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Ich flog die Passagiere von Wiltshire nach Newmarket und stellte die Six so weit wie möglich von der Polyplane-Maschine entfernt ab. Als meine Fluggäste sich in Richtung Tribüne entfernt hatten, sah ich zu, daß ich aus der stickigen Kabine an die frische Luft kam, legte mich ins Gras, auf einen Ellbogen gestützt, löste meine Krawatte und knöpfte den obersten Knopf meines Hemdkragens auf. Ein glühend heißer Tag, nur ein Hauch von Wind über der Heath, ein paar kleine Kumuluswolken, die noch ihrer Verdampfung widerstanden, ein blauer Himmel über dem blauen Planeten.
Ein schöner Tag zum Campen.
Versuchte, meine Gedanken von der nutzlosen Selbstfolter loszureißen: Nancy verachtete mich, verachtete sich selbst, hatte sich Chanter als letzte Zuflucht auserkoren, als eine feste, bekannte Größe, war davongelaufen vor dem fast Fremden, der sich nicht als das erwiesen hatte, was er zu sein schien, und war dahin gegangen, wo sie wußte, daß sie erwünscht war. Eine blinde, instinktive, impulsive Flucht. Eine leichtsinnige, verständliche, entschuldbare Flucht…
Dann eben Chanter, dachte ich grimmig. Das hielt ich aus. Ich würde wahrscheinlich den Gedanken und die Erinnerung an Chanter ertragen, wenn sie sich dann nur letzten Endes für mich entschied.
Es war komisch, daß man etwas, von dem man noch
nicht einmal gewußt hatte, daß man es besaß, erst verlieren mußte, bevor man anfing, es mehr als alles andere auf Erden zu begehren.
Am anderen Ende der Reihe von Flugzeugen schlenderte der Polyplane-Pilot umher und rauchte wieder. Eines schönen Tages würde er sich selbst in die Luft jagen. Heute nachmittag hatte er kein Lächeln aufgesetzt und kein Grinsen: Selbst aus hundert Metern Entfernung sah man noch, wie finster er gelegentlich in meine Richtung blickte.
Colin hatte für die kommende Woche bei Harley gebucht. Bei Poly plane würde man sich jetzt fragen, was man denn noch alles tun müsse, um ihn zurückzugewinnen.
Sie kämpften mit harten Bandagen. Daran gab es nichts zu rütteln. Derrydown beim Handelsministerium zu melden, den Piloten der Konkurrenz in Mißkredit zu bringen, Gerüchte zu verbreiten, mit der Konkurrenz fliege man nicht sicher. Aber würden sie auch eine Derrydown-Maschine in die Luft sprengen? Würden sie so weit gehen?
Auf jeden Fall mußten sie sich sicher sein, daß sie davon auch profitierten. Aber letzten Endes hatten sie nichts davon gehabt. Offensichtlich war niemand so in Angst versetzt worden, daß er nicht mehr bei Derrydown buchte, schon gar nicht Colin Ross. Wenn die Bombe wie ein Anschlag auf Colins Leben hatte aussehen sollen, warum hätte Colin sich dann bei Polyplane sicherer fühlen sollen?
Wenn sie das Flugzeug mit Passagieren an Bord gesprengt hätten, das hätte Derrydown in den Ruin getrieben. Aber selbst wenn sie bereit gewesen waren, so weit zu gehen, hätten sie sich dafür keinen Flug mit Colin Ross ausgesucht.
Und wozu Major Tyderman, wenn ihre eigenen Piloten an die Flugzeuge von Derrydown herankommen konnten, ohne viel Aufsehen zu erregen? Aber es war natürlich einfacher… Sie benötigten einen Fachmann für Bomben. Jemanden, der völlig unverdächtig war. Jemanden, den nicht einmal ihre Piloten kannten. Denn wenn der Chef von Polyplane den düsteren Schritt ins Verbrechen getan hatte, dann war er bestimmt nicht daran interessiert, daß geschwätzige Angestellte, wie Piloten es nun einmal sind, diese Tatsache in jeder Fliegerbar zwischen Prestwick und Lydd breittraten.
Und das zweite Flugzeug, an dem Tyderman sich zu schaffen gemacht hatte, war noch nicht einmal eine Maschine von Derrydown gewesen. Andererseits hatte er sie für eine solche gehalten. Ich stand auf, reckte mich, sah zu, wie die Pferde sich beim ersten Rennen verausgabten, erblickte weit weg ein Mädchen mit dunklem Haar und blauem Kleid und dachte für einen erleichternden Moment, es sei Nancy. Es war nicht Nancy. Es war noch nicht einmal Midge. Nancy war in Warwickshire, hauste in einem Zelt.
Ich ballte die Fäuste in den Taschen. Völlig sinnlos, darüber nachzudenken. Konzentrier dich auf etwas anderes. Geh noch einmal alles von Anfang an durch. Noch einmal. Betrachte alles aus jedem erdenklichen Blickwinkel.
Diesmal wollte sich keine Erleuchtung einstellen. Nichts als das kurze Aufflackern einer Spekulation.
Harley.?
Durch den ersten Zwischenfall hatte er schlecht investiertes Kapital zurückerhalten. Und seit dem zweiten konnte er sich darauf verlassen, daß Colin sich nicht übermäßig oft auf die Fähigkeiten seiner Schwester verlassen würde. Aber würde Harley so weit gehen?… Und Harley hatte gewußt, daß nicht ich Colin flog, während Tyderman angenommen hatte, ich sei es.
Ratten im Tretrad, dachte ich, laufen und laufen immer in einem kleinen Kreis herum und kommen nirgendwo an, genau wie ich.
Ich seufzte. Der Versuch, das Puzzle zusammenzusetzen, hatte nicht viel Sinn, wenn mir ganz offensichtlich ungefähr fünfzig wesentliche Stücke dazu fehlten. Frage: Sollte ich mich aktiv darum bemühen, einige der Puzzlestücke zu finden, oder nicht? Wenn ich es nicht tat, fand sich vielleicht bald ein Nachfolger für Major Tyderman, der sich wieder mit einigen chemischen Tricks an irgendwelchen Flugzeugen zu schaffen machte. Wenn ich es tat, dann handelte ich mir eventuell noch mehr Ärger ein.
Ich warf eine imaginäre Münze. Bei Kopf tu ich’s, bei Zahl laß ich’s. Mitten im Wurf dachte ich an Nancy. Alle Wege führten zurück zu Nancy. Wenn ich einfach alles laufen ließ und mich sowohl im buchstäblichen wie auch im metaphorischen Sinn in die Sonne legte — worüber sollte ich dann nachdenken als über das, worüber nachzudenken ich unerträglich fand. Äußerst armselige Aussicht. Fast alles war besser als das.
Wagte also den Sprung ins kalte Wasser und fing bei Annie Villars an.
Sie stand im Führring, trug ein ärmelloses rotes Kleid, und ihr ergrauendes kurzes Haar lockte sich akkurat unter einem schwarzen Strohhut hervor, den sie mehr um seines militärischen als um seines fraulichen Aussehens wegen gewählt zu haben schien. Aus zehn Schritt Entfernung war ihre Autorität am augenfälligsten; aus drei Schritt hörte man die irritierend sanfte Stimme, sah man die Verbindlichkeit ihrer gerundeten Lippen und begriff, daß der Samthandschuh heute mit einem weichen Futter gepolstert war.
Sie sprach mit dem Herzog von Wessex.»Also, wenn Sie einverstanden sind, Bobby, dann bitten wir Kenny
Bayst, ihn zu reiten. Dieser Neue war nicht in der Lage, sich das Rennen einzuteilen, und Kenny weiß trotz all seiner Fehler wenigstens, wie er ein Rennen timen muß.«
Der Herzog nickte mit dem edlen Haupt und schenkte ihr ein gütiges Lächeln. Dann bemerkten sie mich und wandten sich mir mit freundlichen Gesichtern zu — scheinbar arglos die eine, tatsächlich arglos der andere.
«Matt«, sagte der Herzog lächelnd.»Mein lieber Junge. Ist das nicht ein wundervoller Tag?«
«Wunderschön, Sir«, stimmte ich zu. Solange man nicht an Warwickshire denken mußte.
«Mein Neffe Matthew«, sagte er.»Erinnern Sie sich noch an ihn?«
«Natürlich, Sir.«
«Nun, er hat bald Geburtstag, und er wünscht sich — er hat gefragt, ob ich ihm nicht als Geburtstagsgeschenk einen Flug in einem Flugzeug spendieren könne. Mit Ihnen, sagt er. Speziell mit Ihnen.«
Ich lächelte.»Das würde mich sehr freuen.«
«Gut, gut. Dann — ähh — was meinen Sie, wie sollen wir es regeln?«
«Ich werde es mit Mr. Harley regeln.«
«Ja. Gut. Recht bald. Er kommt morgen zu mir und wird eine Weile bleiben, da das Schuljahr zu Ende ist und seine Mutter irgendwo in Griechenland umherreist. Also, vielleicht nächste Woche?«
«Ich bin sicher, daß sich das machen läßt.«
Er strahlte glücklich.»Vielleicht werde ich auch mitkommen.«
Annie Villars sagte geduldig:»Bobby, wir sollten jetzt gehen und uns darum kümmern, daß Ihr Pferd gesattelt wird.«
Er blickte auf seine Uhr.»Beim Jupiter, ja. Erstaunlich, wie schnell so ein Nachmittag dahinfliegt. Also gehen wir. «Er schenkte mir noch ein breites Lächeln, übertrug es unversehrt auf Annie und folgte ihr gehorsam, als sie sich zielstrebig in Richtung Sattelboxen in Bewegung setzte.
Ich kaufte mir ein Rennprogramm. Das Pferd des Herzogs war ein siegloser Zweijähriger namens Thunder-sticks. Ich beobachtete den Herzog und Annie, die zusahen, wie Thundersticks durch den Führring lief, er voller unschuldig strahlendem Stolz, sie in wohlüberlegter Teilnahmslosigkeit. Der Junge, der kein Gefühl fürs Tempo hatte, ritt ein miserables Rennen, selbst für mein ungeübtes Auge: die ersten zweihundert Meter viel zu weit in Front und auf den letzten zweihundert Metern viel zu weit abgeschlagen. Ganz gut, daß die Farben des Herzogs so unauffällig waren, dachte ich. Er nahm die Enttäuschung mit freundlicher Würde hin und versicherte Annie, daß der Hengst sich beim nächsten Mal besser schlagen würde. Mit Sicherheit. Die Saison habe ja gerade erst begonnen. Sie erwiderte sein Lächeln in sanftem Einverständnis und bedachte den Jockey mit einem Blick, der eine Stahlplatte durchbohrt hätte.
Nachdem sie die Leistung des schwitzenden Hengstes Meter für Meter besprochen, ihn getätschelt und mit seinem Pfleger zu den Ställen geschickt hatten, ging der Herzog mit Annie auf einen Drink an die Bar. Danach hatte sie noch einen Verlierer für einen anderen Eigner, und es folgte ein weiterer nachdenklicher Gang zu den Erfrischungen, so daß ich sie erst zwischen den beiden letzten Rennen alleine erwischen konnte.
Sie hörte mir kommentarlos zu, als ich sagte, es sei vielleicht möglich, aktiv etwas für die Aufklärung des großen Bombenrätsels zu tun, wenn sie dabei helfen wolle.
«Ich denke, es ist schon aufgeklärt.«
«Im Grunde genommen nicht. Niemand kennt die Motive.«
«Nein. Nun, ich sehe nicht recht, wie ich helfen könnte.«
«Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu sagen, wie gut Major Tyderman und Mr. Goldenberg einander kannten und wie sie zu einem Mitspracherecht darüber kamen, wie Rudiments in seinen Rennen laufen sollte?«
Sie sagte milde:»Das geht Sie nichts an.«
Ich wußte, was sich hinter der Sanftheit verbarg.»Das weiß ich.«
«Und Sie sind unverschämt.«
«Ja.«
Sie musterte mich, und die Sanftheit verschwand langsam aus ihren Zügen, ließ nur straff gespannte Haut über den Wangenknochen und einen strengen Zug um den Mund zurück.
«Ich habe Midge und Nancy Ross gerne«, sagte sie.»Ich glaube nicht, daß irgend etwas, was ich Ihnen sagen kann, Ihnen helfen wird, aber ich möchte auf keinen Fall, daß diesen beiden Mädchen etwas zustößt. Dieser letzte Streich war einen Tick zu gefährlich, nicht wahr? Und wenn Rupert Tyderman dazu in der Lage war. «Sie hielt inne und dachte nach.»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie alles, was ich Ihnen sage, für sich behielten.«
«Das werde ich.«
«Also gut… Ich kenne Rupert schon sehr lange. Mehr oder weniger seit meiner Kindheit. Er ist ungefähr fünfzehn Jahre älter als ich… Als ich ein junges Mädchen war, hielt ich ihn für einen wunderbaren Menschen, und ich verstand nicht, warum sich die Leute nur sehr zurückhaltend über ihn äußerten. «Sie seufzte.»Ich fand es natürlich heraus, als ich älter wurde. Er schlug ständig über die Stränge, als er jung war. Ein Vandale, als Vandalismus noch nicht so in Mode war wie jetzt. Als junger Mann hat er von all seinen Verwandten und Freunden für verschiedene große Pläne Geld geliehen und nie etwas davon zurückgezahlt. Einmal mußte ihm seine Familie mit einer beträchtlichen Summe aus der Klemme helfen, als er ein ihm zur Verwahrung anvertrautes Bild verkauft und den Verkaufserlös ausgegeben hatte… Ach, es gab viele Fälle wie diesen. Dann kam der Krieg, und er meldete sich sofort freiwillig, und ich glaube, während des gesamten Krieges führte er sich ganz gut. Er war bei den Pionieren, glaube ich… Aber danach, als der Krieg zu Ende war, legte man ihm stillschweigend nahe, seinen Abschied zu nehmen, weil er seinen Offizierskollegen ungedeckte Schecks angedreht hatte.«
Sie schüttelte ungeduldig den Kopf.»Er ist schon immer selbst sein ärgster Feind gewesen… Nach dem Krieg lebte er von etwas Geld, das ihm sein Großvater via Treuhänderschaft überlassen hatte, und von dem, was er von seinen verbliebenen Freunden noch schnorren konnte.«
«Sie eingeschlossen?«vermutete ich.
Sie nickte.»O ja. Er war immer sehr überzeugend. Es geht immer um Dinge, die außerordentlich vernünftig klingen, aber schließlich gehen sie allesamt schief…«Sie ließ ihren Blick über die Heath schweifen und überlegte.»Und dann tauchte er irgendwann dieses Jahr, im Februar oder März, glaube ich, auf und sagte, er würde sich nie mehr etwas von mir borgen müssen, er habe jetzt etwas eingefädelt, das ihn reich machen werde.«
«Was war das?«
«Das wollte er nicht sagen. Er meinte bloß, ich solle mir keine Sorgen machen, es sei ganz legal. Er habe sich mit jemandem zusammengetan, der eine todsichere Idee habe, wie man zu einem Vermögen kommen könnte. Nun, dergleichen habe ich schon oft von ihm gehört. Der einzige Unterschied war, daß er diesmal kein Geld wollte…«
«Wollte er etwas anderes?«
«Ja. «Sie runzelte die Stirn.»Er wollte, daß ich ihn Bobby Wessex vorstellte. Er sagte — recht beiläufig —, daß er ihn gerne einmal kennenlernen wolle, und ich nehme an, ich war so erleichtert, daß er mich nicht wieder um fünfhundert oder so etwas anpumpen wollte, daß ich sofort zustimmte. Es war sehr dumm von mir, aber es schien nicht weiter von Belang zu sein…«
«Was geschah dann?«
Sie zuckte die Achseln.»Sie waren beide auf der Saisoneröffnung der Flachrennen in Doncaster, also habe ich sie einander vorgestellt. Sonst nichts. Nur eine flüchtige Vorstellung auf der Rennbahn. Und dann«- die Verärgerung war ihr deutlich anzumerken —»tauchte Rupert das nächste Mal mit diesem Goldenberg auf und sagte, Bobby Wessex habe es ihm überlassen, zu entscheiden, wie Rudiments in allen seinen Rennen laufen sollte. Ich sagte, das habe er bestimmt nicht getan, und telefonierte mit Bobby. Aber«, sagte sie seufzend,»Rupert hatte ihn tatsächlich dazu überredet, ihm für Rudiments Carte blanche zu geben. Rupert versteht es wirklich zu überzeugen, und Bobby — nun, der arme Bobby ist für jeden Vorschlag leicht zugänglich. Selbst ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, daß Goldenberg so ehrlich ist wie ein Korkenzieher gerade, aber Rupert meinte, er sei unerläßlich, weil jemand die Wetten plazieren müsse, und das könne er, Rupert, nicht selbst machen, da kein Buchmacher ihm Kredit gewähren würde und man am Totalisator Bargeld brauche.«»Und dann ging der Plan schief«, sagte ich.
«Als Rudiments das erste Mal gewann, kassierten sie beide viel Geld dafür. Ich hatte ihnen gesagt, daß das Pferd gewinnen würde. Gewinnen mußte. Die Quoten waren hundert zu sechs, es war sein erstes Rennen, und sie befanden sich beide auf einem totalen Höhenflug danach.«
«Und beim nächsten Mal gewann Kenny Bayst dann wieder, obwohl er gar nicht sollte, weil sie dagegen gelegt hatten?«
Sie blickte mich überrascht an.»Sie haben also verstanden, wovon die Rede war.«
«So nach und nach.«
«Sieht Rupert ähnlich, so etwas auszuplaudern. Kein Sinn für Diskretion.«
Ich seufzte.»Also, vielen Dank, daß Sie so offen zu mir waren. Obwohl ich immer noch nicht begreife, was Rudiments damit zu tun haben könnte, daß Major Tyderman ein Flugzeug gesprengt und ein anderes lahmgelegt hat.«
Sie verzog den Mund.»Ich sagte Ihnen ja schon am Anfang, daß ich Ihnen sicher nicht weiterhelfen kann.«
Colin in pink-grünem Dreß machte auf seinem Weg von der Waage zum Führring vor dem letzten Rennen bei mir Halt. Er musterte mich mit scharfem, forschendem Blick, bevor er schließlich mitleidig meinte:»Das Warten tut Ihnen nicht gut.«
«Hat sie mal angerufen?«
Er schüttelte den Kopf.»Midge wagt sich nicht mehr aus dem Haus, für den Fall, daß sie es tut.«
«Ich bin am Samstag bei den Rennen in Warwick — fliege Leute aus Kent dorthin… Würden Sie sie wohl bitten — einfach mit mir zu reden?«»Ich werde ihr ihren kleinen, dummen Hals umdrehen«, sagte er.
Ich flog die Passagiere zurück nach Wiltshire und die Six nach Buckingham. Harley, der mich mit vorwurfsvollen Blicken erwartete, teilte mir mit, das Handelsministerium habe ihn wissen lassen, daß man jetzt definitiv ein Verfahren gegen mich einleiten werde.
«Das habe ich erwartet.«
«Aber ich will über etwas anderes mit Ihnen sprechen. Kommen Sie ins Büro. «Er war unfreundlich wie gewöhnlich, barsch. Er nahm einen Stoß Papier von seinem Schreibtisch und fuchtelte damit herum.
«Sehen Sie sich diese Zeiten an. Ich habe einmal die Rechnungen durchgesehen, die Honey herausgeschickt hat, seit Sie hier sind. Die Flugzeiten sind allesamt kürzer als früher. Dementsprechend haben sich die Rechnungsbeträge vermindert… Wir machen nicht genug Gewinn. Das muß aufhören. Haben Sie verstanden? Das muß aufhören.«
«Ja gut.«
Er sah mich verdutzt an; hatte nicht mit einem so leichten Sieg gerechnet.
«Und ich stelle einen neuen Piloten ein.«
«Dann bin ich entlassen?«Ich merkte, daß es mir ziemlich egal war.
Er war überrascht.»Nein, natürlich nicht. Wir haben nur in letzter Zeit zu viele Buchungen, als daß Sie die Flüge noch schaffen könnten, selbst mit Dons Unterstützung.«
«Vielleicht haben wir mehr zu tun, weil die Flugzeiten kürzer und die Rechnungen niedriger sind«, gab ich zu bedenken.
Er war beleidigt.»Machen Sie sich nicht lächerlich.«
Wieder ein langer Abend im Wohnwagen, quälend und ereignislos.
Wo hätte ich hingehen sollen, wie wäre ich dort hingekommen und was hätte ich ausgeben können, wenn ich erst dort gewesen wäre? Aber das war auch egal, denn wo immer ich hinging, welches Geld auch immer ich ausgab, überall lagen die unentrinnbaren Gedanken auf der Lauer. Konnte sie genauso schlecht hier, allein und kostenlos ertragen als irgendwo sonst.
Um mich zu beschäftigen, unterzog ich den Wohnwagen einer Generalreinigung. Als ich damit fertig war, sah der Wohnwagen besser aus, aber ich fühlte mich noch schlechter. Haute mir zwei Eier in die Pfanne, aß sie lustlos auf Toast. Trank eine armselige Tasse Pulverkaffee mit Pulvermilch.
Schaltete den Fernseher ein. Alter Film, fünfziger Jahre, Piratensäbel, wogende Busen. Schaltete ab.
Saß da und sah zu, wie die Nacht sich über das Flugfeld senkte. Versuchte, mich darauf zu konzentrieren, was Annie Villars mir erzählt hatte, damit ich nicht daran denken mußte, wie die Nacht sich über die Felder und Zelte von Warwickshire legte. Wollte mir lange Zeit durchaus nicht gelingen.
Betrachte alles aus jedem erdenklichen Blickwinkel. Nimm absolut nichts als gegeben hin.
Mitten in der Nacht gebar ein leichter, unruhiger Schlaf eine einmalig abenteuerliche Idee. Die meisten Offenbarungen, die uns das Unterbewußtsein im Schlaf eingibt, schrumpfen mit der Morgendämmerung zusammen und gehen an ihrer eigenen Lächerlichkeit zugrunde, aber mit dieser war es anders. Auch um fünf, sechs und sieben Uhr konnte sie sich noch sehen lassen. Ich ging minutiös noch einmal alles durch, was ich seit dem Bombenanschlag gesehen und gehört hatte, und konnte schließlich der Antwort auf die Frage Wer eine befriedigende Antwort auf die Frage Warum hinzufügen.
An diesem Freitag mußte ich schon in aller Frühe mit der Aztec los, um einige Kameramänner aus Denham nach Deutschland zu bringen, dort zu warten, bis sie ihre Aufnahmen gemacht hatten, und sie dann wieder nach Hause zu fliegen. Obwohl ich mich einen Dreck um Harleys Anordnung bezüglich der Fluggeschwindigkeit geschert hatte, war es bereits halb acht Uhr abends, als ich mich steif aus dem Cockpit zwängte und Joe half, die robuste zweimotorige Maschine in den Hangar zu rollen.
«Sie brauchen sie für Sonntag, nicht wahr?«fragte er.
«Ganz recht. Colin Ross nach Frankreich. «Ich reckte mich und gähnte und griff dann nach meinem schweren Pilotenkoffer mit all den Karten und Papieren.
«Sie werden hier ganz schön auf Trab gehalten.«
«Dafür bin ich ja hier.«
Er steckte die Hände in die Taschen seines Overalls.»Sie gehen pfleglich mit den Flugzeugen um, das muß ich Ihnen lassen. Larry — also Larry hat die Maschinen geprügelt. War dauernd was zu reparieren, bevor Sie kamen.«
Ich deutete ein dankbares Lächeln an und ging hinauf ins Büro, um die Flugberichte zu schreiben. Harley und Don waren beide noch in der Luft; Harley gab Unterricht, und Don machte mit der Six einen Rundflug mit Touristen. Honey saß oben in ihrem Turm und regelte den Verkehr. Ich stieg zu ihr hinauf, um sie um einen großen Gefallen zu bitten.
«Meinen Mini ausleihen?«wiederholte sie überrascht.»Meinen Sie sofort, auf der Stelle?«
Ich nickte.»Für heute abend.«
«Ich denke, ich könnte meinen Onkel überreden, mich nach Hause zu fahren«, überlegte sie.»Wenn Sie mich morgen früh abholen könnten.«
«Sicherlich.«
«Ja… dann gut. Ich brauche ihn heute abend eigentlich nicht. Tanken Sie ihn einfach voll, bevor Sie ihn mir zurückgeben.«
«Okay. Und vielen, vielen Dank.«
Sie grinste ziemlich ordinär.»Minis sind zu klein für das, was Sie vorhaben.«
Ich brachte ebenfalls ein Grinsen zustande.»So so.«
Der fahrbare Untersatz war da, nun mußte ich mich nur noch verabreden. Eine freundliche männliche Stimme nahm meinen Telefonanruf entgegen, höflich und gelassen.
«Der Herzog von Wessex? Ja, dies ist sein Anschluß. Mit wem spreche ich bitte?«
«Mit Matthew Shore.«
«Einen Augenblick, Sir.«
Aus dem Augenblick wurden vier Minuten, und ich steckte das Biergeld für eine Woche in den unersättlichen Schlitz. Schließlich wurde der Hörer am anderen Ende aufgenommen, und leicht außer Atem sagte der Herzog mit seiner unverkennbaren Stimme:»Matt? Mein lieber Junge, was kann ich für Sie tun?«
«Wenn Sie heute abend nicht beschäftigt sind, Sir, dürfte ich Sie dann wohl kurz aufsuchen und für ein paar Minuten sprechen?«
«Heute abend? Beschäftigt? Hmmm. Geht es um den Flug für den kleinen Matthew?«
«Nein, Sir, um etwas anderes. Ich werde Sie nicht lange aufhalten.«
«Kommen Sie nur, mein lieber Junge, wenn Sie möchten. Nach dem Dinner vielleicht? Sagen wir um neun?«
«Um neun«, bestätigte ich.»Ich werde pünktlich sein.«
Das Schloß des Herzogs lag in der Nähe von Royston, westlich von Cambridge. Honeys Mini erwies sich als wahrer Meilenfresser, so daß es tatsächlich nicht später als neun war, als ich an einer Tankstelle in der Nähe meines Ziels nach dem Weg zum Haus des Herzogs fragte. Im Autoradio kamen gerade Nachrichten. Ich hörte zuerst nur mit einem Ohr zu, während der Tankwart das Auto vor mir versorgte, wurde dann aber auf übelkeiterregende Weise aus meinem Gleichmut gerissen.»Der Pferdetrainer Jarvis Kitch und Dobson Ambrose, dessen Stute Scotch-bright letzten Monat die Oaks gewann, sind heute bei einem schweren Verkehrsunfall in der Nähe von Newmarket ums Leben gekommen. Der australische Jockey Kenny Bayst, der sich mit ihnen im gleichen Wagen befand, wurde verletzt ins Krankenhaus gebracht. Es heißt, es ginge ihm den Umständen entsprechend. Außerdem kamen bei dem Unfall drei Pferdepfleger ums Leben, deren Fahrzeug von einem Lastwagen gerammt wurde.«
Wie in Trance bat ich um die Wegbeschreibung zum Haus des Herzogs, erhielt sie und folgte ihr. Ich dachte an den armen, großen, streitlustigen Ambrose und seinen verschüchterten Trainer Kitch, und ich hoffte, daß Kenny nicht so schwer verletzt war, daß er keine Rennen mehr reiten konnte. Ich versuchte mir über die indirekten Folgen dieses Unfalls klar zu werden.
Es folgte nur noch der Wetterbericht: Die Hitzewelle würde auf unbestimmte Zeit fortdauern.
Kein Wort von Rupert Tyderman. Aber Tyderman war an diesem Tag gesehen worden.