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Wenn man Farbabzüge macht, geht es einem normalerweise darum, ein möglichst naturgetreues Ergebnis zu erzielen, und das ist bei weitem nicht so einfach, wie es klingt. Abgesehen von Kleinigkeiten wie Schärfe und optimaler Belichtungszeit und — stärke macht die Farbe selbst einem zu schaffen, da sie je nach Filmhersteller und Fotopapier, ja sogar auf Papier aus zwei verschiedenen Schachteln des gleichen Typs vom gleichen Hersteller unterschiedlich herauskommt. Das liegt daran, daß die vier hauchdünnen Emulsionsschichten des Farbfotopapiers von Serie zu Serie leicht variieren. Es ist ja auch kaum möglich, zwei Kleidungsstücke in verschiedenen Färbebädern so zu färben, daß man ein absolut identisches Ergebnis bekommt; bei lichtempfindlichen Emulsionen verhält es sich ebenso.
Um das auszugleichen und zu bewirken, daß alle Farben möglichst natürlich aussehen, benutzt man Farbfilter — farbige Glasscheiben, die zwischen die helle Lichtquelle des Vergrößerungsapparates und das Negativ gesetzt werden. Bei richtiger Filtermischung werden dann auf dem fertigen Abzug blaue Augen wirklich blau und kirschrote Lippen wirklich kirschrot.
Die drei Filter in meinem Vergrößerungsapparat hatten, wie fast überall auf der ganzen Welt, die gleichen Farben
wie die Farbnegative: Gelb, Magenta und Zyan. Wenn man alle drei Filter gleichzeitig benutzt, ergibt das Grau, daher benutzt man jeweils nur zwei auf einmal, und bei Fotos meiner Art waren das immer Gelb und Magenta. Bei behutsam ausgewogenem Gebrauch konnten sie Hautfarben erzeugen, die für menschliche Gesichter weder zu gelb noch zu rosa waren, und beim Entwickeln orientierte man sich normalerweise an einer natürlich aussehenden Hautfarbe.
Wenn man jedoch eine magentafarbige Glasscheibe über eine gelbe Glasscheibe schob und durch beide Licht fallen ließ, erhielt man Rot.
Wenn man Licht durch Gelb und Zyan fallen ließ, bekam man Grün. Und durch Magenta und Zyan. ein reines Königsblau.
Als Charlie mir das zum ersten Mal gezeigt hatte, war ich ganz verwirrt gewesen, da die Mischung von farbigem Licht zu völlig anderen Ergebnissen führt als die Mischung von Malfarben. Sogar die Primärfarben sind nicht gleich. Vergiß das Malen, hatte Charlie gesagt. Hier geht’s um Licht. Man kann durch die Mischung anderer Farben kein Blau erzeugen, aber mit Licht ist es möglich.
«Zyan wie Zyanid?«sagte ich.»Hat das was mit Blausäure zu tun?«
«Von Blausäure läuft man blau an«, sagte er.»Zyan ist ein griechisches Wort für blau. Kyanos. Vergiß das nicht. Zyan ist ein Grünblau, also ist es ganz logisch, daß man es durch Mischung von blauem mit grünem Licht erhält.«
«Wirklich?«hatte ich zweifelnd gefragt, und er hatte mir die sechs Farben des Lichts gezeigt und sie vor meinen
Augen gemischt, bis sich ihre Beziehung für immer in meinem Kopf festgesetzt hatte, bis sie in meinem Gehirn so fest verankert waren wie die Form der Buchstaben.
Am Anfang waren Rot, Grün und Blau.
Ich ging an diesem schicksalhaften Sonntagmorgen in meine Dunkelkammer und stellte die Filter am Kopf meines Vergrößerungsapparates auf eine für den normalen Farbabzug völlig unübliche Weise ein: das Licht fiel durch einen starken Zyan- und einen starken Magentafilter durch das Negativ, so daß ein tiefes klares Blau herauskam.
Ich wollte Georges leere Farbnegative auf Schwarzweißpapier abziehen und auf diese Weise das Blau der Rechtecke loswerden, aber vielleicht bekam ich statt dessen nichts weiter als graue Rechtecke.
Schwarzweiß-Fotopapier reagiert nur auf blaues Licht (deshalb kann man Schwarzweißabzüge im roten Dunkelkammerlicht machen). Ich dachte, wenn ich die scheinbar leeren Negative durch starkes reines Blau filterte, könnte ich einen stärkeren Kontrast zwischen dem gelben Farbbild auf dem Negativ und der orangenen Schicht, mit der es überzogen war, erzielen. Die Bilder würden sich damit von ihrer Umgebung abheben.
Ich hatte das Gefühl, daß sich unter der Deckschicht ohnehin kein klares Schwarzweiß verbarg. denn wenn das der Fall gewesen wäre, hätte man es trotz des Blaus und durch es hindurch gesehen. Was ich suchte, würde in irgendeiner Form grau sein.
Ich bereitete die Entwicklerwannen, das Stoppbad und den Fixierer vor und schob die ersten sechsunddreißig
fleckenlosen Negative in einen Rahmen für Kontaktabzüge. Hier lag das Negativ direkt auf dem Fotopapier auf, wenn es belichtet wurde, so daß jeder Abzug genau die gleiche Größe hatte wie das Negativ. Der Rahmen hielt die Negative lediglich bequem zusammen, so daß alle sechsunddreißig auf einmal auf einen Bogen im Format zwanzig mal fünfundzwanzig abgezogen werden konnten.
Das größte Problem war die richtige Belichtungszeit, vor allem deswegen, weil das durch starken Blaufilter gefilterte Licht viel schwächer auf das Negativ fiel, als ich es gewohnt war. Ich verschwendete sechs Abzüge für Tests, die unbrauchbare Ergebnisse von Grau bis Schwarz lieferten, während all die kleinen Rechtecke immer noch so aussahen, als gäbe es auf ihnen nichts zu sehen, was immer ich auch anstellte.
Gereizt verkürzte ich schließlich die Entwicklungszeit weit stärker, als es mir vernünftig erschien, und erhielt einen Abzug, der fast völlig weiß war. Ich stand in dem trüben roten Licht und betrachtete das weiße Papier im Entwickler, auf dem sich so gut wie gar nichts tat, außer daß ganz blaß die Bildnummern der Negative sichtbar wurden, sowie schwache Linien, die die Ränder der Negative anzeigten.
Mit einem frustrierten Seufzer ließ ich es so lange im Entwickler liegen, bis sich nichts mehr tat, und legte es dann deprimiert ins Stoppbad, fixierte und wässerte es und knipste das Licht an.
Fünf von den Rechtecken waren nicht völlig weiß. Fünf der kleinen Rechtecke, wahllos verstreut unter den sechsunddreißig, zeigten ganz blasse graue geometrische Formen.
Ich hatte sie gefunden.
Ich merkte, wie ich vor alberner Freude lächelte. George hatte ein Rätsel hinterlassen, und ich hatte es fast gelöst. Falls ich einmal seinen Platz einnehmen würde, dann deshalb, weil er mir zustand.
Falls. Mein Gott, dachte ich. Wo kommen Gedanken her? Ich hatte nicht die Absicht, seinen Platz einzunehmen. Keine bewußte Absicht. Der Gedanke war direkt aus dem Unterbewußtsein gekommen, ungebeten, unerwünscht.
Mit einem leichten Frösteln und einem vagen Gefühl der Beunruhigung notierte ich ohne jedes Lächeln die Bildnummern der fünf graugemusterten Bilder. Dann wanderte ich eine Weile durchs Haus und erledigte unwesentliche Arbeiten wie Bettmachen und Sitzkissen ausklopfen und Geschirrspüler einräumen. Machte mir eine Tasse Kaffee und trank sie in der Küche. Erwog, ins Dorf zu gehen und eine Sonntagszeitung zu kaufen, kehrte aber statt dessen wie unter Zwang in die Dunkelkammer zurück.
Es war etwas völlig anderes, wenn man wußte, um welche Negative es ging und wonach man ungefähr zu suchen hatte.
Ich nahm das erste in der Zahlenfolge, es war die Nummer sieben, und vergrößerte es auf das volle Papierformat von zwanzig mal fünfundzwanzig. Ein paar weitere schlecht geschätzte Entwicklungszeiten führten zu undeutlichen grauen Abzügen, aber zu guter Letzt bekam ich einen, der sich zu Mittelgrau auf Weiß entwickelte, und ich nahm ihn aus dem Entwickler, sobald der schärfste Kontrast erreicht war, legte ihn ins Stoppbad, fixierte und wässerte ihn und brachte ihn ins Tageslicht der Küche.
Obwohl der Abzug noch naß war, konnte man genau sehen, was darauf war. Man konnte es mühelos lesen. Ein mit Schreibmaschine geschriebener Brief, der mit den Worten >Lieber Mr. Morton< begann und mit hochachtungsvoll, George Millace< endete.
Ein mit einem alten grauen Farbband auf weißem Papier getippter Brief, so daß die Buchstaben selbst blaßgrau aussahen, blaßgrau, aber klar und deutlich.
Der Brief lautete:
Lieber Mr. Morton,
ich bin sicher, daß die beiden beiliegenden Fotos Sie interessieren. Wie Sie feststellen werden, zeigt das erste Foto Ihr Pferd Amber Globe bei seinem schlechten Abschneiden in Ihren Farben im i4-Uhr-30-Rennen in Southwell am Montag, dem 12. Mai.
Des weiteren werden Sie feststellen, daß auf dem zweiten Bild Ihr Pferd Amber Globe zu sehen ist, wie es das 16-Uhr-Rennen in Fontwell am Mittwoch, dem 27. August, gewinnt.
Wenn Sie sich die Bilder genau ansehen, werden Sie feststellen, daß es sich nicht um dasselbe Pferd handelt. Sie sind ähnlich, aber nicht identisch.
Ich bin sicher, daß der Jockey Club sich für diesen Unterschied interessieren würde. Ich werde Ihnen jedoch in Kürze telefonisch einen Alternativvorschlag machen.
Hochachtungsvoll George Millace
Ich las ihn an die sechsmal durch, nicht weil ich ihn nicht gleich verstanden hätte, sondern um Zeit zu haben, ihn zu verarbeiten und nachzudenken.
Einige sachliche Feststellungen waren zu machen, zum Beispiel, daß der Brief keinen Briefkopf, kein Datum und keine handgeschriebene Unterschrift aufwies. Es stand zu vermuten, daß es sich bei den anderen vier blaßgrau gemusterten Bildern ebenfalls um Briefe handelte; und daß ich damit Georges eigenwilliges Ablagesystem entdeckt hatte.
Jenseits dieser platten Gedanken lag eine Art Chaos: das Gefühl, in einen Abgrund zu blicken. Wenn ich die anderen Briefe vergrößerte und las, konnte es passieren, daß ich Dinge erfuhr, die es unmöglich machten, >einfach abzuwarten, was passierte<. Ich könnte, wie schon im Fall des graufleckigen Liebespaars, das Gefühl bekommen, daß es schwächlich und falsch war, nichts zu unternehmen. Wenn ich Georges sämtliche Geheimnisse erfuhr, mußte ich die moralische Last der Entscheidung, was damit geschehen sollte, auf mich nehmen… und entsprechend handeln.
Um die Entscheidung aufzuschieben, ging ich nach oben ins Wohnzimmer und blätterte die Rennkalender durch, um herauszufinden, in welchem Jahr Amber Globe am zwölften August in Fontwell gewonnen hatte; und es war vor vier Jahren gewesen.
Ich schlug Amber Globes Karriere von Anfang bis Ende nach, und sie lief im wesentlichen auf drei oder vier mäßigere Vorstellungen, gefolgt von einem leichten Sieg bei hohen Quoten hinaus, ein Muster, das sich über vier Jahre hinweg zweimal pro Saison wiederholte. Amber Globes letzter Sieg war der am zwölften August gewesen, und seitdem hatte er an keinem Rennen mehr teilgenommen.
Eine ergänzende Nachforschung ergab, daß der Trainer von Amber Globe in keinem der folgenden Jahre in der Trainerliste auftauchte, also wahrscheinlich dem Geschäft den Rücken gekehrt hatte. Anhand dieser speziellen Bücher war zwar nicht festzustellen, ob der >Liebe Mr. Mor-ton< in der Folge andere Pferde besessen und im Rennsport eingesetzt hatte, aber solche Fakten waren in zentralen offiziellen Rennsportberichten festgehalten.
Der liebe Mr. Morton und sein Trainer hatten zwei Pferde unter dem Namen Amber Globe laufen gehabt, das gute bei hohen Wetten eingesetzt, und das mäßige, um die Quoten hochzutreiben. Ich fragte mich, ob George das Muster bemerkt und dann ganz zielbewußt die Fotos gemacht hatte, oder ob er die Fotos lediglich im Laufe der Arbeit gemacht und dann die Verschiedenheit der Pferde bemerkt hatte. Das festzustellen oder zu erraten war nicht möglich, da ich die fraglichen Fotos nicht gefunden hatte.
Ich sah eine Weile aus dem Fenster auf die Downs hinaus und ging ein wenig auf und ab, hantierte mit ein paar Gegenständen und tat nichts Besonderes, wartete nur auf das Eintreffen der tröstlichen Gewißheit, daß Wissen keine Verantwortung nach sich zog.
Ich wartete vergeblich. Ich wußte, daß ich eine Verantwortung hatte. Das Wissen war unten, und ich mußte es mir aneignen. Ich war schon zu weit gekommen, um noch aufhören zu wollen.
Unruhig, verängstigt, aber mit dem Gefühl, daß es un-vermeidlich war, ging ich hinunter in die Dunkelkammer, zog der Reihe nach die vier anderen Negative ab und las die so erhaltenen Briefe in der Küche.
Während alle fünf im Trockner lagen, saß ich eine Ewigkeit da, starrte ins Leere und hing unzusammenhängenden Gedanken nach.
George war fleißig gewesen.
Georges hinterhältige Boshaftigkeit wurde so deutlich, als könnte ich seine Stimme hören.
Georges ominöse Briefe mußten in ungeheurem Ausmaß Furcht und Verzweiflung hervorgerufen haben. Der zweite lautete:
Lieber Bonnington Ford,
ich bin sicher, daß Sie die beiliegende Fotoserie interessiert, die, wie Sie feststellen werden, eine Dokumentation der Sonntagnachmittage darstellt, an denen Sie in Ihren Trainingsställen eine Person zu Gast hatten, die >gesperrt< wurde. Ich muß Sie wohl kaum darauf aufmerksam machen, daß der Rennsportverband diesen fortgesetzten Kontakt aufs schärfste mißbilligen würde und sich sogar zu einer Überprüfung Ihrer Trainerlizenz genötigt sehen könnte.
Ich könnte natürlich Kopien dieser Fotos an den Jockey Club senden. Ich werde Ihnen jedoch in Kürze telefonisch einen Alternativvorschlag machen.
Hochachtungsvoll George Millace
Bonnington Ford war ein drittklassiger Trainer, der als so ehrlich und vertrauenswürdig galt wie ein Taschendieb in
Aintree, er trainierte in einer Senke in den Downs, an einer Stelle, wo jeder Vorbeifahrende in seinen Hof hinuntersehen konnte. Es war für George Millace sicher absolut kein Problem gewesen, dort in aller Ruhe Aufnahmen mit seinem Teleobjektiv zu machen.
Wieder hatte ich die betreffenden Fotos nicht gefunden, so daß ich speziell wegen dieses Briefes nichts unternehmen konnte, selbst wenn ich gewollt hätte. George hatte nicht einmal den Namen der disqualifizierten Person erwähnt. Die quälende Wahl blieb mir erspart.
Die letzten drei Briefe waren etwas völlig anderes, denn hier wurde ich unerbittlich mit dem Dilemma konfrontiert: Wo lag die Pflicht, und von wo ab konnte man sich ihr noch entziehen?
Der erste dieser drei Briefe lautete:
Lieber Elgin Yaxley,
ich bin sicher, daß das beiliegende Foto Sie interessiert. Wie Sie feststellen werden, widerlegt es eindeutig eine Aussage, die Sie vor kurzem bei einem gewissen Prozeß unter Eid gemacht haben.
Ich bin sicher, daß der Jockey Club sich dafür interessieren würde, desgleichen die Polizei, das Gericht und die Versicherungsgesellschaft. Ich könnte allen gleichzeitig Kopien schik-ken.
Ich werde Ihnen jedoch in Kürze telefonisch einen Alternativvorschlag machen.
Hochachtungsvoll George Millace
Der nächste Brief auf dem Film mußte ihn vollends in die Enge getrieben haben.
Lieber Elgin Yaxley,
ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß sich seit meinem gestrigen Schreiben neue Entwicklungen ergeben haben.
Gestern nämlich besuchte ich auch den Bauern, auf dessen Farm Sie Ihre unglücklichen Steepler untergebracht hatten, und zeigte ihm im Vertrauen einen Abzug des Fotos, das ich Ihnen geschickt habe. Ich deutete an, daß es vielleicht zu weiteren gründlichen Ermittlungen käme, in deren Verlauf sein eigener Anteil an der Tragödie untersucht werden könnte.
Er sah sich in der Lage, mein Schweigeversprechen mit der erfreulichen Information zu honorieren, daß Ihre fünf Pferde gar nicht tot seien.
Die fünf Pferde, die gestorben sind, habe Ihr bäuerlicher Freund eigens billig auf einer örtlichen Auktion erstanden, und eben diese seien dann zur festgesetzten Zeit am festgesetzten Ort von Terence O’Tree erschossen worden. Terence O’Tree sei von dem Tausch nicht informiert worden.
Ihr bäuerlicher Freund bestätigte mir außerdem, daß Sie selbst in einem Pferdetransporter auf der Farm erschienen seien, um den Abtransport Ihrer guten Pferde zu überwachen, nachdem der Tierarzt ihnen ihre Anti-Tetanusimpfung verabreicht und sie in gutem Gesundheitszustand verlassen habe.
Soweit Ihr Freund es mitbekam, wollten Sie sie in den Fernen Osten verschiffen, wo bereits ein Käufer vorhanden war.
Ich füge ein Foto seiner unterschriebenen Aussage in dieser Angelegenheit bei.
Ich werde Ihnen in Kürze telefonisch einen Vorschlag unterbreiten.
Hochachtungsvoll George Millace
Der letzte der fünf Abzüge unterschied sich insofern von den anderen, als er handgeschrieben und nicht getippt war. Aber da er offensichtlich mit Bleistift geschrieben war, war auch er blaßgrau. Er lautete:
Lieber Elgin Yaxley,
ich habe die fünf Pferde gekauft, die Terence O ’Tree erschossen hat. Sie haben Ihre eigenen Pferde in einem Pferdeanhänger abgeholt, um sie in den Osten zu exportieren.
Ich bin zufrieden mit dem, was Sie mir für meine Dienste bezahlt haben.
Ihr ergebener David Parker
Ich dachte an Elgin Yaxley, wie ich ihn tags zuvor in Ascot gesehen hatte, selbstzufrieden grinsend und sich in Sicherheit wiegend.
Ich machte mir Gedanken über Recht und Unrecht und Gerechtigkeit. Dachte an Elgin Yaxley als Opfer von George Millace, und an die Versicherungsgesellschaft als Opfer von Elgin Yaxley. Dachte an Terence O’Tree, der ins Gefängnis gewandert, und an David Parker, der davon verschont geblieben war.
Ich konnte mich nicht entscheiden, was ich tun sollte.
Nach einer Weile stand ich steifbeinig auf und ging zurück in die Dunkelkammer. Ich schob die ganze Serie der magentafleckigen Negative in den Kontaktabzugrahmen und produzierte fast weiße Abzüge, und diesmal kamen nicht fünf kleine Rechtecke mit grauen Blöcken heraus, sondern fünfzehn.
Mit einem hohlen Gefühl des Entsetzens knipste ich sämtliche Lichter aus, schloß die Türen ab und ging die Straße hinauf zu meiner Lagebesprechung mit Harold.
«Hör gefälligst zu«, sagte Harold scharf.
«Ähm… ja.«
«Was ist denn los?«
«Nichts.«
«Ich rede über Coral Key in Kempton am Mittwoch, und du hörst nicht zu.«
Mühsam richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das anstehende Thema.
«Coral Key«, sagte ich.»Für Victor Briggs.«
«Genau.«
«Hat er irgendwas gesagt. über gestern?«
Harold schüttelte den Kopf.»Wir haben nach dem Rennen noch was getrunken, und alles, was Victor von sich gab, war Gebrummel. Aber bis er mir sagt, daß du nicht mehr auf seinen Pferden sitzt, bleibst du drauf.«
Er gab mir ein Glas und eine Dose Cola und goß sich selbst einen doppelten Whisky ein.
«Ich hab nicht viel für dich diese Woche«, sagte er.»Nichts am Montag oder Dienstag. Pebble sollte in Leicester laufen, aber er hat irgendeine Entzündung im Bein…
Bleibt nur Coral Key am Mittwoch, Diamond Buyer und die Stute am Freitag, und zwei am Samstag, wenn es nicht regnet. Hast du sonst irgendwas an der Hand?«
«Ein Nachwuchsrennen in Kempton am Dienstag.«
«Hoffentlich kann’s springen, das Vieh.«
Ich ging zu meinem ruhigen Häuschen zurück, machte Abzüge von den fünfzehn magentafleckigen Negativen und erhielt wie zuvor klare weißgraue Bilder, da die Flecke zusammen mit dem Blau herausgefiltert wurden.
Zu meiner Erleichterung waren es nicht fünfzehn Drohbriefe: nur die beiden ersten endeten mit der Zusage von Alternativvorschlägen.
Ich hatte mit einem gerechnet, der sich mit dem Liebespaar befaßte, und er war auch dabei. Es war der zweite, der mir in der Küche den Atem verschlug und über den ich leise lachen mußte. Auf jeden Fall sah ich jetzt allen noch zu erwartenden Enthüllungen in einer besseren Stimmung entgegen.
Bei den letzten dreizehn Abzügen handelte es sich dann aber um Georges eigene Aufzeichnungen darüber, wo und wann, auf welchem Film und mit welcher Belichtung er die belastenden Fotos gemacht und wann er die Schrek-kensbriefe abgeschickt hatte. Wahrscheinlich hatte er seine Aufzeichnungen in dieser Form aufbewahrt, weil es sich für ihn als einfach erwiesen hatte und ihm sicherer erschienen war, als derart belastendes Material lesbar auf Papier herumliegen zu lassen.
Als Hintergrund zu den Fotos und Briefen waren sie faszinierend, aber nirgendwo stand, worin der >Alternativvorschlag< bestanden hatte. Man erfuhr nichts über die Höhe der Summe, die George erpreßt hatte, nichts über irgendeine Bank, einen Safe oder ein Versteck, wo er seine Einnahmen gehortet haben konnte. Sogar sich selbst gegenüber war George in diesem Punkt verschwiegen gewesen.
Ich ging spät ins Bett und konnte nicht schlafen, und am nächsten Morgen führte ich einige Telefongespräche.
Eins mit dem Chefredakteur von Horse and Hound, den ich kannte und den ich bat, Amandas Foto in der Ausgabe dieser Woche unterzubringen, weil die Zeit drängte.
Er meinte zweifelnd, daß er es abdrucken würde, wenn ich es ihm noch diesen Morgen ins Büro brächte, danach sei es zu spät.
«Ich komme«, sagte ich.»Zwei Spalten breit, Foto sieben Zentimeter hoch mit etwas Text darüber und darunter. Insgesamt etwa elf Zentimeter. Auf einer hübschen rechten Seite möglichst weit vorne, wo keiner es übersehen kann.«
«Philip!«protestierte er, aber dann seufzte er hörbar, und ich wußte, daß er meinen Wunsch erfüllen würde.»Du hast doch diese Kamera. falls du irgendwelche Fotos von Rennen hast, die ich brauchen könnte, bring sie mit. Ich schau sie mir auf jeden Fall an. Ich verspreche nichts, wohlgemerkt, aber ich sehe sie mir an. Mir geht es um Menschen, nicht um Pferde. Porträts. Hast du welche?«
«Ja… schon.«
«Gut. Also so schnell wie möglich. Bis dann.«
Ich rief Marie Millace an, weil ich Lord Whites Privat-nummer brauchte, und anschließend rief ich den Alten Schneesturm in seinem Haus in den Cotswolds an.
«Sie möchten mich sprechen?«sagte er.»Weswegen?«
«Wegen George Millace, Sir.«
«Fotograf? Vor kurzem gestorben?«
«Ja, Sir. Seine Frau ist eine Freundin von Lady White.«
«Ja, ja«, sagte er ungeduldig.»Wir können uns in Kempton sprechen, wenn Sie möchten.«
Ich fragte ihn, ob ich nicht statt dessen bei ihm zu Hause vorbeikommen könne, und obwohl er nicht gerade scharf darauf war, erklärte er sich bereit, mir am nächsten Tag um fünf Uhr eine halbe Stunde seiner Zeit zu schenken. Mit leicht schwitzenden Handflächen legte ich den Hörer auf, sagte» Puh «und dachte, daß ich, wenn ich kneifen wollte, nur noch einmal bei ihm anrufen und absagen mußte.
Dann rief ich Samantha an, was erheblich leichter war, und fragte, ob ich sie und Clare zum Abendessen ausführen dürfe. Ihre warme Stimme klang erfreut.
«Heute?«sagte sie.
«Ja.«
«Ich kann nicht. Aber Clare kann sicher. Sie wird sich freuen.«
«Wirklich?«
«Ja, Sie Dummkopf. Um wieviel Uhr?«
Ich sagte, ich würde sie gegen acht abholen, und Samantha sagte, prima und wie die Suche nach Amanda vorankäme, und ich ertappte mich dabei, wie ich mit ihr redete, als würde ich sie schon mein ganzes Leben lang kennen. Was ja in gewisser Weise auch zutraf.
Ich fuhr nach London zum Büro von Horse and Hound und machte mit dem Redakteur die Veröffentlichung von Amandas Foto fest, unter der Überschrift >Wo ist dieser Reitstall? Zehn Pfund Belohnung für die erste Person — und besonders für das erste Kind — das Philip Nore die Antwort telefonisch übermittelte
«Kind?«sagte der Redakteur mit hochgezogenen Augenbrauen, während er meine Telefonnummer dazuschrieb.»Lesen Kinder diese Zeitung?«
«Die Mütter lesen sie.«
«Trick siebzehn.«
Während er die Mappe mit den Porträts aus der Welt des Pferderennsports durchsah, die ich mitgebracht hatte, sagte er, daß sie eine Serie über Persönlichkeiten aus dem Pferderennsport starteten, für die er neue Bilder haben wollte, die nicht schon überall erschienen seien, und er könnte einige von meinen verwenden, wenn es mir recht sei.
«Ähm. ja.«
«Übliches Honorar«, sagte er beiläufig, und ich sagte» gut«, und erst nach einer kurzen Pause fragte ich ihn, wie hoch das übliche Honorar sei. Allein diese Frage, so erschien es mir, brachte mich einen Schritt näher an den Punkt, wo das Honorar genauso wichtig wurde wie die Fotos selbst. Übliches Honorar bedeutete eine Festlegung. Übliches Honorar hieß, daß man dem Verein beitrat. Ich fand es beunruhigend. Ich akzeptierte trotzdem.
Samantha war nicht zu Hause, als ich Clare abholte.
«Kommen Sie erst mal auf einen Drink rein«, sagte Clare und öffnete einladend die Tür.»Es ist ein lausiger Abend.«
Ich trat hinein aus dem Wind und dem kalten Novemberregen, und wir gingen nicht in die Küche hinunter, sondern in das langgestreckte, sanft erleuchtete Wohnzimmer im Erdgeschoß, das von der Vorder- bis zur Rückseite des Hauses reichte. Ich sah mich um, es sah gemütlich aus, aber nicht vertraut.
«Erinnern Sie sich an das Zimmer?«sagte Clare.
Ich schüttelte den Kopf.
«Wo ist das Badezimmer?«sagte sie.
Ich antwortete sofort:»Treppe rauf, dann rechts, blaue Ba…«
Sie lachte.»Direkt aus dem Unterbewußtsein.«
«Es ist wirklich seltsam.«
In einer Ecke stand ein Fernseher, in dem eine Sendung mit redenden Köpfen lief, und Clare ging hinüber und schaltete ihn ab.
«Lassen Sie nur, wenn Sie’s sehen wollen«, sagte ich.
«Es war bloß mal wieder ein Anti-Drogen-Vortrag. Lauter dozierende sogenannte Experten. Wie wär’s mit was zu trinken? Was wollen Sie? Es ist Wein da…«Sie hielt eine Flasche mit weißem Burgunder hoch, geöffnet, also einigten wir uns darauf.
«Irgendein selbstgefälliger kleiner Moderator hat gesagt, daß eine von fünf Frauen Beruhigungsmittel nimmt, aber nur einer von zehn Männern«, sagte sie beim Gläserfüllen.»Was besagt, daß die armen kleinen Frauen viel weniger in der Lage sind, mit dem Leben fertig zu werden, die schwachen kleinen Mäuschen. «Sie gab mir ein Glas.»Da kann man nur lachen.«
«Ach ja?«
Sie grinste.»Ich nehme an, es kommt den Ärzten, die die Rezepte verschreiben, nicht in den Sinn, daß die armen, schwachen kleinen Frauen diese Beruhigungsmittel ihren Ehemännern ins Essen streuen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen.«
Ich lachte.
«Das machen sie nämlich«, sagte sie.»Diejenigen, die mit brutalen Mistkerlen verheiratet sind, die sie verprügeln, und diejenigen, die nicht zuviel Sex wollen. Sie mischen dem Rohling das hübsche geschmacklose Pulver ins Fleisch und Gemüse und führen ein ruhiges Leben.«
«Eine tolle Theorie.«
«Tatsache«, sagte sie.
Wir saßen in zwei hellen Samtsesseln und nippten an dem kühlen Wein. Sie trug eine rote Seidenbluse und schwarze Hosen und bildete damit einen leuchtenden Kontrast zu den dezenten Farben des Zimmers. Ein Mädchen, das kein Blatt vor den Mund nahm. Ein Mädchen voller Entschlußkraft und Sicherheit und geistiger Energie. Ganz anders als die sanften, anspruchslosen Mädchen, die ich gelegentlich zu mir nach Hause mitnahm.
«Ich habe Sie am Samstag reiten sehen«, sagte sie.»Im Fernsehen.«
«Ich dachte, das interessiert Sie nicht.«
«Natürlich interessiert mich das, seit ich Ihre Fotos gesehen habe. «Sie nahm einen Schluck.»Sie gehen ja fürchterliche Risiken ein.«
«Nicht immer so wie am Samstag. «Sie fragte, warum nicht, und sehr zu meinem Erstaunen erzählte ich es ihr.
«Du liebe Güte«, sagte sie entrüstet,»das ist nicht fair.«
«Das Leben ist nicht fair. Leider.«
«Was für eine düstere Philosophie.«
«Eigentlich nicht. Nimm, wie es kommt, aber hoffe auf das Beste.«
Sie schüttelte den Kopf.»Zieh los und such dir das Beste. «Sie trank und sagte:»Was passiert, wenn es Sie bei so einem Sturz mal richtig erwischt?«
«Man flucht.«
«Nein, Sie Dummkopf. Mit Ihrem Leben, meine ich.«
«So schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen und zurück in den Sattel. Solange Sie draußen sind, schnappt sich ein anderer Jockey Ihre Ritte.«
«Reizend«, sagte sie.»Und wenn es so schlimm ist, daß man nicht mehr auf die Beine kommt?«
«Dann hat man ein Problem. Keine Rennen, kein Geld. Man fängt an, sich die Stellenanzeigen anzusehen.«
«Und was ist, wenn Sie draufgehen?«
«Nichts weiter«, sagte ich.
«Sie nehmen es nicht ernst«, beschwerte sie sich.
«Natürlich nicht.«
Sie studierte mein Gesicht.»Ich bin nicht an Leute gewöhnt, die an den meisten Tagen in der Woche so nebenbei ihr Leben aufs Spiel setzen.«
Ich lächelte sie an.»Das Risiko ist nicht so groß, wie Sie denken. Aber wenn man wirklich Pech hat, gibt es immer noch den Fonds für verletzte Jockeys.«
«Was ist das?«
«Das ist ein privater Wohltätigkeitsverein der Pferderennsportbranche. Er kümmert sich um die Witwen und Waisen toter Jockeys, unterstützt schwerbeschädigte und sorgt dafür, daß keiner im hohen Alter den Geist aufgibt, weil er keine Kohle zum Heizen hat.«
«Hört sich gut an.«
Etwas später gingen wir los und aßen in einem kleinen Restaurant, das gewaltsam auf französisches Landgasthaus getrimmt war, mit blankgescheuerten Holztischen, Binsenmatten auf dem Boden und auf Weinflaschen gesteckten tropfenden Kerzen. Das Essen erwies sich als ebenso unecht wie das Drumherum und hatte wohl nie einen pot au feu von innen gesehen. Clare schien es aber nichts auszumachen, und wir aßen Kalbfleisch aus der Mikrowelle in einer dicken weißen Soße und bemühten uns, nicht an die Kalbsragouts in Frankreich zu denken, wo auch sie schon oft gewesen war, allerdings im Urlaub und nicht bei Pferderennen.
«Sie reiten auch in Frankreich?«
«Nach Weihnachten, wenn es hier Frost gibt, besteht immer die Chance, daß man ein paar Rennen in Cagnes-sur-Mer bekommt. unten an der Südküste.«
«Das klingt herrlich.«
«Es ist trotzdem Winter. Und trotzdem Arbeit. Aber es ist nicht übel.«
Sie kam auf das Thema Fotografieren zurück und sagte, daß sie gerne noch einmal nach Lambourn kommen wolle, um die >Jockeyleben<-Mappe durchzugehen.
«Es macht nichts, wenn Sie sich anders entscheiden wollen«, sagte ich.
«Wie käme ich dazu?«Sie sah mich entgeistert an.»Sie haben sie doch nicht etwa jemand anderem verkauft? Sie haben versprochen, es nicht zu tun.«»Die nicht.«
«Was für welche dann?«
Ich erzählte ihr von Horse and Hound und von Lance Kinship und sagte, wie seltsam es mir erscheine, daß die Leute plötzlich meine Arbeiten kaufen wollten.
«Ich könnte mir vorstellen, daß es sich rumgesprochen hat«, sagte sie versonnen. Sie aß ihr Fleisch auf und lehnte sich mit nachdenklichem Gesicht zurück.»Sie brauchen einen Agenten.«
Ich erklärte ihr, daß ich für Marie Millace ohnehin einen finden müsse, aber sie fegte das beiseite.
«Nicht irgendeinen Agenten«, sagte sie.»Ich spreche von mir.«
Sie sah mein verdutztes Gesicht und lächelte.»Na?«sagte sie.»Was macht denn ein Agent? Er kennt den Markt und verkauft die Ware. Ihre Ware wird sich verkaufen… keine Frage. Also werde ich mich verdammt schnell über die Marktlage informieren, soweit ich sie noch nicht kenne. Den Sportmarkt, meine ich. Und wenn ich Ihnen Aufträge für Illustrationen anderer Bücher verschaffe… zu beliebigen Themen. würden Sie die annehmen?«
«Ja, aber.«
«Kein aber«, sagte sie.»Es hat keinen Sinn, Superfotos zu machen, wenn niemand sie zu sehen bekommt.«
«Aber es gibt Tausende von Fotografen.«
«Warum sind Sie so defätistisch?«sagte sie.»Es gibt immer Platz für einen mehr.«
Das Kerzenlicht schien auf ihr eifriges Gesicht und warf aprikosenfarbene Schatten auf Wangenknochen und Kinn. Ihre grauen Augen blickten fest in eine Zukunft, vor der ich immer noch zurückschreckte. Ich fragte mich, was sie wohl sagen würde, wenn ich sagte, ich wolle sie küssen, wo sie doch eindeutig an Prosaischeres dachte.
«Ich könnte es versuchen«, sagte sie überzeugend.»Ich würde es gern versuchen. Lassen Sie mich? Wenn ich nicht gut bin, werde ich’s zugeben.«
Sie macht mit einem, was sie will, hatte Samantha gesagt.
Nimm, was kommt, und hoffe auf das Beste.
Ich blieb bei meiner alten Philosophie und sagte:»In Ordnung«, und sie sagte:»Toll«, als meinte sie es auch so, und als ich sie später vor ihrer Haustür zum Abschied küßte, hatte sie auch dagegen nichts.