177787.fb2 Verneig dich vor dem Tod - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

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Kapitel 15

Eadulf schaute sie beunruhigt an.

»Willst du im Ernst in die Abtei zurückkehren? Die Idee ist absurd.«

Fidelma setzte eine gleichgültige Miene auf.

»Dann nenn mir eine andere Methode, die Wahrheit herauszubekommen, als diese Rückkehr. In Aldreds Abtei laufen alle Fäden zusammen. Es könnte eine Fügung Gottes sein, daß dieser Anwalt oder Richter deines Volkes dorthin gefahren ist. Wenn er ein ehrlicher Mensch ist, kann er unsere Rettung bedeuten.«

»Doch wenn er es vorzieht, sich auf die Seite von Abt Cild zu stellen, was wird dann aus uns?« wandte Eadulf ein.

»Wenigstens einen Vorteil haben wir: Wir können in die Abtei gelangen, ohne daß uns jemand bemerkt, und vielleicht kommen wir bis zu den Gästezimmern durch und finden diesen alten Richter, bevor Abt Cild davon erfährt.«

»Das ist ein ziemlich verzweifeltes Vorgehen«, meinte Eadulf. »Höchstwahrscheinlich würden wir von Cild oder sogar von Sigerics Leibwache abgefangen, und dann könnten wir uns nicht helfen, geschweige denn anderen helfen oder das Rätsel lösen.«

Draußen waren laute Stimmen zu hören. Eadulf ging zur Tür der Hütte und schaute hinaus.

»Es ist Aldheres Frau - die fränkische Frau, von der ich dir erzählt habe.«

Fidelma kam ebenfalls zur Tür.

Draußen war die flachsblonde Frau vom Pferd gestiegen und sprach schnell auf Aldhere ein. Ein anderer Mann stieg auch ab und lud Tragkörbe ab, die anscheinend Lebensmittel enthielten. Das bestätigte wohl Aldheres Aussage, daß sie zur nahen Stadt geritten waren, um einzukaufen. Aldhere antwortete Bertha ruhig und ebenso rasch. Bertha unterbrach ihn und hieb mit der Faust durch die Luft, um ihre Worte zu unterstreichen. Dann wandte sie sich jäh um, stieg wieder auf und ritt davon. Sie hatten zu weit ab gestanden, als daß Eadulf und Fidelma ihr Gespräch hätten verstehen können. Fidelma zuckte die Achseln und kehrte zu ihrem Platz zurück.

»Wie es scheint, sind nicht alle sächsischen Frauen in Gegenwart ihrer Männer still«, meinte sie spitz.

»Bertha ist Fränkin«, entgegnete Eadulf.

»Ein feiner Unterschied. Jedenfalls muß ich unseren Freund Wiglaf noch befragen, bevor wir von hier aufbrechen«, sagte sie, als Eadulf wieder in den Raum kam.

»Er wollte doch um diese Zeit im Lager zurück sein«, antwortete Eadulf beunruhigt. »Ich frage mich, wo er bleibt.«

»Wo wer bleibt?« schaltete sich Aldhere ein. Er war unbemerkt hinter Eadulf eingetreten.

Fidelma ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Wiglaf. Der Mann, der uns herbrachte.«

Aldhere kniff einen Moment die Augen zusammen.

»Was könnte er euch sagen, was ich euch nicht sagen kann?« fragte er mißtrauisch.

»Vielleicht nichts. Immerhin stand er in direkter Verbindung mit Bruder Botulf im Kloster bis zu dem Abend, an dem Botulf sich mit dir treffen wollte.«

Aldhere nickte langsam. »Das stimmt.«

»Also könnte er vielleicht etwas beitragen, was nützlich wäre.«

»Nun, wie ihr wißt, steht er auf Posten, aber er sollte bald ins Lager zurückkehren. Ich nehme an, ihr bleibt doch zum Mittagessen?«

»Das würde uns freuen.« Fidelma lächelte. »Wird deine fränkische Freundin auch dabei sein?«

Aldhere zögerte einen Moment, dann lächelte er.

»Bertha muß sich im Augenblick um andere Dinge kümmern, Schwester. Vielleicht kommt sie später dazu.«

»Und Lioba?« fragte Eadulf mit plötzlicher Bosheit. »Ist sie oft hier zu Gast?«

Aldheres Gesicht rötete sich leicht. Trotzig schob er das Kinn vor.

»Was weißt du von Lioba?«

»Ich hörte, sie sei ein recht eigenwilliges Mädchen, wohlbekannt in der Abtei - und in deinem Lager.«

Aldhere überlegte einen Moment, dann zuckte er die Achseln.

»Du hast ein gutes Ohr für Tratsch, heiliger gerefa. Das Mädchen ist die Tochter eines Bauern aus dieser Gegend, und sie muß sich irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie hat Verbindungen zur Abtei, deshalb kommt sie in mein Lager und versorgt mich mit Nachrichten, die ich auf andere Weise nicht erhalten könnte.«

Es war klar, daß Aldhere an einer Fortsetzung dieses Themas nicht gelegen war. Fidelma wechselte es, denn sie hatte noch anderes im Sinn.

»Hast du von Gerüchten gehört, wonach Kriegertrupps aus Ost-Sachsen kürzlich Überfälle verübt haben?« fragte sie.

Aldhere schaute Eadulf lächelnd an.

»Dein Freund, der heilige gerefa, könnte dir davon berichten. Er wurde neulich beinahe von der Mannschaft eines Langschiffs aus Ost-Sachsen umgebracht.«

»Ach, das weiß ich. Ich meine einen größeren Angriff von mehreren Schiffen.«

Aldheres Miene drückte Spott aus.

»Sprichst du von Sigehere und seinen Kriegertrupps? Die sind nicht in der Lage zu stärkeren Angriffen. Das Königreich der Ost-Sachsen ist zu sehr gespalten. Sige-here und Sebbi liegen sich in den Haaren. Einzelne Langschiffe können von Zeit zu Zeit hier und dort zuschlagen, und es gab ein paar Überfälle an der Grenze, aber keinen größeren Angriff. Sigeheres Männer sind wie Mücken über dem Moorland im Sommer. Lästige Stiche, aber mehr nicht. Wie kommst du zu dieser Frage?«

Es war das, was sie erwartet hatte.

»Jemand behauptete, vor zwei Tagen hätte ein solcher Angriff stattgefunden. Ich nehme an, das war ein Irrtum?«

Aldhere nickte nachdrücklich. »Wenn die Leute Angst haben, bilden sie sich alles mögliche ein. Von einem solchen Angriff würde ich etwas wissen.«

»Mir ist eingefallen«, meinte Fidelma in nachdenklichem Ton, »da du doch in Feindschaft mit deinem König lebst, ob du vielleicht den König von OstSachsen ganz gern in diesem Land sähst?«

Aldhere richtete sich mit zorniger Miene auf.

»Ich mag ein Geächteter sein, aber ein Verräter bin ich nicht«, fauchte er. »Hörte ich solche Worte von einem Mann, würde ich mein Schwert ziehen.«

»Dann ist es ja ein Glück, daß ich bloß eine Frau bin«, antwortete Fidelma ohne Zerknirschung. »Weißt du, es gibt Leute, die würden sagen, es wäre doch logisch, daß du dich in deiner Wut auf Ealdwulf nun Sigehere zuwenden würdest.«

»Zeig sie mir, und ich werde ihr Wort gegen meins mit der Schwertklinge prüfen«, knurrte Aldhere.

Fidelma lächelte leicht. »Damit würdest du nur prüfen, wer der bessere Fechter ist. Was meinst du, weshalb solche Geschichten über dich im Umlauf sind?«

»Ich vermute, daß solche üblen Geschichten im Umlauf sind, weil mein Bruder sie verbreitet. Wer sollte es denn sonst tun?«

»Dann sind sie also boshaft und entbehren jeder Grundlage?«

»Du hast Glück, daß ich von ruhiger Gemütsart bin, Schwester«, lächelte Aldhere, doch es war kein fröhliches Lächeln. »Ich habe dir schon gesagt, daß ich mein Volk nicht verkaufe. Ealdwulf wird es vielleicht eines Tages bereuen, daß er sich von einem Vorurteil hat leiten lassen und mich geächtet hat. Aber er ist der König, und mein Streit mit ihm bleibt in den Grenzen dieses Königreichs. Ich könnte wohl einmal in diesem Land ein Heer aufstellen und ihn zwingen, meinen Standpunkt anzuerkennen, aber ich würde mich nie mit einem auswärtigen Feind verbünden, um ihn zu stürzen.« Er hielt inne und fuhr dann fort: »Ich nehme an, damit bist du mit deinen Fragen am Ende. Hier ist Brot, Fleisch und Met. Wir wollen essen und auf Wiglaf warten.«

Fidelma akzeptierte diesen Abbruch ihrer Nachforschungen, und sie widmeten sich der Mahlzeit, bei der Aldhere sich nach den Ländern erkundigte, die sie besucht hatten, und dem Leben der Menschen in ihnen. Besonders interessiert zeigte er sich an der Pilgerfahrt nach Rom, die Fidelma und Eadulf unternommen hatten. Er stellte seine Fragen mit Witz und Scharfsinn.

Einige Zeit verging, und Wiglaf und seine Männer waren immer noch nicht zurückgekehrt. Fidelma merkte, daß Aldhere trotz seines gelassenen und freundlichen Umgangs begann, sich Sorgen zu machen. Es war weit über die Zeit hinaus, zu der Wiglaf erwartet worden war, und endlich konnte Aldhere seine Befürchtungen nicht mehr verhehlen. Er stand auf und entschuldigte sich: »Wenn ihr gestattet, nehme ich ein paar Männer mit und suche nach Wiglaf.«

Fidelma erhob sich sofort.

»In dem Fall reiten wir mit dir. Es wird spät, und wir haben auch noch viel zu tun. Vielleicht haben wir Glück und treffen Wiglaf unterwegs, dann kann ich ihm meine paar Fragen gleich dort stellen.«

Aldhere hatte nichts dagegen einzuwenden, und kurz darauf strebten er und zwei seiner Männer sowie Fidelma und Eadulf auf ihren Pferden den Waldweg entlang nach Süden.

Sie waren noch nicht weit gekommen, als einer der Männer einen Ruf ausstieß.

Der Grund dafür war nicht zu übersehen.

Auf dem Boden vor ihnen lag ein Leichnam. Sie erkannten schnell, daß es einer von Wiglafs Männern war. Zwei Pfeile staken in seiner Brust, und der Schnee um ihn herum war blutgetränkt.

Ein neuer Ruf.

Zwischen den Bäumen, nur wenige Schritt entfernt, fanden sie zwei weitere Tote. Auch sie waren Pfeilen zum Opfer gefallen.

Aldhere und seine Männer hatten ihre Schilde aus den Haltern genommen und hielten ihre Schwerter in der Hand. Sie spähten aufgeregt in den Wald.

Ein paar Schritte weiter stießen sie auf den Leichnam Wiglafs. Ein Pfeil hatte seine Kehle durchbohrt, ein anderer war unter dem Brustbein eingedrungen. Eadulf schaute auf ihn herab und seufzte traurig.

»Wer zum Hängen geboren ist, ertrinkt nicht«, flüsterte er.

Fidelma sah ihn verwundert an. Eadulf erklärte achselzuckend: »Das war sein Wahlspruch.«

»He!«

Sie wandten sich zu einem der Männer Aldheres um, der abgestiegen war und einen der Posten untersuchte.

»Dieser Mann lebt noch, Than von Bretta’s Ham«, rief er.

Sie scharten sich um ihn.

»Ich verstehe etwas von Medizin. Laßt mich durch«, sagte Eadulf und schob sich nach vorn. Doch nach einem raschen Blick auf die Pfeilwunden wandte er sich mit kurzem Kopfschütteln ab. Dem Verletzten war nicht mehr zu helfen.

»Wer hat das getan?« fragte Aldhere leise und beugte sich über ihn. »Hast du gesehen, wer es war?«

Der Sterbende schaute auf, doch seine Augen waren blicklos, er nahm die Umstehenden nicht mehr wahr. Seine Lippen waren trocken und blutig. Sie zitterten leicht, aber es kam kein Laut.

»Wer war das?« rief Aldhere und neigte sich tief zum Mund des Mannes. »Sprich. Versuch zu sprechen.«

Die Lippen zitterten wieder.

»Der ... der Abt ...«

Mit einem Seufzer fiel der Mann zurück.

Aldhere stand auf, und sein Gesicht war voller Zorn.

»Cild!« murmelte er.

»Lord!« rief einer seiner Männer, der die anderen Leichen untersucht hatte. Er kam herbei und hielt ihnen etwas hin.

Aldhere nahm den Gegenstand in die Hand, drehte ihn hin und her und zeigte ihn dann Fidelma und Eadulf.

»Es gibt keinen Zweifel mehr«, sagte er leise.

Der Gegenstand war ein Kruzifix an einem Lederriemen, der durchgerissen war.

»Cild ist verantwortlich für diese Schandtat.«

Fidelma war überrascht von der Bitterkeit in seiner Stimme.

»Der Haß zwischen dir und deinem Bruder scheint sehr tief zu gehen. Tiefer, als du es mir gesagt hast, glaube ich.«

Aldhere kniff die Augen zusammen. »Wie meinst du das?«

»Ich meine die Tatsache, daß Abt Cild seine Mönche bewaffnet hinausführt, um dich und deine Gefolgsleute anzugreifen. Er hat keine Hemmungen, deine Männer zu töten. Du hast mir erklärt, die Feindschaft sei entstanden, weil dein Vater ihn zu deinen Gunsten enterbt hat. Es fällt mir schwer, zu begreifen, daß er nur deshalb einen Haß empfindet, der ihn zu solchen Taten treibt.«

Aldheres Miene war düster.

»Du kennst die ganze Abgründigkeit der Seele meines Bruders nicht, Schwester. Einer Seele, die von schwarzem Haß gegen alle Menschen erfüllt ist.« Er wies auf die Leichen im Wald. »Brauchst du noch weitere Beweise für seinen üblen Charakter?«

Er wandte sich um und erteilte die Befehle an seine Männer für den Transport der Leichname zum Lager.

»Was habt ihr jetzt vor?« wollte er dann von Fidelma und Eadulf wissen. »Wollt ihr im Schutz meines Lagers bleiben?«

»Wir können nicht viel tun«, murmelte Fidelma kopfschüttelnd. »Wiglaf hat als letzter mit Botulf gesprochen, und Botulf war wahrscheinlich der einzige, durch den wir hätten erfahren können, was wirklich in Aldreds Abtei vor sich geht. Wir werden Weiterreisen. Es hat wenig Zweck, wenn wir hier bei dir bleiben.«

»Heißt das, ihr kehrt nach Canterbury zurück?« fragte Aldhere überrascht.

»Vielleicht«, antwortete Fidelma knapp.

Sie bestiegen ihre Ponys und verließen Aldhere und seine Männer, die sich an ihre traurige Arbeit machten.

Als sie ein Stück geritten waren, sagte Eadulf: »Ich kenne dich, Fidelma. Du willst bestimmt nicht jetzt schon nach Canterbury zurück.«

Fidelma verzog das Gesicht.

»Natürlich nicht.« Sie schmunzelte.

»Also willst du doch wieder zur Abtei? Auch nach diesem Beispiel von Cilds Grausamkeit?«

»Hast du jemals daran gezweifelt?«

Eadulf schwieg einen Moment, dann zuckte er die Achseln. »Ich glaube nicht.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Willst du tatsächlich Lord Sigeric um Unterstützung ersuchen?«

»Es scheint, als wäre das unsere einzige Hoffnung, das troscud zu verhindern. Wenn wir nicht feststellen können, was mit Gelgeis und Botulf geschah, müssen wir einen anderen Weg finden, Gadra von seinem rituellen Fasten abzubringen.«

»Wären die Folgen wirklich so schlimm, wie du sagtest?«

Fidelma sah ihn an, und er las die Antwort in ihrem Gesicht.

»Wenn es nicht so wäre«, erwiderte sie, »dann wäre ich jetzt unterwegs zum nächsten Hafen, um ein Schiff nach Hause zu suchen und nicht eine Stunde länger in dieser Wildnis voller Haß und Krieg zu bleiben.«

Bei der Schärfe ihrer Worte zuckte Eadulf zusammen. Sie spürte seine Reaktion und empfand sofort Reue.

»Es hätte keinen Zweck, wenn ich so täte, als gefiele mir dieses Land mit seinen Bräuchen, Eadulf. Mir erscheint es als ein Ort von heftiger und unbeherrschter Natur. Ein Ort extremer Gegensätze, aggressiv, hochfahrend und ohne Rücksicht auf andere.«

Eadulf sah schockiert aus. »Du hast doch kaum genug davon gesehen, daß du zu solch einer Folgerung kommen könntest.«

»Wirklich nicht?«

»Dies ist mein Volk, Fidelma. Ja, es entstammt einer Tradition, in der das Schwert eher regiert als der Pflug, aber ich weiß, daß mein Volk aufrichtig ist, begabt und zur Führerschaft bei gefährlichen Unternehmungen befähigt. Wir sind ein streitbares Volk, das stimmt, aber wir können uns auch für unsere Religion und unsere Politik begeistern und sind immer entschlossen.«

Fidelma schaute ihn belustigt an.

»Du verteidigst dein Volk mit Hingabe, Eadulf.« Sie lächelte.

»Ich fürchte, du tust ihm unrecht.«

»Ich muß es so beurteilen, wie ich es vorfinde.«

»Beurteilen nach Leuten wie Cild und Aldhere? Sie sind nicht typisch für mein Volk.«

»An ihnen richte ich mein Denken nicht aus. Ich beobachte eure Bräuche und eure Rechtsprechung. Im ganzen erscheint euer Volk ungestüm und unerfahren in zivilisierter Lebensweise. Vielleicht müßte die Neigung zur Führerschaft, von der du sprachst, ausgeglichen werden durch das Streben der einzelnen Menschen nach einem höheren Stand.«

Eadulf errötete vor Ärger.

»Ich meine, das ist deiner nicht würdig, Fidelma«, sagte er ärgerlich. »In deinem eigenen Land gibt es auch Krieg, Mord, Haß und Eifersucht, trotzdem verurteilst du es nicht als barbarisch.«

»Weil wir ein Rechtssystem und ein Sozialsystem entwickelt haben, in dem solche Dinge nicht zur normalen Lebensweise gehören. Ich fürchte, daß in deinem Land, Eadulf, selbst die Gesetze von der Brutalität des Lebens geprägt sind.«

Eadulf antwortete nicht. Es war klar, daß er zutiefst verletzt war. Fidelma unterdrückte einen ärgerlichen Seufzer, als sie merkte, zu welchem Zorn sie ihn gereizt hatte. Doch sie wußte, daß seine Erregung zwar rasch und heftig aufflammte und hell brannte, sich aber ebenso rasch wieder legte und er sich bald beruhigte. Eadulf konnte keinen langen Groll hegen.

Sie waren eine Weile schweigend weitergeritten, als sich ihre Einschätzung seines Charakters als richtig erwies.

Es wurde dunkel, obwohl es noch nicht spät war, denn der Wintertag war kurz. Soweit Eadulf wußte, mußten sie bald in die Gegend kommen, die Hob’s Mire hieß, und ihn überkam ein gewisses Bangen. Er richtete seinen Blick darauf aus, die irrlichternde blaue Flamme zu erspähen. Sein logischer Verstand kannte die Erklärung für das ignis fatuus, doch er erinnerte sich auch an die Legenden vom »Leichenfeuer«, wie es sein Volk nannte.

»Hinter den Bäumen da vorn«, warnte er leise, »liegt die Abtei. Von jetzt an müssen wir uns vorsichtig bewegen.«

Sie nickte. »Ich meine, wir sollten hinein denselben Weg nehmen, auf dem wir herausgekommen sind.«

»Ich wünschte, wir hätten noch mehr Tageslicht«, brummte er. »Ohne Licht wird der Eingang schwer zu finden sein.«

Er starrte angespannt in das Dunkel vor ihnen, und plötzlich berührte er ihren Arm. Sie wollte ihn fragen, doch dann sah sie, daß er den Finger an die Lippen gelegt hatte. Sie wartete, und dann zeigte er nach vorn.

»Ich glaube, da hat sich was bewegt«, flüsterte er. »Bei den Bäumen halten ein paar Reiter.«

»Reiter?« fragte sie leise. »Kannst du sehen, was das für Männer sind?«

»Nicht von hier aus.«

»Ein merkwürdiger Ort für einen Treffpunkt.« Plötzlich stieg sie ab. »Komm, wir lassen unsere Ponys hinter den Bäumen dort, ein Stück entfernt vom Weg. Dann können wir vorgehen und mehr erkennen.«

»Ist das klug?« fragte Eadulf. »Es sind mehrere Männer, und wahrscheinlich sind sie bewaffnet.«

Fidelma lächelte in der Dunkelheit. »Ich halte es für klug, und wie Phädrus sagt, >Klugheit ist immer stärker als bloße Gewalt<. Komm.«

Eadulf stieg widerwillig ab, führte die Ponys in den Schutz der Bäume und band sie an dichten Büschen fest. Dann kam er zurück, und gemeinsam schlichen sie auf dem Weg weiter.

»Wir sollten uns mehr im Wald halten«, schlug er beunruhigt vor, nachdem sie ein Stück vorangekommen waren. »Es ist zwar dunkel, aber der Schnee bietet uns keine Deckung.«

Sie nickte rasch und bog nach rechts ab zu einem bewaldeten kleinen Hügel, von dem aus sie den Treffpunkt überschauen konnten. Sie fanden Schutz hinter einigen Felsblöcken nur wenige Schritt von der Gruppe entfernt und konnten leicht das halbe Dutzend Reiter erkennen, die dort, fest eingehüllt gegen die Kälte, hielten.

Die erste Stimme, die sie hörten, ließ Eadulf erschauern. Er kannte sie, wenngleich sie Fidelma fremd war.

»Nun, Bruder Willibrod? Wie lange noch?«

Es war Abt Cild selbst.

Die Stimme, die Antwort gab, war Fidelma jedoch sehr vertraut.

»Sie müßten bald hier sein.« Das war der einäugige dominus der Abtei.

Eadulf beugte sich vor und brachte seine Lippen an Fidelmas Ohr.

»Der erste Sprecher war Cild«, flüsterte er, damit sie wußte, mit wem Bruder Willibrod redete.

»Wenn Bruder Higbald nicht in ein paar Minuten hier ist, kehre ich zur Abtei zurück. Es ist kalt und dunkel, und wir müssen uns um einen wichtigen Gast kümmern.«

»Mach dir keine Sorgen. Lord Sigeric wird sich noch eine Weile von der Reise ausruhen.«

»Er ist der Abgesandte des Königs. Wir müssen dafür sorgen, daß er mit äußerster Höflichkeit behandelt wird.«

»Das wird geschehen«, versicherte der dominus.

»Bist du sicher, daß dies der richtige Ort ist?«

»Bruder Higbald hat sich sehr klar ausgedrückt. Er schickte einen der Brüder nach ...«

»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn Abt Cild gereizt. »Aber warum konnte er mir diese wichtige Mitteilung nicht bei seiner Rückkehr in die Abtei machen? Das verstehe ich nicht. Weißt du genau, daß er sagte, es hätte mit Gadra und seinen Forderungen zu tun?«

»Du weißt alles, was mir sein Bote übermittelt hat.«

»Ich begreife das nicht. Wer gab Bruder Higbald die Erlaubnis, die Abtei zu verlassen und in der Gegend herumzustreifen?«

»Das sollte sich alles klären, wenn er herkommt. Da bin ich ganz zuversichtlich«, versicherte ihm Bruder Willibrod.

Ein erschrockener Ausruf von einer der anderen Gestalten fuhr dazwischen.

»Christus und Seine Aposteln mögen uns beschützen!« schrie die rauhe Stimme. »Seht mal!«

Einer der Reiter hatte den Arm gehoben und zeigte zum Moor auf der anderen Seite des Weges.

Fidelma und Eadulf hoben die Köpfe, um zu sehen, was den Aufruhr hervorrief. Draußen auf dem Moor erblickten sie ein bläulich flackerndes Licht. Eadulf erschauerte leicht.

»Leichenfeuer«, flüsterte er Fidelma zu.

»Ignis fatuus«, erwiderte sie im selben Ton. »Eine Naturerscheinung. Warum verbreitet sie solches Entsetzen bei ihnen?«

Abt Cilds schriller Schrei unterbrach sie.

»Gott schütze mich!«

Er hatte sein Pferd gewendet und trieb es an, den Weg zur Abtei zurück. Bruder Willibrod und seine Begleiter preschten hinter ihm her.

Da legte Eadulf die Hand auf Fidelmas Arm und deutete in die Richtung der flackernden blauen Flamme. Dort schien eine Gestalt förmlich zu glühen. Fidelma kniff die Augen zusammen und versuchte sie zu erfassen. Es war eine menschliche Figur. Sie saß zu Pferde. Fidelma atmete überrascht aus. Es war die Gestalt einer Frau.

Eadulf neben ihr stöhnte leise.

»Es ist die Frau, die ich an dem ersten Abend in der Abtei gesehen habe.« In seiner Stimme schwang Grauen mit. »Es ist der Geist von Gelgeis!«