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Roß.
»Von diesen Kötern lassen wir uns nicht abschrecken! Los, weiter!« befahl Philotas zornig.
Sie durchquerten ein offenstehendes Tor und betraten den Hof der Villa, dessen Portikus ringsum mit Öllampen beleuchtet war. Kurz darauf trat ihnen eine wunderschöne Frau entgegen, die ein prächtig gewirktes persisches Gewand mit langen, goldenen Fransen trug.
»Wer seid ihr?« fragte sie. »Was wollt ihr?« »Verzeih unser Eindringen, aber wir suchen einen Mann, der im Dienste der Barbaren kämpft, und wir haben einigen Grund zur Annahme, daß er sich in diesem Haus aufhält, vermutlich verwundet. Wir sind seinem Arzt gefolgt.«
Die Frau zuckte bei diesen Worten unmerklich zusammen und wurde blaß vor Wut, aber sie trat zur Seite und ließ die Männer durch. »Kommt nur herein und seht euch um, wo ihr wollt; aber im Frauentrakt bitte ich euch, Rücksicht walten zu lassen - andernfalls werde ich euren König unterrichten -, ich habe gehört, daß er keinerlei Übergriffe duldet.«
»Verstanden?« fragte Philotas seine Soldaten, denen die Kleider in Fetzen vom Leib hingen.
»Tut mir leid, daß unsere Hunde euch angegriffen haben«, sagte Barsine mit einem Blick auf die übel zugerichteten Männer. »Wenn ihr euch angekündigt hättet, wäre das nicht passiert. Leider wimmelt es in dieser Gegend von Banditen, irgendwie müssen wir uns schützen. Und was den Arzt betrifft, so will ich euch sofort zu ihm begleiten.«
Mit diesen Worten führte sie Philotas ins Atrium der Villa und von dort einen langen Korridor entlang. Eine Magd ging voraus und leuchtete ihnen mit einer Fackel.
Am Ende des Korridors öffnete Barsine die Tür zu einem Zimmer, in dem ein Junge im Bett lag und von Sne-fru-en-Kaptah untersucht wurde.
»Wie geht es ihm?« fragte die Hausherrin. »Nun, ich denke, die Bauchschmerzen sind nicht besonders ernst. Wahrscheinlich hat er nur etwas Verdorbenes gegessen. Gib ihm dreimal am Tag von dem Kräutertee hier zu trinken; sonst darf er einen Tag lang gar nichts zu sich nehmen. Übermorgen ist er wieder auf der Höhe, du wirst sehen.«
»Danke, Doktor«, sagte Barsine und begleitete ihn in ein kleines Nebenzimmer, wo Philotas mit dem Arzt nur unter Beisein seines Dolmetschers sprechen wollte.
»Wir wissen, daß diese Villa Memnon gehört«, sagte er, kaum daß die Tür hinter ihnen zu war.
»In der Tat«, bestätigte der Arzt.
»Wir suchen diesen Mann.«
»Dann müßt ihr woanders suchen: Hier ist er nicht.«
»Wo ist er dann?«
»Das weiß ich nicht.«
»Hast du ihn behandelt?«
»Ja. Ich behandle alle, die meine Hilfe brauchen.«
»Du weißt, daß ich dich zum Sprechen zwingen kann, wenn ich will.«
»Mehr als das könnte ich dir auch unter Folter nicht sagen. Oder meinst du, ein Mann wie Memnon verrät seinem Arzt, wohin er flieht?«
»War er verletzt?«
»Ja.«
»Schwer?«
»Jede Wunde kann schwer sein. Das hängt vom Heilungs-prozeß ab . . .«
»Ich will keinen Medizinunterricht, ich will wissen, in was für einem Zustand Memnon war, als er von hier weggegangen ist.«
»Er befand sich auf dem Wege der Besserung.«
»Dank deiner Behandlung.«
»Und der einiger griechischer Ärzte, darunter ein gewisser Ariston aus Adramyttion, wenn ich nicht irre.«
»War er in der Lage zu reiten?«
»Keine Ahnung. Auf Pferde verstehe ich mich nicht. Und jetzt muß ich gehen, wenn du erlaubst. Ich habe heute nacht noch mehr Patienten zu versorgen.«
Philotas ließ den Arzt ziehen, da ihm nichts einfiel, was er ihn sonst noch hätte fragen können.
Im Atrium stieß er auf seine Männer, die mittlerweile das Haus durchsucht hatten.
»Und?«
»Nichts. Wir haben keine Spur von ihm gefunden. Wenn er hier gewesen ist, muß er schon vor längerer Zeit aufgebrochen sein. Oder er hat sich irgendwo versteckt, wo wir ihn nicht finden können, es sei denn ...«
»Es sei denn, was?«
»Es sei denn, wir stecken diesen Heuhaufen in Brand -wenn sich Mäuse darin versteckt haben, scheucht sie das mit Sicherheit auf, meinst du nicht?«
Barsine biß sich auf die Lippen, aber sie gab keinen Ton von sich und schlug nur die Augen nieder, um nicht den Blicken ihrer Feinde zu begegnen.
Philotas hingegen schüttelte mißbilligend den Kopf. »Unsinn, wir verschwinden. Hier gibt's für uns nichts mehr zu finden.«
Sie verließen den Hof, und kurz darauf verlor sich der Huf-schlag ihrer Pferde in der Nacht. Als sie etwa drei Stadien von Memnons Villa entfernt waren, zügelte Philotas sein Roß und sagte:
»Verdammt noch mal! Wetten, daß der Kerl in diesem Moment aus irgendeinem Erdloch kriecht und seelenruhig mit seiner Gemahlin spricht. Schöne Frau übrigens ... bildschöne Frau, bei Zeus!«
»Ich verstehe nicht, weshalb wir sie nicht. ..« hob einer seiner Männer, ein Thraker aus Salmidessos, an.
»Weil sie eine Dame ist und du ein Rüpel bist«, fiel Philotas ihm ins Wort. »Und weil Alexander dir die Eier abschneiden und seinem Hund zum Fraß vorwerfen würde, wenn er etwas davon erführe. Außerdem haben wir im Lager genug Nutten -reagier dich an denen ab, wenn du's nicht mehr aushältst. Und jetzt wird's höchste Zeit, daß wir zurückreiten. Wir sind schon viel zu lange unterwegs.«
Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals wurde just in diesem Augenblick auf einer Tragbahre, die an den Sätteln zweier Esel befestigt war, Memnon in ein anderes Versteck geschafft.
Kurz bevor sie den Paßweg ins Tal des Aisepos einschlugen, befahl er den Eselstreibern, einen Moment anzuhalten, und drehte sich ein letztes Mal nach den Lichtern seiner Villa um. Der Duft von Barsines letztem Kuß haftete noch immer auf seinen Lippen.
10
Das Heer rückte mit Troß und Wagen nach Süden, in Richtung des Ida-Gebirges und des Golfs von Adramyttion vor. Nichts sprach dafür, länger im Norden zu bleiben, zumal die Hauptstadt der phrygischen Satrapie besetzt und mit einer makedonischen Garnison belegt worden war.
Alexander hatte General Parmenion wieder als stellvertretenden Heerführer eingesetzt, doch Entscheidungen strategischer Natur traf er selbst.
»Wir ziehen an der Küste entlang nach Süden«, verkündete er dem Kriegsrat eines Abends. »Nach der phrygischen Hauptstadt ist jetzt die lydische an der Reihe.«
»Also Sardes«, meinte Kallisthenes, »die mythische Stadt der Könige Midas und Krösus.«