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Victor!
Der Name beschäftigte Fidelma; seit Sceilig Mhichil spukte er ihr im Kopf herum. Das Bild der beiden schwarzhaarigen Jungen aus Rae na Scrine stand ihr ebenfalls immer wieder vor Augen. Doch die Söhne Illans sollten nach der Beschreibung des Mönchs ja kupferrote Haare haben. Aber der Name, der Name Victor ... Hic est meum, Victor. Bedeutete der Name nicht »triumphierend« oder »siegreich«, und hieß das im Irischen nicht Cosrach?
Ihr stockte der Atem, als sie erkannte, wie leicht die Lösung des Rätsels war. Die Söhne Illans wurden Primus und Victor genannt. Primus hieß »der Erste«, und war Cetach nicht die Koseform von cet, was ebenfalls »erster« bedeutete? Cetach trug den Namen des legendären Herrschers, der einst das Königreich Osraige gründete. Primus = Cetach. Victor = Cos-rach! Die beiden Jungen waren zwar verschwunden, doch sicherlich konnten die anderen Kinder aus Rae na Scrine den Mönch beschreiben, der sie Schwester Eistens Obhut übergeben hatte.
Abrupt parierte sie ihr Pferd; Cass konnte seines gerade noch zügeln, um nicht gegen sie zu prallen. Schwester Grellas Pferd scheute und wäre beinahe gestürzt.
Fidelma schimpfte sich leise einen Trottel, weil sie auf etwas so Naheliegendes nicht eher gekommen war.
»Was ist?« fragte Cass, fuhr mit der Hand zum Schwertgriff und sah sich um, als erwarte er den Angriff eines unsichtbaren Feindes.
»Ich hatte gerade eine Idee!« antwortete sie glücklich. Sie wußte jetzt, nach wem Dacan gesucht und warum sich Cetach so vor Salbach gefürchtet hatte. Es mußten Cetach und Cosrach sein, die Intat hatte umbringen sollen, als er nach Rae na Scrine geschickt wurde und es niederbrannte.
»Nur eine Idee? Ich dachte, es drohe eine Gefahr«, beklagte sich Cass.
»Es gibt nichts Gefährlicheres als Ideen, Cass«, lachte Fidelma. »Eine einzige Idee, wenn sie richtig ist, erspart uns Jahre mühsamer Erfahrung und die harte Schule vieler vergeblicher Versuche.«
»Ideen bedrohen unser Leben aber nicht mit Schwertern und Pfeilen«, erwiderte Cass.
»Sie können uns sogar noch mehr antun, Cass. Los, weiter«, sagte Fidelma. Sie setzte ihr Pferd wieder in Trab und ritt den Weg entlang, der nach Ros Ailithir hinunterführte.
Bruder Conghus erwartete sie am Tor, und der Abt persönlich kam ihnen entgegengeeilt.
»Schwester Grella!« keuchte er und blickte erstaunt von Grella zu Fidelma. »Du hast die Schuldige gefangengenommen, Kusine?«
Zu Cass’ Überraschung machte Fidelma keine Miene abzusteigen. Sie beugte sich über den Sattelknopf und sagte leise zu ihrem Vetter: »Grella ist auf meine Anweisung in sicheren Gewahrsam zu nehmen. Sie hat sich vor der Ratsversammlung des Großkönigs, wenn sie hier zusammentritt, für vieles zu verantworten. Ihr Verschwinden aus der Abtei wird sie dir selbst erklären.«
»Bedeutet das, daß du zu einem Ergebnis gekommen bist?« fragte Brocc, und mit fast verschwörerischer Miene blickte er über die Schulter zur Abtei. »Der Großkönig und sein Gefolge sind bereits eingetroffen. Barran, der Oberrichter, hat schon nach dir gefragt und .«
Mit erhobener Hand gebot Fidelma dem Abt zu schweigen.
»Im Augenblick kann ich nicht mehr sagen. Wir kommen sobald wie möglich zurück.«
»Zurück? Wo wollt ihr denn hin?« fragte Brocc kläglich, doch Fidelma lenkte ihr Pferd vom Tor der Abtei fort.
»Laß Schwester Grella gut bewachen, auch zu ihrer eigenen Sicherheit«, rief Fidelma über die Schulter zurück.
Cass folgte ihr mit einer Miene, die deutlich verriet, daß er ebenso ratlos war wie der Abt.
»Wenn du es dem Abt nicht sagen kannst, Schwester«, beschwerte er sich, als er sie eingeholt hatte, »vielleicht kannst du es mir wenigstens verraten, wo wir hinreiten?«
»Ich muß das Waisenhaus finden, in das die Kinder aus Rae na Scrine gebracht wurden«, antwortete sie. »Ich weiß, es liegt an der Küste im Osten von hier.«
»Du meinst das Waisenhaus, das Bruder Molua betreibt?«
»Kennst du es?« Sie war überrascht.
»Ich habe davon gehört«, erklärte Cass. »Ich habe mit Bruder Martan darüber gesprochen. Es sollte nicht schwer zu finden sein. Es liegt ungefähr zehn Meilen östlich von hier nahe einer Gezeitenbucht. Aber warum willst du dorthin? Was hoffst du dort zu erfahren?«
»Ach, Cass!« murmelte Fidelma, »wenn ich das wüßte, brauchte ich nicht hinzureiten!«
Cass zuckte hilflos die Achseln, folgte Fidelma aber wie immer.
Wie Cass gesagt hatte, waren es nicht mehr als zehn Meilen quer über eine breite Landzunge. Das Waisenhaus lag an den schlammigen Ufern einer weiten Gezeitenbucht, in die sich aus den nördlichen Bergen gemächlich ein Fluß ergoß. Sie durchquerten den Fluß an einer schmalen Furt und näherten sich einer Art Bauernhof, der von einem Holzzaun umgeben war. Ein breitschultriger Mann trat ihnen am Tor entgegen. Er trug die Kleidung eines Waldarbeiters, doch Fidelma bemerkte das Kruzifix, das an seinem muskulösen Hals hing.
»Bene vobis, meine Freunde«, rief er ihnen zu, als sie ihre Pferde zügelten. Er hatte eine laute gutmütige Baritonstimme, die zu seinem fröhlichen Gesicht paßte.
»Und dir Gesundheit«, erwiderte Fidelma. »Bist du Bruder Molua?«
»Eigentlich heiße ich Lugaid nach Lugaid Loigde, dem Ahnherrn der Corco Loigde. Aber das ist ein so berühmter Name, Schwester, und deshalb ziehe ich seine bescheidenere Verkleinerungsform vor. Molua paßt besser zu mir. Womit kann ich euch dienen?«
Fidelma glitt von ihrem Pferd und stellte sich und Cass vor.
»Solche hochstehenden Besucher haben wir nicht oft«, sagte der große Mann. »Eine Anwältin bei Gericht und ein Krieger aus der Elite des Königs von Cashel. Kommt, ich bringe eure Pferde in den Stall, und dann gestattet ihr mir vielleicht, euch die Gastfreundschaft meines Hauses anzubieten?«
Fidelma hatte nichts dagegen. Sie betrachtete den Bauernhof mit Interesse. Mehrere Kinder spielten in der Nähe eines kleinen Bethauses. Eine ältere Nonne saß unter einem Baum mit einem halben Dutzend Kinder um sich herum. Sie spielte auf einer kleinen hölzernen Rohrflöte, einer cuisech, und sie spielte gut, fand Fidelma. Sie schien den Kindern verschiedene Lieder beizubringen.
Bruder Molua kam zurück.
»Dies ist ein friedlicher Ort, Bruder«, bemerkte Fidelma beifällig.
»Ich bin zufrieden hier, Schwester«, stimmte ihr Molua lächelnd zu. »Kommt mit. Aibnat!«
Eine schlichte Frau mit rundem Gesicht trat in die Tür eines der Häuser. Sie hatte ähnlich offene, gutmütige Züge wie Molua.
»Aibnat, wir haben Gäste. Dies ist meine Frau, Aibnat.«
»Ich habe gehört, daß ihr beide aus Ros Ailithir kommt«, begrüßte sie die Frau. »Untersucht ihr nicht den Tod von Dacan?«
Fidelma nickte bejahend.
»Zum Reden ist noch genug Zeit, wenn unsere Gäste gegessen haben, Aibnat«, tadelte sie Molua und geleitete sie alle ins Haus. Sie betraten einen Raum, in dem ein Herd mollige Wärme verbreitete. Auf dem Herd standen Kessel, aus denen es herrlich duftete. Molua lud sie ein, am Tisch Platz zu nehmen, und holte einen Krug und mehrere Tonbecher.
»Darf ich euch etwas von meinem cuirm anbieten, um die Kälte abzuwehren? Ich destilliere ihn selbst«, fügte er stolz hinzu.
Cass stimmte bereitwillig zu, während sich Fidelma in der Küche umsah.
»Für wie viele Leute kocht ihr hier?« fragte sie beim Anblick der vielen Töpfe.
Die Antwort kam von Aibnat.
»Im Augenblick haben wir hier zwanzig Kinder unter vierzehn Jahren, Schwester. Und wir sind vier Erwachsene, die für sie sorgen. Mein Mann, ich selbst und zwei andere Glaubensschwestern.«
Molua schenkte ein, und sie tranken den scharfen, doch angenehm schmeckenden Schnaps mit Genuß.
»Wie lange gibt es dieses Waisenhaus schon?« fragte Cass.
»Seit vor zwei Jahren die Gelbe Pest zum erstenmal ihre Opfer forderte. In manchen Gemeinden wurden ganze Familien ausgelöscht, und niemand war mehr da, der sich um die übriggebliebenen Kinder kümmerte«, erklärte Aibnat. »Damals erbat mein Mann von Abt Brocc in Ros Ailithir die Erlaubnis, seinen kleinen Bauernhof in eine Zufluchtsstätte für die Waisen umzuwandeln.«
»Ihr habt anscheinend großen Erfolg damit«, lobte Fidelma.
»Möchtet ihr nun essen nach der Reise?« lud sie Molua ein.
»Wir haben wirklich Hunger«, gab Cass zu, denn sie hatten seit dem Morgen nichts gegessen.
»Aber es sind noch mehrere Stunden bis zum Abendessen«, wandte Fidelma ein und warf Cass einen tadelnden Blick zu.
»Das macht doch nichts«, lächelte Aibnat. »Ein Teller mit kaltem Dachsfleisch oder ... Mir fällt ein, ich habe da noch einen Fleischpudding, Hammelfleisch mit Vogelbeeren und wildem Knoblauch gekocht, dazu Kohl und Zwiebeln und Gerstenbrot und danach einen Teller Schlehen mit Honig zum Abschluß. Was meint ihr dazu?«
»Meine Frau genießt den Ruf, die beste Köchin der Corco Loigde zu sein«, sagte Molua.
»Ein wohlverdienter Ruf, nach der Zusammenstellung des Essens zu urteilen«, bemerkte Cass.
Aibnat errötete vor Freude.
»Wir halten hier Bienen, gewinnen den Honig also selbst.«
»Ich habe schon gesehen, daß ihr hier reichlich mit Bienenwachskerzen versehen seid«, sagte Fidelma. In vielen ärmeren Haushalten wurden Kerzen gewöhnlich aus Fleischfett oder geschmolzenem Talg hergestellt, mit einer entrindeten Binse als Docht.
»Während Aibnat nun das Essen zubereitet«, meinte Molua, setzte sich und füllte ihre Becher aus dem Krug nach, »könnt ihr mir erzählen, warum ihr mein bescheidenes Haus mit eurer Anwesenheit beehrt.«
»Vor einer Woche brachte Aibnat drei Kinder hierher.«
»Ja. Zwei kleine Mädchen, nicht älter als neun Jahre, und einen Jungen von ungefähr acht Jahren«, bestätigte Molua.
»Es waren die Kinder, die aus Rae na Scrine gerettet wurden«, fügte Aibnat hinzu. »Hattet ihr nicht auch etwas damit zu tun?«
Cass lächelte grimmig.
»Allerdings. Wir waren es, die sie gerettet haben.«
»Wir haben von diesem schrecklichen Verbrechen gehört«, sagte Molua. »Es ist nicht zu verstehen, daß Menschen in Zeiten der Not so grausam zu ihren Nachbarn sein können. Eine solche Ungerechtigkeit verurteilt doch jeder.«
Fidelma konnte es sich nicht verkneifen, ihren Spott anzubringen.
»Es war Plato, der schrieb, daß die Menschheit stets die Ungerechtigkeit tadelt, doch nur aus Furcht, selbst ihr Opfer zu werden, und nicht, weil sie sich scheut, sie zu begehen.«
Moluas Gesicht wurde traurig.
»Das kann ich nicht glauben, Schwester. Ich glaube nicht, daß der Mensch absichtlich darauf aus ist, eine Ungerechtigkeit zu begehen. Er tut es immer nur, weil er verblendet wird durch ein verzerrtes Bild einer angenommenen Moral oder einer gerechten Sache.«
»Welche Moral oder gerechte Sache hat deiner Meinung nach zu dem Morden in Rae na Scrine geführt?« wollte Cass wissen.
Molua zuckte die Achseln.
»Ich bin nur ein einfacher Bauer. Wenn ich ein Feld umpflüge, dann zerstöre ich Leben. Ich zerstöre die Gräser und Kräuter auf diesem Feld. Ich zerstöre den natürlichen Lebensraum von Wühlmäusen, Hamstern und anderen Tieren. Für sie ist das eine Ungerechtigkeit. Für mich ist es eine gerechte Sache, denn das Pflügen dient der Ernährung des Menschen.«
»Tiere!« murmelte Cass. »Wer schert sich um Gerechtigkeit für Tiere?«
»Sind sie nicht auch Gottes Geschöpfe?« fragte Molua gekränkt.
»Ich verstehe, worauf du hinauswillst, Molua«, mischte sich Fidelma ein. »In der Theorie stimmen wir zweifellos überein. Es gab einen Grund für die Tat in Rae na Scrine, doch wenn der Grund auch gerechtfertigt sein mag, die Tat ist es nicht und kann es nicht sein.«
Molua neigte den Kopf.
»Das akzeptiere ich.«
»Nun gut. Es waren noch zwei Jungen mit Namen Cetach und Cosrach, die auch aus Rae na Scrine kamen und in dieses Waisenhaus gebracht werden sollten. Doch sie sind verschwunden. Einer war etwa zehn Jahre, der andere älter, vielleicht fünfzehn. Sie hatten schwarzes Haar.«
Aibnat und Molua blickten sich an und schüttelten beide beinahe gleichzeitig den Kopf.
»Hier sind keine Kinder aufgetaucht, auf die diese Beschreibung passen würde.«
»Das habe ich auch nicht erwartet. Aber vielleicht dürfte ich den anderen Kindern ein paar Fragen stellen?« bat Fidelma. »Sie wissen möglicherweise mehr über die beiden Jungen.«
»Ich möchte nicht, daß die Kinder in Aufregung geraten«, wandte Aibnat ein. »Die Erinnerung an das schreckliche Ereignis könnte sie verstören.«
»Ich würde sie nicht behelligen, wenn es nicht wichtig wäre«, versuchte Fidelma sie zu beruhigen. »Ich kann nicht dafür bürgen, daß sie sich nicht aufregen. Dennoch muß ich darauf bestehen.«
Molua nickte langsam.
»Sie hat das Recht dazu«, erklärte er seiner Frau. »Sie ist eine dalaigh bei Gericht.«
Aibnat schien das nicht zu überzeugen.
»Dann laß mich dabei sein, wenn du ihnen deine Fragen stellst, Schwester.«
»Natürlich«, stimmte Fidelma bereitwillig zu. »Gehen wir und sprechen wir mit ihnen, nur wir beide. Das wird sie nicht verschüchtern.«
»In Ordnung«, sagte Aibnat und sah Molua an. »Du kannst inzwischen das Essen für unsere Gäste bereiten«, wies sie ihn an.
Aibnat ging mit Fidelma zum Bethaus. Auf ihren Ruf hin lösten sich zwei kleine Mädchen und ein bok-kig wirkender kleiner Junge widerwillig aus der Menge der spielenden und lärmenden Kinder. Fidelma erkannte in ihnen kaum die verschreckten Kleinen wieder, die sie in den Ruinen von Rae na Scrine gefunden hatte. Sie drängten sich um Aibnat, und diese führte sie zu einem abgeschiedeneren Teil des Geländes, wo ein gefällter Baum genügend Platz zum Sitzen bot. Daneben rauschte ein kleiner Bach, der durch die Ansiedlung lief und in den größeren Fluß in der Bucht mündete.
»Setzt euch, Kinder«, sagte Aibnat, während sie und Fidelma sich auf dem Stamm niederließen.
Der Junge blieb stehen und trat trotzig mit dem Fuß gegen den Stamm. Fidelma sah, daß er ein kleines hölzernes Spielzeugschwert am Gürtel trug. Die beiden Mädchen setzten sich sofort im Schneidersitz auf die Erde und blickten erwartungsvoll zu ihnen auf.
»Kennt ihr diese Dame?« fragte Aibnat.
»Ja, es ist die Dame, die uns weggeführt hat, damit uns die bösen Männer nicht finden«, erklärte eins der kleinen Mädchen ernsthaft.
»Wo ist Schwester Eisten?« fiel die andere ein. »Wann besucht sie uns mal?«
»Bald.« Fidelma lächelte unsicher, nachdem Aibnat ihr einen warnenden Blick zugeworfen und leicht den Kopf geschüttelt hatte. Die Kinder hatten offensichtlich nicht erfahren, was mit Eisten geschehen war. »Nun möchte ich euch ein paar Fragen stellen. Bitte denkt gründlich nach, bevor ihr sie beantwortet. Wollt ihr das tun?«
Die beiden Mädchen nickten feierlich, doch der Junge schwieg, sah mit finsterer Miene den Baumstamm an und mied Fidelmas Blick.
»Erinnert ihr euch an die beiden anderen Jungen, die bei euch waren, als ich euch fand?«
»Ich erinnere mich an das Baby«, sagte eins der kleinen Mädchen. Fidelma fiel ein, daß es Cera hieß. »Es schlief ein, und niemand konnte es aufwecken.«
»Das stimmt«, sagte sie, »aber es sind die Jungen, die mich interessieren.«
»Die wollten nicht mit uns spielen. Gemeine, gehässige Jungs! Ich konnte sie nicht leiden.« Das andere kleine Mädchen, Ciar, machte ein finsteres Gesicht und saß mit verschränkten Armen da.
»Sie waren gemein, diese Jungen?« fragte Fidelma eifrig nach. »Wer waren sie?«
»Einfach so Jungs«, antwortete Ciar verdrossen. »Jungs sind alle gleich.«
Sie warf einen verächtlichen Blick auf den kleinen Jungen, der aufhörte, gegen den Stamm zu treten, und sich plötzlich hinsetzte.
»Mädels!« höhnte er zurück.
»Sag mir noch mal, wie du heißt«, ermunterte ihn Fidelma lächelnd. Sie erinnerte sich an die Namen der Mädchen, aber nicht an den des Jungen.
»Sag ich nicht!« knurrte der Junge.
Aibnat schnalzte mißbilligend mit der Zunge.
»Er heißt Tressach«, sagte sie dann.
»Tressach? Der Name bedeutet >wild und kriegerische Bist du wild und kriegerisch?« fragte Fidelma.
Der Junge schwieg.
Fidelma rang sich ein noch breiteres Lächeln ab.
»Ach«, sagte sie mit leichtem Spott, »vielleicht habe ich deinen Namen falsch verstanden. War es Tressach oder Tassach? Denn Tassach bedeutet faul und träge, einer, der nicht mal reden will. Tassach hört sich eher nach dir an, nicht wahr?«
Der Junge errötete vor Ärger.
»Mein Name ist Tressach!« knurrte er. »Ich bin wild und kriegerisch. Sieh mal, ich hab schon mein Kriegerschwert.«
Er zog das geschnitzte Holzschwert aus dem Gürtel und hielt es ihr hin.
»Das ist wirklich eine furchtbare Waffe«, meinte Fidelma und bemühte sich, ernst zu bleiben, obwohl ihre Augen vor Vergnügen funkelten. »Und wenn du ein echter Krieger bist, dann weißt du auch, daß Krieger einem Ehrenkodex gehorchen müssen. Weißt du das?«
Der Knabe starrte sie unsicher an und schob das Schwert wieder in den Gürtel.
»Was für einen Kodex?« fragte er mißtrauisch.
»Du bist doch ein Krieger, nicht wahr?« lockte ihn Fidelma.
Der Junge nickte nachdrücklich.
»Ein Krieger muß schwören, immer die Wahrheit zu sagen. Er muß bereit sein zu helfen. Wenn ich dich nun nach den Jungen Cetach und Cosrach frage, dann mußt du mir alles sagen, was du weißt. Du wurdest bestimmt Tressach genannt, weil du ein Krieger bist und dem Ehrenkodex gehorchst.«
Der Junge dachte anscheinend darüber nach. Schließlich lächelte er Fidelma an.
»Na gut.«
Sie seufzte erleichtert.
»Kanntest du Cetach und Cosrach gut?«
Tressach schnitt ein Gesicht.
»Sie wollten mit keinem von uns spielen.«
»Mit keinem?« fragte Fidelma stirnrunzelnd.
»Mit keinem der Kinder aus dem Dorf«, ergänzte Ciar. »Jungs!«
Tressach wollte zornig auf sie losgehen, doch Fidelma unterbrach ihn.
»Stammten sie denn nicht aus dem Dorf?«
Tressach schüttelte den Kopf.
»Sie kamen erst vor ein paar Wochen in unser Dorf und wohnten bei Schwester Eisten.«
»Waren sie Waisen?« fragte Fidelma weiter.
Der Junge sah sie verständnislos an.
»Hatten sie eine Mutter oder einen Vater?« wandelte Fidelma die Frage ab.
»Ich glaube, sie hatten einen Vater«, warf das kleine Mädchen namens Cera ein.
»Wieso, mein Schatz?« erkundigte sich Fidelma.
»Sie meint den ganz alten Mann, der ab und zu ins Dorf kam und sie besuchte«, erklärte der Junge.
»Ein alter Mann?«
»Ja. Der alte Mann, der die gemeinen Jungs überhaupt erst in Schwester Eistens Haus brachte.«
Fidelma beugte sich vor.
»Wann war das?«
»Ach, vor Wochen.«
»Wie sah er aus?«
»Er hatte ein Kreuz am Hals, so wie du eins trägst.« Cera warf Tressach einen triumphierenden Blick zu.
Der Junge schnitt ihr eine ärgerliche Grimasse.
»Wer war es?« Fidelma erwartete eigentlich nicht, daß die Kinder das wußten.
»Er war ein großer Gelehrter aus Ros Ailithir«, verkündete Tressach mit selbstbewußter Miene.
Fidelma staunte.
»Woher weißt du das?« fragte sie.
»Weil Cosrach mir das erzählt hat, als ich ihn danach fragte. Dann kam sein Bruder dazu und sagte zu mir, ich sollte den Mund halten und verschwinden, und wenn ich jemand was von seinem aite erzählte, dann würde er mich verhauen.«
»Sein aite? Das Wort hat er gebraucht?«
»Ich hab’s mir nicht ausgedacht!« schniefte der Junge beleidigt.
Aite war eigentlich eine vertraute Anrede an einen Vater. Doch da schon seit Jahrhunderten Kinder in den fünf Königreichen von Eireann zur Erziehung zu Pflegeeltern gebracht wurden, hatte man die vertrauten Bezeichnungen für Vater und Mutter oft auch auf die Pflegeeltern übertragen, so daß die Pflegemutter mit muimme und der Pflegevater mit aite angeredet wurden.
»Nein, natürlich hast du dir das nicht ausgedacht«, versicherte ihm Fidelma. »Ich glaube es dir. Und wie würdest du diesen Mann beschreiben?«
»Er sah nett aus«, schaltete sich Ciar ein. »Er hätte uns nicht gehauen. Er lächelte immer jeden an.«
»Er sah wie ein alter Zauberer aus!« verkündete Tressach, um nicht übertroffen zu werden.
»Sah er nicht! Er war ein lustiger alter Mann«, fiel Cera ein, die offensichtlich nicht länger vom Gespräch ausgeschlossen bleiben wollte, als es sich gehörte. »Er erzählte uns von Kräutern und Blumen und wozu sie gut sind.«
»Und dieser lustige alte Mann besuchte Cetach und Cosrach oft?«
»Ein paarmal. Er besuchte Schwester Eisten«, verbesserte Ciar. »Und mir hat er was über Kräuter erzählt«, fügte sie hinzu. »Er erzählte mir von, von .«
»Er hat es uns allen erzählt«, erwiderte Tressach verächtlich. »Und die Jungs wohnten in Schwester Ei-stens Haus, also besuchte er sie genauso wie Schwester Eisten! Bäh!«
Er streckte dem Mädchen die Zunge raus.
»Jungs!« höhnte Ciar. »Jedenfalls brachte er manchmal noch eine Schwester mit. Aber die war komisch. Sie war keine richtige Schwester!«
»Mädels sind so dumm!« sagte der Junge verächtlich. »Sie war wie eine Schwester angezogen.«
Aibnat blickte Fidelma an. Sie war sichtlich der Meinung, daß es nun genug war.
Fidelma hob die Hand, um den Streit zu beenden.
»Nun ist es gut. Nur noch eine Frage ... Seid ihr sicher, daß der Mann aus Ros Ailithir kam?«
Tressach nickte heftig.
»Das hat mir Cosrach gesagt, als sein Bruder drohte, mich zu verhauen.«
»Und diese Schwester, die mit ihm kam? Könnt ihr sie beschreiben? Wie sah sie aus?«
Der Junge zuckte gleichgültig die Achseln.
»Eben wie eine Schwester.«
Die Kinder schienen nun das Interesse zu verlieren und huschten davon zu der Schwester, die auf der Rohrflöte spielte.
Tief in Gedanken ging Fidelma mit Aibnat zurück zum Haus, wo Molua inzwischen den Tisch gedeckt hatte. Aibnat schien völlig verwirrt von dem Gespräch, stellte Fidelma aber keine Fragen. Der war das Schweigen willkommen, denn sie wollte über das Gehörte nachdenken. Als sie eintraten, blickte Cass auf und sah Fidelmas ratlose Miene.
»Hast du herausbekommen, was du wolltest?« fragte er heiter.
»Ich weiß nicht genau, was ich herausfinden wollte«, antwortete sie. »Aber ich habe wieder etwas dazugelernt. Im Augenblick ergibt es allerdings noch keinen Sinn. Überhaupt keinen.«
Die Mahlzeit, die Aibnat und Molua für sie bereitet hatten, war durchaus mit den Festessen zu vergleichen, an denen Fidelma in manchem Bankettsaal von Königen teilgenommen hatte. Sie mußte sich zwingen, nur mäßig zuzugreifen, denn sie dachte an den zehn Meilen langen Ritt zurück nach Ros Ailithir, der mit einem vollen Magen dem Körper nicht guttäte. Cass hingegen genoß das Mahl in vollen Zügen und trank noch mehr von dem kräftigen cuirm.
Aibnat bediente sie schweigend, während Molua sich entschuldigte, er habe noch etwas zu erledigen.
Als Molua ihre Pferde herausführte, stellten sie fest, daß er sie getränkt, gefüttert und gestriegelt hatte.
Fidelma bedankte sich vielmals bei Aibnat und Mo-lua für ihre Gastfreundschaft und schwang sich in den Sattel.
Sie segnete ihre Gastgeber, dann machten sie sich mit Cass auf den Rückweg nach Ros Ailithir.
»Was hast du erfahren, Fidelma?« fragte Cass, als sie den Fluß an der Furt durchquert hatten und die bewaldeten Hügel hinaufritten, die die breite Landzunge krönten.
»Ich habe herausbekommen, Cass, daß Cetach und Cosrach erst vor ein paar Wochen nach Rae na Scrine gebracht wurden und bei Schwester Eisten wohnten. Sie sind die Söhne Illans.«
»Aber der Mönch in Sceilig Mhichil sagte doch, daß Illans Söhne kupferrotes Haar hätten wie die beiden Mädchen.«
»Haare kann man färben«, bemerkte Fidelma. »Außerdem wurden sie mehrmals von jemandem aus Ros Ailithir besucht. Cosrach rühmte sich Tressach gegenüber, daß der Mann ein Gelehrter sei. Cetach und Cosrach redeten ihn mit aite an!«
Cass sah sie verblüfft an.
»Wenn dieser Mann ihr Vater war, dann können sie doch nicht die Söhne Illans sein. Illan kam vor einem Jahr ums Leben.«
»Aite kann auch Pflegevater bedeuten«, erklärte ihm Fidelma.
»Vielleicht«, gab Cass widerstrebend zu. »Aber was heißt das und wie fügt es sich in das Rätsel der beiden Morde ein?«
»Wenn ich das wüßte«, seufzte Fidelma. »Der Mann wurde gelegentlich von einer Schwester begleitet. Es gibt hier einen Weg, der zu Intat führt! Und wir wissen, daß Intat Salbachs Werkzeug ist. Alles bildet einen Kreis; wenn wir nur wüßten, wie wir hineingelangen.«
Sie verfielen in nachdenkliches Schweigen.
Sie waren noch keine zwei Meilen geritten und überquerten gerade die Hügelkuppe, als Cass über die Schulter zurückblickte und einen Ruf der Überraschung ausstieß.
»Was ist?« fragte Fidelma, drehte sich im Sattel um und folgte seinem Blick.
Cass brauchte nicht zu antworten.
Eine riesige schwarze Rauchsäule stieg in den blaßblauen kalten Herbsthimmel hinter ihnen auf.
»Das ist doch die Richtung von Moluas Hof, nicht wahr?« fragte Fidelma mit klopfendem Herzen.
Cass hob sich in den Steigbügeln, ergriff einen überhängenden Ast und kletterte mit einer Geschicklichkeit in den Wipfel des Baumes, die Fidelma überraschte.
»Was siehst du?« rief sie und spähte in das gefährlich schwankende Astwerk.
»Es ist Moluas Hof. Er scheint in Flammen zu stehen.«
Rasch kletterte Cass den Baum hinunter.
»Das verstehe ich nicht. Es ist ein großer Brand.«
Fidelma kam ein schrecklicher Gedanke.
»Wir müssen zurück!« rief sie und wendete ihr Pferd.
»Aber wir müssen vorsichtig sein«, entgegnete Cass. »Rae na Scrine sollte uns eine Warnung sein.«
»Genau so etwas befürchte ich!« rief Fidelma und jagte bereits auf die Rauchsäule zu. Cass mußte sein Pferd zu vollem Galopp antreiben, um mit ihr mitzuhalten. Er wußte zwar, daß Fidelma zu den Eoganacht gehörte und daß sein jetziger König Colgü ihr Bruder war, doch überraschte es ihn immer wieder, daß eine Nonne so gut reiten konnte. Man hatte den Eindruck, sie wäre im Sattel geboren; sie bildete mit ihrem Pferd eine Einheit. Geschickt lenkte sie es und preschte den Weg entlang, den sie gerade erst zurückgelegt hatten.
Kurz darauf erreichten sie den Kamm des Hügels und sahen die weite Bucht ausgebreitet vor sich liegen.
»Halt!« schrie Cass. »Schnell hinter die Bäume dort!«
Er war dankbar, daß Fidelma ausnahmsweise seinem Befehl sofort und ohne Widerrede gehorchte.
Sie hielten in der Deckung eines Espenwäldchens mit gelben Blättern und dichtem Unterholz.
»Was hast du gesehen?« fragte Fidelma.
Cass zeigte einfach ins Tal hinunter.
Sie erkannte einen Trupp bewaffneter Reiter, die den Holzzaun durchbrachen, der das kleine Anwesen von Molua und Aibnat umgab. Ein vierschrötiger Mann hielt auf seinem Pferd vor den brennenden Gebäuden, als beaufsichtige er das Tun seiner Männer. Es waren etwa ein Dutzend. Sie führten ihr schauriges Geschäft zu Ende und ritten dann durch die Bäume am jenseitigen Ufer des Flusses davon. Der vierschrötige Reiter, offensichtlich ihr Anführer, warf noch einen abschließenden Blick auf die Brandstelle und galoppierte ihnen nach.
Fidelma brach plötzlich in einen Schrei ohnmächtiger Wut aus. Sie hatte gehört, wie Salbach, als er von der Holzfällerhütte fortritt, sagte: »Ich glaube, ich weiß, wo sie sich verstecken . Ich gebe dir meine Anweisungen für Intat.« Sie hatte es gehört und nicht verstanden. Sie hätte es begreifen müssen. Sie hätte verhindern können . Etwas in ihrem zornerfüllten Gemüt sagte ihr, daß dies der zweite schwere Fehler war, den sie begangen hatte.
»Wir müssen dort hinunter!« rief Fidelma wütend. »Sie könnten verletzt sein.«
»Warte noch«, fuhr Cass dazwischen. »Warte, bis die Mörder fort sind.«
Sein Gesicht war grau geworden, sein Kinn schob sich vor, seine Muskeln spannten sich. Er wußte schon, was sie vorfinden würden in dem Inferno, das einst ein blühender Bauernhof gewesen war.
Fidelma trieb jedoch bereits ihr Pferd aus der Dek-kung und preschte den Hügel hinunter.
Cass schrie ihr etwas nach, erkannte aber, daß sie nicht auf ihn hören würde trotz der Gefahr, die von den Angreifern drohen könnte. Er zog sein Schwert und jagte ihr hinterher.
Fidelma galoppierte den Hügel hinab und durch die Furt, daß es nur so spritzte, und brachte ihr Pferd erst vor den Gebäuden zum Stehen.
Sie sprang aus dem Sattel, hielt sich den Arm vors Gesicht zum Schutz gegen die Hitze und lief auf die brennenden Gebäude zu.
Die ersten Leichen, die sie sah, waren die von Aibnat und Molua. Ein Pfeil hatte Aibnat die Brust durchbohrt, und Moluas Kopf war von einem Schwerthieb fast vom Körper getrennt worden. Ihnen war nicht mehr zu helfen.
Dicht daneben erblickte sie die erste Kinderleiche. Cass war inzwischen ebenfalls herangeritten und vom Pferd gestiegen. Er hielt sein Schwert gezogen in der Hand und sah sich aufmerksam um, in seinen Augen spiegelte sich der Schrecken.
Eine der beiden Nonnen, die Schwester Aibnat bei der Betreuung der Kinder geholfen hatten, war gegen die Tür des Bethauses gesunken. Fidelma sah mit Entsetzen, daß sie von einer Lanze gehalten wurde, die man ihr durch den Leib gerannt hatte und die sie an der Holztür festnagelte. Ihr zu Füßen lagen ein halbes Dutzend kleine Leichen, ein paar Kinderhände waren noch in ihren Rock gekrallt. Die Kinder waren entweder erstochen worden, oder man hatte ihnen die kleinen Köpfe eingeschlagen.
Fidelma kämpfte gegen den überwältigenden Drang, sich zu übergeben. Sie wandte sich ab, konnte aber die Galle nicht mehr zurückhalten, die ihr in die Kehle stieg.
»Tut ... tut mir leid«, murmelte sie, als sie Cass’ tröstenden Arm auf der Schulter spürte.
Er sagte nichts. Es gab nichts dazu zu sagen.
Fidelma hatte schon oft in ihrem Leben gewaltsam Getötete gesehen, aber noch nichts so Schreckliches, so Erschütterndes wie die Leichen dieser kleinen Kinder, die sie noch vor wenigen Augenblicken so fröhlich und glücklich hatte zusammen singen und spielen sehen.
Sie bemühte sich, ihren Ekel zu unterdrücken, sich zusammenzunehmen und weiter zu suchen.
Die Leiche der anderen Glaubensschwester, die Flöte gespielt hatte, befand sich unter dem Baum, unter dem Fidelma sie sitzen gesehen hatte; die Flöte war zerbrochen und lag nahe ihrer ausgestreckten leblosen Hand, anscheinend vom Fuß eines irrsinnigen Mörders zertreten. Weitere Kinderleichen umgaben sie.
Die Gebäude brannten jetzt lichterloh.
»Cass.« Fidelma konnte nur mit Mühe reden. »Cass, wir müssen die Leichen zählen. Ich möchte wissen, ob alle Kinder aus Rae na Scrine darunter sind ... ob jeder aufzufinden ist.«
Cass nickte.
»Der kleine Junge ist dabei«, sagte er leise. »Er liegt da drüben. Ich schaue nach den Mädchen.«
Fidelma ging zu der Stelle, auf die Cass gezeigt hatte, und fand die entstellte Leiche Tressachs. Sein Kopf war von einem Hieb gespalten. Doch er lag da wie schlafend, einen Arm locker ausgestreckt, die andere Hand umklammerte fest sein Holzschwert.
»Armer kleiner Krieger«, flüsterte Fidelma, kniete nieder und streichelte das blonde Haar des Kindes.
Nach einer Weile kam Cass zurück. Er blickte noch finsterer drein als zuvor. Das sagte genug.
»Wo sind sie?« fragte Fidelma.
Cass wies mit dem Daumen nach hinten.
Fidelma erhob sich und ging um das Bethaus herum. Die beiden Mädchen mit dem kupferroten Haar, Cera und Ciar, hielten sich umschlungen, als wollten sie sich gegenseitig vor dem grausamen Schicksal schützen, das mitleidslos ihre Schädel zertrümmert hatte.
Mit bleichem Gesicht stand Fidelma da und starrte auf den einst so idyllischen Bauernhof, den Aibnat und Molua in ein Waisenhaus umgewandelt hatten.
Tränen füllten ihre Augen und liefen ihr über die Wangen.
»Zwanzig Kinder, drei Nonnen, einschließlich Schwester Aibnat, und Bruder Molua«, berichtete Cass. »Alle tot. Das ist so sinnlos!«
»Es ist das Böse«, erklärte Fidelma. »Aber auch dahinter werden wir irgendeinen pervertierten Sinn entdecken.«
»Wir sollten nach Ros Ailithir zurückkehren, Fidelma.« Cass machte sich sichtlich Sorgen. »Wir können hier nicht bleiben, möglicherweise taucht diese Barbarenhorde noch einmal auf.«
Fidelma wußte, daß er recht hatte, doch sie konnte es sich nicht versagen, die Leiche des kleinen Tressach neben die Kapelle zu schaffen, so daß er mit den beiden kleinen Mädchen aus Rae na Scrine zusammen lag. Dann sprach sie ein Gebet über sie, und danach wandte sie sich um und sprach ein Gebet über alle, die auf Moluas Bauernhof den Tod gefunden hatten.
Am Tor hielt sie noch einmal an und blickte auf Moluas Leiche. »Gab es einen gerechtfertigten Grund für ihr Tun in den Köpfen der Leute, die diese Untat verübt haben?« flüsterte sie. »Armer Molua. Wir werden nie wieder miteinander philosophieren können. Wart ihr bloß Tiere, die von der schrecklichen Pflugschar vom Feld vertrieben wurden um irgendeiner geheimnisvollen höheren Absicht willen?«
»Fidelma!« In Cass’ Stimme schwang Angst mit, Angst um ihre Sicherheit. »Wir müssen hier weg!«
Sie bestiegen ihre Pferde und entfernten sich von der Stätte des Todes.
»Ich kann einfach nicht glauben, daß es solche barbarischen Menschen in diesem Lande gibt«, sagte Cass, als sie auf dem Kamm des Hügels anhielten und auf den brennenden Hof zurückschauten.
»Ja, wirklich barbarisch!« Fidelmas Stimme war wie eine Peitsche. »Ich sage dir, Cass, hier ist eine böse Macht am Werk, und ich schwöre bei den kleinen Leichnamen da unten, daß ich nicht ruhen werde, bis ich sie unschädlich gemacht habe.«
Cass erschauerte bei der Heftigkeit ihrer Worte.