177535.fb2 Tod in der K?nigsburg - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 23

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Kapitel 21

Gehorsam folgte Eadulf Fidelma in die Nacht hinaus. Sie verließen die düsteren Mauern des Palasts durch eine kleine Seitentür, um den neugierigen Blicken der Wachen am Haupttor zu entgehen. Die Dunkelheit hatte sich wie ein Leichentuch über die Stadt gebreitet. Niedrig ziehende Wolken verhüllten den Mond.

Immerhin schaffte es der helle Mond, ab und zu durch Wolkenlücken zu brechen und das Land für Augenblicke in ein Licht zu tauchen, das fast taghell erschien. Außer den Lichtern, die aus den Gebäuden schimmerten, ließ auch beißender Rauch aus zahlreichen Schornsteinen erkennen, daß die Menschen sich bemühten, die Herbstkälte zu vertreiben. In der Stadt gab es nur wenig Bewegung. Die meisten Besucher, die sich noch vor wenigen Stunden in den Straßen drängten, hatten sich in die Gasthäuser und Herbergen zurückgezogen, aus denen gedämpfter Lärm zu vernehmen war. Gelegentlich bellte ein Hund, und ein paarmal kreischten Katzen, die sich um ein Revier balgten.

Fidelma und Eadulf erreichten den Marktplatz, ohne daß sie irgend jemand bemerkt hätte.

»Das ist Samradans Lagerhaus«, erklärte Fidelma überflüssigerweise, denn Eadulf hatte die Ereignisse bei dem Attentatsversuch noch gut in Erinnerung. Das Lagerhaus stand dunkel und verlassen da.

Rasch überquerten sie den Platz, und Fidelma ging sofort zur Seitentür des Gebäudes. Sie war verschlossen.

»Ist sie von innen verriegelt?« fragte Eadulf, als Fi-delma vergeblich daran rüttelte.

»Nein. Ich glaube, sie ist nur abgeschlossen.«

Sie benutzte das Wort glas. Irische Schlosser waren sehr geschickt in der Herstellung von Schlössern, Schlüsseln und sogar Türketten zur Sicherung von Gebäuden und Zimmern. Manche Schlösser waren sehr kompliziert. Doch als Student in Tuaim Brecain hatte Eadulf auch die Kunst gelernt, ein Schloß durch Einführen eines Metallstifts in das poll-eochrach oder Schlüsselloch zu öffnen. Er langte in seine Tasche, holte ein kurzes Stück Draht hervor, das er immer bei sich trug, und grinste im Dunkeln.

»Dann tritt mal beiseite. Du brauchst einen Experten«, verkündete er und machte sich an dem Schloß zu schaffen.

Er benötigte länger als erwartet und spürte Fidel-mas wachsende Ungeduld. Er wünschte schon, er wäre nicht so zuversichtlich gewesen, doch dann vernahm er das verräterische Klicken, das ihm seinen Erfolg anzeigte.

Er faßte den Griff, und die Tür ging nach innen auf.

Wortlos trat Fidelma ein. Er folgte ihr und schloß die Tür sorgfältig hinter ihnen.

Im Lagerhaus war es dunkel, sie sahen nichts.

»Ich habe Feuerstein, Zunder und ein Stück Kerze bei mir«, flüsterte Eadulf.

»Wir dürfen kein Licht machen, damit man uns nicht von draußen sieht«, erwiderte Fidelma. »Warte einen Moment, bis sich unsere Augen an das Dunkel gewöhnen.«

Da brach der Mond wieder durch die Wolken, und sein Licht fiel durch die Fenster des Lagerhauses. Es war ein einfaches Gebäude. Es hatte kein oberes Stockwerk, nur das flache Dach, auf dem sich die Attentäter postiert hatten. An der Rückseite waren Stoffballen aufgestapelt, und es gab Boxen, in denen Samradan offenbar seine Zugpferde einstellte. Den meisten Raum nahmen zwei schwere Wagen ein, die Fidelma und Eadulf zuletzt im Hof von Aonas Gasthaus gesehen hatten.

Die Planen der Wagen waren zurückgeschlagen, und sie konnte erkennen, daß nur noch die Werkzeuge auf ihnen lagen.

»Samradan hat anscheinend die Säcke mit dem Silber und dem Erz mitgenommen«, murmelte Fidelma und schaute sich um. Dann stöhnte sie auf.

»Bist du krank?« fragte Eadulf erschrocken.

»Krank vor Dummheit«, seufzte Fidelma. »Warum bin ich nicht früher darauf gekommen: Erz muß in einer Schmiede erhitzt und das Silber ausgeschmolzen werden.«

»Natürlich.«

»Als ich gestern abend den Wagen durchsuchte und die Säcke fand, enthielten einige von ihnen schon Silber! Es war bereits aus dem Erz herausgeschmolzen. Samradan stand ein guter Schmied zur Verfügung, bevor er von Imleach nach Cashel aufbrach.«

»Als er Imleach verließ, muß er mit dem Erz zu einer Schmiede gefahren sein«, meinte Eadulf. »Uns hat er gesagt, er wolle nach Norden, doch damit wollte er uns irreführen.«

»So sieht es aus. Aber warum hat der Schmied nicht das ganze Erz ausgeschmolzen?«

Der Mond verschwand hinter einer Wolke, und das Lagerhaus lag wieder im Dunkeln.

Fidelma schwieg. Darüber lohnte es sich nachzudenken. Sie lächelte in der Finsternis. Sie erkannte, daß sie die Antwort schon wußte. Wieder stahl sich das Mondlicht durch die hohen Fenster und erhellte das Innere des Lagerhauses.

»Hast du genug gesehen?« fragte Eadulf.

»Warte noch einen Moment«, bat ihn Fidelma.

Sie wanderte im Lagerhaus umher, schaute in die Pferdeboxen. Vor den Stoffballen ließ sie sich plötzlich auf die Knie nieder und zog an etwas.

»Eadulf, komm her und hilf mir. Ich glaube, hier führt eine Klapptür in den Keller. Hilf mir mit dem Riegel.«

Eadulf kam herbei. Er sah die hölzerne Klappe mit den beiden eisernen Riegeln. Vorsichtig zog er sie zurück und hob die Klappe an. Unten war alles schwarz. Hierhin gelangte nicht einmal das blasse Mondlicht.

Er wollte etwas sagen, doch Fidelma winkte ihm zu schweigen.

Etwas bewegte sich in der Dunkelheit dort unten.

»Ist dort jemand?« rief Fidelma leise.

In der Stille hörten sie ein Rascheln, doch es kam keine Antwort.

»Wir versuchen es mit der Kerze, aber halte sie bedeckt, bis wir sehen, was sich im Keller befindet«, ordnete Fidelma an.

Eadulf suchte in seinem Lederbeutel, fand den Kerzenstummel und machte sich mit Feuerstein und Zunder zu schaffen. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis die Kerze brannte.

Er schirmte die Kerze sorgfältig mit der Hand ab und beugte sich über die Öffnung der Kellerluke.

Stufen führten hinunter in einen Raum mit Steinmauern, der nicht höher war als ein großer Mann. Er maß etwa zweieinhalb Meter im Quadrat. In einer Ecke lag ein Strohsack. Sonst gab es dort kaum etwas - nur den ihnen mit weit aufgerissenen Augen und einem Knebel im Mund entgegenstarrenden, an Händen und Füßen gefesselten Bruder Bardan.

Mit einem überraschten Ausruf stieg Eadulf die Stufen hinunter, gefolgt von Fidelma.

Eadulf hielt die Kerze, und Fidelma nahm ein Messer aus ihrem Tragebeutel, durchschnitt die Handfesseln des Mönchs und befreite ihn von dem Knebel. Während er tief Luft holte, durchtrennte sie die Fußfesseln.

»Na, Bruder Bardan, was machst du denn hier?« fragte sie ihn fast belustigt.

Bardan rang immer noch nach Luft. Er hustete und keuchte. Schließlich fand er die Stimme wieder.

»Samradan! Dieser üble ...«

Er hielt inne und sah Fidelma und Eadulf fragend an.

»Wieviel wißt ihr eigentlich?«

»Wir haben Bruder Mochta gefunden, und er hat uns von deinem Anteil an seinem ... na, Verschwinden erzählt. Ich nehme an, du warst auf dem Wege durch die Geheimgänge zu Bruder Mochta, als du auf Samradan trafst?«

Bruder Bardan nickte rasch. »Ich wollte Bruder Mochta holen und ihn zum Fürsten von Cnoc Äine bringen. Er hatte uns seinen Schutz zugesagt.«

»Also hattest du meinen Vetter Finguine davon unterrichtet, wo sich Bruder Mochta und die heiligen Reliquien befanden?«

»Nicht genau. Ich sah Finguine beim mitternächtlichen Angelus und erzählte ihm, ich wüßte, wo sich Bruder Mochta mit den heiligen Reliquien versteckt hielt und warum, weil er nämlich für ihre Sicherheit und sein eigenes Leben fürchtete.«

»Hast du erwähnt, daß er sich in einer Höhle versteckt hatte?«

»Ja, aber nicht, in welcher Höhle. Ich versprach Finguine, ich würde Bruder Mochta holen und ihn am nächsten Morgen zu ihm bringen.«

»Ich sah, wie du nachts in der Kapelle mit Finguine sprachst«, erinnerte sich Eadulf.

»Was habt ihr genau verabredet?« wollte Fidelma wissen.

»Ich stimmte zu, daß Finguine die Reliquien in seinen Schutz nehmen und Mochta nach Cashel bringen sollte.«

Das erklärte, weshalb sie Finguine und seine Männer im Wald getroffen hatte, doch warum war Solam dabei?

»Hat Finguine etwas davon gesagt, daß er Solam in das Geheimnis einweihen wollte?« fragte sie.

»Solam? Den dalaigh der Ui Fidgente? Ich habe alles getan, um ihn zu täuschen.«

»Du hast ihm vom Kruzifix erzählt.«

»Nicht mehr, als er schon wußte.«

»Hast du absichtlich vorgegeben, der abgetrennte Unterarm stamme von Bruder Mochta, um uns zu täuschen?«

»Ich wußte, daß ihr, du und Solam, nach Mochta suchtet. Mochta und ich brauchten Zeit, um zu überlegen, was wir tun sollten. Wem konnten wir trauen? Als ich das Finguine erklärte, verstand er uns.«

»Du hast Finguine also mehr vertraut als mir?«

Bruder Bardan schaute verlegen drein.

»Mach dir deshalb keine Vorwürfe, Bardan. Mochta hat mir erzählt, weshalb du nicht offen zu mir warst. Es war dumm, ist aber wohl zu begreifen. Traust du mir jetzt?«

»Samradan und seine Leute haben genug verraten, um mich zu überzeugen, daß es ein Fehler war, dir nicht zu trauen.«

»Samradan! Erzähl uns erst mal, wie du in diesen Keller geraten bist«, forderte ihn Eadulf auf.

»Um mein Versprechen Finguine gegenüber zu hal-ten, stand ich früh auf und eilte durch den Geheimgang zu Bruder Mochta. Ich wollte ihn zu dem Treffpunkt mit Finguine bringen. Als ich an die Stelle kam, von der zwei Gänge abzweigen ...«

»Die kennen wir«, unterbrach ihn Fidelma. »Erzähl weiter.«

Bruder Bardan schaute sie überrascht an. »Die kennt ihr?« Aber für Fragen war jetzt keine Zeit. »Nun, als ich dort ankam, hörte ich ein Geräusch im anderen Gang. Ich erinnere mich noch, daß ich darauf zuging, denn ich war um Mochtas Sicherheit besorgt und dachte, er wäre entdeckt worden . Dann weiß ich nichts mehr. Ich glaube, jemand schlug mich auf den Kopf und ich wurde bewußtlos. Mein Kopf tut jetzt noch weh.«

»Und was ist mit Samradan?« erkundigte sich Fi-delma.

»Als ich zu mir kam, war ich an Händen und Füßen gefesselt und hatte einen Knebel im Mund, so wie ihr mich hier gefunden habt, aber ich lag hinten auf einem Wagen unter einer Plane. Der Wagen holperte offenbar über einen Landweg. Dann hörte ich Samradans Stimme. Die kannte ich gut, denn er hatte oft in der Abtei übernachtet.«

»Weiter«, mahnte ihn Eadulf.

»Für eine Weile verlor ich wieder das Bewußtsein. Dann kam ich erneut zu mir, und schließlich hielten die Wagen. Wahrscheinlich war es Nachmittag. Die Leute aßen, und dann hörte ich, wie sie heftig auf dich und den angelsächsischen Bruder schimpften, weil ihr ihnen in die Quere gekommen wart und sie gezwungen hattet, ihre Pläne zu ändern. Dann vernahm ich etwas Seltsames.«

»Was denn?« fragte Fidelma.

»Hufschlag von Pferden, die sich der Stelle näherten, an der Samradan und seine Leute hielten. Samra-dan wurde von dem offenkundigen Anführer der Reiter mit Namen begrüßt. Dessen Stimme kannte ich nicht. Es war niemand aus Muman, der Mann sprach mit nördlichem Akzent.

Nach der Begrüßung merkte ich, wie sich jemand an der Plane zu schaffen machte. Ich lag mit geschlossenen Augen da. Jemand schüttelte mich, aber ich atmete tief und gleichmäßig und rührte mich nicht. Eine Stimme sagte: >Er ist noch bewußtlos. Wir können offen miteinander reden.< Dann wurde die Plane wieder geschlossen.«

»Worüber wurde geredet?«

»Samradan beklagte sich, daß bei dem Überfall die Schmiede zerstört worden war und er sich nun jemand anderes suchen müsse, der das Silber ausschmolz. Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte. Sein Gesprächspartner lachte nur. Er sagte, daran ließe sich nichts ändern. Samradans illegale Geschäfte gingen weder ihn noch den Comarb etwas an. Samra-dan protestierte und sagte, der rigdomna habe sie gebilligt und er habe mit dessen Einverständnis gehandelt. Der andere erwiderte, soviel er wisse, sei Samra-dan lediglich ein Bote zwischen dem rigdomna und dem Comarb.«

»Beide sprachen von einem rigdomna?« fragte Fi-delma.

»Ja. Der Mann betonte noch einmal, was Samradan tue, ginge ihn nichts an, er habe seine Befehle. Er sei nur dem Comarb Rechenschaft schuldig. Dann entfernten sie sich vom Wagen und waren außerhalb meiner Hörweite.«

»Und du bist sicher, daß sie von einem Comarb sprachen?« wollte sie wissen.

»Meinst du, ich wüßte nicht, was dieser Titel bedeutet?« antwortete Bruder Bardan. »Es gibt nur zwei Comarbs in den fünf Königreichen, den Comarb von Ailbe und den Comarb von Patrick.«

Eadulf stieß einen leisen Pfiff aus.

»Was geschah dann?« drängte Fidelma. »Hast du noch mehr erfahren?«

»Nach einer Weile hörte ich, wie die Reiter fortritten. Kurz danach wurde die Plane zurückgeschlagen. Es war Samradan, und ich hatte keine Zeit mehr, mich bewußtlos zu stellen. Er nahm mir den Knebel aus dem Mund und drohte, ihn mir wieder hineinzustek-ken, wenn ich nur ein Wort sagte. Er gab mir zu trinken und zu essen und legte dann den Knebel sofort wieder an. Zweifellos glaubte er, ich wäre gerade erst zu mir gekommen und hätte nichts von seinem Gespräch mit den Reitern gehört. Er machte die Plane wieder fest. Nach einiger Zeit ging es weiter.

Es war eine schreckliche Fahrt. Ich merkte, daß es Nacht wurde, alles war dunkel. Die Wagen hielten an. Ich schlief ab und zu. Es war ruhig und still. Gele-gentlich wachte ich auf und glaubte Stimmen zu hören. Einmal kam es mir sogar so vor, als vernehme ich deine Stimme, Schwester Fidelma.«

»Das stimmt. Der Wagen stand auf dem Hof des Gasthauses am Brunnen von Ara, dort brachtet ihr die Nacht bis zum Morgengrauen zu. Dann fuhr Samra-dan mit seinen Wagen hierher. In jener Nacht muß ich dir zum Greifen nahe gewesen sein.«

Bruder Bardan sah sie forschend an.

»Was ist geschehen?« fragte er. »Wie habt ihr mich gefunden?«

»Erzähl erst deine Geschichte weiter«, drängte ihn Fidelma.

»Nun, du hast recht. Als die Wagen schließlich hielten, standen sie in einem großen Lagerhaus. Man holte mich heraus und brachte mich in diesen Keller, und hier habe ich im Dunkeln gelegen, bis ihr mich entdeckt habt.«

Fidelma überlegte rasch. »Als erstes müssen wir dich hier herausbringen, Bruder Bardan, und an einen sicheren Ort schaffen.«

»Bin ich denn in Gefahr, Schwester?«

»Ja, und zwar in erheblicher. Hätte Samradan deine Anwesenheit gegenüber den Reitern erwähnt, mit denen er sprach, dann wärst du bereits tot. Zum Glück war den Reitern Samradans illegaler Bergbau egal. Und Samradan selbst glaubte, du wärest rein zufällig auf seine illegale Schürfstelle gestoßen. So bist du Zeuge einer Verschwörung geworden, und das bringt dich in höchste Gefahr. Wir schaffen dich zu einer Freundin, und dort mußt du bis morgen abend bleiben.«

»Wieso morgen abend?«

»Dann holen wir dich ab und schmuggeln dich in den Palast von Cashel. Ich möchte nicht, daß jemand von deiner Anwesenheit hier etwas erfährt.«

»Samradan merkt es aber, wenn ich nicht mehr hier bin.«

»Stimmt auffallend«, murmelte Eadulf.

»Daran habe ich schon gedacht. Wenn Bruder Bar-dan sicher untergebracht ist, reden wir ein Wörtchen mit Samradan.«

»Aber was ist mit Bruder Mochta und den heiligen Reliquien?« wandte Bardan ein. »Ist er bei Finguine?«

Fidelma schüttelte den Kopf und lächelte dünn. »Gegenwärtig stehst du unter dem Schutz von Cashel, und Bruder Mochta findest du dort, wo wir dich hinbringen, und die heiligen Reliquien auch.«

Sie kletterten aus dem Keller, und Eadulf schloß hinter ihnen die Klapptür und schob die Riegel vor. Dann blies er die Kerze aus. Die Wolken hatten sich anscheinend verzogen, und der Mond schien jetzt beständig. Fidelma führte sie zur Tür, und sie verließen das Lagerhaus.

Eadulf stützte Bruder Bardan, der noch Schwierigkeiten mit dem Laufen hatte, nachdem er so lange gefesselt gewesen war, und so schnell es ging, schlichen sie am Rand der Stadt entlang. Sie versuchten, der Aufmerksamkeit der Wachhunde zu entgehen, deren Bellen in einiger Entfernung zu hören war.

»Gott sei Dank, wahrscheinlich hat sich ein Wolf oder ein anderes Raubtier zu nahe an die Stadt herangewagt und lenkt sie ab«, flüsterte Fidelma, als sie kurz stehenblieben, damit Bruder Bardan ein wenig verschnaufen konnte.

Sie brauchten eine Viertelstunde, bis sie ihr Ziel, das Haus von Della, erreichten.

Fidelma klopfte leise mit dem verabredeten Signal an die Tür.

Sofort öffnete Della. Ihr Gesicht war bleich, sie zitterte.

»Fidelma! Gott sei Dank, daß du kommst!«

»Was ist denn, Della?« fragte Fidelma.

»Der Mann, den du hergebracht hast, Bruder Mochta .«

Fidelma trat ins Haus. Della wirkte fast hysterisch.

»Was ist mit Bruder Mochta? Wo ist er?«

Fidelma bemerkte plötzlich, daß im Zimmer alles durcheinandergeworfen war.

»Man hat ihn weggeholt!« keuchte Della.

»Weggeholt?«

»Ihn und das Reliquiar, er hat es die ganze Zeit festgehalten. Er und der Kasten sind fort. Ich konnte nichts dagegen tun.«

Fidelma packte sie an den Schultern.

»Reiß dich zusammen, Della. Dir haben sie jedenfalls nichts getan. Das hier . «, sie umschrieb das Chaos mit einer Handbewegung, »läßt sich leicht wieder aufräumen. Aber was ist mit Mochta und dem Reliquiar passiert?«

Langsam beruhigte sich Della ein wenig. »Du hast ihn mir anvertraut, und man hat ihn weggeholt.«

Fidelma bemühte sich, Geduld zu bewahren. »Das hast du schon gesagt. Wer hat ihn weggeholt?«

»Dein Vetter Finguine, der Fürst von Cnoc Äine.«

Mit bestürzter Miene ließ Fidelma die Hände von Dellas Schultern sinken.

»Ihr habt also Bruder Mochta und die Reliquien hierhergebracht?« rief Bruder Bardan erleichtert aus. »Na, Gott sei Dank, daß Mochta nun endlich unter dem Schutz von Finguine steht. Jetzt können wir beruhigt sein.«

Fidelma fuhr herum, aber sie bezwang sich und sagte nur leise: »Wirklich?« Dann wandte sie sich wieder zu Della. »Wer kam denn mit Finguine? Oder war er es selbst, der dein Haus so verwüstete?«

»Nein, ein Krieger. Finguine tadelte ihn und sagte, das wäre nicht nötig gewesen. Der Krieger war der Anführer der Schar, die den Fürsten der Ui Fidgente begleitete, als er vor ein paar Tagen in Cashel einritt. Ich habe ihn wiedererkannt, er ritt neben Donen-nach.«

»Gionga? Meinst du Gionga, den Hauptmann der Leibwache Donennachs?« rief Eadulf ungläubig.

Della zuckte die Achseln. »Den Ui Fidgente. Seinen Namen kenne ich nicht. Ich weiß nur, als Donennach in Cashel einritt, befehligte der Mann die Leibwache des Fürsten.«

»Ich glaube, wir haben da ein Problem«, stellte Fi-delma fest.

Bruder Bardan sah sie verwundert an. »Das verstehe ich nicht.«

Fidelma würdigte ihn keiner Antwort. Sie schaute Della mit einem dünnen Lächeln an. »Ich muß dich noch einmal um etwas bitten, Della. Eadulf und ich müssen jetzt fort. Du mußt dich um Bruder Bardan kümmern, bis Eadulf oder ich ihn abholen. Das wird morgen abend sein.«

»Das kann ich nicht!« protestierte Della. »Du siehst doch, was sie hier angerichtet haben .«

»Der Blitz schlägt nie zweimal an derselben Stelle ein, Della. Bruder Mochta und das Reliquiar haben sie jetzt, also wird hier niemand nach Bruder Bardan suchen.«

In Bruder Bardans Gesicht spiegelte sich Verwirrung wider. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Warum soll ich mich jetzt verstecken? Finguine hat Bruder Mochta in seinen Schutz genommen und die heiligen Reliquien dazu.«

Fidelma antwortete ihm auch diesmal nicht und blickte weiter ihre Freundin an. »Della, du mußt das für mich tun.«

Die Frau schaute Fidelma einen Moment in die Augen, dann seufzte sie. »Na gut. Aber wie der Bruder möchte ich gern wissen, was hier vor sich geht.«

»Das Geschick des Königreichs Muman hängt davon ab, daß ihr genau das tut, was ich euch sage.«

»Also gut.«

Fidelma öffnete die Tür und winkte Eadulf, ihr hinaus in die Dunkelheit der Nacht zu folgen. Della kam ihr nach, sie zwang sich zu einem Lächeln.

»Am besten kommt man doch mit sich allein zurecht. Wird die Einsamkeit kurz unterbrochen, sehnt man sich bald nach ihr zurück«, sagte sie.

Fidelma erwiderte ihr Lächeln. Sie hatte Mitleid mit der Frau, der soviel Unglück widerfahren war. Sie berührte Dellas Arm.

»Wir alle sind zur Einsamkeit verurteilt, Della«, sagte sie, »manchmal schützt uns nur unsere eigene Haut, deshalb gibt es keinen Weg aus der Einsamkeit hinaus ins Leben.«

Fidelma und Eadulf gingen durch die nachtdunklen Gassen der Stadt.

»Woher wußte Finguine, wo du Bruder Mochta und das Reliquiar versteckt hattest?« fragte Eadulf.

»Erinnerst du dich, du hast Nion in dem Wirtshaus hier in der Nähe gesehen? Er hat es sicher Finguine gleich gemeldet, daß wir aus der Seitenstraße herausgeritten kamen. Es war für Finguine bestimmt nicht schwer, herauszufinden, daß ich dort eine gute Freundin habe und daß sie Della heißt. Er brauchte dann nur noch zwei und zwei zusammenzuzählen. Er hat sicher vermutet, daß ich das Reliquiar und Bruder Mochta gefunden habe, nachdem ihm das nicht gelungen war.«

»Ja, aber warum hat er Gionga mitgenommen? Fin-guine behauptet doch, er hasse die Ui Fidgente. Ich muß gestehen, ich bin ebenso verwirrt wie Bruder Bardan.«

»Weißt du noch, was ich dir von dem tomus-Spiel erzählt habe? Nun, es passen jetzt ein paar Stücke mehr zusammen. Aber ich brauche immer noch das eine Stück, das das Bild vervollständigt. Samradan kann es liefern. Suchen wir also den Kaufmann auf.«

»Weißt du denn, wo Samradan wohnt?« fragte Ea-dulf.

»Ja. Donndubhain hat mir das Haus gezeigt, als wir uns in der vorigen Woche das Lagerhaus ansahen.«

Sie gingen durch eine Seitengasse, die von der Hauptstraße abzweigte. Nach einer Weile blieb Fidelma stehen und wies auf ein vornehmes, zweistöckiges Holzhaus. Es lag im Dunkeln. Sie kamen von der Rückseite her, und Fidelma wollte gerade über den Hof zur Hintertür gehen, als sie ein leises Winseln hörten. Ea-dulf kniff die Augen zusammen, konnte eine dunkle Gestalt am Boden ausmachen und packte Fidelma am Arm.

»Samradans Wachhund!« warnte er sie.

Fidelma sah den Hund jetzt auch. Er lag an einem Pfosten, an den er offenbar angeleint war, und schien im Schlaf zu winseln.

»Ein schöner Wachhund«, murmelte Eadulf. »Aber gut für uns, daß er angebunden ist und schläft.«

»Das bedeutet, wir müssen ums Haus herum zur Vordertür«, erwiderte Fidelma.

Eadulf ging als erster an der Seite des Hauses entlang. Der Hund schlug nicht an. An der Ecke blieb Eadulf plötzlich stehen und winkte Fidelma zurück in den Schatten.

»Ein Reiter hält vor dem Haus«, flüsterte er.

Fidelma spähte vorsichtig um die Ecke.

Eine hohe, einsame Gestalt saß leicht vorgebeugt im Sattel und hielt das Haus Samradans fest im Auge.

Der Mond schien jetzt fast taghell, doch selbst in der Dunkelheit hätte Fidelma ihren Vetter Finguine erkannt, den rigdomna von Cnoc Äine.