37286.fb2
»Dann laß dir vorher aber von meinem Koch ein paar Honigkuchen geben«, riet Alexander. »Damit schmeichelst du dich bei Bukephalos ein, er ist sehr schleckig.«
Als ein Diener kam und meldete, das Essen sei bereit, war Apelles gerade mit seiner ersten Skizze fertig. Alexander stieg von dem Holzpferd und trat neben den Maler: »Darf ich mal schauen?«
»Ich kann es dir nicht verwehren, Herr, aber eigentlich zeigt ein Künstler sein Werk nicht gerne vor, bevor es nicht vollendet ist.«
Der König warf dennoch einen Blick auf die große Tafel, und dabei änderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Apelles hatte mit Kohle nur das Allerwesentlichste festgehalten; seine flüchtigen Striche ließen die Reiterfigur mehr erahnen denn erkennen; nur ein paar Details wie Alexanders Augen, seine Hände, einzelne Haarlocken, Bukephalos' geblähte Nüstern und seine wirbelnden Hufe waren ausführlicher dargestellt.
Der Meister schielte Alexander von der Seite an und wartete gespannt auf seine Reaktion.
»Bedenke, Herr, das ist nur ein erster Entwurf. Wenn ich die
Figur erst einmal plastisch gestaltet und bunt angemalt habe, sieht alles ganz anders aus und .. .«
Alexander unterbrach ihn mit einer Geste: »Still, Apelles. Dieses Bild ist schon jetzt ein Meisterwerk. Du hast bereits im Anfangsstadium deine ganze Kunst bewiesen - den Rest kann man sich spielend vorstellen.«
Nach dieser Unterhaltung gingen die beiden gemeinsam in den Speisesaal, wo sich bereits die Honoratioren der Stadt, die Vorsteher der Priesterkollegien und die Gefährten des Königs versammelt hatten. Alexander hatte Anweisung gegeben, das Bankett nicht übertrieben üppig auszurichten, damit sich die Leute von Ephesos kein falsches Bild von ihm und seinen Freunden machten. Die »Gefährtinnen«, die man bestellt hatte, beschränkten sich aufs Musizieren, Tanzen und den ein oder anderen unschuldigen Scherz, und der Wein wurde nach griechischer Art ausgeschenkt, nämlich mit drei Teilen Wasser vermischt.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen die beiden Künstler, Apelles und Lysippos, deren Ruhm längst die Grenzen Griechenlands überschritten hatte.
»Über dich erzählt man sich ja allerhand«, sagte Kallisthenes zu Apelles. »Aber die lustigste Begebenheit ist damals in Pella passiert, als du König Philipp porträtiert hast.«
»Ach ja?« erwiderte der Maler. »Daran erinnere ich mich gar nicht mehr. Was war da los?«
»Hört alle mal her«, rief Kallisthenes in die Tafelrunde. »Ich muß euch eine Anekdote erzählen. Viele von euch wissen ja, daß Apelles eines Tages von König Philipp an den Hof gerufen wurde; er sollte ein Porträt für den Tempel von Delphi von ihm machen. Bevor Apelles mit seiner Arbeit beginnt, sagt der König zu ihm: Mal mich ein bißchen hübscher, als ich bin -etwas größer vielleicht, und das Haar ein wenig schwärzer, mein kaputtes Auge läßt du am besten ganz weg... Ach, du verstehst schon, was ich meine: vorteilhaft, aber ohne zu übertreiben«
»Ha, ha, die Szene kann ich mir gut vorstellen«, lachte Eume-nes und ahmte Philipps tiefe Stimme nach: »Verflixt noch mal, da läßt man extra einen der berühmtesten Maler kommen, und dann muß man ihm auch noch erklären, wie er einen darzustellen hat!«
»Ja, ja, jetzt erinnere ich mich wieder«, lachte nun auch Apelles. »Genau so hat er sich ausgedrückt.« »Dann erzähl du weiter!« sagte Kallisthenes. »Nein, du machst es besser. Ich höre auch viel lieber zu«, erwiderte der Maler.
»Wenn es so ist... Also, paßt auf, wie die Geschichte weitergeht: Als der Meister sein Kunstwerk endlich fertig hat, bringt er es in den Hof runter, damit sein illuster Auftraggeber es bei Sonnenlicht betrachten kann. Wer von euch schon in Delphi war, kennt das Bild: Der König ist mit Goldkrone, Zepter und rotem Umhang dargestellt - ein stattlicher, bildschöner Mann, ein Ebenbild des großen Zeus! >Wie gefällt es dir, Herr?< fragt Apelles. Philipp geht um das Bild herum und betrachtet es mit skeptischer Miene. >Darf ich ehrlich sein?< fragt er schließlich. >Na-türlich, Herr<, sagt der Maler. >Also, ich finde, der Schönling da ähnelt mir überhaupt nicht.<«
»Stimmt, stimmt genau«, prustete Apelles. »War ja auch klar: Ich habe seine Haare so schwarz, seinen Bart so gepflegt und seine Gesichtshaut so rosig gemalt, daß er sich zum Schluß einfach nicht wiedererkannt hat.« »Und dann?« fragte Eumenes.
»Ja, nun kommt das Beste«, fuhr Kallisthenes fort. »Vor-ausgesetzt natürlich, die Geschichte ist wirklich wahr . .. Da das Gemälde, wie gesagt, des Lichts wegen im Hof aufgebaut war, kam irgendwann ein Stallbursche vorbei, der das Pferd des Königs am Zügel führte. Wie der Gaul das Bild sieht, bleibt er stehen und beginnt zur Verwunderung aller Anwesenden lauthals zu wiehern, den Kopf zu schütteln und mit dem Schwanz zu kreisen. Apelles schaut zuerst den König an, dann den Gaul, dann das Bild und sagt schließlich: >Herr, darf ich auch ehrlich sein?< - >Bei Zeus, warum nicht!< erwidert der König. Und Apelles: >Mit Verlaub, Herr: Ich fürchte, dein Pferd versteht mehr von der Malerei als du.<«
»Das ist die Wahrheit«, schrie Apelles. »Genau so ist es zugegangen, das schwöre ich.«
»Und der König?« fragte Hephaistion.
»Der König? Der hat nur mit der Schulter gezuckt und gesagt: >Ihr Künstler habt ja doch immer recht. Egal, für diesmal kriegst du dein Geld noch mal, und wo das Bild nun schon gemalt ist, behalte ich es auch.<«
Alles applaudierte, und Eumenes bestätigte noch die Bezahlung des Gemäldes, das von den Anwesenden in den höchsten Tönen gelobt wurde - auch von denen, die es gar nicht kannten.
Apelles, der mit dieser Anekdote vollends in den Mittelpunkt des Banketts gerückt war, beherrschte von nun an - einem erfahrenen Schauspieler gleich - die Szene.
Alexander hingegen zog sich unter dem Vorwand, er müsse am nächsten Morgen sehr früh aufstehen, um die Bastion im Meer zu besichtigen, mit einer Entschuldigung zurück. Der Abend schritt auch ohne ihn fröhlich voran, zumal man dem Wein jetzt etwas mehr zusprach und die »Gefährtinnen« immer freizügiger wurden.
Leptine empfing den König wie immer mit einer brennenden Öllampe, als er in seine Gemächer zurückkehrte, aber sie machte heute ein ziemlich beleidigtes Gesicht. Alexander beobachtete sie von der Seite, während sie ihm den Weg in sein Schlafzimmer leuchtete, stellte jedoch keine Fragen, obwohl er sich ihre Schmollmiene beim besten Willen nicht erklären konnte.
Als er sein Zimmer betrat, war ihm freilich alles klar: Auf seinem Bett lag die nackte Kampaspe; ihre verführerische Pose erinnerte ihn an eine Sagenheldin, vielleicht Danae in Erwartung des goldenen Regens, oder auch Leda in Erwartung des Schwans - genau konnte er das nicht sagen.
Bei seinem Erscheinen stand sie auf, kam langsam auf ihn zu, entkleidete ihn und kniete sich vor ihm auf den Teppich, um seine Schenkel und seinen Bauch zu küssen.
»Der wunde Punkt deines Vorfahren Achilleus war seine Ferse«, flüsterte sie, indem sie die mit Bister umrandeten Augen zu ihm erhob. »Laß mal sehen, ob ich mich noch erinnere, welches dein wunder Punkt war.«
Alexander streichelte ihr Haar und lächelte: Im Umgang mit Apelles hatte Kampaspe offensichtlich gelernt, auch das Liebesspiel mit Bildern aus der Mythologie zu schmücken.
12
Rund sechs Wochen nach Frühlingsbeginn verließ Alexander Ephesos, um nach Milet zu ziehen. Lysipp, dem mittlerweile klar war, was sich der König von ihm erwartete, begab sich auf die Reise nach Makedonien; er hatte einen Brief an den Regenten Antipatros dabei, in dem Alexander anordnete, ihm, dem Bildhauer, alle nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit er sein gigantisches Kunstwerk schaffen konnte.
Vorher machte Lysipp aber noch einen Abstecher nach Athen, um Aristoteles zu besuchen, der in den Räumlichkeiten seiner neuen Akademie inzwischen regelmäßig Unterricht abhielt. Der Philosoph empfing ihn in einem kleinen, etwas abseits gelegenen Empfangszimmer und ließ ihm frischen Wein servieren.
»Unser König läßt dich herzlich grüßen; sobald es ihm möglich ist, möchte er dir auch einen langen Brief schreiben.«
»Vielen Dank«, erwiderte Aristoteles. »Ja, die Nachrichten von Alexanders Unternehmungen haben sich hier natürlich längst herumgesprochen - vor allem, seit er die dreihundert Rüstungen geschickt hat. Sie hängen im Tempel auf der Akropolis und haben Tausende von Schaulustigen angezogen.«
»Was haben die Leute zu der Widmung gesagt? Ich meine, weil doch ausdrücklich betont wird, daß die Spartaner an diesem Weihgeschenk nicht beteiligt sind . . .«
»Eine Provokation, die als solche verstanden wurde. Der Wortlaut der Widmung hatte sich in Windeseile bis zu den Herkulessäulen verbreitet... Ja, Alexander weiß schon, wie er von sich reden macht.«
»Wie ist die Stimmung in Athen?«
»Nun, Demosthenes hat immer noch starken Einfluß, aber die Siege des Königs beeindrucken doch sehr. Viele Athener haben auch Angehörige im Expeditionskorps oder in der Flotte, und diese Leute drängen Demosthenes und seine Anhänger natürlich zur Zurückhaltung. Trotzdem, machen wir uns keine Illusionen: Wenn der König im Krieg fallen sollte, würde es augenblicklich einen Aufstand geben, und seine Freunde würden Haus für Haus aufgestöbert und festgenommen werden - angefangen bei mir. Aber erzähl mir ein bißchen: Wie verhält Alexander sich als Kriegsherr?«
»Soweit ich das beurteilen kann, ist er bisher sehr behutsam vorgegangen. Mit den besiegten Feinden war er immer gnädig, und die Städte hat er lediglich gezwungen, die Demokratie wieder einzuführen, ohne sich ansonsten in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen.«
Aristoteles nickte mit dem Kopf und strich sich zufrieden über den Bart: Die Lehren des Meisters schienen ja Früchte zu tragen.
»Möchtest du meine Akademie besichtigen?« fragte er dann, indem er sich erhob.
»Mit großem Vergnügen«, erwiderte Lysipp und folgte ihm.
Sie traten in den Portikus hinaus - ein Wandelgang aus eleganten Marmorsäulen mit ionischen Kapitellen - und spazierten in seinem Schatten um den zentral gelegenen Innenhof. In der Mitte befand sich ein Brunnen mit ebenerdigem Rand aus roten Ziegelsteinen; er mußte schon seit Jahrhunderten in Benützung sein, denn das Brunnenseil hatte an einer Stelle eine tiefe Kerbe in den Stein gegraben. Auch in diesem Moment schöpfte ein Knecht Wasser. »Wir haben insgesamt vier Sklaven«, erzählte
Aristoteles.
»Zwei halten das Haus in Ordnung und zwei servieren bei Tisch. Wir bekommen oft Besuch von anderen Akademien, und einige unserer Schüler wohnen auch hier - wenigstens für einen gewissen Zeitraum.«
Mit diesen Worten führte er Lysippos durch eine bogenüber-wölbte Tür. »Das ist der Bereich für Politikwissenschaften; hier findest du die Konstitutionen von mehr als einhundertsechzig Städten in Griechenland, Asien, Afrika und Italien. Und hier«, erklärte er, während sie in einen Korridor mit vielen Türen hinaustraten, »hätten wir die naturalistische Abteilung mit unseren Gesteins-, Pflanzen- und Insektensammlungen.« Aristoteles führte seinen Gast zur letzten Tür des Korridors und ließ ihn eintreten: »So, und das ist unsere Sammlung seltener Tiere. Ich habe einen Taxonom aus Ägypten kommen lassen; er ist Experte für die Einbalsamierung von Katzen und heiligen Krokodilen und arbeitet hier von früh bis spät.«
Lysippos sah sich mit großen Augen um. Was ihn jedoch noch mehr erstaunte als die ausgestopften Tiere - Schlangen, Krokodile, Geier - waren die anatomischen Zeichnungen, in denen er die Hand erfahrener Künstler erkannte.
»Natürlich muß man sich vor Betrug und Fälschungen in acht nehmen«, fuhr Aristoteles fort. »Seit sich herumgesprochen hat, daß wir derlei Dinge sammeln, bekommen wir die unglaublichsten Angebote: Ichneumone - also sogenannte Pharaonenratten -, Basilisken, ja sogar Zentauren und Sirenen.«
»Zentauren und Sirenen?« wiederholte Lysippos fassungslos.
»Ja. Und man lädt uns sogar ein, diese Wundertiere vor dem Kauf zu besichtigen.«