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»Simple Taxonomie. Und es ist kein Zufall, daß die meisten Angebote aus Ägypten kommen; dort können die Einbalsamierer auf eine tausendjährige Erfahrung zurückblicken. Die nähen dir mir nichts, dir nichts, einen menschlichen Rumpf mit dem Körper eines Fohlens zusammen, vertuschen die Nähte mit Fell und Haaren und balsamieren das Ganze ein. Sehr beeindruk-kend .. .« »Das glaube ich gerne.«
Aristoteles trat an ein Fenster, von dem aus man den pinienbewachsenen Lycabettos und dahinter die Akropolis mit dem grandiosen Parthenon sehen konnte. »Was wird er deiner Meinung nach als nächstes tun?«
Lysipp begriff sofort, daß der Philosoph die ganze Zeit über an Alexander gedacht hatte.
»Ich weiß nur, daß er nach Süden zieht, aber seine wahren Absichten kennt keiner.«
»Er wird vordringen«, sagte Aristoteles und wandte sich dem Künstler zu. »Er wird vordringen, bis er seinen letzten Atemzug tut, und keiner wird ihn aufhalten können.«
Apelles, der alleine in Ephesos zurückgeblieben war, arbeitete unterdessen an dem großen Reiterbild des Makedonenkönigs.
Er hatte sich vor allem auf den Kopf des Bukephalos konzentriert, der so realistisch dargestellt war, daß der Betrachter den Eindruck bekam, das Pferd würde jeden Moment aus dem Rahmen springen. Apelles wollte seinen Auftraggeber in Staunen versetzen und hatte bereits eine Reise zu Alexanders nächstem Feldlager geplant, wo er ihm die fertigen Gemälde persönlich vorzeigen wollte.
An diesem Tag hatte er sich in den Kopf gesetzt, den blutigen Speichel um das Pferdemaul zu malen. Er brütete schon seit Stunden über dem Problem, brachte mit seinen feinen Pinsel-strichen aber einfach nicht die nötige Farbintensität zustande.
»Halt endlich den Mund! Ich kann mich nicht konzentrieren«, schrie er Kampaspe an, deren unentwegtes Geplapper ihm fürchterlich auf die Nerven ging. Die glühende Liebe, die er anfänglich für sie empfunden hatte, war ziemlich verflogen.
»Aber Apelles, Lieber ...«
»Du sollst still sein!« brüllte Apelles und schleuderte vor Wut einen mit Farbe getränkten Schwamm auf das Bild. Durch einen unglaublichen Zufall traf der Schwamm haarscharf Bukephalos' Mundwinkel, bevor er auf den Boden fiel.
»Da, jetzt hast du's«, sagte Kampaspe mit weinerlicher Stimme. »Jetzt ist das Bild kaputt. Bist du nun zufrieden? Und womöglich war ich noch an allem schuld, was?«
Doch der Maler hörte ihr gar nicht zu. Er hatte vor Verwunderung die Arme ausgebreitet und trat auf das Bild zu. »Das ist nicht möglich«, murmelte er. »Oh, Götter, das ist doch nicht möglich!«
Der Abdruck, den der Schwamm auf Bukephalos' Maul hinterlassen hatte, erinnerte auf geradezu verblüffende Art und Weise an blutigen Speichel. Die Hand des größten Künstlers hätte so etwas nicht fertig gebracht.
»Oh, aber . ..«, hauchte Kampaspe, die das Wunder inzwischen auch bemerkt hatte.
Apelles drehte sich nach ihr um und berührte mit dem Zeigefinger ihre Nase: »Wenn du auch nur einem Menschen verrätst, wie dieses Detail zustande gekommen ist«, sagte er und deutete mit dem anderen Zeigefinger auf den wundersamen Farbfleck, »dann beiße ich dir die Nase ab. Verstanden?«
»Verstanden, Liebster«, Kampaspe nickte und wich zurück.
In diesem Augenblick meinte sie es bestimmt ehrlich, aber
Diskretion war nicht gerade ihre Stärke, und so wußte schon wenige Tage später ganz Ephesos, wie der große Apelles es geschafft hatte, den blutigen Speichel um Bukephalos' Maul so naturgetreu nachzuahmen.
13
Der Kommandeur der persischen Garnison von Milet - ein Grieche namens Hegesistratos - sandte Alexander einen Bo ten, der ihm die kampflose Übergabe der Stadt anbot, und so ließ der König sein Heer auf Milet vorrücken, um es einzunehmen. Vorsichtshalber schickte er aber Krateros und Perdikkas mit einem Trupp Reiter voraus, damit sie die Lage genau erkundeten.
Der kleine Spähtrupp überquerte den Fluß Mäander, um den Latmos zu erklimmen, doch als die Männer auf dem Gipfel anlangten und auf die andere Seite hinuntersehen konnten, erlebten sie eine böse Überraschung: Just in diesem Moment tauchte nämlich vor der Bucht von Milet eine kleine Flotte von Kriegsschiffen auf, die sich eindeutig anschickte, die Einfahrt in den Meerbusen abzuriegeln.
Und damit nicht genug: Der ersten Gruppe von Schiffen folgte eine zweite, und dann noch eine und noch eine, bis es in der ganzen Bucht von Schiffen wimmelte und das von Rudern aufgepeitschte Meer nur so schäumte. Das Dröhnen der Trommeln, die den Rudertakt angaben, drang bis zu ihnen herauf - etwas gedämpft zwar durch die Entfernung, aber trotzdem deutlich zu vernehmen.
»Oh, bei den Göttern«, stöhnte Perdikkas. »Die persische Flotte!«
»Was schätzt ihr?« meinte Krateros. »Wie viele Schiffe sind das da unten?«
»Hunderte . . . Mindestens zwei- oder dreihundert. Und unsere Flotte ist im Anzug - wenn die sie in der Bucht überraschen, ist alles verloren! Wir müssen Admiral Nearchos benachrichtigen, er muß augenblicklich umdrehen! Die Perser haben mindestens doppelt soviel Schiffe wie wir! Los, schnell, nichts wie zurück!«
Sie wandten ihre Pferde, stoben den Abhang hinunter und ritten in größter Eile dem Heer entgegen, das unterdessen seinen Vormarsch in Richtung Süden fortgesetzt hatte. Nach mehrstündigem Ritt entdeckten sie es endlich am linken Ufer des Mäander. Das Fußvolk rastete gerade, und die Reiterei war dabei, auf einer Schiffbrücke, die Alexanders Kriegsbaumeister in der Nähe der Mündung geschaffen hatten, den Fluß zu überqueren. Der König, Ptolemaios und Hephaistion überwachten die Operation von ihren Pferden aus.
»Alexander!« schrie Krateros, indem er auf ihn zupreschte. »In die Bucht von Milet sind dreihundert Kriegsschiffe eingelaufen! Wenn wir Nearchos nicht aufhalten, wird unsere Flotte versenkt!«
»Wann habt ihr die Schiffe gesehen?« fragte Alexander mit finsterer Miene.
»Vor ein paar Stunden. Wir waren gerade auf dem Latmos angekommen, als unten in der Bucht die ersten aufgetaucht sind, und dann kamen mehr und noch mehr - der Strom wollte überhaupt nicht mehr abreißen. Und was für Schiffe das sind! Die reinsten Monster mit vier und fünf Ruderdecks!«
»Ich habe sogar noch größere gesehen«, pflichtete Perdikkas ihm bei.
»Seid ihr sicher?«
»Todsicher! Und die bronzenen Schiffsschnäbel erst... die müssen an die fünftausend Libra wiegen!«
»Du mußt unsere Flotte aufhalten, Alexander! Nearchos ist ahnungslos. Im Augenblick sind seine Schiffe noch hinter der Landzunge des Mykale-Gebirges, aber wenn wir ihn nicht warnen, segelt er den Persern direkt in die Arme.«
»Immer mit der Ruhe«, sagte Alexander, »noch ist nichts verloren.« Dann wandte er sich an Kallisthenes, der ein wenig abseits auf seinem Klapphocker saß, und sagte: »Gib mir ein Täfelchen und einen Griffel.«
Kallisthenes reichte ihm das Verlangte, Alexander kritzelte rasch ein paar Worte und nickte dann einem Reiter seiner Leibgarde zu. »Hier, das bringst du, so schnell du kannst, dem Melder auf der Landzunge. Sag ihm, er soll die Botschaft augenblicklich an unsere Flotte weiterleiten. Und jetzt können wir nur hoffen, daß die Nachricht nicht zu spät kommt.«
»Wohl kaum«, meinte Hephaistion. »Wir haben Südwind, und der bremst unsere Flotte - sie kommt ja aus Norden.«
Der Reiter preschte im Galopp davon, überquerte - lauthals um freien Weg schreiend - die Schiffbrücke und ritt dann den Hang der Landzunge von Mykale hinauf. Auf dem höchsten Punkt traf er auf die Topographen des Heers, also jene Männer, die dem Expeditionskorps den Weg wiesen und im Moment Blickkontakt zu Nearchos Flotte hielten, die aus nördlicher Richtung heransegelte. Wenn nötig, konnte man den Schiffen mit Hilfe eines polierten Schildes Zeichen geben.
»Befehl des Königs: Ihr sollt augenblicklich diese Botschaft weiterleiten!« sagte der Reiter und reichte einem der Männer das Täfelchen. »Die persische Flotte liegt mit dreihundert Kriegsschiffen in der Bucht von Milet.«
Der Topograph warf einen prüfenden Blick zum Himmel hinauf und entdeckte, daß der Wind gerade aus Süden eine Wolke herantrieb. »Sofort geht das nicht. Wir müssen warten, bis die Wolke da vorübergezogen ist. Schau, sie hat die Sonne schon fast verdunkelt.«
»Verdammt noch mal!« fluchte der Reiter. »Warum versucht ihr es nicht mit Fahnen?«
»Die würden sie gar nicht sehen, dafür sind sie viel zu weit weg«, erklärte ihm der Topograph. »Wir müssen uns gedulden, lange wird es nicht dauern.«
Mittlerweile lag die ganze Landzunge im Schatten, während die makedonische Flotte, die geordnet ihrem Admiralsschiff hinterherfuhr, von gleißendem Sonnenlicht beschienen wurde. Schon schwenkte sie nach Steuerbord aus, um die Spitze der Landzunge zu umrunden, und die Zeit wollte nicht vergehen...
Aber irgendwann kam die Sonne doch wieder zum Vorschein, und die Topographen begannen sofort mit ihren glänzenden Schilden Leuchtzeichen zu geben. Die Botschaft war kurz und im Nu übersendet, doch die Flotte zeigte keine Reaktion und fuhr ruhig weiter.
»Was ist? Haben sie uns nicht gesehen?« fragte der Reiter aufgeregt.
»Ich hoffe schon«, erwiderte der Topograph.
»Warum fahren sie dann weiter?«
»Keine Ahnung.«
»Probier's noch einmal! Los, schnell!«
Die Topographen unternahmen einen zweiten Versuch.