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»Weil sie nicht können: Jetzt ist die Wolke über ihnen.«
Der Reiter biß sich auf die Unterlippe und ging nervös auf und ab.
Alle paar Schritte warf er einen unruhigen Blick hinunter zum Heer. Er konnte sich Alexanders Gemütszustand gut vorstellen.
»Sie haben verstanden!« schrie in diesem Moment einer der Topographen. »Da, schaut! Das Admiralsschiff streicht die Segel und läßt die Ruder ins Wasser. Sicher antworten sie uns auch gleich.«
Tatsächlich war deutlich zu erkennen, daß Admiral Nearchos' Schiff die Geschwindigkeit gedrosselt hatte, ja man sah sogar den Schaum, den die Ruder im Wasser verursachten, während sie das Schiff auf eine geschützte Stelle entlang der Landzunge zutrugen.
Nun blitzte auch etwas am Bug auf: Es war die erwartete Antwortbotschaft. Der Topograph entzifferte sie Wort für Wort:
»Halten uns ... bis zum Fluß . .. hart... an der Küste.«
»Bestens, sie haben begriffen! Geh, richte es dem König aus, aber mach schnell, hier oben sind die Sonnenverhältnisse nicht sehr günstig - ich meine, für den Fall, daß Alexander dem Ad-miral noch mal etwas mitteilen möchte.«
Der Reiter stürzte förmlich den Abhang hinunter und erreichte wenig später Alexander, der seinen gesamten Generalstab am Strand versammelt hatte.
»König! Nearchos hat die Botschaft erhalten und manövriert«, schrie er ihm zu, noch bevor er vom Pferd gesprungen war. »In Kürze wirst du ihn um die Spitze der Landzunge kommen sehen.«
»Sehr gut«, erwiderte Alexander. »Und wir können von hier aus die Flotte des Großkönigs überwachen.«
In diesem Moment bedeckte das riesige Aufgebot an persischen Kriegsschiffen nahezu die gesamte Wasseroberfläche zwischen der Halbinsel von Milet und den Hängen des Lat-mos-Gebirges, während auf der gegenüberliegenden Seite der weiten Bucht Nearchos mit seinem Gefolge Kap Mykale umschiffte und sich im Schutz der Küste auf die Mäandermündung zubewegte.
»Vielleicht sind wir noch mal davongekommen«, sagte der König. »Wenigstens für den Moment.«
»Ja, ein Glück, daß wir Nearchos warnen konnten«, meinte Krateros. »Wenn er die Perser plötzlich vor sich gehabt hätte, wäre ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich auf eine Schlacht einzulassen - und das wäre mit Sicherheit schiefgegangen! Ich meine, wo wir doch zahlenmäßig so unterlegen sind... «
»Und was gedenkst du jetzt zu tun?« fragte Parmenion. Er hatte kaum ausgesprochen, als einer der »schildtragenden Gardisten« mit einer Botschaft herbeieilte. »Nachrichten aus Milet, Herr!«
Alexander nahm das Schreiben entgegen und las:
»Philotas, Sohn des Parmenion, an Alexander, heil! Hegesi-stratos, der Kommandeur der Garnison von Milet, hat seine Meinung geändert und ist nicht mehr bereit, dir die Tore der Stadt zu öffnen.
Er vertraut jetzt auf die Unterstützung der großköniglichen Flotte. Leb wohl und gib auf dich acht!«
»Das war zu erwarten«, murmelte Alexander. »Jetzt, wo er die persischen Schiffe in der Bucht vor Anker liegen hat, fühlt He-gesistratos sich natürlich unbezwingbar.«
»König«, verkündete in diesem Moment einer seiner Leibgardisten, »unser Admiralsschiff hat ein Boot zu Wasser gelassen, das sich der Küste nähert.«
»Um so besser. Unsere Seeleute sollen auch am Kriegsrat teilnehmen.«
Kurz darauf ging Nearchos an Land; er war in Begleitung des Befehlshabers der bundesgenössischen Schiffe, eines Atheners namens Karilaos.
Der König empfing die beiden mit großer Herzlichkeit und erläuterte ihnen knapp den Stand der Dinge. Dann begann er, die Anwesenden der Reihe nach um ihre Meinung zu fragen, angefangen bei Parmenion als dem ältesten.
»Ich bin kein Experte, was das Meer angeht«, sagte der greise General, »aber ich glaube, wenn König Philipp jetzt noch unter uns wäre, würde er ganz darauf vertrauen, daß unsere Schiffe schneller und beweglicher sind, und einen Überraschungsschlag gegen die feindliche Flotte führen.«
Alexanders Miene verdüsterte sich, wie es in letzter Zeit immer geschah, wenn er öffentlich mit dem verstorbenen Herrscher verglichen wurde.
»Mein Vater hat gekämpft, wenn die Siegesaussichten gut waren - andernfalls ist er lieber mit List vorgegangen«, erwiderte er trocken.
»Ich würde es nicht auf eine Schlacht ankommen lassen«,
meinte Nearchos. »Das Zahlenverhältnis zwischen uns und den Persern ist eins zu drei. Außerdem haben wir Land im Rücken, sprich: unsere Manövrierfähigkeit ist eingeschränkt.«
Noch andere Generäle äußerten ihren Standpunkt, aber bald merkten alle, daß der König abgelenkt war: Er beobachtete einen Fischadler, der über dem Strand seine weiten Kreise zog. Plötzlich stieß der große Raubvogel blitzschnell hernieder, packte mit seinen Krallen einen großen Fisch und gewann mit mächtigem Flügelschlag rasch wieder an Höhe. »Habt ihr ge-sehen? Der Fisch da hat sich darauf verlassen, daß er wendig ist und sich im Meer auskennt; dadurch ist er aber zu nahe an den Strand gekommen, wo der Fischadler leichtes Spiel mit ihm hatte, denn dort ist er in seinem Element. Und genau so werden wir es auch machen.«
»Wie meinst du das?« fragte Ptolemaios. »Wir haben doch keine Flügel.«
Alexander lächelte. »Das gleiche hast du mir schon einmal vorgehalten, weißt du noch? Damals, als es darum ging, wie wir über den Berg Ossa nach Thessalien reinkommen.« »Stimmt«, gab Ptolemaios zu.
»Gut«, sagte der König. »Ich bin also der Ansicht, wir können es unter den gegebenen Umständen nicht auf eine Seeschlacht ankommen lassen: Erstens, weil uns der Feind zahlenmäßig weit überlegen ist, und zweitens, weil er größere und bessere Kriegsschiffe hat. Wenn unsere Flotte zerstört würde, wäre es um mein Ansehen geschehen. Die Griechen würden augenblicklich rebellieren, und das Bündnis, das mich soviel Mühe gekostet hat, würde sich Stück um Stück auflösen - mit verheerenden Folgen, wie ich meine. Hört also meinen Befehl: Wir ziehen alle Schiffe an Land und als erstes die mit den Belagerungsmaschinen, die wir umgehend zusammenbauen und vor die Stadtmauer von Milet schaffen.«
»Du willst die ganze Flotte an Land ziehen?« fragte Nearchos fassungslos.
»Jawohl.«
»Aber, Herr . . .«
»Hör mal, Nearchos, was glaubst du? Wären die Fußsoldaten an Bord der persischen Schiffe in der Lage, es mit meiner Phalanx aufzunehmen, wenn ich diese am Strand aufmarschieren lasse?«
»Wohl kaum.«
»Darauf kannst du Gift nehmen«, bekräftigte Leonnatos. »Das fällt denen ja im Traum nicht ein. Und selbst wenn . . . Die würden wir niedermetzeln, bevor sie überhaupt das Ufer erreicht haben.«
»Richtig«, Alexander nickte. »Und das wissen sie.«
»Aber sie können auch nicht ewig auf ihren Schiffen bleiben«, warf Nearchos ein. »Um die Schiffe schneller zu machen, haben sie die Anzahl der Ruderer erhöht; dafür ist jetzt für nichts anderes mehr Platz. Sie können weder kochen, noch haben sie ausreichend Wasserreserven, sie sind fast vollständig auf Versorgung vom Land angewiesen.«
»Und genau das wird an unserer Reiterei scheitern«, entgegnete Alexander mit triumphierendem Blick. »Sie wird jede Handbreit Küste überwachen, und vor allem jede Flußmündung, jeden Bach, jede Quelle. Und dann sollt ihr mal sehen, wie schnell denen da draußen Lebensmittel und Trinkwasser ausgehen und wie sie unter der glühend heißen Sonne hecheln und vor Hunger murren . .. «
»Während wir uns hier an Land ins Fäustchen lachen«, setzte Hephaistion grinsend hinzu.
»Eumenes beaufsichtigt den Zusammenbau der Belagerungsmaschinen«, fuhr Alexander fort. »Sobald sie fertig sind, legen wir eine Bresche in den östlichen Teil der Stadtmauer. Danach wird sie von Perdikkas' und Ptolemaios' Männern gestürmt.
Krateros und Philotas lassen unterdessen unsere Kavallerie entlang der Küste aufziehen, um Landungsmanöver der Perser zu verhindern. Parmenion führt das schwere Fußvolk ins Feld, und zwar dort, wo es am nötigsten gebraucht wird, und der >Schwarze< steht ihm dabei zur Seite - einverstanden, Schwarzer?«
»Einverstanden, Herr!« erwiderte Kleitos.
»Ausgezeichnet. Nearchos und Karilaos, ihr steht den Truppen der an Land gezogenen Schiffe vor. Bewaffnet auch deren Besatzungen. Wenn nötig, hebt ihr einen Schützengraben aus. Und dann sollt ihr mal sehen, wie schnell die Mileter ihren Gesinnungswandel bereuen .. .«
14
Der Frühling war inzwischen weit vorangeschritten, und die Sonne stand hoch am Himmel. Auch das Wetter hatte sich endgültig zum Schönen gewandt, das azurblaue Meer war spiegelglatt.
Alexander, Hephaistion und Kallisthenes befanden sich auf einem Gipfel des Latmos-Gebirges und bewunderten das herrliche Panorama, das sich ihnen darbot. Rechts schob sich die Landzunge des Mykale-Gebirges wie ein spitzer Sporn ins Meer hinaus, und dahinter zeichnete sich die große Insel Samos ab.
Zu ihrer Linken konnten sie die etwas plump wirkende Halbinsel von Milet sehen. Die Stadt, die vor zweihundert Jahren von den Persern zerstört worden war, weil sie gewagt hatte, sich gegen ihre Besatzer aufzulehnen, war von einem ihrer illustersten Söhne, dem Architekten Hippodamos, wieder aufgebaut worden - oder vielmehr nach dessen Plänen. Nun war sie im Schachbrettmuster angelegt, besaß also ein dichtes Netz von Straßen und Gassen, die sich rechtwinklig schnitten und in Haupt- und Nebenstraßen - oder »breite« und »enge« Straßen -unterteilt waren.