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Fidelma und Cass folgten Schwester Necht, die ihnen zu den Räumen des Abts voranging. Als die Novizin merkte, daß Cass mitkam, blieb sie verlegen stehen.
»Was gibt’s?« wollte Fidelma wissen.
»Ich soll nur dich zum Abt bringen, Schwester«, erklärte sie mit einem entschuldigenden Blick auf Cass.
»Na gut«, seufzte Fidelma. »Du kannst im Gästehaus auf mich warten, Cass.«
Der hochgewachsene Krieger zog ein etwas enttäuschtes Gesicht, kehrte aber um. Die breitschultrige junge Nonne war ziemlich aufgeregt und eilte voran, während Fidelma ihr gemessenen Schrittes folgte. Die Novizin mußte mehrmals stehenbleiben und auf sie warten. Fidelma ließ sich nicht antreiben, sie hatte nicht vor, aufgeregt und atemlos vor dem Abt und dem Fürsten der Corco Loigde zu erscheinen.
»Schon gut, Necht«, meinte Fidelma schließlich, »von hier aus kenne ich den Weg zu den Räumen des Abts, du kannst mich unbesorgt allein lassen.«
Das Mädchen wollte anscheinend protestieren, aber dann nickte es gehorsam und verschwand.
Fidelma ging weiter über den gepflasterten Hof zu dem Gebäude, in dem die Zimmer des Abts lagen. Sie war gerade in den schmalen, dunklen Gang getreten und hatte die Treppe erreicht, die in den zweiten Stock führte, als sich aus der Dunkelheit ein Schatten löste.
»Schwester!«
Fidelma blieb stehen und spähte gespannt ins Dunkel. Die Gestalt kam ihr bekannt vor.
»Bist du das, Cetach?«
Der Junge trat ins trübe Licht.
»Ich muß mit dir sprechen«, flüsterte er, als fürchte er, jemand könne ihnen zuhören. Er wirkte verängstigt.
»Im Augenblick geht das schlecht«, erwiderte Fidelma. »Ich bin auf dem Weg zum Abt. Treffen wir uns später ...«
»Nein, warte!« Es war beinahe ein Verzweiflungsschrei. Cetach packte Fidelmas Arm.
»Was ist? Wovor fürchtest du dich?«
»Salbach, der Fürst der Corco Loigde, ist beim Abt.«
»Das weiß ich«, antwortete Fidelma. »Aber wovor hast du Angst, Cetach?«
»Wenn du mit ihm sprichst, sag ihm nichts von mir und meinem Bruder.«
Fidelma ärgerte sich darüber, daß sie im Dunkeln das Gesicht des Jungen nicht besser sehen konnte.
»Hast du Angst vor Salbach?«
»Das ist eine lange Geschichte, das kann ich dir jetzt nicht erklären, Schwester. Bitte erwähne uns nicht. Sag nicht einmal, daß du uns kennst.«
»Warum? Was habt ihr von Salbach zu befürchten?«
Der Griff des Jungen an ihrem Arm wurde noch fester.
»Bitte, Schwester!« Seine Stimme war so voller Angst, daß Fidelma beruhigend seine Schulter tätschelte.
»Nun gut«, sagte sie. »Ich gebe dir mein Versprechen. Doch wenn ich fertig bin, müssen wir miteinander reden, und du mußt mir sagen, was das alles zu bedeuten hat.«
»Du versprichst, daß du uns nicht erwähnst?«
»Das verspreche ich«, antwortete sie ernst.
Der Junge wandte sich schnell ab und verschwand in der Dunkelheit. Fidelma starrte ihm verwundert nach.
Sie seufzte tief und stieg langsam die Treppe empor.
Abt Brocc wartete schon ungeduldig auf sie. Offensichtlich war er vor seinem Tisch auf und ab gegangen und bei ihrem Eintreten stehengeblieben. Ihr Blick fiel sofort auf einen Mann, der träge vor dem großen Kamin lümmelte. Er hatte sich in dem geschnitzten Holzsessel, der gewöhnlich dem Abt vorbehalten war, zurückgelehnt, ließ ein Bein über die Lehne hängen und hielt einen großen Becher mit Wein in der Hand. Er sah gut aus mit seinem kohlschwarzen Haar, das sich scharf von seiner hellen Haut und den eisblauen Augen abhob. Er war Anfang der Dreißig, sein schmales Gesicht wirkte verschlossen. Seine Kleidung zeugte von Reichtum, denn sie bestand aus feiner Seide und Leinen, und sein Schmuck war ein kleines Vermögen wert. Sein Schwert und sein Dolch wogen den vollen Sühnepreis für einen ceile auf, einen freien Stammesangehörigen des Königreichs. All dies erfaßte Fidelma mit einem Blick, doch eins prägte sich ihr besonders ein: Die kalten blauen Augen des Fürsten hatten einen listigen, verschlagenen Ausdruck. Sie hatte einen schlauen und gerissenen Mann vor sich.
»Ach, Fidelma!«
Der Abt war sichtlich erleichtert, als sie eintrat.
»Ich hörte, du hast mich suchen lassen, Brocc«, sagte sie und schloß die Tür hinter sich.
»Ja, allerdings. Dies ist Salbach, der Fürst der Corco Loigde.«
Fidelma wandte sich dem Fürsten zu. Der Mann jedoch machte keine Anstalten, sich zu erheben, sondern blieb im Sessel und nippte an seinem Wein.
»Schwester Fidelma von Kildare ist meine Kusine, Salbach«, erklärte der Abt nervös, als er sah, daß Fidelma sich über Salbachs Verhalten ärgerte.
Salbach betrachtete sie kühl über den Rand seines Bechers hinweg.
»Ich habe gehört, du bist eine dalaigh«, sagte er. Es klang, als finde er das erheiternd.
»Ich bin Fidelma von den Eoganacht von Cashel, die Schwester Colgüs, des Thronfolgers von Muman«, erwiderte sie eiskalt. »Ich habe in der Rechtskunde den Rang eines anruth erlangt.«
Einen Moment hielt Salbach ihrem Blick stand, ohne sich zu rühren. Dann setzte er bedächtig seinen Becher ab, erhob sich mit übertriebener Langsamkeit von seinem Holzsessel und stand vor ihr. Er verbeugte sich ungelenk mit einer ruckartigen Kopfbewegung.
Es war nicht übertriebene Eitelkeit, die Fidelma die Anerkennung einfordern ließ, die ihr als Schwester des Thronfolgers zustand, auch war sie nicht so eingebildet, daß sie unbedingt auf die Tatsache aufmerksam machen wollte, daß sie den Status eines anruth besaß, nur einen Grad unter dem höchsten Rang, den die Hochschulen der fünf Königreiche zu verleihen hatten. Es war die Geringschätzung, die Salbach zum Ausdruck brachte und die sie als eine Beleidigung ihres Geschlechts auffaßte, was sie veranlaßte, auf der traditionellen Hochachtung zu bestehen, die man ihr schuldete. Zugleich erinnerte sie sich an den Ausspruch ihres alten Lehrers, des Brehon Morann von Tara: »Respekt aus Furcht gezollt ist kein Respekt. Der Wolf wird respektiert, aber niemals geliebt.« Im allgemeinen verzichtete Fidelma auf die gesellschaftlichen Konventionen, vorausgesetzt, die Leute verhielten sich rücksichtsvoll zueinander. Doch wenn sie Personen begegnete, die keinen natürlichen Respekt kannten, dann mußte sie die Konventionen durchsetzen. Und Salbach schien niemanden zu respektieren als sich selbst.
»Ich entschuldige mich, Fidelma von Cashel«, sagte er in einem Ton, der seine Worte Lügen strafte. »Ich wußte nicht, daß du mit Colgü verwandt bist.«
Fidelma setzte sich mit ausdruckloser Miene.
»Warum sollten gute Manieren mir gegenüber von meinen Verwandten abhängen?« fragte sie höflich.
Abt Brocc hüstelte.
»Fidelma, Salbach ist auf meine Nachricht hin gekommen.«
Fidelma sah sich erneut von den kalten blauen Augen Salbachs gemustert. Er hatte sich wieder in dem Holzsessel des Abts niedergelassen und hielt seinen Becher in der Hand. Seine Augen schienen etwas zu verbergen. Sie erinnerten sie an die starren Augen eines Bussards, der seine Beute betrachtet, bevor er auf sie niederstößt.
»Das ist gut«, erwiderte Fidelma. »Je eher das Verbrechen von Rae na Scrine aufgeklärt wird, desto besser.«
»Verbrechen? Ich habe gehört, daß ein paar verängstigte, abergläubische Leute, die sich vor der Pest in Rae na Scrine fürchteten, das Dorf angriffen, um die Einwohner in die Berge zu treiben und die Häuser niederzubrennen, damit sich die Pest nicht weiter verbreitet. Wenn dort ein Verbrechen geschah, dann war es ein Verbrechen aus Angst und Panik.«
»Keineswegs. Es war ein kaltblütiger und wohlüberlegter Angriff.«
Salbachs Mund zuckte, und sein Ton wurde scharf. »Ich bin hergekommen, Schwester Fidelma, weil ich von deiner Anschuldigung gegen einen meiner bo-aire gehört habe, einen Friedensrichter, den ich selbst erst kürzlich ernannt habe. Ich nahm an, es handele sich um einen Irrtum.«
»Vermutlich meinst du diesen Intat? Wenn ja, dann ist es kein Irrtum.«
»Ich habe gehört, du hast Intat beschuldigt, er habe eine Schar seiner Krieger bei der Zerstörung des Dorfes angeführt? Nach allem, was ich weiß, hat ein Trupp in Panik geratener Leute aus dem Nachbardorf es niedergebrannt.«
»Dann bist du falsch unterrichtet.«
»Das ist eine schwere Beschuldigung.«
»Es ist ein schweres Verbrechen«, bestätigte Fidelma kühl.
»Ich brauche Beweise, bevor ich einer solchen Beschuldigung nachgehen kann«, erwiderte Salbach entschieden.
»Die Beweise sind die verkohlten Ruinen von Rae na Scrine.«
»Die verkohlten Ruinen beweisen nur, daß das Dorf niedergebrannt wurde, und vielleicht noch, daß Menschen dabei ums Leben kamen. Welchen Beweis gibt es dafür, daß Intat daran schuld ist?«
»Cass aus der Leibwache des Königs von Cashel und ich ritten auf das Dorf zu, als die schreckliche Tat begangen wurde. Wir trafen auf einen Mann namens Intat. Er schickte uns weg und drohte uns mit dem Tode.«
Salbachs Augen weiteten sich ungläubig.
»Er ließ euch gehen? Wenn er solch ein Verbrechen beging, dann wärt ihr doch wahrscheinlich nicht hier, um es bezeugen zu können?«
Fidelma fragte sich, warum Salbach sich bemühte, seinen bo-aire zu schützen.
»Intat ahnte nicht, daß wir sehen würden, was er getan hatte. Wir ritten auf einem Umweg in das Dorf, nachdem wir ihm begegnet waren. Er merkte auch nicht, daß es Überlebende im Dorf gab, die noch besser als wir bezeugen können, was geschah.«
Schluckte Salbach überrascht? Schlich sich ein Schatten von Furcht in seine Miene?
»Es gab Überlebende?«
»Ja.« Es war Abt Brocc, der antwortete. »Es gab ein halbes Dutzend Überlebende. Einige Kinder ...«
»Kinder können laut Gesetz nicht aussagen«, fuhr Salbach dazwischen. »Sie haben keine Rechte vor dem Gesetz, bis sie das Alter der Wahl erreichen.«
Fidelma fiel auf, daß diese juristische Feststellung Salbach sehr geläufig über die Lippen kam.
»Es war auch eine Erwachsene darunter«, sagte sie leise. »Und wenn eine Erwachsene nicht genügt, dann stell diesen Intat doch Cass und mir gegenüber, und wir werden aussagen, ob er derjenige war, den wir Leute mit Brandfackeln und Schwertern in den Händen in das Dorf führen sahen und der uns mit dem Tode drohte.«
»Woher wißt ihr überhaupt, daß es Intat war?« fragte Salbach mürrisch. »Woher kennt ihr seinen Namen?«
»Schwester Eisten hat ihn erkannt«, antwortete der Abt.
»Aha! Dann ist sie also die Überlebende, von der ihr sprecht?«
Salbachs Blick verschleierte sich wieder. Fidelma hätte viel darum gegeben, zu wissen, welche Gedanken ihm jetzt durch den Kopf schossen. Sein Gesicht glich einer Maske, doch hinter seinen halbgeschlossenen Augen schienen die Gedanken nur so zu wirbeln.
»Es fällt mir schwer, so etwas von Intat zu glauben«, seufzte Salbach plötzlich und setzte seinen geleerten Becher ab, als habe man ihn schließlich überzeugt. »Die Beweise gegen ihn erschüttern mich. Halten sich Schwester Eisten und die Kinder in Ros Ailithir auf?«
Wieder antwortete Brocc, bevor Fidelma etwas sagen konnte.
»Ja. Wir werden sie wahrscheinlich bald in das Waisenhaus schicken, das Molua führt.«
»Ich würde sie gern sehen«, sagte Salbach bestimmt.
»Es kann einige Tage dauern, bis das möglich ist«, sagte Fidelma eilig mit einem bedeutsamen Blick zu Brocc. Der Abt starrte sie verwundert an. »Der Abt hat angeordnet, sie in Quarantäne zu halten, bis sicher ist, daß sie sich nicht mit der Gelben Pest angesteckt haben.«
»Aber ...«, setzte Brocc an, dann biß er sich auf die Lippen.
Salbach schien seinen unvollendeten Protest nicht bemerkt zu haben und erhob sich.
»Ich komme zu gegebener Zeit wieder und befrage Schwester Eisten und die Kinder«, erklärte er. »Da es sich um eine schwerwiegende Anschuldigung gegen einen meiner Friedensrichter handelte, meinte ich, sofort die Beweise prüfen zu müssen. Ich werde Intat suchen lassen und hören, was er zu sagen hat. Wenn das Verbrechen auf ihn zurückgeht, dann wird er sich vor meinem eigenen Brehon dafür zu verantworten haben. Darauf kannst du dich verlassen, Schwester Fidelma.«
»Cashel würde nichts anderes erwarten«, antwortete Fidelma ernst.
Salbach sah sie scharf an und suchte nach einem verborgenen Sinn in ihren Worten, doch Fidelmas Gesicht blieb undurchdringlich.
»Wir sind ein stolzes Volk, Schwester Fidelma«, sagte Salbach. Seine Stimme klang sanft, es schwang aber eine versteckte Drohung darin mit. »Die Corco Loigde führen ihre Abstammung auf die Familie von Mil Easpain zurück, der zu Beginn der Zeiten die Vorfahren der Gälen in dieses Land brachte. Wird einer von uns in seiner Ehre gekränkt, so sind wir alle in unserer Ehre gekränkt. Und wenn einer von uns seine Ehre verletzt, verletzt er unser aller Ehre und wird dafür bestraft.«
Er zögerte einen Augenblick, als wolle er noch etwas sagen, dann wandte er sich an den Abt.
»Ich werde mich auf den Weg machen, Abt«, begann er, doch Fidelma unterbrach ihn.
»Es gibt noch ein paar Fragen in einer anderen Angelegenheit, bei deren Klärung du mir helfen kannst, Salbach.«
Salbach sah sie erstaunt an, denn er hatte doch wohl deutlich klargemacht, daß das Gespräch für ihn beendet war. Offensichtlich war er gewohnt, daß sich jeder nach ihm richtete.
»Ich bin jetzt beschäftigt .«
»In dieser Sache handele ich im Auftrag des Königs von Cashel«, beharrte Fidelma. »Es geht um die Ermordung des Ehrwürdigen Dacan.«
Salbach schien etwas Heftiges erwidern zu wollen, doch dann zuckte er gleichmütig die Achseln.
»Eine ernste Angelegenheit«, gab er zu. »Ich weiß nichts über den Tod des Alten. Wie kann ich dir also helfen?«
»Kanntest du den Ehrwürdigen Dacan?«
»Wer kannte seinen Ruf nicht?« parierte Salbach.
»Ich glaube, du bist ihm begegnet?«
Die Frage hatte Fidelma auf gut Glück gestellt, und sie bemerkte Salbachs rasches Erröten. Ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen.
»Ich habe Dacan ein paarmal getroffen«, gestand Salbach.
»War das hier in Ros Ailithir?«
Fidelma mußte ihre Überraschung verbergen, als Salbach den Kopf schüttelte.
»Nein. Ich traf ihn in Cealla, einer der großen Residenzen der Stammesfürsten von Osraige.«
»In Osraige? Wann war das?«
»Vor einem Jahr.«
»Darf ich fragen, was du in Osraige zu tun hattest?«
»Ich besuchte meinen Vetter Scandlan, den dortigen König.« Salbach konnte die Eitelkeit in seiner Stimme nicht unterdrücken.
Fidelma erinnerte sich, daß ihr Bruder Colgü ihr erzählt hatte, daß die Könige von Osraige mit den Stammesfürsten der Corco Loigde verwandt waren.
»Ich verstehe«, sagte sie langsam. »Aber als der Ehrwürdige Dacan nach Ros Ailithir kam, hast du ihn nicht getroffen?«
»Nein.«
Irgend etwas veranlaßte Fidelma, ihm nicht zu glauben. Doch sie vermochte diesen verdeckten Bussardblick nicht zu durchschauen. Ihr wurde klar, daß sie Salbach nicht ausstehen konnte. Dann errötete sie, denn sie dachte an die Predigt, die sie Schwester Necht gehalten hatte. Trotzdem blieb Fidelma dabei, daß Salbach etwas Unheimliches an sich habe, und mißtraute ihm deshalb. Seine kalten Augen verrieten Schlechtigkeit und Härte. Er erinnerte sie an einen Raubvogel.
»Aber Assid von Laigin bist du hier begegnet?« Mit dieser Frage wechselte sie abrupt das Thema, weiter ihrem Instinkt vertrauend.
Salbachs Mund öffnete sich ein wenig. Seine Augen funkelten einen Moment.
»Ja«, gab er langsam zu. »Er kam als Händler zu meiner Burg Cuan Doir.«
»Treibt er Handel die Küste entlang?«
»Ja. Er suchte unsere Kupferminen auf. Er brachte uns Wein aus Gallien, und wir verkauften ihm Kupfer für den Wein.«
»Also kennst du Assid schon lange - in seiner Rolle als Kaufmann, nicht wahr?«
Salbachs Gesicht wurde noch ablehnender.
»Ich sagte, daß ich ihm begegnet bin. Das ist auch schon alles. Er trieb hier Handel im letzten Sommer und im Sommer davor. Warum stellst du diese Fragen?«
»Das ist meine Aufgabe, Stammesfürst der Corco Loigde«, erwiderte sie mit geduldigem Humor.
»Darf ich jetzt gehen?« Der herablassende Hohn in seiner Stimme war unverkennbar.
»Ich hoffe, wir werden bald hören, daß deine Suche nach Intat erfolgreich war?«
»Ich werde dich umgehend informieren«, antwortete Salbach steif.
Mit einer knappen Verbeugung in ihre Richtung und einem kurzen Nicken zum Abt hin verließ er den Raum.
Abt Brocc schaute unglücklich drein.
»Salbach gehört zu denen, die nicht gern ihr Gesicht verlieren, Kusine«, bemerkte er zaghaft. »Ich hatte das Gefühl, zwei Katzen zu beobachten, die sich um das gleiche Revier streiten.«
»Es tut mir leid, daß es so war«, erwiderte Fidelma kühl. »Sein Benehmen ist von einer unerträglichen Arroganz.«
Die Glocke rief zum mittäglichen Angelusgebet.
Fidelma fühlte sich verpflichtet, mit dem Abt das rituelle Stundengebet zu verrichten.
Als Brocc sich aus seiner knienden Haltung erhob, sah er Fidelma etwas verlegen an.
»Es gibt noch eine andere Nachricht«, begann er zögernd. »Ich wollte sie nicht vor Salbach erwähnen, bevor ich sie dir mitgeteilt hatte.«
Fidelma verharrte in unsicherer Erwartung, denn das Gesicht ihres Vetters war ungewöhnlich feierlich geworden.
»Kurz vor Salbachs Ankunft traf ein Bote aus Cashel ein. König Cathal mac Cathail ist vor drei Tagen gestorben. Dein Bruder Colgü ist jetzt König von Muman.«
Fidelmas Miene änderte sich nicht. Sobald Brocc den Boten aus Cashel erwähnt hatte, war ihr klar gewesen, was folgen würde. Noch bevor sie Cashel verließ, hatte sie gewußt, daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis Cathal starb. Sie beugte die Knie.
»Sic transit gloria mundi. Möge unser Vetter in Frieden ruhen«, sprach sie. »Und möge Gott Colgü die Stärke verleihen für die schwere Aufgabe, die nun vor ihm steht.«
»Heute abend werden wir eine Messe für Cathals Seele lesen, Schwester«, sagte Brocc. »Es dauert noch etwas, bis die Glocke zur Mittagsmahlzeit läutet. Vielleicht leistest du mir Gesellschaft bei einem Becher Wein, ehe wir ins Refektorium gehen?«
Zu seiner sichtlichen Enttäuschung schüttelte Fidelma den Kopf.
»Ich habe vor der Mittagsmahlzeit noch viel zu tun, Vetter«, antwortete sie. »Aber es gibt eine Frage, die ich dir gleich stellen muß. Bruder Conghus hat mir erzählt, daß du ihn eine Woche vor der Ermordung Dacans speziell damit beauftragt hast, gut auf Dacan achtzugeben. Warum tatest du das?«
»Das ist kein Geheimnis«, antwortete der Abt sofort. »Es war klar, daß der Ehrwürdige Dacan ein unfreundlicher Mensch war. Ich hatte gehört, daß er mehrere Schüler hier gekränkt hatte. Es war einfach eine Vorsichtsmaßnahme, Bruder Conghus zu bitten, darauf zu achten, daß Dacan keinen Schaden nahm durch seine ... wie wollen wir es nennen? ... seine unglückliche Veranlagung.«
»Danke, Brocc. Wir sehen uns beim Mittagsmahl.«
Als Fidelma das Zimmer verließ, fiel ihr plötzlich Cetach wieder ein. Warum hatte er nicht gewollt, daß sie ihn und seinen Bruder Cosrach vor Salbach erwähnte? Weshalb fürchtete er Salbach?
Doch das hatte nichts mit dem Mord an dem Ehrwürdigen Dacan zu tun, und die Zeit verging so schnell bis zu dem Tag, an dem die Angelegenheit vor der Ratsversammlung des Großkönigs in Tara vertreten werden mußte.
Sie begab sich geradewegs ins Gästehaus und suchte nach Cetach. Auch mit Schwester Eisten mußte sie noch einmal sprechen. Die Kinder waren nicht in ihren Zimmern; Schwester Eisten ebenfalls nicht. Fidelma schaute in die anderen Zimmer, fand aber niemanden. Das einzige Kind aus Rae na Scrine, das sie antraf, war eine der kleinen rothaarigen Schwestern. Es war Cera; sie saß da, spielte mit einer Stoffpuppe und gab auf Fidelmas Fragen keine Antwort.
Fidelma gab es auf, noch etwas aus ihr herauszulocken, und suchte die oberen Zimmer ab, bevor sie ins Erdgeschoß zurückkehrte. Sie hörte ein Geräusch aus Bruder Rumanns Büro und eilte dorthin. Hier fand sie Cass und Bruder Rumann. Sie hockten zu beiden Seiten eines brandubh-Bretts und spielten »Schwarzer Rabe«. Rumann schien ein erfahrener Spieler zu sein, denn er hatte schon zwei von Cass’ Provinzkönig-Figuren genommen, so daß Cass nur noch sein Großkönig und die beiden anderen Provinzkönig-Figuren blieben, während Rumanns acht Figuren noch vollzählig waren. Cass versuchte vergeblich, die sichere Seite des Bretts zu erreichen, das in neunundvierzig Felder, sieben mal sieben, eingeteilt war. Während Fidelma noch zusah, stellte Rumann mit einem geschickten Zug seine Figuren so auf, daß sie dem Großkönig gegenüberstanden, ohne ihm ein Rückzugsfeld zu lassen. Zögernd und unwillig gab Cass das Spiel verloren.
Bruder Rumann sah mit zufriedenem Lächeln zu Fidelma auf.
»Kannst du das auch spielen, Schwester?«
Fidelma nickte kurz. Jedes Kind eines Königs oder eines Stammesfürsten lernte brandubh und andere Brettspiele, sie waren ein Teil seiner Erziehung. Das Spiel hatte eine tiefere Bedeutung, denn die Hauptfigur stellte den Großkönig in Tara dar, den die vier Provinzkönige von Ulaidh, Laigin, Muman und Con-nacht verteidigten. Die acht angreifenden Figuren mußten von den vier Provinzkönigen gestoppt werden, indem sie in der Mitte standhielten oder, wenn die Hauptfigur bedroht war, ihr ein Ausweichen an den Rand des Bretts sicherten, obwohl dieses Ausweichen nur als letztes Mittel angewandt wurde, wenn dem Spieler kein anderes mehr blieb.
»Vielleicht finden wir einmal Gelegenheit, unser Können zu messen?« lud Rumann sie ein.
»Vielleicht«, antwortete Fidelma höflich, »aber jetzt habe ich wenig Zeit.«
Sie winkte Cass mit den Augen, ihr nach draußen zu folgen, und dort berichtete sie ihm, was in Cashel geschehen war. Auch er war nicht überrascht.
»Dein Bruder hat ein schweres Erbe angetreten, Fidelma«, sagte Cass. »Ändert das an dem Stand der Dinge hier überhaupt etwas?«
»Nein. Es macht es nur noch dringender nötig, daß wir Erfolg haben.« Fidelma fragte Cass nun, ob er einen der Jungen, Cetach oder Cosrach, gesehen habe.
Cass schüttelte den Kopf.
»Als ob ich nicht schon genug am Halse hätte«, murrte Fidelma. »Reicht es nicht schon, daß ich versuchen muß, das Rätsel um den Mord an Dacan zu lösen, und nun gibt es offenbar auch noch ein Geheimnis um diese Kinder?«
Als Cass sie verständnislos ansah, erzählte sie ihm, was Cetach zu ihr gesagt hatte und wie ihr Gespräch mit Salbach verlaufen war.
»Ich habe schon gehört, daß Salbach ein anmaßender und arroganter Kerl ist«, gestand Cass. »Vielleicht hätte ich dich warnen sollen?«
»Nein. Es ist besser, wenn ich mir selbst meine Meinung bilde.«
»Nach dem, was du sagst, scheint es fast, als wolle er Intat vor der Anschuldigung in Schutz nehmen.«
»Fast. Vielleicht wollte er auch nur Beweise sehen.
Schließlich hat er doch selbst Intat zum Friedensrichter ernannt.«
Die Mittagsglocke begann zu läuten.
»Denken wir eine Weile nicht über all diese Geheimnisse nach«, schlug Cass vor. »Die Kinder werden wir wahrscheinlich beim Mittagessen treffen. Ich habe noch nie erlebt, daß ein Kind eine Mahlzeit versäumt hat. Und wenn wir sie dort nicht finden, kann ich mich heute nachmittag nach ihnen umsehen, während du deine Untersuchung weiterführst.«
»Das ist ein ausgezeichneter Vorschlag, Cass«, stimmte Fidelma bereitwillig zu. »Ich muß die Bibliothekarin und den Rektor danach fragen, welche Rolle der Ehrwürdige Dacan in Ros Ailithir gespielt hat.«
Sie gingen in den Speisesaal. Fidelma blickte sich gründlich um, konnte aber keine Spur von Cetach oder Cosrach entdecken, und Schwester Eisten sah sie auch nicht. Wie versprochen, verließ Cass den Raum sogleich nach der Mahlzeit und machte sich auf die Suche nach ihnen.
Als Fidelma ein wenig später aus dem Saal kam, hörte sie, wie zwei Schüler einen hochgewachsenen älteren Mann als Bruder Segan anredeten. Sie blieb stehen und betrachtete den fer-leginn, den Rektor der Schule. Seine hagere, düstere Gestalt paßte irgendwie schlecht zu seinem freundlichen Wesen, denn er begrüßte die beiden Schüler mit einem raschen Lächeln und begleitete seine Worte mit einem breiten Lachen.
Fidelma wartete, bis die Schüler weitergegangen waren. Als Bruder Segan seinen Weg fortsetzen wollte, sprach sie ihn mit Namen an.
»Ach, du bist Fidelma von Kildare?« Bruder Segan begrüßte sie mit einem festen Händedruck. »Ich habe von deiner Ankunft erfahren. Abt Brocc sagte mir, daß du kämst. Ich habe viel Gutes über deine Urteile bei unrechtmäßigen Tötungen gehört.«
»Ich möchte mit dir über den Ehrwürdigen Dacan sprechen.«
»Das habe ich mir gedacht«, sagte der Rektor lächelnd. »Gehen wir ein Stück zusammen«, schlug er vor, »dabei können wir reden.«
Er schritt voran durch einen Torbogen in den lübgort genannten Abteigarten, nach lüb wie Kraut und gort wie eingehegtes und bebautes Land. Selbst jetzt im Spätherbst stiegen Fidelma in dem von einer Mauer umgebenen Gelände noch verschiedene angenehme Düfte in die Nase. Sie fühlte sich immer wohl in einem Garten, besonders in einem Kräutergarten, denn die Gerüche wirkten beruhigend auf sie. Es war niemand in Sichtweite, und Bruder Segan führte sie zu einer Steinbank in einem winzigen Arboretum. Hinter dem Arboretum stand ein Brunnen. Eine kleine runde Steinmauer faßte ihn ein, und an einem von Säulen getragenen Holzbalken hing ein Seil für den Eimer.
Als Segan bemerkte, daß Fidelma den Brunnen betrachtete, erklärte er: »Man nennt ihn Fachtnas heiligen Brunnen. Es war der ursprüngliche Brunnen der Gemeinschaft, die Fachtna hier ansiedelte, doch jetzt reicht er leider bei weitem nicht mehr für alle aus. Die Abtei besitzt nun andere Brunnen, doch dieser bleibt der heilige Brunnen Fachtnas.«
Mit einer Handbewegung lud er sie zum Sitzen ein.
»Also dann«, sagte er knapp, »stell deine Fragen.«
»Kanntest du Dacan, bevor er nach Ros Ailithir kam?« begann sie.
Segan schüttelte den Kopf.
»Ich hatte natürlich von seinem Ruhm gehört. Er war ein großer Gelehrter. Doch wenn du fragst, ob ich ihm je begegnet bin, bevor er in die Abtei kam, so muß ich das verneinen.«
»Er befaßte sich auch mit Geschichte?« Fidelma hatte Dacan früher nur als Theologen gekannt.
»O ja. Geschichte war sein Spezialfach«, bestätigte Segan.
»Weißt du, weshalb Dacan nach Ros Ailithir kam?«
»Wir genießen eben ein gewisses Ansehen, Schwester«, erklärte der Rektor fröhlich. »Unter unseren vielen Schülern sind zahlreiche aus den angelsächsischen Königreichen und sogar aus dem Land der Franken, ganz zu schweigen von den Briten und denen aus den fünf Königreichen von Eireann.«
»Ich glaube nicht, daß Dacan nur wegen des Ansehens von Ros Ailithir herkam«, sagte Fidelma offen. »Ich meine, er kam mit einer bestimmten Absicht.«
Segan überlegte einen Augenblick.
»Ja, vielleicht hast du recht«, gab er zu. »Verzeih mir meine Eitelkeit; ich würde gern annehmen, daß unser guter Ruf als Anstalt der Gelehrsamkeit der einzige Grund war. Er kam wohl her, um sich in unserer Bibliothek Wissen anzueignen. Mit welcher besonderen Absicht, das weiß ich nicht. Danach müßtest du unsere Bibliothekarin, Schwester Grella, fragen.«
»Mochtest du Dacan?«
Segan antwortete nicht sofort.
»Ich glaube, >mögen< ist nicht der richtige Ausdruck, Schwester«, sagte er dann. »Ich haßte ihn nicht, und in akademischer Hinsicht kamen wir sogar ganz gut miteinander aus.«
»Das allein ist schon ungewöhnlich«, bemerkte sie.
»Warum?«
»Weil mir alle, die ich bisher fragte, erklärt haben, daß Dacan hier allgemein unbeliebt war. Wurde er vielleicht deshalb ermordet? Ich habe gehört, er war abweisend, kalt, unfreundlich und ein Asket.«
Nun brach Segan in offenes Lachen aus, ein volles, unbeschwertes Lachen.
»Das sind wohl kaum Eigenschaften, für die man einen Menschen zum Höllenfeuer verdammt. Wenn wir jeden umbrächten, den wir hassen, dann würde am Ende kaum ein Mensch auf Erden übrigbleiben. Sicherlich war Dacan humorlos. Aber er war ein ernsthafter Gelehrter, und als solchen achtete ich ihn. Ja, >mögen< ist nicht das richtige Wort, doch mit >achten< könnte man meine Haltung ihm gegenüber besser beschreiben.«
»Er hat hier auch unterrichtet und nicht nur geforscht, hat man mir erzählt.«
»Das stimmt.«
»Vermutlich lehrte er Geschichte?«
»Was sonst? Er interessierte sich für die frühen
Überlieferungen darüber, wie unser Ahnherr Mil Easpain und die Kinder Gaels nach Eireann kamen und wie Mils Bruder Amergin der Göttin Eire gelobte, daß das Land künftig ihren Namen tragen werde«, sagte Segan.
»Die Richtung erscheint mir ziemlich harmlos«, bemerkte Fidelma.
»Schwester, du nimmst doch nicht im Ernst an, daß Dacan ermordet wurde, weil jemandem seine Person oder seine Geschichtsauffassung nicht gefiel?«
»So etwas hat es schon gegeben«, erwiderte Fidelma voller Ernst. »Gelehrte werden zu wilden Tieren, wenn sie verschiedener Meinung sind.«
»Ja, dessen müssen wir uns schuldig bekennen«, gab Segan zu. »Manche Historiker sind in der Geschichte gefangen, wie die Geschichte in ihnen gefangen ist. Dacan war zweifellos ein Mann seines Volkes ...«
»Was meinst du damit?« fragte Fidelma rasch.
»Er war ungeheuer stolz auf Laigin, das meine ich damit. Ich erinnere mich, daß er und unser leitender Arzt, Bruder Midach, einmal . « Plötzlich hielt er verlegen inne.
»Sprich weiter«, forderte ihn Fidelma auf. »Alles, auch wenn es noch so unbedeutend scheint, ist wichtig für meine Untersuchung.«
»Ich möchte keine Unruhe verbreiten, zumal wenn es keinen Grund dafür gibt.«
»Die Wahrheit ist immer ein guter Grund, Rektor«, beharrte Fidelma. »Erzähl mir von Bruder Midach und Dacan.«
»Sie gerieten einmal in einen Streit, bei dem es zwischen ihnen fast zu Schlägen gekommen wäre.«
Fidelmas Augen weiteten sich. »Worum ging es denn dabei?«
»Eine einfache historische Angelegenheit, weiter nichts. Dacan prahlte mit Laigin, wie er es meistens tat. Midach sagte, die Leute aus Laigin seien nichts weiter als Ausländer. Er behauptete, sie seien eigentlich Gallier, die in Galian landeten, wie die Provinz damals hieß. Sie kamen als Söldner, um dem verbannten Labraid Loinseach zu helfen, den Thron seines Onkels Cobhthach an sich zu bringen. Die Gallier führten Lanzen mit breiten Spitzen aus blaugrünem Eisen, die man laigin nannte, so behauptete Midach, und als sie Labraid auf den Thron von Galian erhoben hatten, erhielt das Königreich den Namen Laigin nach den Lanzen, die ihm den Sieg verschafft hatten.«
»Die Geschichte habe ich schon mal gehört«, sagte Fidelma. »Scheint ein harmloser Streit gewesen zu sein, wie du sagst. Stammt Midach nicht auch aus Laigin?«
»Midach? Aus Laigin? Wer hat dir denn das erzählt? Nein, Midach verachtet Laigin. Aber er stammt aus der Gegend an der Grenze zu Laigin. Vielleicht erklärt das seine Voreingenommenheit. Ja, jetzt fällt mir’s ein. Er stammt aus Osraige.«
»Osraige?« Fidelma stöhnte innerlich. Osraige und Laigin! Was sie auch anfing, immer stieß sie auf eine Verbindung zu Osraige und Laigin.
»Warum fragst du ihn nicht selbst?« meinte der Rektor. »Midach wird dir das nur zu gern erzählen.«
»Also Midach beleidigte Laigin in Dacans Gegenwart«, stellte Fidelma fest und überging seinen Vorschlag. »Was sagte Dacan dazu?«
»Er nannte Midach einen unwissenden Trottel und Schurken. Er erklärte, das Königreich sei älter als Muman und habe seinen Namen von einem Nemeder, einem Nachkommen von Magog und Japhet, der mit zweiunddreißig Schiffen aus Skythien in dieses Land gekommen sei. Er behauptete, daß Liath, der Sohn Laigins, der Held war, der das Königreich gründete.«
»Wie konnte eine akademische Diskussion so ausarten?« fragte Fidelma neugierig.
»Beide vertraten wortreich ihren Standpunkt, und keiner gab nach, bis der Streit schließlich in persönliche Beschimpfungen überging. Erst als Bruder Ru-mann und ich eingriffen, konnten wir die beiden dazu bringen, in ihre Zimmer zurückzukehren, nachdem sie uns versprochen hatten, dieses Thema nicht mehr zu erörtern.«
»Hattest du selbst auch Zusammenstöße mit Da-can?« erkundigte sich Fidelma.
Segan schüttelte den Kopf.
»Wie ich schon sagte, ich achtete ihn. Ich ließ ihn seinen Unterricht halten, und ich denke, die meisten Schüler wußten seine Kenntnisse zu schätzen. Allerdings habe ich auch gehört, daß er zu manchen hier kein freundliches Verhältnis hatte. Abt Brocc nahm das offensichtlich ernst. Ich glaube, er hat sogar Bruder Conghus beauftragt, dafür zu sorgen, daß Dacan keine ernsten Auseinandersetzungen hervorrief. Doch um ehrlich zu sein, ich habe wenig Zeit mit ihm verbracht.«
Fidelma stand zögernd auf.
»Du hast mir sehr geholfen, Rektor«, sagte sie.
Bruder Segan lächelte breit.
»Es war leider nur wenig. Wenn du mich noch mal brauchst, kann dir jeder den Weg zu meinem Zimmer in der Schule zeigen.«
Fidelma ging zum Gästehaus zurück. Auf dem Hof stieß sie auf Cass. Er sah müde aus.
»Ich habe überall nach den beiden Jungen gefragt und gesucht, und nach Schwester Eisten auch«, erklärte er Fidelma. »Wenn sie sich nicht absichtlich vor uns verstecken, dann haben sie wohl die Abtei verlassen.«