177555.fb2 Totentanz f?r Dr. Siri - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

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3HUNGER IN HOUAPHAN

Der mitreißende Refrain des vom Präsidenten eigenhändig verfassten Patriotischen Arbeitsliedes Nr. 17 – »Wir wollen jäten für die Republik« – schreckte Siri aus seinen Morgengedanken.

»Du liebe Zeit.«

Ächzend und mit knackenden Knochen setzte sich der Doktor auf und streckte die Beine unter dem Moskitonetz hindurch. Falls er geschlafen hatte, konnte er sich nicht daran erinnern. Nach dreiundsiebzig Lebensjahren war die Zeit für ihn zu einem kostbaren Gut geworden, und er hatte soeben sechs Stunden verschenkt, ohne etwas dafür bekommen zu haben. Er rappelte sich hoch und wankte tapsig wie ein neugeborener Welpe zum Fenster.

Durch den Spalt in den grünen Nylonvorhängen sah er die singenden Polizisten mit geschulterten Spaten und Hacken auf die Ladefläche eines Armeetransporters klettern. Auch wenn die Wärter Abstand wahrten und ihre Dienstwaffen gesenkt hielten, wirkten sie deshalb nicht minder bedrohlich. Das Schrillen einer Trillerpfeife diktierte jede Bewegung. Die Gefangenen standen Augen geradeaus, und der Transporter setzte sich in Bewegung und holperte langsam den Feldweg entlang. Das Lied entschwand samt Sängern in den Nebel. Die Felsspitzen und die tiefhängenden grauen Wolken liefen ineinander wie auf einem chinesischen Aquarell.

Siri stellte sich unter den kalten Wasserstrahl in der Gemeinschaftsdusche. Abgestandenes, nach Karbol und Erde stinkendes Wasser quoll zwischen den losen Fliesen unter seinen Fußsohlen hervor. Er zog sich an und kam auf dem Weg zum Frühstück an dem Wachposten vorbei, der einsam und allein auf einem Klappstuhl vor der Sperrholzwand saß und dumpf vor sich hin döste.

»Wohlsein«, wünschte Siri, erhielt jedoch keine Antwort.

Der Speisesaal beherbergte zehn wacklige, ungedeckte Tische, gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografien von Helden der Revolution – und Dtui.

»Morgen, Doc.«

»Guten Morgen. Wie lange sitzen Sie schon hier?«

»Eine knappe Stunde. Ich konnte nicht schlafen.«

»Ich auch nicht.« Schwerfällig ließ er sich ihr gegenüber nieder. Nirgends war ein Laut zu hören. »Hoffentlich müssen wir nicht erst ein Liedchen schmettern, damit wir unser Frühstück serviert bekommen.«

»Ich finde es hier irgendwie unheimlich.«

»Dann geht es Ihnen wie mir.«

»Das glaube ich kaum. Jedenfalls sind nachts bislang noch keine Geister zu mir ins Bett gekrochen. Trotzdem, die Bude hier ist mir irgendwie nicht ganz geheuer. Außerdem habe ich noch nie …« Sie zog die Nase kraus.

»Noch nie was?«

»Na ja, Sie wissen schon … noch nie allein geschlafen.«

»Dtui, ich habe das ungute Gefühl, dass Sie mir schon wieder einen Schwund aufbinden wollen.«

»Nein, im Ernst. Normalerweise schlafe ich entweder bei meiner Mutter – oder im Schwesternwohnheim. Allein fühle ich mich hier oben nicht besonders sicher.«

»Daran werden Sie sich wohl oder übel gewöhnen müssen. Mir graut bei dem Gedanken, dass Sie den Moskauern feierlich verkünden, nachts nicht gern allein zu sein, auch wenn das Ihrer Beliebtheit bei den jungen Herren der Schöpfung keinen Abbruch tun dürfte. Sie können schließlich weder Ihre Mutter noch die Schwestern mit in den Ostblock nehmen.«

»Falls ich jemals dorthin komme.«

»Da habe ich nicht den geringsten Zweifel.«

Siri wandte den Kopf und sah sich nach der Bedienung um. Es war ihm ein bisschen peinlich, Dtui schon wieder Hoffnungen machen zu müssen. Natürlich gab es Zweifel. Vor Kurzem hatte sie die Aufnahmeprüfungen zu weiterführenden Schulen in den kommunistischen Ländern Europas absolviert. Sie bildete sich seit Jahren heimlich fort, da die Klinikverwaltung unter keinen Umständen erfahren durfte, dass sie intelligenter war, als ihre Vorgesetzten annahmen. In Zeiten wie diesen galt Eigeninitiative als verdächtig. Dtui hatte Politik, Medizin und Russisch belegt und damit gute Chancen, das Gros der Medizinstudenten auszustechen, die darunter litten, dass ihre Professoren über den Mekong geflohen waren. Siris einzige Befürchtung war, dass sie von Verwandten der treuen Parteikader von der Liste gedrängt werden könnte.

Sie brauchte sich nur an die Spielregeln zu halten. Siri hatte ihr beigebracht, wie man den Prüfern Sand in die Augen streute. Er hatte sein halbes Leben kommunistische Scharaden aufgeführt. Doch sein Glaube an das System war dahin, seit er hatte mit ansehen müssen, wie Eitelkeit und Geltungsdrang eine nahezu perfekte Doktrin zugrunde richteten. Was eigentlich als Werkzeug gedacht war, wurde als Waffe missbraucht, und er war nicht besonders stolz auf seine achtundvierzigjährige Mitgliedschaft in der Partei. Dtui hatte die drei Gratisjahre in Moskau nötiger als die meisten anderen. Das großzügig bemessene Auslandsstipendium, verbunden mit der Aussicht auf eine Halbtagsstelle, waren für eine bettelarme Laotin wie sie ein wahrer Segen. Leider gingen die meisten Studienbeihilfen an Bewerber, die über die nötigen Beziehungen verfügten, und außer Siri kannte Dtui niemanden, der sich für sie hätte verwenden können. Zu ihrem Leidwesen hatte er sich strikt geweigert, sich in denselben Sumpf von Macht und Korruption hinabzerren zu lassen, der in den vergangenen Jahren die meisten seiner Genossen verschlungen hatte. Weder hatte er ein Mitglied des Politbüros um eine Gefälligkeit gebeten, noch seinen guten Draht zum Gesundheitsministerium schamlos ausgenutzt. Allerdings hatte er sich einen Sitz in dem Gremium erschlichen, das über die Stipendienanträge befand. Wenn streng nach Leistung geurteilt wurde, war Dtui ein Platz im Flugzeug nach Moskau schon so gut wie sicher, daran gab es für ihn nichts zu rütteln. Doch in der Demokratischen Volksrepublik Laos war gar nichts selbstverständlich.

Siri sah sich in dem tristen, halbdunklen Speiseraum um, konnte jedoch nirgends ein Lebenszeichen entdecken. Die Seminarteilnehmer waren ausgezogen, sich von Landminen in die Luft jagen zu lassen, und wie es aussah, rechnete die Küche nicht mit weiteren Gästen. Inzwischen knurrten sich Dtuis und Siris leere Mägen über den Tisch hinweg wütend an. Diese furchterregenden Geräusche waren offenbar bis zu der dicken Frau in Tarnanzug und weißer Schürze durchgedrungen, die plötzlich in der Tür erschien.

»Was machen Sie hier?«, fragte sie.

»Auf unser Frühstück warten«, antwortete Dtui.

Die Frau näherte sich den Überraschungsgästen. Ihre Sandalen klatschten über die losen Bodenfliesen. »Warum sind Sie nicht mit auf dem Feld?«

»Wir gehören zu einer anderen Reisegruppe«, erklärte Siri. »Wir haben das Drei-Tage-, Zwei-Nächte-, Rundumsorglos-Tempeltour-Paket gebucht. Alles inklusive.«

Sie starrte ihn an, mit einem Gesichtsausdruck so leer wie die Tresorräume der Nationalbank.

»Entschuldigung«, lenkte er ein. »Wir sind auf Einladung der Staatssicherheit hier. Wir bleiben ein paar Tage.«

»Hm. Davon höre ich zum ersten Mal.« Sie verschränkte die Arme, als warte sie nur darauf, dass die beiden sie der Lüge bezichtigten.

»Bitte um Verzeihung! Das ist meine Schuld«, meldete sich eine Stimme hinter dem Rücken der Frau. Sie mussten sich zurücklehnen, um ihren Besitzer sehen zu können. Es war ein hochgewachsener junger Mann mit Brille. Er trug die grüne Uniform eines Polizisten der Laotischen Revolutionären Volkspartei, ohne die üblichen Rangabzeichen oder Schulterstücke. Lächelnd umging er das voluminöse Hindernis. »Dr. Siri?«

Siri streckte die Hand aus. »Genosse Lit?«

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen.« Die beiden Männer gaben sich die Hand. Siri und Dtui bemerkten Lits verkümmerten rechten Zeigefinger. Er schien sich zusammenzurollen wie eine durstige Pflanze.

»I wo. Wir hatten Sie eigentlich nicht vor neun erwartet.«

Die dicke Frau unterbrach die Begrüßungszeremonie. »So geht das aber nicht, Genosse. Sie wissen doch genau, dass mir spätestens drei Tage vor Ankunft neuer Gäste ein P8.8 vorliegen muss. Von Rechts wegen hätte die Nachtschicht sie gar nicht aufnehmen dürfen.«

»Ganz recht, Genossin Sompet. Hier haben Sie das erforderliche Formular. Es handelte sich um eine Art Notfall. Bitte nochmals um Verzeihung.« Er reichte ihr das Dokument, und sie zog maulend von dannen.

Genosse Lit blieb stehen. »Nun denn«, sagte er und blickte über den Tisch zu Dtui.

»Das«, sagte Siri, »ist meine Assistentin, Schwester Chundee Vongheuan.«

Sie lächelte. »Sie können mich ruhig Dtui nennen, Genosse.«

»Wir wollten eben die Blumengestecke verspeisen«, sagte Siri. »Möchten Sie vielleicht ein Häppchen mitessen?«

Lit lachte. »Ich fürchte, die sind nicht besonders nahrhaft. Sie sind nämlich aus Plastik. Kommen Sie, ich lade Sie zum Frühstück ein.«

Während sie in seinem chinesischen Jeep durch Vieng Xai fuhren, wies Lit sie auf die gewaltigen, hoch aufragenden Felsen hin, die man in dieser Gegend Karste nannte und die berühmte Höhlen beherbergten. »Hier wohnte General Khamtay, der militärische Kopf der Revolution«, sagte er. »Und da drüben befindet sich das Domizil des Premierministers.«

Die Stadtrundfahrt machten sie Dtui zuliebe. Siri hatte im Laufe seiner langen Jahre im Nordosten sämtliche Höhlen von innen gesehen und kannte das verschlungene System von Kammern und Tunnels, das sich durch diese Kalksteintürme zog, genau. Doch für Dtui war ein Felsturm nicht vom anderen zu unterscheiden. Die amerikanischen Piloten, die jahrelang im Tiefflug über das Tal hinweggeschossen waren, hatten mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Selbst die erst gegen Kriegsende attackierten Karste hatten dem Streuteppich von Fünfhundert-Kilo-Bomben problemlos standgehalten. Dtui fand es unglaublich, dass man zwei Millionen Tonnen Sprengstoff über kommunistisch besetztem Gebiet abwerfen konnte, ohne auch nur einem der Anführer ein Haar zu krümmen.

Dass die Parteiführung ausgerechnet Vieng Xai zum Regierungssitz des neuen Regimes erkoren hatte, mutete auf den ersten Blick ein wenig seltsam an. Die Straßen bildeten ein weitläufiges Gitternetz, umschlossen von den hohen Felsen, unter denen die Soldaten zehn Jahre ihres Lebens verbracht hatten. Dieses Bild hatten sie jeden Tag vor Augen gehabt, und für sie bedeutete es Freiheit. Bis vor vier Jahren hatten sich hier Reisfelder erstreckt, so weit das Auge reichte. Aus Angst vor Flugangriffen versteckten sich die Einheimischen bei Tag und kamen erst nach Sonnenuntergang hervor, um ihre Felder zu bestellen. Mit dem Waffenstillstand jedoch hatten die Genossen ihre Bergfestung verlassen und sich an die Verwirklichung ihres Traums gemacht: die Errichtung einer prächtigen Stadt zum glorreichen Gedenken an ihren jahrelangen Kampf.

Aber Laos war mehr als die Provinz Houaphan. Es war ein Land mit rund dreieinhalb Millionen Einwohnern. Zwar gab es keine aktuellen Zahlen, und bis zu fünfhunderttausend Menschen waren nach Thailand geflohen, doch der Großteil der Bevölkerung drängte sich in und um die Hauptstadt. Nachdem die Pathet Lao siegreich in Vientiane einmarschiert waren und die kommunistische Volksrepublik ausgerufen hatten, schien Vieng Xai abgelegen und unzugänglich. Wer ein Land regieren wollte, musste dort sein, wo die Menschen waren. Und die waren nicht in Houaphan und erst recht nicht in Vieng Xai. Zwei weitere Gästehäuser und ein Marktplatz befanden sich im Bau, aber die Bambusgerüste setzten bereits Moos an. Alles vermittelte den Eindruck eines aufgegebenen Projekts, eines schon bei Sonnenaufgang halb vergessenen Traums.

Am Marktplatz gab es eine einzige Garküche, die feu-Reisnudeln servierte, in Schüsseln, die so riesig waren, dass man darin bequem ein kleines Baby hätte baden können. Siri und Dtui griffen beherzt zu und aßen mit der linken Hand, während sie mit der rechten Fliegen groß wie Mantelknöpfe verscheuchten. Da Lit bereits gefrühstückt hatte, sah er seinen Gästen beim Essen zu und erklärte ihnen derweil, warum sie hier waren.

»Wir wären wahrscheinlich nie darauf gestoßen«, begann er. »Von Zeit zu Zeit lösen sich oben in den Karsten kleinere Felsbrocken und stürzen herab. Manche erst lange nachdem sie von einer Rakete getroffen wurden. So vermutlich auch in diesem Fall. Ein gewaltiger Felsblock krachte auf den frisch angelegten Betonweg, der von der Höhle zu dem neuen Haus führt. Sie werden sehen, Doktor, dass die meisten ranghohen Genossen sich vor ihrer alten Höhle ein Haus gebaut haben.«

»Hm. Sie wollen den Mutterleib partout nicht verlassen. Typisches Primatenverhalten«, sagte Siri. »Und von welcher Höhle reden wir?«

»Von der des Präsidenten. Wir erwarten ihn in gut einer Woche zurück. Es wäre schön, wenn sich die Sache noch vor seiner Ankunft klären ließe.«

»Gut«, sagte Siri. »Der Felsblock krachte also auf den Beton …«

»Und plötzlich ragte er aus einem Spalt.«

»Wer?«

»Der Arm.«

»Hängt an dem Arm auch eine Leiche?«, fragte Dtui. Sie wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und überließ die restliche Brühe den Fliegen.

»Das wissen wir nicht.«

»Warum nicht?«, fragte Siri.

»Nun ja, der Arm ragt aus dem Beton. Um herauszufinden, ob eine Leiche darunterliegt, müssten wir den Rest des Weges aufstemmen.«

»Und das geht nicht, weil …?«

»Weil die Vorschriften über Veränderungen an staatlichen Bauvorhaben äußerst streng gehandhabt werden. Wir mussten die Antragsformulare extra aus Vientiane anfordern. Dort wurde uns gesagt, wir sollten auf Sie warten.«

»Verstehe. Ich hoffe doch, Sie haben den Arm bedeckt. Die Fliegen hier oben haben einen gesegneten Appetit.«

»Wir haben eine Plastiktüte darübergestülpt. Wenn Sie so weit sind, bringe ich Sie hin. Wir müssen nur noch ein paar Arbeiter und Werkzeug aufladen.«

»Dann wollen wir unseren in Zement gegossenen Freund nicht länger warten lassen. Fertig, teure Schwester Dtui?«

»Wenn Sie es sind, verehrter Dr. Siri.«

Schon ein paar Kilometer außerhalb Vientianes bestanden die Straßen nur noch aus Schlaglöchern und Steinen. Folglich wurde man bei der Überlandfahrt in einem Lastwagen ähnlich heftig durchgeschüttelt, als würde man in einem Sarg eine holprige Treppe hinunterpurzeln. Sie waren an der Abzweigung bei Kilometer 6 vorbeigefahren, wo man einen alten US-Militärkomplex zu einem Erholungszentrum für kommunistische Politiker umfunktioniert hatte. Kurz vor der Gabelung, die zum Nationalen Pädagogischen Institut in Dong Dok führte, kam Herr Geung wieder zu sich. Der Nebel in seinem Hirn lichtete sich jäh, als das Vorderrad in eine tiefe Furche krachte. Statt im Leichenschauhaus fand er sich plötzlich ganz woanders wieder: auf einer Decke auf der hölzernen Pritsche eines alten Lasters. Über sich sah er den weiten Himmel, die brennende Junisonne und zwei Reihen männlicher Knie. Er lag in einem Spalier aus schwarzen Stiefeln, die nach Schuhwichse stanken. Die Stahlkappen bohrten sich in seine Seiten und machten jede Bewegung unmöglich, deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als still zu liegen und sich zu fragen, wo er war und wem diese an den Knien abgeschnittenen Beine gehörten. Er hob den Arm und winkte. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.

»Herr Feldwebel, der Mongoloide ist wach.«

Er hörte lauten Jubel und Gelächter, und eine Stimme, die gegen den Motorenlärm anbrüllte. »Hoch mit ihm.« Männer beugten sich über ihn, streckten die Hände nach ihm aus und setzten ihn auf. Verwundert starrte er in zwei Reihen lächelnder Soldatengesichter. Er lächelte zurück. Der Feldwebel saß am Ende einer der beiden Reihen.

»Du heißt Geung, stimmt’s?«

Zwar war Herr Geung bislang kaum mit dem Militär in Berührung gekommen, aber er hatte sich Paraden angesehen und als Kind Soldat gespielt, und so wusste er genau, was zu tun war. Er salutierte. Wieder erhob sich lauter Jubel, und die Hälfte der Männer erwiderte den Gruß. Zwei von ihnen rückten beiseite und zerrten ihn zwischen sich auf die Bank. Sie schaukelten vorbei an ihm unbekannten Feldern und Büffeln ohne Matsch, in dem sie sich hätten wälzen können. Alles war braun in braun.

»Mensch, Junge. Ich dachte schon, du wärst tot«, brüllte der Feldwebel. »Ich wusste gar nicht, dass man auch mit einer ungeladenen Waffe jemanden erschießen kann.«

»Sie h… haben mich erschreckt.«

»War doch nur Spaß, Jungchen. Nur ein kleiner Scherz.«

»Ich bin ohnmächtig geworden.«

»Allerdings.«

»W… w… wo fahren wir hin?«

»Nam Bak.«

Der Name sagte Geung nichts. »Warum?«

»Streng geheime Mission.« Der Feldwebel legte den Zeigefinger an die Lippen: Unbedingtes Stillschweigen war oberstes Gebot. Zwar erfüllte es Geung mit Stolz, an einer streng geheimen Mission teilnehmen zu dürfen, aber er musste sein Versprechen halten. Etwas unbeholfen stand er auf und ging zur Ladeklappe, wobei er sich an den Schultern und Knien der Soldaten festhielt. Der Feldwebel bekam ihn gerade noch zu fassen, bevor er abspringen konnte. »Wohin so eilig, junger Mann?«, fragte der alte Soldat.

»I… i… i… ich muss das Leichenschauhaus bewachen.«

»Nein, Jungchen. Das musst du nicht.«

»Doch. M… muss ich wohl. Ich habe es Genosse Dr. Siri versprochen. U… und Genossin Schwester Dtui.«

»Du arbeitest nicht mehr im Leichenschauhaus.«

Geung war bestürzt. »Nein?«

»Nein.«

»Wo a… a… arbeite ich denn dann?«

»Das wirst du noch früh genug erfahren.«

»A… a… aber ich ha… ha… hab’s doch verspr… verspro…« Wieder prallten Wörter und Gedanken aufeinander und überschlugen sich in seinem Kopf.

»Geung, kleiner Bruder, mach mir bloß keinen Ärger. Sonst passiert was. Verstanden?«

»I… i…«

»Und jetzt setz dich wieder hin, und genieß die Fahrt. Du wirst se-« Aber bevor der Feldwebel ausreden konnte, war Geung auch schon wieder ohnmächtig geworden, diesmal in den Armen der Dritten Infanteriedivision der Laotischen Volksbefreiungsarmee, die in den Norden unterwegs war, um Rebellen aufzuspüren.