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Yasmin schickte Daniel mit einem Schokoladenkuchen in die Kaserne hinüber. Er war erstaunt, denn seine Mutter schimpfte sonst immer, wenn er bei den Soldaten herumhing, aber er sagte nur:
»Hey, klasse, Mama«, lachte sie an und flitzte schon davon, um den »Dankbesuch« zu machen, den sie vorgeschlagen hatte. »Es ist doch nett von den Typen, dass sie dich immer wieder mal zum Essen einladen«, hatte sie zu ihrem Sohn gesagt, und wenn Daniel der Widerspruch zwischen dieser Bemerkung und ihrer früheren Einstellung den Soldaten gegenüber auffiel, so verlor er kein Wort darüber.
Als Yasmin allein war, setzte sie sich vor den Fernseher. Sie hatte den Lammeintopf vorbereitet. Sie brachte es auch jetzt noch nicht fertig, ein einmal gegebenes Versprechen zu brechen, arme Irre, die sie war. Jetzt genauso wenig wie zu Roger Edwards' Zeiten konnte sie plötzlich ihre Meinung ändern oder einen Schlussstrich ziehen.
Warum ist das so?, fragte sie sich in diesem Moment, aber diese innere Leere, die sie empfand, und das Aufkeimen einer Furcht, die sie vor langer Zeit begraben hatte, waren ihr Antwort genug. Ihr ganzes Leben, so schien ihr, war von dieser Furcht bestimmt und beherrscht gewesen, einem tiefen Grauen vor etwas, dem sie niemals einen Namen geben und erst recht nicht ins Gesicht hatte sehen wollen.
Sie versuchte, das Denken abzuschalten. Sie wollte nicht darüber nachdenken, dass ihr wieder einmal nichts geblieben war als die Erkenntnis, dass es keine rettende Zuflucht gab, auch wenn sie noch so entschlossen war, sich den Glauben an ihre Existenz nicht rauben zu lassen.
Sie hasste sich. Sie hasste sich so sehr, wie sie Roger Edwards gehasst hatte, und mehr - viel mehr -, als sie Katja hasste, die ihr diesen Moment der Wahrheit beschert hatte und sie zwang, in den Spiegel zu sehen, lange und kritisch. Es änderte nichts, dass jeder Kuss, jede Umarmung, jeder Liebesakt und jedes Gespräch auf einer Lüge gegründet waren, die sie nicht hatte erkennen können. Was zählte, war die Tatsache, dass sie, Yasmin Edwards, sich darauf eingelassen hatte. Darum dieser Selbstekel, der sie verzehrte, diese tausend Ich hätte es wissen müssen.
Als Katja zur Tür hereinkam, sah Yasmin auf die Uhr. Sie war auf die Minute pünktlich, aber das war ja von Anfang an klar gewesen, dass sie pünktlich kommen würde, denn Katja Wolff hatte ein gutes Gespür dafür, was in anderen vorging. Es war eine Überlebenskunst, die sie sich im Gefängnis angeeignet hatte, und Yasmins Besuch in der Wäscherei hatte ihr natürlich verraten, dass etwas geschehen war. Darum die pünktliche Heimkehr. Sie war vorbereitet.
Aber sie wusste natürlich nicht, worauf sie vorbereitet sein musste. Das war der einzige Vorteil, den Yasmin hatte. Sonst lagen alle Vorteile bei der Freundin, und der Wichtigste war immer unübersehbar gewesen, obwohl Yasmin ihn stets geleugnet hatte.
Zielstrebigkeit. Die Tatsache, dass sie stets ein Ziel vor Augen gehabt hatte, war im Gefängnis Katja Wolffs Rettung davor gewesen, den Verstand zu verlieren. Sie war ein Mensch, der immer Pläne hatte, und so war sie ihr Leben lang gewesen. »Du musst wissen, was du willst, wenn du hier herauskommst«, hatte sie immer wieder zu Yasmin gesagt. »Gönne ihnen nicht den Triumph, dich zerstört zu haben.« Yasmin hatte gelernt, Katja Wolff für diese eiserne Entschlossenheit, der Situation zum Trotz die zu werden, die sie immer hatte werden wollen, zu bewundern. Und danach hatte sie gelernt, Katja Wolff dafür zu lieben, dass sie ihnen beiden, selbst hinter Gefängnismauern, stets eine Zukunftsvision geboten hatte.
Sie hatte zu ihr gesagt: »Du musst zwanzig Jahre hier drinnen bleiben. Glaubst du im Ernst, du wirst mit fünfundvierzig einfach rausmarschieren und anfangen, Mode zu machen?«
»Ich werde mir ein Leben aufbauen«, hatte Katja versichert.
»Ich werde niemals klein beigeben, Yas. Ich lasse mir mein Leben nicht nehmen.«
Dieses Leben musste aber irgendwo beginnen, wenn Katja ihre Strafe verbüßt hatte und in die Gesellschaft entlassen wurde. Sie brauchte eine Zuflucht, wo sie vor dem öffentlichen Interesse sicher wäre, um in Ruhe ihre Welt neu aufbauen zu können. Kein Rampenlicht. Sie könnte ihren Traum nicht verwirklichen, wenn es ihr nicht gelänge, sich reibungslos wieder in die Gesellschaft einzufügen. Für sie als ehemalige Strafgefangene würde es schwierig genug werden, sich auf dem heiß umkämpften Modemarkt durchzusetzen.
Als sie nach Kennington zu Yasmin gezogen war, hatte Yasmin damit gerechnet, dass sie eine gewisse Anpassungszeit brauchen würde, ehe sie daran gehen konnte, die Träume zu verwirklichen, von denen sie immer gesprochen hatte. Sie hatte Katja deshalb Zeit gelassen, mit der Freiheit wieder Bekanntschaft zu schließen, und sich nicht gewundert, als Katja sich nicht unmittelbar anschickte, die Ziele, von denen sie im Gefängnis stets gesprochen hatte, in Angriff zu nehmen. Die Menschen sind eben unterschiedlich, dachte sie. Es hatte überhaupt nichts zu bedeuten, dass sie selbst von dem Moment an, als sie endlich frei war, wie eine Wilde losgelegt hatte, um sich ihr neues Leben zu schaffen. Sie hatte schließlich einen Sohn, für den sie sorgen musste, und eine geliebte Freundin, auf deren Kommen sie sich jahrelang vorbereitete. Sie hatte Gründe, ihre Welt in Ordnung zu bringen, um zuerst Daniel und später Katja das Heim bieten zu können, das die beiden verdienten.
Aber jetzt erkannte sie, dass Katjas Worte nicht mehr als eben das gewesen waren: Worte. Katja drängte es gar nicht, sich einen Platz in der Welt zu erobern, weil sie es nicht nötig hatte. Ihr war seit langem ein Platz reserviert.
Jasmin blieb reglos auf dem Sofa sitzen, als Katja mit den Worten: »Mein Gott, bin ich fertig«, ihren Mantel abwarf und dann, Yasmin bemerkend, erstaunt rief: »Was tust du denn da im Dunkeln, Yas?« Sie kam durch das Zimmer, knipste die Tischlampe an und griff sofort nach den Zigaretten, die Mrs, Crushley in der Wäscherei nicht erlaubte. Sie zündete sich eine Zigarette mit einem Streichholz aus einem Heftchen an, das sie aus ihrer Tasche nahm und dann neben die Packung Dunhill auf den Couchtisch warf. Yasmin beugte sich vor und nahm die Streichhölzer zur Hand. Frère Jacques Bar & Brasserie stand darauf.
»Wo ist Daniel?«, fragte Katja und schaute sich um. Sie ging in die Küche und rief, als sie sah, dass der Tisch nur für zwei gedeckt war: »Ist er zum Essen bei einem Freund, Yas?«
»Nein«, antwortete Yas, »er kommt bald nach Hause.« Sie hatte es absichtlich so eingerichtet, um sich dagegen abzusichern, dass sie im letzten Moment doch wieder schwach würde.
»Warum ist dann der Tisch -« Katja brach ab. Sie war eine Frau, die ausreichend Disziplin besaß, um sich nicht zu verraten, und jetzt bediente sie sich dieser Disziplin, um ihre eigene Frage zu unterdrücken.
Yasmin lächelte bitter. Tja, sagte sie der Freundin lautlos, das hättest du nicht gedacht, was, Kat? Dass die kleine Dumme eines Tages schlau wird? Und dass sie dann tatsächlich etwas unternimmt, sogar die Initiative ergreift und sich traut, es anzugehen! Denn du hast ja fünf Jahre Zeit gehabt, um rauszukriegen, wie sie tickt, und ihr vorzumachen, sie hätte eine Zukunft mit dir. Du hast damals schon gewusst, dass man dieser kleinen Blöden nur mit den schönsten Möglichkeiten zu winken braucht, wo's in Wirklichkeit nicht mal die Hoffnung einer Möglichkeit gibt, um sie so weit zu kriegen, dass sie alles für einen tut. Und so eine hast du gebraucht, stimmt's, Kat? Darauf hast du gezählt.
Laut sagte sie: »Ich war in der Galveston Road.«
»Du warst wo?«, fragte Katja vorsichtig, und Yasmin hörte wieder den Akzent, dieses Zeichen ihres Fremdseins, das ihr einmal so sehr gefallen hatte.
»Galveston Road fünfundfünfzig in Wandsworth, SüdLondon«, sagte Yasmin.
Katja antwortete nicht, aber Yasmin sah ihr an, dass sie überlegte, obwohl ihr Gesicht die ausdruckslose Maske war, die zu zeigen sie im Gefängnis gelernt hatte. Die leere Miene sagte, hinter dieser Stirn geht gar nichts vor. Aber der auf Yasmin gerichtete Blick war allzu angespannt.
Jetzt erst fiel Yasmin auf, wie ungepflegt Katja aussah. Ihr Gesicht glänzte fettig, und das blonde Haar klebte ihr strähnig am Schädel.
»Heute warst du nicht dort«, stellte sie fest. »Hast dir wohl gedacht, du duschst zu Hause, hm?«
Katja kam näher. Sie zog tief an ihrer Zigarette, und Yasmin merkte ihr an, dass sie immer noch überlegte. Sie überlegte, ob das Ganze nicht ein Trick war, um sie zu einem Geständnis zu verleiten; ob nicht Yasmin lediglich auf den Busch klopfte. »Yas«, sagte sie und streifte mit ihrer Hand über die Zöpfe, die Yasmin zurückgenommen und im Nacken mit einem Seidenschal gebunden hatte.
Yasmin fuhr zurück. »Du hast dort gar nicht duschen müssen, oder?«, sagte sie. »Keine Schmiere im Gesicht.«
»Yasmin, was redest du da?«
»Ich rede von der Galveston Road, Katja. Nummer fünfundfünfzig. Ich rede davon, was du so treibst, wenn du dahin gehst.«
»Ich gehe dorthin, um mich mit meiner Anwältin zu treffen«, entgegnete Katja. »Yas, du hast doch gehört, was ich dem Bullen heute Morgen gesagt habe. Glaubst du, ich lüge? Weshalb sollte ich? Wenn du Harriet anrufen willst, um sie zu fragen, ob sie und ich zusammen dorthin gegangen sind -«
»Ich war auch dort«, unterbrach Yasmin. »Ich war dort, Katja. Hörst du mich?«
»Und?«, fragte Katja. Immer noch so ruhig, dachte Yasmin, so selbstsicher oder zumindest immer noch in der Lage, sich den Anschein zu geben. Und warum? Weil sie wusste, dass dort tagsüber niemand zu Hause war. Sie war überzeugt davon, dass derjenige, der bei Tag dort klingelte, nicht erfahren würde, wer in dem Haus lebte. Oder vielleicht versuchte sie auch nur, Zeit zu gewinnen, um sich etwas auszudenken.
Yasmin sagte: »Es war niemand zu Hause.«
»Aha.«
»Da bin ich zu einer Nachbarin gegangen und habe gefragt, wer in dem Haus wohnt.« Sie spürte, wie die Schande des Verrats in ihrem Inneren anschwoll wie ein Ballon, der sich in ihre Kehle drückte. Sie zwang sich zu sagen: »Noreen McKay«, und wartete auf Katjas Antwort. Was wird sie sagen?, dachte sie. Wird sie sich herausreden? Oder behaupten, das Ganze wäre ein Missverständnis? Oder den Versuch einer Erklärung machen?
Katja sagte: »Yas…« Dann fluchte sie leise, und die typisch englischen Verwünschungen klangen so seltsam aus ihrem Mund, dass Yasmin, wenn auch nur einen Augenblick lang, den Eindruck hatte, sie spräche mit einer Wildfremden und nicht mit der Katja, die sie in den letzten drei Jahren ihres Gefängnisaufenthalts und in den fünf Jahren danach unerschütterlich geliebt hatte.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Katja seufzte. Sie kam um den Couchtisch herum und setzte sich zu Yasmin aufs Sofa. Yasmin wich vor ihr zurück. Katja rückte von ihr ab.
»Ich hab deine Sachen gepackt«, sagte Yasmin. »Sie sind im Schlafzimmer. Ich wollte nicht, dass Dan es mitbekommt… Ich sag's ihm morgen. Er ist es ja schon gewöhnt, dass du an manchen Abenden nicht hier bist.«
»Yas, es war nicht immer -«
Yasmin hörte selbst, wie ihre Stimme einen schrillen Ton bekam, als sie sagte: »Es war schmutzige Wäsche dabei. Die hab ich extra gepackt, in eine Sainsbury-Tüte. Du kannst sie ja morgen waschen oder heute Abend in den Waschsalon gehen oder -«
»Yasmin, bitte hör mir zu. Wir waren nicht von Anfang an… Noreen und ich… Wir waren nicht von Anfang an zusammen, wie du anscheinend glaubst. Das ist etwas…« Katja rückte wieder näher. Sie legte ihre Hand auf Yasmins Oberschenkel, und Yasmin spürte, wie ihr Körper bei der Berührung erstarrte, und mit dieser Anspannung der Muskeln und Gelenke kehrte alles zurück, und sie wurde in die Vergangenheit katapultiert, wo die Gesichter über ihr hingen .
Sie sprang auf, hielt sich die Ohren zu. »Hör auf! Fahr doch zur Hölle!«, schrie sie.
Katja streckte ihr die Hand entgegen, stand jedoch nicht vom Sofa auf. »Yasmin, bitte hör mir zu. Ich kann das nicht erklären. Es sitzt hier in meinem Inneren, und es war schon immer da. Ich kann mich nicht davon befreien. Ich versuche es. Dann weicht es zurück, aber schließlich kommt es wieder. Bei dir, Yasmin - du musst mir zuhören! Bei dir, glaubte ich… ich hoffte…«
»Komm mir nicht mit glauben und hoffen«, sagte Yasmin. »Benutzt hast du mich, Katja. Du hast gedacht, wenn es so aussähe, als würdest du sie wegen einer anderen verlassen, würde sie endlich Farbe bekennen müssen. Aber das hat sie nicht getan, solange du im Bau warst. Und sie hat's auch nicht getan, als du rausgekommen bist. Aber du bildest dir immer noch ein, sie wird's tun, und darum hast du dich bei mir einquartiert, weil du sie zum Handeln zwingen wolltest. Aber das klappt natürlich nur, wenn sie weiß, was du treibst und mit wem du zusammen bist, richtig? Und es klappt garantiert nicht, wenn du sie nicht ab und zu mal ran lässt, damit sie weiß, was ihr entgeht.«
»Das stimmt nicht. So ist es nicht.«
»Willst du vielleicht behaupten, ihr zwei hättet's nicht miteinander getan? Du wärst nicht mit ihr zusammen gewesen, seit du raus bist? Du wärst nicht nach der Arbeit oder nach dem Abendessen heimlich da drüben gewesen, manchmal sogar nachdem du mit mir zusammen warst, wenn du zu mir gesagt hast, du könntest nicht schlafen und müsstest noch mal an die frische Luft. Du hast ja gewusst, dass ich vor dem Morgen nicht aufwachen würde. Du kannst mich nicht mehr täuschen, Katja. Ich möchte, dass du gehst.«
»Yas, ich weiß nicht, wohin ich soll.«
Yasmin lachte atemlos. »Das lässt sich doch bestimmt mit einem Anruf regeln.«
»Bitte, Yasmin. Komm, setz dich wieder. Lass mich dir sagen, wie es war.«
»Das weiß ich jetzt. Du hast gewartet. Am Anfang hab ich's nicht gemerkt. Ich hab gedacht, du brauchtest Zeit, um dich an das Leben draußen zu gewöhnen. Ich dachte, du holst Luft, um etwas aufzubauen - für dich und mich und Dan, Katja -, aber in Wirklichkeit hast du die ganze Zeit nur auf sie gewartet. Du hast immer nur gewartet. Da hast darauf gewartet, einen Platz in ihrem Leben zu bekommen, und damit wäre für dich alles bestens gelaufen gewesen.«
»So ist es nicht, Yasmin.«
»Ach nein? Was hast du denn unternommen, um dein Leben auf die Reihe zu kriegen, seit du draußen bist? Hast du auch nur eine einzige Modeschule angerufen? Hast du dich mit irgend jemandem unterhalten? Warst du mal in einer von den Boutiquen in der Gegend von Knightsbridge und hast gefragt, ob du dort eine Lehre machen kannst?«
»Nein. Das alles habe ich nicht getan.«
»Und wir wissen beide, warum nicht. Du hast es gar nicht nötig, dir was aufzubauen, wenn sie es für dich tut.«
»Das stimmt nicht.« Katja stand auf. Sie drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus und verstreute Asche auf den Tisch, die dort liegen blieb wie ein Häufchen verbrannter Träume. »Ich schaffe mir mein eigenes Leben«, sagte sie. »Es ist anders, als ich es mir vorgestellt habe, das stimmt. Es ist anders, als das Leben, von dem ich im Knast immer gesprochen habe, ja. Aber ich verlasse mich so wenig auf Noreen wie auf dich, Yasmin. Ich gestalte mein Leben selbst. Ich tue es seit dem Tag, an dem ich entlassen worden bin. Und Harriet hilft mir dabei. Nur darum konnte ich zwanzig Jahre im Gefängnis sitzen, ohne verrückt zu werden. Weil ich wusste - ja, ganz recht, ich wusste es -, was draußen auf mich wartet.«
»Sie«, sagte Yasmin. »Sie war's, die gewartet hat, richtig? Dann geh doch zu ihr. Hau schon ab!«
»Nein. Ich möchte, dass du es verstehst. Du musst -«
Du musst, du musst, du musst. Viel zu oft in ihrem Leben hatte Yasmin das gehört. Sie drückte beide Hände an den Kopf.
»Yasmin, ich habe in meinem Leben drei wirklich schlimme Dinge getan. Ich habe Hannes gezwungen, mich über die Mauer mitzunehmen, indem ich ihm mit einer Anzeige drohte.«
»Das sind doch alte Geschichten.«
»Es ist mehr als das. Hör mir zu. Das, was ich mit Hannes gemacht habe, war meine erste unrechte Tat. Dann habe ich einmal nicht den Mund aufgemacht, als ich ihn hätte aufmachen müssen. Das war das zweite Unrecht. Und einmal - nur ein Mal, Yas, aber das hat gereicht - habe ich hingehört, als ich mir die Ohren hätte zuhalten müssen. Für alle diese Taten habe ich bezahlt. Zwanzigjahre lang. Weil ich belogen wurde. Jetzt müssen andere bezahlen. Und im Moment bin ich dabei, alles zu veranlassen, damit das passiert.«
»Nein! Ich will das nicht hören.« In Panik rannte Yasmin ins Schlafzimmer, wo sie Katjas bescheidene Garderobe - farbenfrohe Kleider, in Secondhand-Läden von einer Frau ausgesucht, die niemals Schwarz tragen würde in einer Stadt, wo man überall nur Schwarz sah - in einen Matchsack gepackt hatte, den sie eigens für diesen Zweck besorgt und selbst bezahlt hatte, Bußgeld für Naivität und Vertrauensseligkeit. Sie wollte Katja nicht anhören, sie konnte es sich nicht erlauben, sie anzuhören. Denn wenn sie es täte, würde sie sich selbst und ihre Zukunft mit Daniel aufs Spiel setzen, und das wollte sie nicht.
Sie packte den Matchsack und schleuderte ihn ins Wohnzimmer, ließ die Plastiktüte mit der schmutzigen Wäsche folgen und zum Schluss den Karton mit den Toilettenartikeln und anderen persönlichen Dingen, die Katja bei ihrem Einzug mitgebracht hatte. »Ich hab's ihm gesagt, Katja«, rief sie laut. »Er weiß Bescheid. Hast du gehört? Ich hab's ihm gesagt.«
Sie fragte: »Wem?«
»Das weißt du doch. Ihm!« Yasmin zog einen Finger quer über ihre Wange, um die Narbe im Gesicht des Bullen anzudeuten.
»Du warst nicht hier und hast ferngesehen. Das weiß er jetzt.«
»Aber er ist - sie sind - sie sind doch alle… Yas, du weißt genau, dass sie deine Feinde sind. Was die dir angetan haben, als du Roger aus reiner Notwehr… Nach allem, was die mit dir gemacht haben? Wie konntest du so einem Typen vertrauen?«
»Ja, darauf hast du dich verlassen, richtig? Die gute alte Yas wird garantiert keinem Bullen vertrauen, ganz gleich, was er ihr erzählt, ganz gleich, was ich tue. Ich werde mich also einfach bei der guten alten Yas einnisten, und sie wird mich schützen, wenn sie kommen. Sie wird brav tun, was ich sage, so wie sie's getan hat, als wir beide noch gesessen haben. Aber das ist jetzt vorbei, Katja. Was auch immer es war, und es ist mir ziemlich egal, es ist vorbei.«
Katja blickte zu ihrem Gepäck hinunter. Sie sagte leise: »Wir sind so nahe daran, es zu beenden, nach all den -«
Yasmin schlug die Schlafzimmertür zu, um sich vor ihren Worten und vor weiterer Gefahr zu schützen. Und jetzt erst begann sie zu weinen. Sie hörte, wie Katja draußen ihre Sachen einsammelte. Dann wurde die Wohnungstür geöffnet, und als Yasmin sie einen Augenblick später zufallen hörte, wusste sie, dass die Freundin für immer gegangen war.
»Es geht also nicht um das Kind«, sagte Barbara Havers zum Abschluss ihres Berichts über ihren zweiten Besuch im Kloster der Unbefleckten Empfängnis zu Lynley. »Der Junge heißt übrigens Jeremy Watts. Die Nonne hat immer gewusst, wo er sich aufhielt; und Katja Wolff hat immer gewusst, dass sie es weiß. Sie hat in zwanzig Jahren kein einziges Mal nach ihm gefragt. Sie hat in diesen zwanzig Jahren überhaupt nicht mit Schwester Cecilia gesprochen. Es geht also nicht um den Jungen.«
»Irgendwie ist das doch unnatürlich«, meinte Lynley nachdenklich.
»Irgendwie ist eine Menge an ihr unnatürlich«, erwiderte Barbara. »An allen diesen Leuten. Ich meine, was ist mit diesem Richard Davies los, Inspector? Okay. Virginia war geistig behindert. Das hat ihn fertig gemacht. So was hätte jeden fertig gemacht. Aber sich dann überhaupt nicht mehr um sie zu kümmern, sie nicht einmal zu besuchen… und sich von seinem Vater vorschreiben zu lassen . Wieso lebten er und Lynn überhaupt mit seinen Eltern zusammen? Natürlich ist das Haus am Kensington Square sehr imposant, und vielleicht ist der gute Richard jemand, der gern andere beeindruckt. Und vielleicht hätten Mama und Papa den ehrwürdigen alten Rasten nicht halten können, wenn Richard nicht was zum Unterhalt beigetragen hätte, indem er dort einzog und eine hohe Miete bezahlte oder so was, aber trotzdem…«
»Vater-Sohn-Beziehungen sind meistens kompliziert«, sagte Lynley.
»Komplizierter als Mutter-Tochter-Beziehungen?«
»Ganz sicher. Weil so vieles unausgesprochen bleibt.«
Sie saßen nicht weit von der Dienststelle am Downshire Hill in einem Café in der Hampstead High Street, wo sie sich verabredet hatten, nachdem Barbara Lynley, der gerade aus Stamford Brook aufgebrochen war, auf seinem Handy angerufen hatte. Er hatte ihr von Webberlys Herzinfarkt berichtet, und sie hatte ihr Bedauern in Kraftausdrücken geäußert. Als sie gefragt hatte, was sie tun könne, hatte er ihr das Gleiche gesagt, was Randie gesagt hatte, als sie kurz vor Lynleys Abfahrt zu Hause angerufen hatte, um ihre Mutter über den letzten Stand der Dinge zu unterrichten: Man könne nur beten; die Ärzte hielten ihn unter ständiger Beobachtung.
»Was, zum Teufel, soll das heißen?«, hatte Barbara gefragt.
Lynley hatte geantwortet, seiner Meinung nach sei das die euphemistische Art der Ärzte, zu sagen, man warte nur auf den geeigneten Moment, um die Geräte abzuschalten.
Barbara an dem kleinen Kaffeehaustisch gegenüber sitzend, auf dem ein Espresso (seiner) und ein Milchkaffee mit massenhaft Zucker sowie ein Teller mit einem Schoko-Croissant (beides ihre) standen, zog er jetzt sein Taschentuch heraus und breitete es auf dem Tisch aus, um ihr seinen Fund zu zeigen.
»Das hier ist vielleicht unsere einzige Hoffnung«, sagte er und wies auf die Glasscherben, die er am Crediton Hill auf dem Bürgersteig halb im Gebüsch gefunden hatte.
Barbara betrachtete sie prüfend. »Autoscheinwerfer?«
»In Anbetracht des Fundorts wohl eher nicht. Sie waren unter einer Hecke.«
»Sie haben vielleicht gar keine Bedeutung, Sir.«
»Ich weiß«, stimmte Lynley missmutig zu.
»Wo ist eigentlich Winnie? Hat er inzwischen irgendwas rausbekommen?«
»Er ist Katja Wolff auf den Fersen.« Lynley berichtete ihr, was Nkata ihm vor einigen Stunden mitgeteilt hatte.
Sie sagte: »Und - neigen Sie zur Wolff? Dann geht's aber, wie gesagt, nicht -«
»- um ihren Sohn, ich weiß. Was könnte ihr Motiv sein, wenn sie die Täterin ist?«
»Rache? Könnte es sein, dass die ihr den Mord damals fälschlicherweise angehängt haben?«
»Und Webberly mit ihnen? Um Gottes willen! Was für ein Gedanke!«
»Aber wenn er was mit Eugenie Davies hatte . « Barbara hatte ihre Kaffeetasse zum Mund geführt, aber sie trank nicht, sondern sah Lynley über den Rand der Tasse hinweg an. »Ich behaupte ja nicht, dass er es absichtlich getan hätte, Sir. Aber wenn er da irgendwie verstrickt war, könnte er ganz einfach geblendet gewesen sein, könnte - na ja, vielleicht manipuliert, an der Nase herumgeführt worden sein… Sie wissen schon.«
»Das würde bedeuten, dass auch die Kronanwaltschaft, die Geschworenen und der Richter an der Nase herumgeführt wurden«, wandte Lynley ein.
»So was soll schon vorgekommen sein«, versetzte Barbara.
»Und nicht nur einmal. Das wissen Sie doch auch.«
»Ja, gut. Akzeptiert. Aber warum hat sie nicht geredet? Wenn Beweise manipuliert oder falsche Aussagen gemacht wurden, warum hat sie dann den Mund nicht aufgemacht?«
»Tja, das ist die Frage, auf die wir immer wieder zurückkommen«, meinte Barbara seufzend.
»Genau.« Lynley nahm einen Bleistift aus seiner Brusttasche und schob mit ihm die Glasscherben auf dem Taschentuch herum. »Zu dünn für Autoscheinwerfer«, sagte er. »Ein Scheinwerfer aus solchem Glas würde zerspringen, wenn ihn nur ein kleines Steinchen trifft - auf der Schnellstraße zum Beispiel.«
»Glasscherben unter einer Hecke? Die stammen wahrscheinlich von einer Flasche. Da kommt einer mit einer Flasche Wein unterm Arm von einer Party. Er ist nicht mehr ganz nüchtern und torkelt. Die Flasche fällt runter, zerbricht, und er befördert die Scherben mit ein paar Fußtritten auf die Seite.«
»Aber das Glas ist nicht gekrümmt, Havers. Da, schauen Sie sich die größeren Scherben an. Keine Krümmung.«
»Okay, keine Krümmung. Aber wenn Sie hoffen, zwischen diesen Scherben und einem unserer Verdächtigen eine Verbindung zu entdecken, dann, denke ich, haben Sie ungefähr die gleichen Chancen wie ein Blinder im Nebel.«
Lynley wusste, dass sie Recht hatte. Er schob das Taschentuch wieder zusammen, steckte es ein und grübelte stumm vor sich hin. Er ließ einen Finger langsam auf dem Rand der Espressotasse kreisen, während er in das Restchen dunklen Satz auf ihrem Grund starrte.
Barbara verdrückte inzwischen ihr Schoko-Croissant, von dem nur ein paar Krümel auf ihren Lippen zurückblieben.
»Das tut den Arterien aber gar nicht gut, Constable«, sagte er.
»Und jetzt kommt die Lunge dran«, entgegnete sie, wischte sich mit einer Papierserviette den Mund ab und kramte ihre Zigaretten heraus. Ehe er protestieren konnte, sagte sie: »Das hab ich mir verdient. Es war ein langer Tag. Ich blas den Rauch über meine Schulter, okay?«
Lynley war zu niedergeschlagen, um sich mit ihr zu streiten. Gedanken an Webberlys Zustand bedrückten ihn, und kaum minder schwer lag ihm die neu gewonnene Gewissheit auf der Seele, dass Frances Webberly von der Liebesbeziehung ihres Mannes zu einer anderen Frau gewusst hatte. Er versuchte, diesen Gedanken zu entrinnen, indem er sagte: »Also, schauen wir uns jeden Einzelnen noch einmal genau an. Was haben Sie an Aufzeichnungen?«
Barbara blies ungeduldig eine Rauchwolke in die Luft. »Das haben wir doch schon durchexerziert, Inspector. Wir haben überhaupt nichts.«
»Aber wir müssen etwas haben«, entgegnete Lynley und setzte seine Lesebrille auf. »Ihre Aufzeichnungen, Havers.«
Unwillig holte sie ihr Heft aus der Umhängetasche, während Lynley seine eigenen Notizen aus seiner Jackentasche nahm. Sie begannen mit den Personen, die kein nachgewiesenes Alibi hatten.
Ian Staines war der erste Kandidat, den Lynley zu bieten hatte. Er brauchte dringend Geld, und seine Schwester hatte ihm versprochen, ihren Sohn darum zu bitten. Aber sie war von ihrer Zusage zurückgetreten und hatte Staines damit in größte Nöte gestürzt. »Er muss damit rechnen, sein Haus zu verlieren«, sagte Lynley. »Am Abend ihres Todes haben die beiden sich gestritten. Er könnte ihr nach London gefolgt sein. Er ist erst nach ein Uhr nachts nach Hause gekommen.«
»Aber der Wagen passt nicht«, wandte Barbara ein. »Es sei denn, er war mit einem anderen Fahrzeug in Henley.«
»Möglich wäre es«, meinte Lynley. »Er könnte es dort irgendwann früher abgestellt haben - nur für den Fall. Irgendjemand hat Zugang zu einem zweiten Wagen, Havers.«
Sie wandten sich dem vielnamigen J. W. Pitchley zu, Barbaras derzeitigem Lieblingsverdächtigen. »Was, zum Teufel, hatte seine Adresse in Eugenie Davies' Handtasche zu suchen?«, sagte sie mit Vehemenz. »Warum wollte die Frau zu ihm? Von Staines wissen wir, dass sie ihm sagte, es wäre was dazwischen gekommen. War das vielleicht Pitchley?«
»Möglich, aber wir haben bis jetzt keine Verbindung zwischen den beiden entdeckt. Nicht per Telefon, nicht übers Internet .«
»Schneckenpost?«
»Wie hat sie ihn überhaupt ausfindig gemacht?«
»Wie ich, Inspector. Sie hat sich gesagt, dass er wahrscheinlich wieder mal die Identität gewechselt hat.«
»Meinetwegen. Aber was für einen Grund hatte sie, ihn aufzusuchen?«
Barbara ließ alle Möglichkeiten, die sie bisher angeboten hatte, außer Acht und schlug einen völlig neuen Weg ein.
»Vielleicht arrangierte er die Zusammenkunft mit ihr, nachdem sie ihn aufgestöbert hatte. Und sie setzte sich mit ihm in Verbindung, weil…« Barbara ließ sich die verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf gehen und sagte schließlich: »Weil Katja Wolff gerade aus dem Knast entlassen worden war. Wenn die ganze verdammte Bande die Wolff reingelegt hatte und sie jetzt wieder auf freiem Fuß war, mussten sie sich was einfallen lassen, würde ich sagen… Zum Beispiel, wer sie übernehmen sollte, wenn sie sich meldete.«
»Aber da sind wir doch wieder an genau demselben Punkt, Havers. Ein ganzes Haus voll Leute tut sich zusammen, um eine Person zum Sündenbock eines Verbrechens zu machen, und diese Person sagt dann nicht ein einziges Wort zu ihrer eigenen Verteidigung? Warum nicht, Herrgott noch mal?«
»Angst vor dem, was sie ihr antun könnten? Der Großpapa scheint ja eine echte Horrorfigur gewesen zu sein. Vielleicht hatte er irgendwas gegen sie in der Hand. Er sagte: >Entweder du machst unser Spiel mit, oder wir bringen es an die Öffentlichkeit…<« Barbara hielt einen Moment inne und verwarf dann ihren eigenen Einfall, indem sie sagte: »Was denn? Dass sie schwanger war? Na toll. Als hätte zu der Zeit noch ein Hahn danach gekräht. Es kam ja sowieso raus, dass sie schwanger war.«
Lynley hob eine Hand, um sie daran zu hindern, den Gedanken ganz fallen zu lassen. »Sie könnten auf der richtigen Spur sein, Barbara«, meinte er. »Vielleicht hieß es: >Entweder du machst unser Spiel mit, oder wir verraten, wer der Vater des Kindes ist, das du erwartest.««
»Na, ganz toll!«
»Richtig«, versetzte Lynley, »wenn man nämlich nicht gedroht hätte, es der Öffentlichkeit zu verraten, sondern Eugenie Davies.«
»Richard?«
»Es wäre nicht das erste Mal, dass der Herr des Hauses zarte Bande zum Kindermädchen knüpft.«
»Ja, wie war's dann mit ihm?«, fragte Barbara. »Könnte nicht Davies seine Exfrau umgebracht haben?«
»Motiv und Alibi«, sagte Lynley kurz. »Das eine hat er nicht, das andere hat er. Das Umgekehrte ließe sich von Robson sagen.«
»Aber wie passt Webberly da ins Bild? Wie passt er überhaupt ins Bild, ganz gleich, wer als Kandidat für uns in Frage kommt?«
»Er passt nur beim Fall Wolff ins Bild. Und damit sind wir beim Ausgangspunkt: dem Mord an Sonia Davies und der ursprünglichen Gruppe von Leuten, die von den darauf folgenden Ermittlungen betroffen waren.«
»Vielleicht legt es jemand nur darauf an, den Anschein zu erwecken, als wäre alles mit dem Verbrechen von damals verbunden, Sir. Denn in Wahrheit besteht doch noch eine andere, tiefer gehende Verbindung: die zwischen Webberly und Eugenie Davies. Und damit wären wir wieder bei Richard. Bei Richard oder Frances Webberly.«
Lynley wollte nicht an Frances denken. Er sagte: »Oder bei Gideon, der Webberly die Schuld am Ende der Ehe seiner Eltern gibt.«
»Das ist schwach.«
»Aber irgendetwas ist mit ihm los, Havers. Wenn sie ihn kennen gelernt hätten, würden Sie mir zustimmen. Und er hat kein überzeugendes Alibi. Er war am fraglichen Abend allein zu Hause.«
»Wo war sein Vater?«
Lynley warf einen Blick in seiner Notizen. »Bei seiner Lebensgefährtin. Sie hat es bestätigt.«
»Aber er hat ein viel besseres Motiv als Gideon, wenn die Webberly-Eugenie-Verbindung hinter diesen Anschlägen steckt.«
»Hm. Ja. Da haben Sie schon Recht. Aber wenn wir annehmen, er hätte ein Motiv gehabt, seine Frau und Webberly zu töten, stellt sich die Frage, warum er damit so viele Jahre gewartet hat.«
»Er musste bis jetzt warten, bis zu Katja Wolffs Entlassung. Er hat gewusst, dass wir ihre Spur aufnehmen würden.«
»Aber über so viele Jahre an einem alten Groll festzuhalten!«
»Vielleicht gab es ja einen neueren Anlass.«
»Einen neueren…? Wollen Sie behaupten, dass er sich ein zweites Mal in sie verliebt hatte?« Lynley dachte einen Moment über seine Frage nach. »Gut. Ich halte es für unwahrscheinlich, aber nehmen wir einmal an, es wäre so gewesen und seine Liebe zu seiner geschiedenen Frau wäre wieder erwacht. Er ist also von ihr geschieden.«
»Und am Boden zerstört von der Tatsache, dass sie ihn verlassen hat«, fügte Barbara hinzu.
»Richtig. So, und jetzt hat Gideon plötzlich Schwierigkeiten. Er kann nicht mehr Geige spielen. Seine Mutter erfährt entweder durch die Zeitung von diesen Schwierigkeiten oder von Robson. Sie nimmt mit Davies Verbindung auf.«
»Sie sprechen häufig miteinander. Sie tauschen Erinnerungen aus. Er glaubt, sie werden es noch einmal miteinander versuchen, und ist ganz heiß drauf -«
»Aber Jill Foster lassen wir damit außen vor«, warf Lynley ein.
»Moment, Moment. Richard und Eugenie sprechen über Gideon. Sie sprechen über alte Zeiten, über ihre Ehe, weiß der Himmel über was noch. Alles lebt noch einmal auf. Er ist, wie gesagt, ganz versessen darauf, einen zweiten Versuch zu machen, und da erfährt er, dass Eugenie schon jemanden für ihr Bett in Aussicht hat: Wiley.«
»Nein, nicht Wiley«, widersprach Lynley. »Der ist zu alt. Davies hätte in ihm keinen Rivalen gesehen. Außerdem hat Wiley uns doch berichtet, sie wollte ihm irgendetwas beichten. Das hatte sie selbst zu ihm gesagt. Aber vor drei Tagen war sie noch nicht bereit dazu -«
»- weil sie nach London wollte«, fiel Barbara ihm ins Wort.
»Zu Pitchley, Pitchford, Pytches«, sagte Lynley. »Immer ist das Ende der Anfang, nicht wahr?« Er fand in seinen Aufzeichnungen einen Hinweis, der die ganze Zeit dort gewesen war und nur auf die richtige Interpretation gewartet hatte. »Moment«, sagte er.
»Als ich die Möglichkeit eines anderen Mannes zur Sprache brachte, hat Davies sofort auf ihn getippt, Barbara. Er hat ihn sogar namentlich genannt. Es schien keinen Zweifel für ihn zu geben. Ich habe es hier in meinen Notizen: Er nannte unverzüglich den Namen Pytches.«
»Pytches?«, fragte Barbara. »Nein. Doch nicht Pytches, Inspector. Das kann nicht -«
Lynleys Handy klingelte. Er nahm es vom Tisch und hob einen Finger, um Barbara zu bedeuten, sie möge mit ihren Ausführungen einen Moment warten. Aber sie brannte darauf, fortzufahren. Ungeduldig drückte sie ihre Zigarette aus und sagte: »An welchem Tag haben Sie mit Davies geredet, Inspector?«
Lynley winkte ab, hielt sein Handy ans Ohr und sagte: »Lynley.«
»Leach hier«, blaffte es. »Wir haben ein weiteres Opfer.«
Winston Nkata las die Aufschrift - Strafanstalt Holloway - und machte sich bewusst, dass sein Leben vielleicht eine andere Wendung genommen hätte und er selbst eines Tages im Knast gelandet wäre, wenn nicht seine Mutter beim Anblick ihres Sohnes, der mit einer furchtbaren Schnittverletzung im Gesicht, die gerade mit vierunddreißig Stichen genäht worden war, in der Notaufnahme des Krankenhauses lag, ohnmächtig geworden wäre. Natürlich wäre er nicht in dieser Anstalt hier gelandet, die war nur für Frauen, aber in einer ähnlichen. Im The Scrubbs, vielleicht, oder in Dartmoor oder im The Ville. Hinter Gittern, weil er mit dem Leben in Freiheit nicht hatte umgehen können.
Aber seine Mutter war ohnmächtig geworden. »Oh, Herzblatt«, hatte sie noch gemurmelt und war umgekippt wie ein gefällter Baum. Und als er sie dort auf dem Boden liegen sah, den Turban verrutscht, so dass er das erste Mal wahrnahm, was er nie zuvor bemerkt hatte - dass ihr Haar grau zu werden begann -, da hatte er endlich begriffen, dass sie nicht die unerschütterliche starke Frau war, als die er sie immer gesehen hatte, sondern eine normale Frau, eine Frau, die liebte und sich darauf verließ, dass er ihr Grund geben würde, stolz darauf zu sein, ihn geboren zu haben. Da war es entschieden gewesen.
Aber hätte es diesen Moment nicht gegeben, wäre nicht seine Mutter, sondern sein Vater gekommen, um ihn abzuholen, und hätte ihn mit dem ganzen Maß an zorniger Verachtung, das er verdiente, auf den Rücksitz des Wagens bugsiert, so hätte sich vielleicht alles ganz anders entwickelt. Vielleicht hätte er geglaubt, demonstrieren zu müssen, dass ihm der Unmut seines Vaters gleichgültig war, vielleicht hätte er geglaubt, es damit demonstrieren zu müssen, dass er sich noch wilder in den lange währenden Kampf zwischen den Brixton Warriors und der kleineren, erst kürzlich hoch gekommenen Gang der Longborough Bloods um ein Gelände namens Windmill Gardens stürzte. Aber es hatte diesen Moment gegeben, und er hatte sein Leben verändert, und es hatte ihn hierher geführt, wo er jetzt stand: den Blick auf die fensterlose Backsteinfestung des Holloway-Gefängnisses gerichtet, hinter dessen Mauern Katja Wolff Yasmin Edwards und Noreen McKay begegnet war.
Er hatte auf der gegenüber liegenden Straßenseite geparkt, vor einem Pub, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren. Es hätte in Belfast stehen können. Er hatte eine Orange gegessen, das Gefängnistor angestarrt und darüber nachgedacht, was es alles zu bedeuten hatte. Im Besonderen hatte er darüber nachgedacht, was es zu bedeuten hatte, dass die Deutsche bei Yasmin Edwards lebte, aber gleichzeitig, wie er beim Anblick der zwei sich vereinigenden Schatten im Fenster des Hauses in der Galveston Road vermutet hatte, ein Verhältnis mit einer anderen hatte.
Als er seine Orange gegessen hatte, wartete er, bis die Ampel auf Rot sprang und den donnernden Verkehr in der Parkhurst Road anhielt, und rannte über die Straße. Er ging zur Anmeldung, zog seinen Dienstausweis heraus und zeigte ihn der Beamtin am Schalter.
Sie sagte: »Erwartet Miss McKay Sie?«
»Ich bin dienstlich hier«, antwortete er. »Mein Besuch wird sie nicht überraschen.«
Die Frau an der Anmeldung sagte, sie würde anrufen, vielleicht wolle der Constable einen Moment Platz nehmen. Es sei spät, und es sei unsicher, ob Miss McKay jetzt Zeit für ihn habe…
»Oh, ich bin sicher, sie hat Zeit für mich«, erklärte Nkata.
Er setzte sich nicht, sondern ging zum Fenster, wo sein Blick an weiteren Backsteinmauern abprallte. Während er den Verkehr auf der Straße beobachtete, öffnete sich an der Einfahrt zur Strafanstalt eine Schranke, und ein Kleinbus fuhr in den Hof, der vermutlich einen Untersuchungsgefangenen nach einem Prozesstag im Old Bailey zurückbrachte. So war auch Katja Wolff während der Tage ihres Prozesses hin und her gefahren worden, täglich begleitet von einer Aufsichtsbeamtin des Gefängnisses, die jede Minute an ihrer Seite geblieben war. Diese Beamtin hatte sie zwischen ihrer Zelle im Gerichtsgebäude und dem Verhandlungsraum hin und her geführt, hatte ihr Tee gemacht, ihr beim Mittagessen Gesellschaft geleistet und sie abends nach Holloway zurückgebracht. Eine Beamtin ganz allein mit einer Gefangenen in der schwersten Zeit ihres Lebens.
»Constable Nkata?«
Nkata drehte sich herum. Die Frau an der Anmeldung hielt ihm einen Telefonhörer hin. Er nahm ihn, nannte seinen Namen und hörte eine Frauenstimme. »Gegenüber ist ein Pub«, sagte die Frau. »An der Ecke Hillmarton Road. Hier kann ich nicht mit Ihnen sprechen. Aber wenn Sie im Pub auf mich warten, bin ich in einer Viertelstunde da.«
»Fünf Minuten«, entgegnete er, »sonst bin ich weg und hör mich anderswo um.«
Sie stieß geräuschvoll den Atem aus. »Gut, fünf Minuten«, sagte sie und legte auf.
Nkata ging zu dem Pub zurück, das aus einem fast leeren Gastraum bestand, in dem es kalt und zugig war und hauptsächlich nach Staub roch. Er bestellte sich einen Cider und setzte sich an einen Tisch mit Blick zur Tür.
In fünf Minuten schaffte sie es nicht, aber es waren noch keine zehn verstrichen, als sie mit einem Windstoß zur Tür hereinkam. Sie sah sich um, und als ihr Blick auf Nkata fiel, nickte sie einmal kurz und kam mit dem ruhigen, sicheren Schritt einer Frau mit Macht und Selbstbewusstsein an seinen Tisch. Sie war groß, nicht ganz so groß wie Yasmin Edwards, aber größer als Katja Wolff, einen Meter fünfundsiebzig vielleicht.
»Constable Nkata?«, sagte sie.
»Miss McKay?«
Sie zog einen Stuhl heraus, knöpfte ihren Mantel auf, legte ihn ab und setzte sich, die Ellbogen auf dem Tisch, die Finger im Haar, um es zurückzustreichen. Es war blond, kurz geschnitten, so dass die Ohren frei waren, in denen sie Perlenstecker trug. Einen Moment lang hielt sie den Kopf gesenkt, dann holte sie Luft und blickte auf, sah Nkata mit unverhohlener Abneigung in den blauen Augen an.
»Was wollen Sie von mir? Ich mag Störungen bei der Arbeit nicht.«
»Ich hätte Sie natürlich auch zu Hause aufsuchen können«, sagte Nkata. »Aber von Harriet Lewis' Kanzlei aus war es hierher näher als in die Galveston Road.«
Als der Name der Anwältin fiel, wurde ihre Miene misstrauisch.
»Sie wissen, wo ich wohne«, bemerkte sie vorsichtig.
»Ja, ich bin gestern Abend einer Frau namens Katja Wolff zur Galveston Road Nummer fünfundfünfzig gefolgt. Sie ist mit dem Bus gefahren, von Kennington nach Wandsworth, und das Interessante war, dass sie nicht ein einziges Mal irgendwo nach dem Weg gefragt hat. Sie kannte ihn offenbar sehr gut.«
Noreen McKay seufzte. Sie war nicht mehr jung - wahrscheinlich nahe den Fünfzig, vermutete Nkata -, und es tat ihrem Gesicht gut, dass sie nur sehr dezent geschminkt war. So betonte sie vorteilhaft, was sie hatte, ohne auszusehen, als trage sie Kriegsbemalung. Sie hatte die Gefängnisuniform an, gepflegt und adrett, mit frischer weißer Bluse, messerscharfen Bügelfalten in der Hose und blanken Messingverzierungen auf den dunkelblauen Schulterstücken der Jacke. Am Gürtel trug sie einen Schlüsselbund, ein Funksprechgerät und irgendeinen Beutel. Sie sah beeindruckend aus.
Sie sagte: »Ich weiß nicht, worum es hier geht, aber ich habe Ihnen nichts zu sagen, Constable.«
»Auch nicht über Katja Wolf?«, fragte er. »Warum sie mit ihrer Anwältin im Schlepptau bei Ihnen war? Wollen die Sie verklagen, oder was?«
»Hören Sie, ich habe nichts zu sagen, und ich kann mir in meiner Position keine Konzessionen erlauben. Ich muss auf meine Zukunft und zwei junge Menschen Rücksicht nehmen.«
»Aber nicht auf einen Ehemann?«
Sie strich sich wieder mit einer Hand über das Haar. Es schien eine typische Geste von ihr zu sein. »Ich war nie verheiratet, Constable. Ich kümmere mich um die beiden Kinder meiner Schwester. Sie waren vier und sechs, als sie zu mir kamen. Ihr Vater wollte sie nicht haben, als meine Schwester starb - er war zu sehr damit beschäftigt, sein Single-Dasein zu genießen. Aber seit ihm langsam klar wird, dass er nicht ewig zwanzig Jahre alt sein wird, kommt er offenbar zur Vernunft. Ehrlich gesagt möchte ich ihm keinen Grund geben, mir die Kinder wegzunehmen.«
»Gibt es denn einen Grund? Was für einer wäre das wohl?«
Anstatt ihm zu antworten, stand Noreen McKay auf und ging an den Tresen. Dort bestellte sie und wartete, während ihr ein Gin Tonic gemacht wurde.
Nkata beobachtete sie und versuchte, die Lücken der Unkenntnis durch aufmerksame Betrachtung ihrer Person zu schließen. Es hätte ihn interessiert, was Noreen McKay an der Tätigkeit in einer Strafanstalt fasziniert hatte - die Macht über andere. die sie einem verlieh, oder die Möglichkeit, im Trüben zu fischen.
Mit dem Glas in der Hand kehrte sie an den Tisch zurück und sagte: »Sie haben beobachtet, dass Katja Wolff und ihre Anwältin bei mir waren. Aber das ist auch alles, was Sie gesehen haben.«
»Ich habe auch gesehen, dass sie einfach ins Haus gegangen ist. Sie hat nicht angeklopft.«
»Constable, sie ist Deutsche.«
Nkata schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern, schon mal gehört zu haben, dass es bei den Deutschen nicht Sitte ist, anzuklopfen, bevor man ein fremdes Haus betritt, Miss McKay. Ich glaube, die kennen die Regeln ziemlich genau, besonders die, die besagen, dass man bei den Leuten nicht anzuklopfen braucht, bei denen man sich schon häuslich eingerichtet hat.«
Noreen McKay hob ihr Glas. Sie trank und schwieg.
Nkata sagte: »Was mich an der Situation interessiert, ist Folgendes: War Katja Wolff die erste im Knast, mit der Sie was hatten, oder war sie eine von vielen?«
Noreen McKay lief rot an. »Sie wissen überhaupt nicht, wovon Sie reden.«
»Ich rede von Ihrer Stellung in Holloway und der Frage, ob und wie sie sie möglicherweise über Jahre hinweg ausgenützt haben, und was die Gefängnisleitung für geeignete Maßnahmen bereit halten würde, wenn rauskommt, dass sie ganz andere Dinge getrieben haben, als nur die Türen abzusperren. Wie lang sind Sie jetzt dabei? Sie kriegen eine Pension? Haben Sie eine Beförderung in Aussicht? Wie sieht's aus?«
Sie lächelte ohne Erheiterung, als sie sagte: »Wissen Sie, ich wollte eigentlich zur Polizei, Constable, aber ich leide an einer Lesestörung und habe die Prüfungen nicht geschafft. Da bin ich in den Vollzug gegangen, weil ich der Meinung bin, jeder Bürger sollte die Gesetze achten, und wer die Grenzen übertritt, sollte bestraft werden.«
»Und Sie selbst haben sie übertreten. Bei Katja. Sie musste eine Strafe von zwanzig Jahren verbüßen -«
»Sie war nicht die ganze Zeit in Holloway. Es kommt praktisch nie vor, dass jemand seine ganze Strafe hier absitzt. Aber ich bin seit vierundzwanzig Jahren hier. Ich denke, dass Ihre Vermutung - wie auch immer sie aussieht - auf ziemlich wackligen Füßen steht.«
»Katja Wolff war hier in Untersuchungshaft. Sie war während des Prozesses hier. Und sie hat einen Teil ihrer Strafe hier verbüßt. Und als sie verlegt wurde - nach Durham, richtig? -, bekam sie die Erlaubnis, Besuche zu empfangen, und musste zu diesem Zweck eine Liste mit den Namen der Leute einreichen, die sie erwartete. Wetten, dass ich Ihren Namen - wahrscheinlich als einzigen neben dem ihrer Anwältin - auf der Liste finden würde? Und dann war sie noch mal eine Zeit lang hier in Holloway, nehme ich an. Ja, das hat sich intern bestimmt ohne allzu große Schwierigkeiten arrangieren lassen. Was
für eine Stellung haben Sie, Miss McKay?«
»Ich bin stellvertretende Gefängnisdirektorin«, antwortete sie.
»Ich denke, das wissen Sie.«
»Die stellvertretende Direktorin mit Geschmack an den Damen. Waren Sie immer schon homosexuell?«
»Das geht Sie überhaupt nichts an.«
Nkata schlug mit der Hand auf den Tisch und beugte sich der Frau entgegen. »Mich geht das alles was an«, erklärte er. »Also, soll ich mir Katja Wolffs Unterlagen vornehmen, feststellen, in welchen Strafanstalten sie war, mir sämtliche Besucherlisten von ihr besorgen, auf denen sie Ihren Namen an die oberste Stelle gesetzt hat, und Ihnen dann die Daumenschrauben anlegen? Das kann ich selbstverständlich tun, Miss McKay, aber ich habe keine große Lust dazu. Es ist Zeitverschwendung.«
Den Blick gesenkt, drehte sie ihr Glas langsam in der Hand. Die Tür des Pubs wurde geöffnet, ein neuerlicher kalter Windstoß fegte den Gestank der Abgase von der Parkhurst Road herein, und zwei Männer in der Uniform der Gefängnisangestellten traten ein. Sie starrten erst Noreen McKay an, dann Nkata, dann wieder Noreen McKay. Der eine grinste und machte mit gesenkter Stimme eine Bemerkung. Noreen McKay blickte auf und sah die beiden.
Sie fluchte unterdrückt, sagte: »Ich muss hier verschwinden«, und machte schon Anstalten, aufzustehen.
Nkata legte eine Hand auf ihren Arm. »Aber nicht, ohne mir ein paar Auskünfte gegeben zu haben«, sagte er. »Sonst muss ich mir doch Wolffs Gefängnisunterlagen ansehen, Miss McKay. Und wenn ich da Ihren Namen finde, werden Sie einiges zu erklären haben.« »Ist es Ihre Gewohnheit, den Leuten zu drohen?«
»Das ist keine Drohung. Das ist nur eine schlichte Tatsache. Also, setzen Sie sich wieder hin und trinken Sie Ihren Gin Tonic.«
Mit einer Kopfbewegung wies er auf ihre Kollegen. »Ich glaube, ich tue Ihrem Ruf ganz gut.«
Ihr Gesicht wurde rot vor Zorn. »Sie gemeiner -«
»Regen Sie sich ab«, sagte er. »Reden wir über Katja Wolff. Sie war übrigens damit einverstanden, dass ich mit Ihnen spreche.«
»Das glaube ich nicht -«
»Dann rufen Sie sie an.«
»Sie -«
»Sie steht unter Verdacht, zwei Personen vorsätzlich mit dem Auto überfahren zu haben, in einem Fall mit Todesfolge. Wenn Sie sie entlasten können, dann sollten Sie das schleunigst tun. Sie kann jeden Moment festgenommen werden. Und glauben Sie vielleicht, das wird man der Presse vorenthalten können? Berüchtigte Kindsmörderin erneut von der Polizei festgenommen! Wohl kaum, Miss McKay. Man wird ihr ganzes Leben unter die Lupe nehmen, und Sie wissen wohl, was das heißt.«
»Ich kann sie nicht entlasten«, sagte Noreen McKay, und ihre Finger umfassten das Glas mit dem Gin Tonic fester. »Das ist es ja gerade. Ich kann sie nicht entlasten.«