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Kapitel 8

Ich benutzte Prosperos Telefon, um Brad anzurufen, aber obwohl ich das Klingelzeichen im Auto hören konnte, hob er nicht ab. Leise fluchend bat ich Pross, mir ein weiteres Telefonat zu gestatten, und rief Annette an.

«Bitte wählen Sie die Nummer so lange, bis Sie Brad dran haben«, sagte ich und nannte sie ihr.»Wenn er sich meldet, dann sagen Sie ihm, daß ich zum Aufbruch bereit stehe.«

«Kommen Sie hierher zurück?«fragte sie.

Ich sah auf meine Uhr. Es lohnte sich nicht, noch in die Firma zu fahren, mußte ich doch um halb sechs in Kensington sein. Also sagte ich ihr, daß ich nicht mehr kommen werde.

«Nun ja, da sind ein oder zwei Dinge.«

«Ich kann dieses Telefon aber wirklich nicht ewig besetzt halten«, sagte ich.»Ich fahre zum Haus meines Bruders und rufe Sie von dort aus wieder an. Sehen Sie erst mal zu, daß Sie Brad erwischen.«

Ich dankte Pross nochmals dafür, daß ich hatte telefonieren dürfen.»Aber bitte sehr«, sagte er undeutlich. Er saß wieder vor seinem Schraubstock, dachte nach und werkelte herum, stellte eines seiner Wunder her.

Im Laden waren Kunden, die von dem schwarzgekleideten Verkäufer bedient wurden. Er sah nur kurz zu mir auf, als ich den Raum durchquerte, und wandte seine Auf-

merksamkeit sofort wieder den Händen der Kundschaft zu. Ein Geschäft, das kein Vertrauen kannte — noch schlimmer als der Rennsport. Immerhin war es unmöglich, ein Rennpferd in seiner Tasche verschwinden zu lassen, wenn der Trainer mal gerade nicht hinschaute.

Ich stand auf dem Bürgersteig und fragte mich voller Pessimismus, wie lange Brad wohl brauchen würde, bis er den Telefonhörer abnahm, aber zu meiner großen Überraschung war er schon nach ein paar Minuten da. Als ich die Wagentür öffnete, schnurrte das Telefon.

«Warum gehen Sie denn nicht ran?«fragte ich und schob mich auf den Sitz.

«Hab vergessen, welcher Knopf.«

«Aber Sie sind doch hergekommen«, sagte ich.

«Wollja.«

Ich hob selbst den Hörer ab und sprach mit Annette.»Brad hat sich offensichtlich ausgerechnet, daß ich ihn erwarte, wenn das Telefon klingelt, und es deshalb nicht für nötig befunden, an den Apparat zu gehen.«

Brad nickte wortlos.

«Dann machen wir uns jetzt also nach Kensington auf. «Ich machte eine Pause und sagte dann:»Annette, was ist ein Sight und was ein Sightholder?«

«Ah, Sie sind wieder bei den Diamanten angelangt!«

«Ja. Wissen Sie’s?«

«Natürlich weiß ich das. Ein Sightholder ist jemand, der die Erlaubnis hat, von der CSO Rohdiamanten zu kaufen. Es gibt nicht sehr viele davon, nur ungefähr hundertfünfzig, glaube ich. Die verkaufen die Diamanten dann weiter an andere Leute. Ein Sight ist die alle fünf Wochen stattfindende Verkaufsveranstaltung der CSO, und eine Sight-box ist jeweils eine geschlossene Partie von Steinen, die zum Verkauf kommt, obwohl die auch oft als Sight bezeichnet wird.«

«Ist ein Sightholder dasselbe wie ein Diamantschleifer?«

«Alle Sightholder sind Diamantschleifer, aber nicht alle Diamantschleifer sind Sightholder. Die Diamantschleifer kaufen bei den Sightholdern oder beteiligen sich an einem Sight oder kaufen woanders ein, das heißt nicht bei de Beers.«

Man brauchte nur mal eine einfache Frage zu stellen, dachte ich.

Annette sagte:»Aus Japan ist eine Sendung Zuchtperlen eingetroffen. Wohin soll ich die tun?«

«Hm. Meinen Sie wohin, weil der Tresorraum abgeschlossen ist?«

«Ja.«

«Wo haben Sie denn solche Sachen hingetan, wenn mein Bruder auf Reisen war?«

Sie sagte unsicher:»Er gab immer Anweisung, sie dann im Lagerraum unter >Gemischte Perlen< abzulegen.«

«Dann tun Sie sie doch dorthin.«

«Aber das Schubfach ist voll mit Dingen, die schon in der letzten Woche gekommen sind. Ich möchte nicht die Verantwortung für die Aufbewahrung der Perlen an einem Ort übernehmen, den Mr. Franklin nicht gutgeheißen hätte. «Ich mochte einfach nicht glauben, daß sie auch bei simpelsten Fragen Anweisungen brauchte, aber das war ganz offensichtlich der Fall.»Die Perlen sind sehr wertvoll«, sagte sie.»Mr. Franklin hätte sie nie irgendwo und für alle sichtbar liegenlassen.«

«Gibt es irgendwelche leeren Schubfächer?«

«Nun, ich…«

«Suchen Sie sich eine leere oder fast leere Schublade und tun Sie sie da rein. Wir werden uns dann morgen früh ordentlich um sie kümmern.«

«Ja, in Ordnung.«

Sie schien mit der gefundenen Lösung zufrieden zu sein und sagte, alles andere habe Zeit, bis ich wieder in der Firma sei. Ich schaltete das Telefon ab und fühlte mich von den Aussichten, die sie mir da eröffnet hatte, gänzlich überwältigt — wenn Greville wertvolle Sachen schon unter >Gemischte Perlen< versteckt hatte, wo dann nicht noch überall? Würden sich die hundert Diamanten vielleicht im hinteren Teil der Fächer finden, die dem Rhodochrosit oder dem Jaspis vorbehalten waren, wenn ich dort nur nachschaute?

Schon eine gründliche Durchsuchung des Tresorraumes beanspruchte viel Zeit — da versprachen die vier Lagerräume der schiere Alptraum zu werden.

Wie durch ein Wunder fand Brad direkt vor Grevilles Haus einen Parkplatz, was ihn aber irgendwie zu enttäuschen schien.

«Zwanzig nach fünf zum Pub?«sagte er.

«Wenn’s recht ist. Und würden Sie bitte hier stehenbleiben, bis ich da reingeschaut habe?«Ich war doch vorsichtig geworden, fand ich.

Er verbeugte sich zustimmend und sah zu, wie ich die wenigen Schritte bis zur Haustür zurücklegte. Keine Scheinwerfer gingen an und keine Hunde bellten — aller Wahrscheinlichkeit nach deshalb nicht, weil noch hellichter Tag war. Ich öffnete die drei Schlösser und stieß die Tür auf.

Es war still im Haus. Kein Luftzug. Ich stellte ein Bronzepferdchen zwischen Tür und Schwelle, das ganz offenkundig zu eben diesem Zweck dort herumlag, und ging durch den Hausflur nach hinten in das kleine Wohnzimmer.

Keine Eindringlinge. Keine Unordnung. Keine Amazonen, die Totschläger schwangen, keine Abrißbirnen, die durch die Eisengitter der Fenster zu dringen versuchten. Wenn jemand darauf aus gewesen sein sollte, in Grevilles Festung einzudringen, dann war ihm dies nicht geglückt.

Ich kehrte zur Haustür zurück. Brad stand noch neben dem Wagen und schaute zum Haus herüber. Ich signalisierte ihm per Handzeichen, daß alles in Ordnung sei, worauf er ins Auto stieg, während ich die schwere Tür schloß und mich in dem kleinen Wohnzimmer daran machte, ein Buch nach dem anderen aus dem Regal zu ziehen, kurz durchzublättern und an seinen alten Platz zurückzustellen.

Es gab insgesamt zehn hohle Bücher, die meisten mit Titeln wie Geschichten aus dem australischen Busch oder Mit dem Maultier durch Patagonien. Vier waren leer, einschließlich desjenigen, in dem die Briefe von Clarissa Williams gesteckt hatten. In einem war der große, so reich verzierte Schlüssel. In einem anderen lag eine teuer aussehende goldene Uhr, die die genaue Zeit anzeigte.

Die Uhr, die Greville in Ipswich umgehabt hatte, war eins von diesen Dingern, die mehr Funktionen als Knöpfe haben. Sie lag jetzt auf meinem Nachttisch in Hungerford, gab in bestimmten Abständen eigentümliche Piepser von sich und verriet mir auch, wo Norden war. Das schmale goldene Prunkstück hier in der hohlen Buchschachtel war wohl einer anderen Stimmung, einem anderen Manne zugedacht gewesen, und als ich es auf der Handfläche umdrehte, fand ich auf der Rückseite eingraviert:»Dem lieben G — von C.«

Sie konnte nicht gewußt haben, daß die Uhr dort war, dachte ich. Sie hatte ja nicht danach gesucht. Sie hatte lediglich nach den Briefen gesucht und war rein zufällig als erstes auf sie gestoßen. Ich legte die Uhr wieder in die Schachtel und stellte diese ins Regal zurück. Es gab keine Möglichkeit, sie ihr zukommen zu lassen, und vielleicht wollte sie sie ja auch gar nicht wiederhaben, nicht mit dieser Inschrift.

Zwei der nun verbleibenden Buchschachteln enthielten große Schlüssel, auch sie nicht näher spezifiziert, die dritte ein zusammengefaltetes Merkblatt mit Anweisungen, wie man einen Safe sicher in Beton bettet. In der letzten Schachtel fanden sich zwei sehr kleine Plastikschächtel-chen, auf die das Wort» Mikrokassette «aufgedruckt war. Diese Schachteln mochten etwa fünf mal dreieinhalb Zentimeter messen, die federleichten Bänder darin geringfügig weniger.

Ich drehte eine von ihnen unentschieden in der Hand. Bislang hatte ich unter Grevilles säuberlich aufgeräumten Besitztümern noch keinen Recorder für Mikrokassetten gefunden, was nicht bedeutete, daß dies nicht eines Tages noch geschehen könnte. Bis dahin aber hatte die Sache Zeit, dachte ich schließlich und ließ die kleinen Bänder in ihrem Buch.

Als die zehn schillernden Bücher mitsamt ihren Geheimnissen alle wieder im Regal standen, betrachtete ich die Bücherwand mit düsterem Blick. Nicht ein Diamant in dem ganzen Haufen!

Anleitungen zur Herstellung von Betonummantelungen waren ja schön und gut — aber wo war der Safe? Bänder, schön — aber wo war der Recorder? Schlüssel waren eine feine Sache — aber wo waren die Schlösser? Das Frustrie-rendste an der ganzen Geschichte war, daß Greville gar nicht die Absicht gehabt hatte, Rätsel dieser Art zu hinterlassen. Für ihn waren die Antworten Teil seines Systems gewesen.

Ich hatte bei meinem verschiedentlichen Betreten und Verlassen des Hauses bemerkt, daß sich in dem hinter dem Briefschlitz der Haustür befestigten Drahtkorb Post anzusammeln begonnen hatte, weshalb ich die Zeit, die mir noch blieb, bis ich mich auf den Weg zum Pub machen mußte, damit ausfüllte, mir die Briefe ins kleine Wohnzimmer zu holen und die Umschläge zu öffnen.

Mein Tun erschien mir nicht richtig. Ich sagte mir immer wieder, daß es notwendig sei, aber ich hatte trotzdem noch immer das Gefühl, unbefugt auf Gelände vorzudringen, das Greville mit Zäunen abgesperrt hatte. Nun, ich fand Rechnungen, Spendenaufrufe wohltätiger Vereinigungen, einen Auszug seines Privatkontos, eine gemmologische Fachzeitschrift und zwei Einladungen. Keine Briefe von Sightholdern oder Diamantschleifern in Antwerpen. Ich steckte alle Briefe in den großen Umschlag der EdelsteinZeitschrift, dazu ein paar andere unerledigte Dinge ähnlicher Art, die ich in der Schublade unter dem Telefon gefunden hatte, und dachte, während ich all dies verstaute, um es mit nach Hungerford hinauszunehmen, wie zuwider mir doch Papierkram jeglicher Art war. Mein eigener hatte es schon so an sich, sich zu Haufen aufzutürmen, die immer dringlicher nach Erledigung verlangten. Vielleicht würde mich aber die Tatsache, daß ich mich nun auch noch um den Grevilles kümmern mußte, gescheiter werden lassen.

Brad brachte mich dann um halb sechs in schneller Fahrt zum >Rook and Castlec, deutete auf das Telefon, um mir zu verstehen zu geben, daß ich ihn anrufen solle, wenn ich soweit sei, und ich konnte der Andeutung eines Lächelns entnehmen, daß er dies alles durchaus als einen zufriedenstellenden Zeitvertreib ansah.

Das >Rook and Castle< war innen ebenso altmodisch wie außen, eine Oase friedlichen Trinkgenusses ohne Musikbox. Es gab eine Menge dunkles Holz und Lampen-schirmchen a la Tiffany und kleine Tische mit Bierdek-keln. Eine Klientel, die im wesentlichen aus Büroangestellten bestand, begann langsam den Raum zu füllen, und ich blieb zunächst an der Tür stehen, einmal, um mich an die relative Dunkelheit zu gewöhnen, und dann auch, um jedem, der sich dafür interessierte, einen unverstellten Blick auf meine Krücken zu gewähren.

Aus der Tatsache, daß das Maß eines solchen Interesses gleich Null war, schloß ich, daß Elliot Trelawney noch nicht da war. Ich ging deshalb zum Tresen, bestellte mir ein Perrier und schluckte ein Distalgesic, da es Zeit dafür war. Der morgendliche Galopp hatte dem Knöchelbereich nicht eben gut getan, was mich aber keineswegs mit Reue erfüllte.

Ein gewichtiger Mann von ungefähr fünfzig trat ein, als sei er mit der Umgebung bestens vertraut, sah sich suchend um, nahm meine Krücken wahr und kam ohne zu zögern zum Tresen.

«Mr. Franklin?«

Ich schüttelte seine mir entgegengestreckte Hand.

«Was trinken Sie?«sagte er lebhaft und blickte auf mein Glas hinab.

«Perrier. Auch das nur vorübergehend.«

Er lächelte, zeigte weiße Zähne.»Es macht Ihnen doch nichts, wenn ich einen doppelten Glenlivet nehme? Greville und ich haben hier so manch einen zusammen getrunken. Ich werde ihn schrecklich vermissen. Erzählen Sie mir, wie es geschehen ist.«

Ich erzählte es ihm. Er hörte aufmerksam zu, sagte am Ende aber nur:»Sieht sehr unbequem aus, wie Sie da an dem Hocker lehnen. Wollen wir uns nicht an einen Tisch setzen?«Und ohne weitere Umschweife nahm er mein

Glas und seines, das ihm der Wirt gerade eingeschenkt hatte, und trug beide hinüber zu zwei hölzernen Lehnstühlen, die unter einer vielfarbigen Lampe an der Wand standen.

«So ist’s besser«, sagte er, nahm einen Schluck und betrachtete mich über den Rand seines Glases hinweg.»Sie sind also der Bruder, von dem er gesprochen hat. Sie sind Derek.«

«Ich bin Derek, ja. Im übrigen sein einziger Bruder. Ich wußte nicht, daß er über mich gesprochen hat.«

«O ja, hin und wieder mal.«

Elliot Trelawney war groß, fast kahl, trug eine halbmondförmige Brille und hatte ein dickliches, gleichwohl aber gesund aussehendes Gesicht. Er hatte dünne Lippen, aber Lachfältchen um die Augen, und ich hätte ganz spontan gesagt, daß er ein Realist mit Sinn für Humor war.

«Er war stolz auf Sie«, sagte er.

«Stolz?«Ich war überrascht.

Er lächelte.»Wir spielten oft am Samstagmorgen Golf zusammen, und es kam immer wieder vor, daß er vor den Zwei-Uhr-Rennen in Sandown oder sonstwo durch sein wollte, weil Sie da am Start waren und das Rennen in der Glotze gezeigt wurde. Er sah Sie gern reiten. Und er sah Sie auch gern gewinnen.«

«Das hat er mir nie gesagt«, sagte ich voller Bedauern.

«Nein? Ich habe ein paarmal mit ihm zusammen solche Fernsehübertragungen angeschaut, und wenn Sie gewonnen hatten, sagte er nur: >Das wäre also geschafft, gut.<«

«Und wenn ich verlor?«

«Wenn Sie verloren?«Er lächelte wieder.»Dann gar nichts. Einmal stürzten Sie ganz übel, und da meinte er, daß er alles in allem doch froh sein werde, wenn Sie sich eines Tages zur Ruhe setzten, da die Rennreiterei so gefährlich sei. Eine Ironie, nicht wahr?«

«Ja.«

«Mein Gott, er wird mir fehlen. «Seine Stimme war tief.»Wir waren seit zwanzig Jahren befreundet.«

Ich beneidete ihn. Mich verlangte so unerträglich stark nach dem, was zu bekommen nun zu spät war, und je öfter ich Menschen zuhörte, die sich Grevilles erinnerten, desto schlimmer wurde es.

«Sind Sie auch Friedensrichter?«fragte ich.

Er nickte.»Wir arbeiteten sehr oft zusammen. Greville hat mich mit dieser Tätigkeit vertraut gemacht, aber ich bin bei weitem nicht so begabt wie er. Er schien die Wahrheit ganz instinktiv erkennen zu können. Er sagte immer, das Gute sei sichtbar, weshalb man im Falle seines Fehlens nach Antworten suche.«

«Mit was für Fällen… was für Fälle verhandelten Sie?«

«Alles mögliche. «Er lächelte wieder kurz.»Einbruch, Rumtreiberei. Besitz von Drogen. Schwarzseherei. Sexuelle Nötigung… also Prostitution, Vergewaltigung, Unzucht mit Minderjährigen, Zuhälterei. Greville schien immer und mit unfehlbarer Sicherheit zu wissen, ob diese Leutchen logen.«

«Erzählen Sie weiter«, sagte ich, als er schwieg.»Was noch?«

«Nun ja, es gibt eine Menge Diplomaten da in WestLondon, in all diesen Botschaften. Sie würden staunen, wenn Sie wüßten, mit was die so alles durchkommen, wenn sie auf ihre Immunität verweisen. Greville war diese diplomatische Immunität zutiefst zuwider, aber wir müssen sie nun mal gewähren. Dann haben wir einen Haufen von kleinen Geschäftsleuten, die einfach >vergessen<, für ihre Firmenwagen die entsprechenden Steuern zu entrichten, und Autodiebe zu Hunderten. Andere Verkehrsdelikte, zu schnelles Fahren und so weiter, werden gesondert behandelt, ebenso häusliche Geschichten und Straftaten Jugendlicher. Gelegentlich haben wir auch die vorläufigen Vernehmungen bei Mordfällen durchzuführen, die wir dann natürlich an die höheren Instanzen, also den Crown Court, abgeben müssen.«

«Deprimiert Sie das alles manchmal?«fragte ich.

Er nahm einen Schluck und sah mich nachdenklich an.»Es macht einen schon traurig«, sagte er schließlich.»Wir bekommen genauso viel Unzulänglichkeit und Dummheit zu sehen wie echte Schurkerei. Manches bringt einen auch zum Lachen. Ich würde nicht sagen, daß es deprimierend ist, aber man lernt doch die Schattenseite der Welt kennen, sozusagen. Man sieht den Schmutz und die Täuschungen, man lernt, mit den Augen der Übeltäter zu sehen und versteht allmählich ihre eigentümliche Weltsicht. Die Desillusionierung wird nur sporadisch spürbar, da wir ja nicht täglich zu Gericht sitzen. Im Falle von Greville und mir war das zweimal im Monat der Fall, dazu kam noch ein bißchen Ausschußarbeit. Und das bringt mich auch zu dem, was ich so gern von Ihnen hätte, nämlich die Notizen, die sich Greville im Zusammenhang mit dem Zulassungsantrag von so einem neuartigen Spielclub gemacht hat. Er erwähnte einmal, daß er von höchst beunruhigenden Vorwürfen gegen einen der Organisatoren dieses Clubs erfahren habe und bei der nächsten Ausschußsitzung zu einer Verweigerung der Konzession raten werde, auch wenn es ein Projekt sei, das wir schon mal positiv beurteilt hätten.«

«Es tut mir leid«, sagte ich,»aber ich habe bisher noch keine Aufzeichnungen dieser Art gefunden.«

«Verflixt… Wo könnte er sie hingetan haben?«

«Ich weiß es nicht. Aber ich werde danach suchen. «Es schadete ja nichts, auch nach Aufzeichnungen Ausschau zu halten, während ich nach C suchte.

Elliot Trelawney griff in eine Innentasche seines Jacketts und zog zwei flache schwarze Gegenstände hervor — ein Notizbüchlein und ein kleines Kästchen, das ein wenig wie ein Zigarettenetui aussah.

«Diese Sachen haben Greville gehört«, sagte er.»Ich habe sie Ihnen mitgebracht. «Er legte sie auf den kleinen Tisch zwischen uns und schob sie mir mit vorsichtigen Fingern zu.»Den hat er mir geliehen«, sagte er, auf das Kästchen zeigend,»und das Notizbuch hat er in der vergangenen Woche nach einer Ausschußsitzung auf dem Tisch liegenlassen.«

«Danke«, sagte ich. Ich nahm das Kästchen auf und öffnete es — darin war ein elektronisches Miniaturschachspiel, eines von diesen Dingern, die den Spieler dazu herausfordern, es zu schlagen. Ich blickte auf. Trelawneys Gesicht hatte, da er sich unbeobachtet wähnte, einen tieftraurigen Ausdruck angenommen.»Würden Sie es gern haben?«sagte ich.»Ich weiß, es ist nicht viel, aber möchten Sie es gern behalten?«

«Wenn das ein ernstes Angebot ist?«

Ich nickte, und er steckte das Schachspiel wieder in die Tasche.

«Greville und ich haben oft… ach, verdammt…« Er brach mit diesem hervorgestoßenen Wort ab. Dann sagte er:»Warum mußte so etwas Sinnloses geschehen?«

Darauf gab es keine Antwort. Traurig nahm ich das schwarze Notizbüchlein in die Hand und öffnete es gedankenlos.

«Die Bösen verlachen die Guten«, las ich laut vor,»und die auf krummen Wegen wandeln, verachten den, der den geraden Weg geht.«

«Die Gedanken des Vorsitzenden Mao«, sagte Trelaw-ney trocken, sich wieder fassend.»Ich pflegte ihn damit aufzuziehen. Er sagte, das wäre eine Angewohnheit aus seinen Studententagen, als er gelernt habe, seine Gedanken dadurch zu ordnen, daß er sie nieder schrieb. Als ich erfahren hatte, daß er tot war, habe ich dieses Büchlein durchgelesen. Ich habe mir auch einiges abgeschrieben, ich hoffe, das macht Ihnen nichts. «Er lächelte.»Sie werden sehen, daß einige seiner Anmerkungen sehr interessant sind.«

«Die über seine Pferde?«

«Die auch.«

Ich verstaute das Notizbuch in einer Hosentasche, die schon recht voll war, und zog dabei, einer Eingebung folgend, den Taschenkalender heraus. Ich zeigte ihn Trelaw-ney und erklärte ihm, worum es sich handelte.

«Ich habe bei dieser Nummer hier angerufen«, sagte ich und zeigte sie ihm,»und Grevilles Namen genannt. Da hat mich eine Frau sehr bestimmt aufgefordert, sie nicht noch einmal zu behelligen, da sie diesen Namen in ihrem Hause nicht mehr zu hören wünsche.«

Elliot Trelawney runzelte die Stirn.»Greville? Klingt gar nicht nach Greville.«

«Das dachte ich auch. Könnte es mit irgendeinem Ihrer Fälle zu tun gehabt haben? Vielleicht war das jemand, den er mal wegen irgendeiner Sache verurteilt hat?«

«Ja, das kann sein. «Er dachte nach.»Ich könnte wahrscheinlich herausbekommen, wessen Nummer das ist, wenn Ihnen daran gelegen ist. Sonderbar daran wäre aber, daß er sie in seinen Taschenkalender geschrieben hat. Möchten Sie der Sache weiter nachgehen?«

«Sie kam mir doch merkwürdig vor«, sagte ich.

«Mit Recht. «Er zog aus seiner anderen Innentasche einen goldenen Stift und notierte sich die Nummer in einem kleinen schwarzen Büchlein mit goldenen Ecken.

«Machen Sie sich mit dieser richterlichen Tätigkeit viele Feinde?«fragte ich.

Er sah auf und zuckte die Achseln.»Hin und wieder werden wir beschimpft. Ausgepfiffen, könnte man sagen. Aber normalerweise nicht. Meistens bekennen sich die Angeklagten schuldig, weil sie es nur allzu offensichtlich sind. Der einzige wirkliche Feind, den Greville gehabt haben könnte, ist dieser Spielclub-Gründer, der seine Konzession nicht bekommen wird. Greville bezeichnete ihn mal als Drogenkönig. Ein Mann, dem ein Mord zur Last gelegt werde, der aber mangels Beweisen nicht verurteilt werden könne. Ja, der könnte ihm recht böse gewesen sein. «Er zögerte.»Als ich hörte, daß Greville ums Leben gekommen ist, da dachte ich zunächst an Vaccaro. Aber es scheint ja wohl eindeutig so zu sein, daß die Sache mit dem Baugerüst ein reiner Unglücksfall war. oder nicht?«

«Ja, das war es. Das Gerüst ist sehr weit oben eingebrochen. Ein Mann, der darauf arbeitete, stürzte drei Stockwerke tief in den Tod. Auf Greville regneten einfach die Teile herab. Eine Minute früher, eine Minute später…«Ich seufzte.»Ist Vaccaro der Mann mit der Clublizenz?«

«Das ist er. Er erschien vor dem Ausschuß und machte einen vollkommen aufrichtigen Eindruck. Unter der Bedingung einer Überwachung, sagten wir. Aber dann hat sich irgend jemand mit Greville in Verbindung gesetzt und ihn auf all den Dreck an Vaccaros Stecken aufmerksam gemacht. Wir selbst verfügen allerdings über keinerlei Einzelheiten, deshalb brauchen wir seine Aufzeichnungen.«

«Ich werde nach ihnen suchen«, versprach ich noch einmal. Ich blätterte in dem Taschenkalender noch ein paar Seiten weiter.

«Sagt Ihnen >Koningin Beatrix< irgend etwas?«Ich zeigte ihm die Eintragung.»Oder >kZr = C x 1,7<?«

C, dachte ich und sah noch einmal hin, stand für Diamanten.

«Nichts«, sagte Elliot Trelawney.»Aber wie Sie selbst ja wissen, konnte Greville ebenso dunkel wie klar sein. Und das sind schließlich ganz private Aufzeichnungen. Wie sein Notizbuch. Das war auch nicht für die Allgemeinheit bestimmt.«

Ich nickte, steckte den Taschenkalender wieder ein und bezahlte Elliot Trelawneys zweiten Glenlivet, wobei ich mich irgendwie voll fühlte. Er blieb noch eine Weile und schien froh zu sein, über Greville sprechen zu können, während ich es zufrieden war, ihm zuzuhören. Wir verabschiedeten uns schließlich fast freundschaftlich, und er gab mir seine Karte mit seiner Telefonnummer, damit ich ihn anrufen könne, sollte ich Grevilles Aufzeichnungen finden.

Wenn, dachte ich bei mir. Wenn ich sie finde.

Als er gegangen war, rief ich vom Pub aus meinen Wagen an, hängte nach fünf unbeantworteten Brrr-brrrs wieder auf und trat auf die Straße hinaus. Fast grinsend erschien Brad, um mich abzuholen.

«Nach Hause«, sagte ich, und er sagte» Wollja«, und das war’s.

Unterwegs las ich in Grevilles Notizbuch und hielt oft inne, um die flüchtigen Gedanken in mich aufzunehmen, die ganz offensichtlich von dem Strandgut inspiriert worden waren, das da im West-Londoner Magistratsgericht angeschwemmt wurde.

«Die Redlichkeit ist der Feind des Bösen«, schrieb er,»wie das Böse der Feind des Guten ist. Das Böse wie das Gute können selbstgefällig werden.«

«Du wirst in allen Einkommensgruppen diesen miesen Spießbürgertyp finden, der seine Freude an der Anarchie hat, aber indigniert die Polizei ruft, wenn in sein Haus eingebrochen worden ist, der sich lautstark jeder Autorität widersetzt, bis er mal vor jemandem gerettet werden muß, der eine Pistole in der Hand hält.«

«Die zum Empfang milder Gaben ausgestreckte Hand kann sich im Nu in eine dich verwünschende Faust verwandeln. Der Staaten Hand, der Staaten Faust.«

«Das Verbrechen ist für viele Menschen nicht Verbrechen, sondern einfach ein Lebensstil. Wenn sich Gesetze als störend erweisen, dann ignoriere sie, sie gelten nicht für dich.«

«Unendlich traurig ist, wenn man einem alten Freund nicht mehr vertraut.«

«Historisch gesehen sind mehr Leute an der Religion als an Krebs gestorben.«

«Ich hasse Vergewaltiger. Ich stelle mir vor, wie mich jemand anal vergewaltigt, und der Zorn übermannt mich. Es ist jedoch wichtig, ein Urteil kalt zu fällen.«

Weiter hinten stieß ich ganz unverhofft auf das, was Elliot Trelawney gemeint haben mußte.

Greville hatte notiert:»Derek kam sehr steif mit gebrochenen Rippen zum Essen. Ich fragte ihn, wie er es schaffe, mit all seinen Verletzungen zu leben. >Vergiß den Schmerz und laß die Party weiterlaufenc, sagte er. Also tranken wir Schampus.«

Ich hörte zu lesen auf und blickte in die herbstliche Landschaft hinaus, über der es dunkel zu werden begann und in der überall Lichter angingen. Ich erinnerte mich noch sehr gut an diesen Abend, bis zu einem gewissen Punkt. Greville war sehr lustig gewesen. Der Cocktail aus Champagner und Schmerztabletten hatte mich ganz schön high gemacht und ich hatte nicht das geringste gespürt, bis ich am folgenden Morgen aufwachte. Ich war siebzig Kilometer bis zu mir nach Hause gefahren, ohne dies irgendwie mitbekommen zu haben, und es war nicht zuletzt diesem erschreckenden Umstand zuzuschreiben, daß ich mich im Augenblick und so gehorsam an Mineralwasser hielt.

Es war fast schon zu dunkel, um noch weiterlesen zu können, aber ich blätterte doch noch eine Seite um und fand etwas, was beinah schon ein Gebet war — so persönlich und leidenschaftlich, daß ich spürte, wie mein Mund ganz trocken wurde. Auf der ganzen Seite standen nur drei Zeilen:

Laß mich mein Geschäft ehrenhaft betreiben.

Laß mich mutig handeln.

Laß mich demütig werden.

Ich hatte das Gefühl, als hätte ich dies nicht lesen sollen; wußte, daß er nicht gewollt hatte, daß es gelesen würde. Laß mich demütig werden… es war ein Gebet für Heilige.

Als wir bei meiner Wohnung angelangt waren, sagte ich Brad, daß ich am Tag mit der Bahn nach London fahren wolle, was ihn ganz vernichtet aussehen ließ.

«Ich fahr Sie auch ohne Geld«, sagte er heiser.

«Es ist nicht das Geld. «Ich war von der Intensität seiner Gefühle überrascht.»Ich dachte nur, Sie seien vielleicht die viele Warterei leid.«

Er schüttelte heftig und mit inständig flehenden Augen den Kopf.

«Also gut«, sagte ich.»Morgen London, am Freitag Ipswich, okay?«

«Wollja«, sagte er mit offensichtlicher Erleichterung.

«Und ich werde Sie bezahlen, versteht sich.«

Er sah mich einen Augenblick lang stumm an, tauchte dann mit dem Kopf nach unten und in das Innere des Wagens, um den großen braunen Umschlag, den wir aus Grevilles Haus mitgebracht hatten, herauszuholen und wartete schließlich, bis ich die Haustür aufgeschlossen und mich vergewissert hatte, daß mir dahinter keine ungebetenen Gäste auflauerten.

Alles war ruhig, alles in Ordnung. Brad nickte auf meine Entwarnung hin, übergab mir den Umschlag und eilte in die Nacht davon, wortloser denn je. Ich hatte nie viel darüber nachgedacht, was er wohl in den vielen stillen Stunden denken mochte, hatte nie versucht, so nahm ich an, ihn wirklich zu verstehen. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich das tatsächlich wollte. Es war alles so ungemein bequem so, wie es war.

Ich verzehrte eine mikrowellenerhitzte Hühnerfleischpastete aus dem Kühlschrank und begann danach ohne große Begeisterung mit der Bearbeitung von Grevilles Post, bezahlte seine Rechnungen für ihn, löste sein Konto auf, sagte seine Einladungen ab, schrieb tut mir leid, tut mir leid, tut mir sehr leid.

Dann ging ich trotz aller guten Vorsätze meinen Berg von Unerledigtem nicht an, sondern las Grevilles Notizbuch zu Ende durch, nach Diamanten suchend. Da mochte es ja ein paar ordentliche Goldklumpen, vielleicht sogar Perlen der Weisheit geben, aber nicht die geringsten hilfreichen Anweisungen a la» Wende dich am vierten Apfelbaum nach rechts, geh fünf Schritte geradeaus und dann grabe!«

Dagegen fand ich die Antwort auf ein kleineres Rätsel, die ich mit gequältem Vergnügen las:

Das Kästchen aus grünem Speckstein gefällt mir als ein gutes Beispiel für Irreführung und trickreiche Verschlagenheit. Zu dem Schlüsselloch gibt es keinen Schlüssel, weil gar kein Schloß vorhanden ist. Es ist unmöglich, das Denken eines Menschen mit Schlüsseln zu öffnen, aber mit List und Druck läßt sich das wohl erreichen, wie im Falle des Kästchens.

Trotz dieser schlichten Aufforderung, mich der List und Tücke zu bedienen, brauchte ich eine Ewigkeit, um das Geheimnis zu lüften. Ich versuchte es damit, daß ich auf die beiden Scharniere drückte, auf das vermeintliche Schloß, auf den Deckel, ich drehte das Kästchen herum und drückte wieder auf alle Teile — der grüne Stein blieb störrisch und verschlossen.

Irreführung, dachte ich. Wenn das Schlüsselloch zu keinem Schloß gehörte, vielleicht waren dann die Scharniere auch gar keine Scharniere. Vielleicht war der Deckel gar kein Deckel. Vielleicht war das ganze Kästchen gar kein Kästchen, sondern ein solider Block.

Ich versuchte es noch einmal mit dem umgedrehten Kästchen, drückte mit dem Daumen fest auf die nach oben zeigende Unterseite und bemühte mich dabei, sie gleichzeitig nach vorn zu schieben. Nichts rührte sich. Ich drehte das Kästchen und drückte in die entgegengesetzte Richtung — und als beseufze er die Dauer meiner Begriffsstutzigkeit, glitt der Boden zögernd halb nach außen. Nicht weiter.

Eine wahrlich hübsche Arbeit, dachte ich. Wenn das Kästchen geschlossen war, war buchstäblich nicht zu sehen, daß der untere Teil gar nicht aus einem Stück war — so genau war der Deckel eingepaßt. Mit großer Neugier sah ich nun nach, was Greville wohl in diesem raffinierten Versteck verborgen hatte, wobei ich nicht wirklich erwartete, Diamanten darin zu finden. Vielmehr zog ich zwei abgenutzte Lederbeutelchen mit Verschlußschnüren hervor, Beutel, wie sie Juweliere gern verwenden, deren jeweiliger Name dann oft draufsteht.

Zu meiner großen Enttäuschung waren beide Beutel leer. Ich stopfte sie wieder in die Höhlung zurück, schloß das Kästchen — und da stand es nun den ganzen Abend auf dem Tisch neben dem Telefon herum, ein gelöstes Rätsel, gleichwohl aber völlig nutzlos.

Erst als ich beschloß, zu Bett zu gehen, fiel der Groschen, machte es plötzlich klick in meinem Kopf, und ein nur halb wahrgenommenes Wort wurde mit einem Male zu einem vollständigen Gedanken. Van Ekeren, in Goldprägung. Vielleicht war ja dieser Name des Juweliers, mit dem die Beutelchen beschriftet waren, doch einen zweiten Blick wert.

Ich öffnete das Kästchen erneut, zog die Beutel wieder heraus und fand darauf den vollständigen Namen und die vollständige Adresse des Juweliers, abgeschabt und verblichen zwar, aber lesbar:

JACOB VAN EKEREN

Pelikaanstraat 70 Antwerpen

Es mußte, so ging mir durch den Kopf, in Antwerpen wohl an die zehntausend Juweliere geben. Die Lederbeutelchen

waren alles andere als neu, ganz gewiß nicht nur ein paar Wochen alt. Und doch… ich sollte dem mal nachgehen.

Ich nahm einen der beiden Beutel an mich, steckte den anderen in das Kästchen zurück, das ich verschloß, und nahm am folgenden Morgen die leicht verkrumpelte Trophäe mit nach London, wo ich mit Hilfe der internationalen Telefonauskunft die Nummer von Jacob van Ekeren ermitteln konnte.

Die Stimme, die sich in Antwerpen vernehmen ließ, sprach entweder holländisch oder flämisch, weshalb ich es mit Französisch versuchte: »Je veuxparler avec Monsieur Jacob van Ekeren, s’il vousplatt.«

«Ne quittez pas.«

Ich blieb am Apparat, wie mir aufgetragen worden war, bis sich eine andere Stimme meldete, diesmal französisch, was ich nur allzu unvollkommen beherrsche.

«Monsieur van Ekeren n ’estpas ici maintenant, Monsieur.«

«Parlez-vous anglais?« fragte ich.»Ich rufe aus England an.«

«Attendez.«

Wieder wartete ich und wurde dann mit einer sehr englisch klingenden Stimme belohnt, die fragte, ob sie mir behilflich sein könne.

Ich erklärte, daß ich im Namen von Saxony Franklin Ltd. anrufe, Importeur von Edelsteinen in London.

«Und womit kann ich dienen?«Mein Gesprächspartner war höflich und unverbindlich.

«Sagen Sie mir«, antwortete ich kühn,»schleifen und polieren Sie Rohdiamanten?«

«Ja, natürlich«, sagte er.»Aber bevor wir mit neuen Kunden in Geschäftsbeziehung treten können, benötigen wir Empfehlungen und Referenzen.«»Hm«, sagte ich.»Aber ist Saxony Franklin nicht schon Ihr Kunde? Oder vielleicht Greville Saxony Franklin? Oder einfach Greville Franklin? Es ist wirklich wichtig.«

«Darf ich Ihren Namen erfahren?«

«Derek Franklin. Grevilles Bruder.«

«Einen Augenblick bitte. «Er meldete sich nach einer Weile wieder und sagte, er wolle in Kürze zurückrufen.

«Ich danke vielmals«, sagte ich.

«Pas du tout.« Sogar zweisprachig war er!

Ich legte den Hörer auf und bat Annette und June, die geschäftig hin und her liefen, in Grevilles Unterlagen nach Jacob van Ekeren zu suchen.»Und sehen Sie doch mal nach, ob Antwerpen irgendwie im Computer drin ist«, trug ich June zusätzlich auf.

«Schon wieder Diamanten!«

«Und ob. Die Adresse von van Ekeren in Antwerpen lautet Pelikaanstraat 70.«

Annette zog die Stirne kraus.»Das ist die belgische Entsprechung von Hatton Garden«, sagte sie.

Meine Bitte störte ihre normale Arbeit, und sie waren nicht sehr begeistert, aber Annette konnte schon bald mitteilen, daß sie keinen Jacob van Ekeren in ihrer Ablage habe, daß die Unterlagen der Firma auch nur sechs Jahre zugänglich aufbewahrt würden und daß sich weitere, sollte es einen Kontakt vor dieser Zeit gegeben haben, im Archiv im Keller befänden. Dann rauschte June herein und meldete, daß sie weder einen van Ekeren noch eine Pelikaan-straat noch Antwerpen in ihrem Computer finden könne.

Eigentlich war das nicht so überraschend. Wenn Greville daran gelegen hätte, daß alle Mitarbeiter der Firma von seiner Diamantentransaktion wußten, dann hätte er sie wohl auch in aller Offenheit abgewickelt. Sehr merkwür-dig, dachte ich, daß er eben dies nicht getan hatte. Wenn es nicht Greville gewesen wäre, dann hätte man ihn irgendeiner hinterhältigen Machenschaft verdächtigen können, aber soweit ich wußte, hatte er stets ehrenhaft Handel getrieben, wie es ja auch seinem Gebet entsprach.

Das Telefon klingelte, und Annette hob ab.»Saxony Franklin, womit kann ich dienen?«Sie lauschte.»Derek Franklin? Ja, einen Augenblick bitte. «Sie reichte mir den Hörer, und ich vernahm die sanfte französisch-englische Stimme aus Belgien. Ich wußte so gut wie er, daß er die Zeit zwischen den Telefonaten damit verbracht hatte, sich von der internationalen Auskunft unsere Nummer zu besorgen, um meine Angaben zu überprüfen und sich zu vergewissern, daß ich auch der war, der zu sein ich behauptet hatte. Einfach eine Vorsichtsmaßnahme. Ich hätte genau das gleiche getan.

«Mr. Jacob van Ekeren ist in den Ruhestand gegangen«, sagte er.»Ich bin sein Neffe Hans. Unsere Nachforschungen haben ergeben, daß wir in den zurückliegenden sechs oder sieben Jahren in keiner Geschäftsbeziehung zu Ihrem Hause gestanden haben, aber ich kann nichts über die Zeit davor aussagen, als mein Onkel noch Chef unseres Unternehmens hier war.«

«Ich verstehe«, sagte ich.»Könnten Sie, äh, könnten Sie vielleicht Ihren Onkel mal fragen?«

«Das kann ich, wenn Sie es wünschen«, erwiderte er höflich.

«Ich habe auch schon bei ihm angerufen, aber wie ich hörte, sind er und meine Tante bis Montag verreist. Das Hausmädchen scheint nicht zu wissen, wohin. «Er machte eine Pause.»Dürfte ich Sie fragen, worum es eigentlich geht?«

Ich erklärte ihm, daß mein Bruder sehr plötzlich gestorben sei und mir eine ganze Menge unerledigter Dinge hinterlassen habe, um die mich zu kümmern ich nun bestrebt sei.»Dabei stieß ich auch auf den Namen und die Adresse Ihrer Firma. Ich gehe allen offenen Fragen nach, soweit mir dies möglich ist.«

«Ah«, sagte er mitfühlend.»Ich werde meinen Onkel ganz bestimmt am Montag fragen und Ihnen dann Bescheid geben.«

«Ich bin Ihnen sehr verbunden.«

«Nicht der Rede wert.«

Dieser Onkel, dachte ich verdrossen, war wohl eine Fehlanzeige.

Ich ging, öffnete den Tresorraum und sagte Annette, daß Prospero Jenks den gesamten Spinell haben wolle.»Und er meint, wir hätten da noch ein Stück Bergkristall so groß wie der Eiger.«

«Der was?«

«Steiler Berg. Wie der Mont Blanc.«

«Oh. «Sie ging am Regal entlang und zog einen schweren Kasten heraus, der fast ganz am Ende stand.»Das ist er«, sagte sie, wuchtete ihn aufs leere Regal und öffnete ihn.»Hübsch.«

Der Eiger, der die ganze Schachtel füllte, lag auf der Seite, hatte einen knubbeligen Fuß, so daß man ihn nicht aufstellen konnte, aber ich vermochte mir angesichts seiner durchsichtigen Flächen und angewinkelten Ebenen doch vorzustellen, daß er, mit diamantenen Sternen verziert und der Jenkschen Lichtbehandlung ausgesetzt, sehr gut das Kernstück eines Phantasiegebildes abgeben konnte, das diesen Namen verdiente.

«Und was für einen Preis können wir dafür nennen?«

«Das Doppelte des Einkaufspreises«, sagte sie fröhlich.»Zuzüglich Mehrwertsteuer, Verpackung und Versandkosten.«»Er möchte, daß wir ihm das alles per Bote schicken.«

Sie nickte.»Das will er immer. Jason wird’s mit dem Taxi hinbringen. Überlassen Sie das nur mir, ich erledige das.«

«Und wir verstauen auch besser noch die Perlen, die gestern gekommen sind.«

«O ja.«

Sie ging hinaus, um sie zu holen, und ich begab mich zu der Stelle, bis zu der ich mich gestern vorgearbeitet hatte, insgeheim sicher, daß meine Suche vergeblich war, trotzdem aber gewillt, sie zu Ende zu führen. Annette kehrte mit den Perlen zurück, die wenigstens nicht in diesen unhandlichen Umschlägen, sondern in Plastiksäckchen mit Kordeln steckten, und während sie die Neuzugänge zählte und einsortierte, überprüfte ich den vorhandenen Bestand.

Viele Schachteln mit Perlen aller Größen. Keine Diamanten.

«Sagt Ihnen kZr irgend etwas?«fragte ich Annette beiläufig.

«kZr bedeutet kubischer Zirkon«, sagte sie prompt.»Wir verkaufen eine ganze Menge davon.«

«Sind das nicht, äh, so Diamantimitate?«

«Das sind hergestellte Kristalle, die dem Diamant sehr ähnlich sind, aber zehntausendmal billiger. Wenn so einer in einem Ring steckt, können Sie keinen Unterschied feststellen.«

«Kann das keiner?«fragte ich.»Es muß doch aber möglich sein.«

«Mr. Franklin meinte, daß kein Juwelier es auf einen Blick erkennen könne. Die beste Methode sei noch die, sagte er, die Steine aus ihren Fassungen zu nehmen und zu wiegen.«»Sie wiegen?«

«Ja. Kubischer Zirkon ist viel schwerer als Diamant und deshalb ist ein einkarätiger Stein davon auch kleiner als ein einkarätiger Diamant.«

«kZr ist gleich C mal eins Komma sieben«, sagte ich.»Das ist richtig«, sagte sie überrascht.»Woher wissen Sie das?«