174542.fb2 Mord im Dom - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

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XVI. KapitelZwischen Leben und Tod

Er mußte die Blutung stillen. Hathumar fühlte, wie das Blut aus ihm herausfloß. Und wie er von Pulsschlag zu Pulsschlag schwächer wurde. Nicht aufgeben! Er durfte jetzt nicht aufgeben. Einfach so liegenzubleiben bedeutete den Tod. Und er hatte nicht das Recht, sich dem Tod zu überlassen. Denn es gab eine Chance, eine winzige Chance, daß er das hier überlebte und rechtzeitig Paderborn erreichte, um Thorbald von seinem Tun abzuhalten. Solange ein Funken Leben in ihm steckte, mußte er kämpfen.

Unglücklicherweise hatte ihm sein Schwager Wolfgang keinen Gürtel überlassen. Mit einem Gürtel wäre es einfach gewesen, das Bein abzubinden. Hathumar atmete dreimal tief durch, nahm all seine Kraft zusammen und riß ein Stück Stoff von seiner Tunika. Vor Erschöpfung wurde ihm schwarz vor Augen.

Hoffentlich war der Stoffetzen lang genug, hoffentlich würde er nicht reißen. Ohne sich aufzurichten, schlang er das Band um den Oberschenkel und schnürte einen festen Knoten. Gott sei Dank, das Band hielt. Hathumar gönnte sich eine Ruhepause. Zehn Atemzüge, mehr nicht. Wenn er einschlief, würde er nicht mehr aufwachen.

Er stützte die Arme auf und brachte sich in eine sitzende Haltung. Kalter Schweiß lief ihm über das Gesicht. Ja, die Blutung hatte aufgehört. Ein kleiner Erfolg. Eine Atempause im Kampf gegen den Tod.

Aber zu Fuß konnte er Paderborn unmöglich erreichen. Er befand sich ungefähr in der Mitte zwischen dem Heerlager der Sachsen und der Stadt. Selbst mit gesunden Beinen hätte er einen halben Tagesmarsch benötigt. Und Thorbald hatte sein Pferd mitgenommen. Also doch alles umsonst?

Wieso war er nur so vermessen gewesen, auf die Kraft seiner Worte zu vertrauen? Welche Hybris, einem bewaffneten, zu allem entschlossenen Mann mit nichts als Gottvertrauen gegenüberzutreten. Warum war er nicht geradewegs nach Paderborn geritten und hatte den König gewarnt?

Hathumar versuchte aufzustehen. Ein stechender Schmerz fuhr durch seinen Körper, die Beine konnten ihn nicht halten und er fiel wieder auf sein Hinterteil. Laut stöhnend schnappte er nach Luft. Natürlich wußte er, warum er auf Thorbald gewartet hatte. Er wollte kein Verräter sein. Schließlich war er ebenfalls Sachse. Als Kind hatte er mit seinem Volk der nächsten Schlacht entgegengefiebert, in der bangen Erwartung, die Franken einmal vernichtend schlagen zu können. Und er hatte dem Freund aus jenen Tagen die Gelegenheit geben wollen, ungeschoren davonzukommen, zumindest lebend. Denn was Karl, sollte er von dem Verrat seines Marschalls erfahren, verfügen würde, war ohnehin klar. Auf Thorbald würde ein langsamer, grauenvoller Tod warten.

Nun, er hatte sich geirrt. Dafür, daß er sich zum Richter aufgespielt hatte, war er bestraft worden. Jetzt lag er todwund auf dem Waldboden, wie ein angeschossenes Stück Wild.

Der Mönch wischte sich den Schweiß aus den Augen. War es Einbildung, oder hörte er tatsächlich den Hufschlag eines Pferdes? Nein, er irrte sich nicht. Sein Pferd kehrte zurück. Die treue Seele hatte sich losgerissen oder war von Thorbald freigelassen worden.

Das Pferd blieb vor ihm stehen. Hathumar hob seine Hand und streichelte den Kopf der Stute. Aus der Atempause, die ihm der Tod gegönnt hatte, war ein Waffenstillstand geworden.

Er konnte es schaffen. Doch wie, um Himmels Willen, sollte er auf den Rücken des Pferdes kommen?

Hathumar blickte sich um. Etwa zwanzig Schritte entfernt lag ein umgestürzter Baum. Er drehte sich auf den Bauch und kroch los. Mehr als einmal war er nahe davor, das Bewußtsein zu verlieren. Ihm war übel, der Schweiß brannte in seinen Augen, und seine Kehle war ausgedörrt. Aber er schaffte es. Er erreichte den Baum und setzte sich auf den Baumstamm.

Das Pferd war ihm gemessenen Schrittes gefolgt. Mit gutem Zureden brachte der Mönch das Tier dazu, sich parallel zum Baumstamm aufzustellen.

Der erste Versuch mußte gelingen. Einen zweiten Versuch würde es vermutlich nicht geben. Hathumar zog das gesunde Bein auf den Baumstamm und schnellte in die Höhe. Seine Hände krallten sich in der Pferdemähne fest. Das Pferd tänzelte unruhig hin und her. Er lag oben, mehr tot als lebendig, aber er lag auf dem Pferderücken.

„Lauf!" flüsterte er der Stute ins Ohr. „Lauf nach Hause!"

Das Pferd bewegte sich. Hathumar hatte keine Ahnung, ob es den Weg nach Paderborn einschlug. Das einzige, was er sah, war ein Stück Fell. Seine ganze Sorge galt dem Bemühen, nicht einzuschlafen. Sobald er einschlief, würde er herunterfallen. Und dann war es aus.

Als er aufwachte, lag er flach auf dem Rücken. Seine Hände fühlten festgestampfte Erde. Und er hörte die Stimmen von Menschen.

„Er lebt", sagte jemand. „Seht nur, er bewegt sich." Eine vertraute Stimme mischte sich unter die anderen.

„Wie konnte er bloß die Kutte ablegen?" beschwerte sich Abt Adalhard. „Das ist gegen die Regeln."

Er wollte nach dem Abt rufen, doch aus seiner Kehle kam nur ein Krächzen.

Eine aufgeregte Frau rief: „Er will etwas sagen."

Hathumar hob eine Hand. Die Frau beugte sich über ihn und brachte ihr Ohr in die Nähe seines Mundes.

„Abt Adalhard", flüsterte er.

„Er verlangt nach einem Abt Adalhard", übersetzte die Frau. „Kennt einer von euch den Abt?"

„Ich bin Abt Adalhard", brummte die mürrische Stimme des Abtes. „Geh weg, Frau!"

Ächzend ließ sich Adalhard auf den Knien nieder. Hathumar drehte den Kopf, so daß er das gerötete, vorwurfsvoll dreinblickende Gesicht sehen konnte.

„Nun, Hathumar, was hast du mir zu sagen? Soll ich für deine Seele beten?"

Der saure, alkoholgetränkte Atemhauch brachte ihn fast um.

„Thorbald ist der Mörder", flüsterte Hathumar. „Er will den König töten."

„Thorbald? Wer ist Thorbald? Was redest du da? Du hast Fieber und bist dem Tode nahe."

„Thorbald ist Giselher, der Marschall. Er hat mich verletzt. Es ist die Wahrheit, glaubt mir! Und beeilt Euch! Der König ist in Gefahr."

Er hatte einen Traum. Er sah Reginas wunderschönes Antlitz. Er fühlte die Hand der Konkubine auf seiner Wange, und dann kam ihr Mund immer näher und hauchte ihm einen Kuß auf die Stirn.

Vielleicht war es auch kein Traum. Vielleicht war er schon tot und ins Paradies gelangt. Dort, wo sich alle geheimen Wünsche erfüllen. Andererseits lebte Regina noch. Es war unmöglich, im Jenseits einen lebenden Menschen zu treffen.

Also träume ich wohl doch, dachte Hathumar beruhigt.

Er schlug die Augen auf. Sonnenlicht flutete durch eine milchige Glasscheibe herein. Das Bett, auf dem er lag, war herrlich weich. Auf einem so weichen Bett hatte er noch nie gelegen. Wo war er?

Er wollte sich aufrichten, da zuckte ein heftiger Schmerz durch seinen Körper. Stöhnend ließ er sich zurückfallen. Nein, ganz offensichtlich war er noch nicht tot.

Die Tür ging auf, und Regina kam herein.

„Dann habe ich also doch nicht geträumt", dachte Hathumar laut.

„Oh, er ist wach", sagte die Konkubine. „Wie geht es Euch, mein Lieber?"

„Wo bin ich?" fragte der Mönch zurück.

„Das hier ist. ich meine, war Gerswinds Kammer. Ich habe Euch hierher bringen lassen, damit ich Euch besser pflegen kann."

„Das war sehr gütig von Euch."

„Ich habe es gern getan. Was habt Ihr nicht geträumt?"

„Ich sah Euer Antlitz vor mir. Und dann habt Ihr. Ihr habt mich." Hathumar drehte den Kopf zur Seite, um seine Verlegenheit zu verbergen.

„Was? Habe ich etwa gegen die Regeln Eures Ordens verstoßen? Das tut mir leid."

Hathumar murmelte: „Es verstößt zwar gegen die Regeln, aber bei Lebensgefahr ist eine Ausnahme erlaubt."

„Oh. Dann bin ich ja beruhigt." Regina setzte sich neben ihn aufs Bett.

Er spürte, wie das Blut in seinem Kopf pulsierte.

Die Konkubine streckte ihre Hand aus und berührte seine Wange. „Wie ich sehe, kehren Eure Lebensgeister zurück. Ihr hattet hohes Fieber und wart so bleich, daß ich fürchtete, Ihr würdet sterben."

„Ich. ich möchte. ich habe Durst."

„Natürlich." Sie nahm einen Krug vom Boden und schüttete etwas Wasser in einen Becher. „In den letzten Tagen konnte ich Euch nur ein wenig Suppe einflößen. Ihr seid völlig abgemagert und habt kaum noch Fleisch auf den Rippen."

Hathumar fragte sich, woher sie seinen Körper so gut kannte.

Sie setzte ihm den Becher an die Lippen.

„Danke." Er nahm ihr den Becher aus der Hand. „Wie lange habe ich geschlafen?"

„Drei Tage. Manchmal habt Ihr im Schlaf geredet, von Thorbald, Mord und Verrat."

Hathumar schrak zusammen. Reginas Gegenwart verwirrte ihn so sehr, daß er alles andere vergessen hatte.

„Was ist geschehen? Es ist Thorbald. Giselher doch nicht gelungen, den König zu töten?"

„Nein." Regina lächelte. „Abt Adalhard hat Eure Worte weitergegeben, und der König hat Giselher zur Rede gestellt. Der Marschall war zu stolz, um seine Taten zu leugnen. Er sei ein Herzog der Sachsen, was er getan habe, gehöre zum Kampf seines Volkes für Freiheit und Unabhängigkeit. Er wolle als Kriegsgefangener behandelt werden, nicht als Mörder."

„Und wie hat der König darauf reagiert?"

„Er hat Giselher in Ketten legen lassen."

„Das Heerlager", sagte Hathumar aufgeregt. „Es kommt zum Krieg."

„Es ist alles gut", besänftigte ihn Regina. „Karl hat einige sächsische Edelinge zu den Aufständischen gesandt. Sie konnten ihre Männer davon überzeugen, daß ein Krieg sinnlos ist."

Der Mönch atmete auf. „Gott sei Dank."

„Zu dieser Stunde wird Giselher hingerichtet. Karl hat ihm die Gnade gewährt, durch einen Schwerthieb zu sterben."

Hathumar richtete sich auf. Erneut zuckte ein Schmerz durch seinen Körper. „Ich muß zu ihm."

„Ihr könnt noch nicht aufstehen", widersprach die Konkubine. „Ihr seid viel zu schwach."

„Es ist meine Pflicht. Ich möchte ihn zur Umkehr bewegen."

Auf Regina gestützt, hinkte Hathumar auf den Richtplatz. Erstaunte Blicke der vielköpfig versammelten Menge begegneten ihnen. Hier und dort wurde getuschelt, man schielte zum König hinüber, der mit den höchsten Würdenträgern des Reiches der Hinrichtung beiwohnte.

Karl kniff die Lippen zusammen und blieb stumm. Unter anderen Umständen hätte er sich das unverschämte Verhalten des Bibliothekars aus Corbie nicht bieten lassen. Doch der Mönch hatte ihm nicht nur das Leben gerettet, sondern auch einen unnötigen Krieg verhindert. Also ließ er ihn gewähren.

Flankiert von vier Männern der scara stand Thorbald in der Mitte des Platzes. Seine Hände und Füße waren mit Ketten gefesselt.

Hathumar und Regina näherten sich ihm bis auf drei Schritte.

„Du Verräter!" zischte Thorbald wütend. „Ich hätte dich töten sollen."

„Danke Gott, daß du es nicht getan hast", erwiderte Hathumar mit schmerzverzerrter Stimme.

Thorbald spuckte aus. „Laß mich mit deinem Gott in Frieden. Ich werde in Walhalla einziehen."

„Ich bete für deine Seele", fuhr Hathumar fort. „Noch ist es nicht zu spät, deine Sünden zu bereuen und dich in die Hand des einzigen und wahren Gottes zu begeben." „Verschwinde aus meinen Augen!" herrschte ihn Thorbald an.

Hathumar wechselte ins Sächsische: „End ecforsacho allum dioboles uuercum and uuordum, Thunaer ende Uuoden ende Saxnote ende allum them unholdum, the hira genotas sint."

Thorbald lachte.

,,Ec gelobo in got alamehtigan fadaer. Ec gelobo in Cr ist godes sunu. Ec gelobo in halogan gast."*

Das Lachen schallte über den Platz.

Hathumar senkte den Kopf und faltete die Hände. Als er wieder aufblickte, lag Thorbalds Kopf vor seinen Füßen.