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Die Ankunft des Fuhrwerks mit der persischen Eskorte erregte Aufruhr und Neugier im Lager. Peritas begann zu bellen, und selbst Leptine wollte wissen, wer sich in dem Fuhrwerk befand und wo man die Leute aufgestöbert hatte.
»Bereite in dem Zelt dort ein Bad vor«, befahl ihr der König, »und Betten für zwei Kinder und eine Frau.«
»Eine Frau? Was für eine Frau, Herr?«
»Das geht dich nichts an«, erwiderte Alexander kalt. »Und sag ihr, daß ich sie in meinem Zelt erwarte, wenn sie fertig ist.«
Leptine gehorchte und huschte davon.
Aus dem Pavillon, in dem der Kriegsrat stattgefunden hatte, drang das Geschrei betrunkener Männer herüber, Pfeifen- und Flötenmusik, die ziemlich falsch klang, unterdrücktes Frauengekicher und das alles übertönende Gebrüll Leonnatos'.
Alexander ließ sich ein wenig zu essen bringen - frische Feigen, Honig, Milch -, und dann nahm er Memnons Porträt zur Hand, das Apelles auf seinen Tisch gelegt hatte. Er war beeindruckt, wie gut es dem Maler gelungen war, einen Ausdruck rätselhafter Melancholie ins Gesicht des griechischen Söldnerführers zu zaubern.
Irgendwann legte er das Bild wieder auf den Tisch zurück und begann die Korrespondenz der letzten Tage zu lesen: zunächst einen Brief seines Statthalters Antipatros, der ihm berichtete, daß die Lage daheim alles in allem entspannt war, wenn man von den Auftritten der Königin absähe, die er immer wieder davon abhalten müsse, sich in Staatsangelegenheiten einzumischen; danach einen Brief Olympias', die sich darüber beschwerte, daß der Regent sie jeglicher Freiheit beraube und es ihr schlicht unmöglich mache, ihrem Rang und ihrer Rolle gerecht zu werden.
Kein Wort über die prächtigen Geschenke, die Alexander ihr nach dem Sieg am Granikos geschickt hatte. Aber vielleicht waren die ja noch gar nicht in Pella eingetroffen . . .
18
Als er von der Korrespondenz aufsah, stand sie vor ihm: ohne Schleier, in einem orientalisch gewirkten grünen Leinengewand, die Augen nach ägyptischer Art schwarz umrandet, ein silbernes Band im pechschwarzen Haar, das wie bei einer Griechin zur Hochfrisur gekämmt war. Ein Leuchten ging von ihr aus, als sei der Mondschein, in dessen Licht Alexander sie zum erstenmal erblickt hatte, irgendwie an ihr haftengeblieben.
Der König stand auf und ging ihr entgegen, sie kniete nieder und küßte ihm die Hand.
»Verzeih, mächtiger Herr, ich konnte ja nicht wissen . . .«
Alexander ergriff ihre Hände und zog sie hoch, und dabei kamen sie sich so nahe, daß er den Duft ihrer Haare wahrnehmen konnte: Sie rochen nach Veilchen.
Alexander war ganz betört. Noch nie im Leben hatte er sich so heftig und so plötzlich gewünscht, eine Frau in die Arme zu schließen. Sie merkte es und erschrak, aber gleichzeitig wurde sie von seinem Blick geradezu magisch angezogen -wie ein Nachtfalter von der Öllampe.
Sie schlug die Augen nieder und sagte: »Ich habe meine Söhne mitgebracht, damit auch sie dir ihre Reverenz erweisen können.« Mit diesen Worten ging sie zum Eingang des Zeltes zurück und holte die beiden Jungen herein.
Alexander trat auf eine große Schale zu, die mit Obst und anderen Speisen gefüllt war. »Hier, bitte, greift ungeniert zu«, sagte er, doch während er sich nach den Jungen umdrehte, ertappte er die Mutter dabei, wie sie einem der beiden einen vielsagenden Blick zuwarf und mit der Hand auf die Schulter drückte, als wolle sie ihn zum Schweigen zwingen - und Alexander begriff auch sofort warum: Der Junge hatte das Porträt von Memnon auf dem Tisch liegen sehen und erstaunt die Augen aufgerissen.
»Nun, möchtet ihr nichts essen?« fragte Alexander, wobei er so tat, als habe er nichts gemerkt. »Ihr müßt doch einen Riesenhunger haben!«
»Ich danke dir, mein Herr«, erwiderte die Frau, »aber wir sind sehr müde von der Reise und möchten uns nur zum Schlafen zurückziehen, wenn du erlaubst.«
»Selbstverständlich. Geht nur. Leptine bringt euch diese Speisen und verschiedene Getränke in euer Zelt. Und wenn ihr heute nacht Hunger oder Durst habt, könnt ihr euch nach Belieben bedienen.«
Er rief nach dem Mädchen, damit sie die Gäste zurückbegleitete, setzte sich wieder an den Tisch und nahm erneut das Porträt seines Gegners in die Hand, als wolle er in dessen Blick das Geheimnis seiner rätselhaften Energie ergründen.
Es war Mitternacht, und im Lager war es ruhig geworden. Ein kleiner Wachtrupp machte die Runde, und sein Anführer überzeugte sich persönlich davon, daß die Wächter am Eingang nicht dösten. Als ihre Stimmen, die sich die Losungsworte zuriefen, in der Finsternis verklungen waren, huschte eine be-mantelte Gestalt aus dem Zelt der Gäste und ging auf das des Königs zu.
Peritas schlief in seinem Hundekorb und die laue Nachtbrise trug ihm nichts als den Salzgeruch des Meeres zu. Die beiden Wächter des königlichen Pavillons lehnten an ihren Lanzen, einer rechts und einer links vom Eingang.
Die bemantelte Gestalt hielt kurz inne und betrachtete die beiden, dann ging sie - eine große Schale in der Hand — entschlossen auf sie zu.
»Das ist Leptine«, meinte einer von ihnen.
»Na, Leptine? Warum leistet du uns nicht auch ein bißchen Gesellschaft? Wir halten es vor Einsamkeit kaum noch aus Die Frau schüttelte den Kopf, als wäre sie an derlei Scherze gewöhnt, bot ihnen Süßigkeiten aus der Schale an und betrat das Zelt.
Im Licht zweier Öllampen streifte sie sich den Mantel vom Kopf und . . . enthüllte sich als die schöne Besucherin. Ihr Blick verweilte lange auf dem Gemälde Memnons, das noch immer auf dem Tisch lag. Zum Schluß strich sie mit der Fingerspitze darüber, dann zog sie sich eine lange Haarnadel mit Bernsteinkopf aus dem Haar und näherte sich auf Zehenspitzen dem Vorhang, der die Schlafstätte des Königs vom Rest des Zeltes abteilte. Der schwache Schein einer dritten Öllampe schien durch ihn hindurch.
Die Frau zog den Vorhang etwas zurück und schlüpfte hinein. Alexander schlief auf dem Rücken liegend und mit nichts als einer Chlamys bedeckt. Auf einem Ständer neben seinem Bett hing die Rüstung, die er aus dem Athenetempel in Troja entführt hatte.
Weit weg von hier, im Palast von Pella, wurde Königin Olym-pias genau in diesem Augenblick von einem schrecklichen Alptraum geplagt. Mit einemmal setzte sie sich ruckartig in ihrem Bett auf und stieß einen schrillen, markdurchdringenden Schrei aus, der die stillen Hallen förmlich erzittern ließ.
Die Frau in Alexanders Zelt setzte mit der linken Hand vorsichtig die Spitze der Haarnadel auf das Herz des Königs, dann holte sie mit der rechten aus, um auf den Bernsteinkopf zu schlagen, aber im selben Moment erwachte Alexander und traf sie mit einem glühenden Blick. Möglich, daß es nur am schräg einfallenden Schatten der Öllampe lag, aber sein linkes, nachtschwarzes Auge ließ ihn wie einen überirdischen Titanen aussehen, fast wie ein Ungeheuer aus der Mythologie Die Hand der Frau war in der Luft erstarrt, unfähig den tödlichen Stoß auszuführen.
Während Alexander sich langsam aufrichtete und dabei mit der Brust gegen die Haarnadel drückte, deren Spitze sich mit einem Tropfen seines Bluts färbte, starrte er die Frau unverwandt und ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken an.
»Wer bist du?« fragte er sie, als er aufrecht neben ihr stand »Warum willst du mich töten?«
19
Die Frau LIEß die lange Haarnadel auf den Boden fallen, schlug sich die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus.
»Sag mir, wer du bist«, drang Alexander in sie. »Ich tue dir nichts, aber ich will wissen, weshalb du vorher erschrocken bist, als dein Sohn das Bild dort auf meinem Tisch gesehen hat. .. das Porträt von Memnon. Ist er dein Mann? Sprich, ist Memnon dein Mann?« wiederholte er, indem er sie an den Handgelenken packte.
»Ja«, erwiderte die Frau mit gesenktem Blick und erloschener Stimme. »Memnon ist mein Mann, und ich heiße Barsine. Tu meinen Söhnen nichts an, ich bitte dich, und wenn du die Götter fürchtest - entehre mich nicht. Mein Mann wird jedes Lösegeld bezahlen, egal wie hoch, um seine Familie zurückzuhaben.«
Alexander zwang sie, ihm in die Augen zu sehen, und fühlte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß. Er spürte, daß er dieser Frau rettungslos verfallen würde, wenn sie sich länger in seiner Nähe aufhielte. und auch in Barsines Blick nahm er ein seltsames Beben wahr, das mit Muttersorge oder Todesangst nichts zu tun hatte - es war das Aufblitzen eines mächtigen, tief verankerten Gefühls, das von einem eisernen, wenn auch angeschlagenen Willen beherrscht, vielleicht auch nur unterdrückt wurde.
»Wo ist Leptine?« fragte er.
»In meinem Zelt unter der Aufsicht meiner Söhne.« »Du hast ihren Umhang an . . .« »Ja.«
»Ich hoffe, ihr habt ihr nichts getan.« »Nein.«
»Gut, dann hör mir zu: Ich lasse euch ziehen, und dieses Ge-heimnis bleibt unter uns. Ein Lösegeld braucht ihr nicht zu bezahlen; ich führe keinen Krieg gegen Frauen und Kinder. An dem Tag, an dem ich deinem Mann begegne, werde ich mich persönlich mit ihm schlagen - und ich werde siegen, wenn ich weiß, daß du der Preis bist. Geh jetzt und schicke mir Leptine zurück. Morgen lasse ich dich begleiten, wohin du willst.«
Barsine küßte ihm die Hand und murmelte dabei unverständliche Worte in ihrer Muttersprache, dann wandte sie sich zum Ausgang des Zeltes, aber Alexander hielt sie noch einmal auf:
»Warte! «
Und während sie ihn mit schimmernden Augen ansah, ging er auf sie zu, nahm ihr Gesicht in die Hände und küßte sie auf den Mund.
»Leb wohl. Und vergiß mich nicht.« Dann begleitete er sie vors Zelt hinaus und sah ihr nach, während die Haltung der beiden wachenden Pezetairoi beim Anblick des Königs so steif wurde wie die Lanzenstangen, die sie umklammerten.
Leptine kehrte kurz darauf zurück. Sie war verärgert und fand es unverschämt, daß zwei kleine Jungen es gewagt hatten, sie gegen ihren Willen festzuhalten, aber Alexander beruhigte sie.
»Reg dich nicht auf, Leptine: Die Frau hatte nur Angst, daß ich ihr und ihren Kindern etwas antun würde; es hat eine Weile gedauert, bis ich ihr das ausgeredet hatte, aber jetzt ist alles in Ordnung. Geh ruhig schlafen, du bist sicher sehr müde.«
Er verabschiedete sie mit einem Kuß und legte sich gleichfalls wieder ins Bett.
Am nächsten Morgen veranlaßte er, daß Barsine, ihre Kinder und die beiden Begleiter bis zum Ufer des Mäander eskortiert wurden, ja er selbst folgte dem kleinen Konvoi über eine längere
Strecke hinweg.
Als er sein Pferd schließlich anhielt, winkte Barsine ihm zum Abschied zu.