast."

„Regina!" Der Herzog verzog den Mund, als hätte er auf etwas Fauliges gebissen. „Du bist noch einmal zu ihr zurückgegangen."

„Ja, in der selben Nacht."

„Eine nächtliche Plauderstunde mit der Konkubine des Königs. Mutig, Hathumar! Dafür kann man einen Kopf kürzer gemacht werden. Und ich dachte, das Klosterleben hätte dich verweichlicht."

Der Mönch ging nicht darauf ein. „Warum hast du es getan, Thorbald? Warum hast du drei Menschen ermordet?"

„Sie hatten den Tod verdient", erwiderte der Angesprochene kühl.

„Nein, das hatten sie nicht. Sie waren nicht einmal deine Feinde."

„Davon verstehst du nichts", brauste Thorbald auf.

„Dann erklär es mir!"

Der junge Herzog reckte sein Kinn in die Höhe. „Graf Bernhard war einer derjenigen, die die Hinrichtungen bei Verden geleitet haben. Er hat den Tod tausendmal verdient. Bischof Odoaker war so dumm, Erzbischof Hildebald zu vertreten. Wie du richtig vermutet hast, sollte es den Erzbischof treffen."

„Wie bist du an den Skorpion gekommen?" fragte Hathumar.

„Auch die Sachsen haben Verbindungen in den Süden. Außerdem diente mir der Skorpion als Ablenkung, denn ich rechnete damit, daß man zuerst die Südländer verdächtigen würde. Nachdem mir der Auerochse unverhofft zu Hilfe gekommen war, wollte ich das Spiel noch ein wenig weitertreiben.

Hildebald sollte übrigens sein Leben aushauchen, weil er der oberste Vertreter der Kirche am Hof ist und Karl die Christianisierung zur Unterdrückung unseres Volkes benutzt hat. Gerswind schließlich mußte sterben, weil sie als Sächsin in das Bett des Frankenkönigs gekrochen ist. Sie war eine Verräterin."

Hathumar senkte den Kopf und murmelte: „Du bist größenwahnsinnig. Du spielst Gott."

„Ich sagte doch, daß du davon nichts verstehst. Letztlich gehören die drei Todesurteile zu einem größeren Plan. Noch bevor die Sonne morgen früh am Horizont erscheint, wird der König durch mein Schwert sterben. Nach Lage der Dinge muß ich schnell handeln, das sächsische Heer wartet auf meine Ankunft. So bleibt mir keine Zeit, meine Rache zu genießen. Deshalb habe ich drei Menschen getötet, die ihm nahestanden. Ich wollte den großen Karl quälen, ich wollte sehen, wie er leidet."

Hathumars Augen füllten sich mit Tränen. „Das ist unmenschlich. Der Satan hat dich verführt. Thorbald, ich bitte dich inständig: Laß von deinem Vorhaben ab! Ein Krieg wäre das größte Unglück."

„Nein. Dazu ist es zu spät."

„Ich kann nicht zulassen, daß du den König tötest."

„So?" Thorbald lächelte grimmig. „Und wie willst du das verhindern?"

„Ich werde ihn warnen."

Verdutzt starrte der Herzog den Freund aus Kindheitstagen an. Dann brach er in ein gellendes Gelächter aus. „Wenn du dich sehen könntest, Hathumar! Ein armseliger, unbewaffneter Betbruder."

„Gott ist auf meiner Seite."

„Bitte ihn doch, einen Blitz auf mich zu schleudern! Ich fürchte mich nicht vor deinem Gott."

„Mein Gott ist kein Gott des Blitzes und des Donners, er ist ein Gott der Güte." Hathumar wandte sich ab und ging zu seinem Pferd. „Ich werde jetzt nach Paderborn reiten. Und wenn du einen Rest Verstand und Menschlichkeit besitzt, wirst du zu deinen Männern gehen und sie in ihre Dörfer zurückschicken."

„Halt!" brüllte Thorbald.

Der Mönch ging weiter.

„Ich werde dich töten", drohte der Herzog.

Hathumar drehte sich nicht um. Er griff nach der Mähne, um sich auf den Rücken des Pferdes zu schwingen. Da traf ihn ein Schlag am linken Bein. Er blickte nach unten und sah, wie das Blut hervorquoll. Im ersten Moment wunderte er sich, daß er keinen Schmerz spürte. Aber die ausgestreckte Hand hatte keine Kraft mehr, die Beine konnten ihn nicht mehr halten. Ehe er wußte, wie ihm geschah, lag Hathumar rücklings auf dem Waldboden. Und dann kam der Schmerz und nahm ihm fast die Besinnung.

Der Himmel verschwand in einem roten Nebel. Ein Gesicht schob sich in sein Blickfeld.

„Du hast es nicht anders gewollt", sagte das Gesicht.

„Töte mich!" flüsterte Hathumar.

Das Gesicht verschwand.

„Laß mich nicht jämmerlich verbluten, Thorbald! Schenk mir einen schnellen Tod!"

Niemand antwortete. In Hathumars Kopf pochte das Blut. Dann hörte er das leiser werdende Geräusch von davongaloppierenden Pferden.