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»Vielleicht möchte sie mit dir anbändeln«, meinte Lysimachos, der kurz hinter ihnen ritt und den Wortwechsel mitbekommen hatte, grinsend.
»Hör auf mit dem Unsinn«, fuhr Seleukos ihn an. »Was sollen wir machen, Alexander?«
»Nun, eine Gefahr dürfte kaum drohen. Wenn sie etwas von uns will, wird sie sich schon melden. Ich glaube, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen.«
Es ging im Schrittempo weiter, der berittenen Vorhut hinterher, die den Weg auskundschaftete und sicherte. Als man zu der Stelle kam, wo sich das Tal trichterförmig zur Stadt hin öffnete, gab Alexander das Zeichen zur Rast. Einige der »schildtragenden Gardisten« spannten schattenspendende Segeltücher für den König und seinen Generalstab.
Alexander lehnte sich an eine Ulme und trank Wasser aus einer Feldflasche. Die Hitze war mittlerweile fast unerträglich.
»Wir bekommen Besuch«, meinte Seleukos plötzlich.
Der König drehte sich um und sah eine kleine Gruppe seltsam anmutender Gestalten den Hügel herunterkommen: Auf einem weißen Maulesel, der von einem Mann am Zügel geführt wurde, ritt eine prächtig gekleidete Frau fortgeschrittenen Alters. Hinter ihr ging ein Diener mit Sonnenschirm und ein dritter verscheuchte mit einem Roßhaarwedel die Fliegen.
In geringem Abstand folgte ein Trüppchen bewaffneter Reiter, die einen alles andere als aggressiven Eindruck machten; den Abschluß des kleinen Zuges bildeten mehrere von Saumtieren gezogene Karren unterschiedlicher Größe.
Als die eigentümliche Karawane sich bis auf ein halbes Stadion genähert hatte, blieb sie stehen. Einer der Männer schritt auf die Ulme zu, in deren Schatten sich der König ausruhte, und bat, zu ihm vorgelassen zu werden.
»Großer König, meine Herrin, die Königin Ada von Karien, bittet dich um eine Audienz.«
Alexander gab Leptine ein Zeichen, damit sie ihm einen Umhang um die Schultern legte, das Haar ein wenig ordnete und ein Diadem aufsetzte, dann antwortete er dem Mann: »Deine Herrin ist jederzeit willkommen.«
»Auch jetzt gleich?« fragte der Fremde in stark orientalisch gefärbtem Griechisch.
»Selbstverständlich. Viel können wir zwar nicht anbieten, aber es wäre uns trotzdem eine große Ehre, sie an unseren Tisch laden zu dürfen.«
Eumenes hatte die Lage sofort erfaßt; er befahl, in aller Eile wenigstens Dach und Außenwände des königlichen Pavillons aufzuschlagen, damit die Gäste Schatten hatten, und darunter ließ er mehrere Tische und Speiseliegen aufstellen, was ebenfalls rasch geschah — so rasch, daß schon alles bereit war, als die Königin auf ihrem Maulesel eintraf.
Ein Diener kniete sich neben dem Tier auf den Boden, so daß die hohe Dame beim Absteigen seinen Rücken als Schemel benützen konnte. Dann schritt sie erhobenen Hauptes auf Alexander zu, der sie in respektvoller Haltung empfing.
»Herzlich willkommen, hohe Frau«, sagte er in sauberstem Griechisch. »Sprichst du meine Sprache?«
»Das will ich meinen«, erwiderte die Dame, während ihre Diener einen kleinen, kunstvoll geschnitzten Holzthron hinter sie stellten, den sie eiligst von einem der Karren abgeladen hatten. »Darf ich mich setzen?«
»Ich bitte dich«, sagte der König, indem er sich ebenfalls niederließ, und seine Kameraden taten das gleiche. »Das sind übrigens meine Freunde; sie sind wie Brüder für mich und dienen in meiner Leibgarde; ich stelle sie dir kurz vor: Hephaistion, Seleukos, Ptolemaios, Perdikkas, Krateros, Leonnatos, Lysima-chos und Philotas. Und der mit dem kriegerischen Aussehen hier neben mir«, fuhr er fort und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, »ist mein Generalsekretär, Eumenes aus Kardia.« terdrücken, »ist mein Generalsekretär, Eumenes aus Kardia.«
Die Dame neigte bei jedem Namen anmutig den Kopf. Alexander sah sie an: Sie mochte Mitte Fünfzig, Anfang Sechzig sein. Ihre Schläfen waren grau, da sie sich das Haar nicht färbte, aber sie mußte eine faszinierende Frau gewesen sein: Ihr enganliegendes karisches Gewand, das mit Szenen aus der Mythologie bestickt war, ließ Formen ahnen, die mit Sicherheit bis vor wenigen Jahren sehr anziehend gewesen waren.
Sie hatte heiter wirkende, bernsteinfarbene Augen, die nur ganz diskret geschminkt waren, eine schnurgerade Nase und stark hervortretende Wangenknochen, die ihr ein sehr würdiges Aussehen verliehen. Das Haar trug sie hochgesteckt und mit einem feinen Golddiadem geschmückt, in das Lapislazuli und Türkise eingelassen waren, aber sowohl ihre Kleidung wie ihre ganze Haltung hatten etwas Ältliches und irgendwie Wehmütiges.
Mit Vorstellungsritualen und Höflichkeitsfloskeln verging einige Zeit. Alexander merkte, daß Eumenes in aller Eile etwas auf ein Täfelchen kritzelte und dieses dann vor ihn auf den Tisch legte, wenn auch etwas verdeckt:
»Du hast Ada, die Königin von Karien, vor dir«, las er aus den Augenwinkeln.
»Sie war mit zweien ihrer Brüder verheiratet, einer davon zwanzig Jahre jünger als sie; beide sind inzwischen gestorben. Ihr jüngster Bruder Pixodaros, beinahe dein Schwiegervater, hat sie entmachtet. Interessante Begegnung -nütze die Gelegenheit!«
Alexander hatte die wenigen Zeilen kaum gelesen, als die Dame, die ihm gegenübersaß, Eumenes Worte auch schon bestätigte.
»Ich heiße Ada und bin die Königin von Karien«, sagte sie.
»Leider muß ich völlig zurückgezogen in meiner Festung in Alinda leben, und wenn mein Bruder könnte, hätte er mich von dort auch noch verjagt. .. Das Schicksal wollte, daß ich keine Kinder bekomme, und so sehe ich meinem Lebensabend mit etwas traurigem Herzen entgegen. Am meisten schmerzt mich jedoch die schändliche Art und Weise, auf die mein jüngster Bruder Pixodaros mich behandelt hat.«
»Wie hast du das bloß alles herausgebracht?« flüsterte Alexander seinem Sekretär hinter vorgehaltener Hand zu.
»Das ist meine Arbeit«, flüsterte Eumenes zurück. »Und mit diesen Leuten habe ich dir schon einmal aus der Klemme geholfen, weißt du noch?«
Alexander schmunzelte. Klar, er konnte sich noch sehr gut an den Wutanfall seines Vaters erinnern, als er dessen Pläne durchkreuzt und die Hochzeit zwischen seinem Halbbruder Arrhidaios und der Tochter des Satrapen Pixodaros verhindert hatte. Wie bizarr das Schicksal doch war: Er hatte die sonderbare Frau, die ihm da gegenübersaß, noch nie im Leben zu Gesicht bekommen, und doch fehlte wenig, und sie wären heute Verwandte.
»Darf ich dich an meine bescheidene Tafel bitten?« fragte er sie.
Die Dame neigte anmutig den Kopf. »Ich danke dir und nehme mit großem Vergnügen an. Da ich jedoch die Lagerküche kenne, habe ich mir erlaubt, das ein oder andere von zu Hause mitzubringen, in der Hoffnung, daß es dir schmeckt.«
Mit diesen Worten klatschte sie in die Hände, worauf ihre Diener allerlei Leckereien von den Karren abluden: knusprige Brotlaibe, Rosinenkringel, Mürbeteigkuchen, Gebäck aus Blätterteig und Honig und kleine Brötchen, die mit Rührei und Trauben gefüllt waren.
Hephaistion tropfte der Speichel aus dem Mund und Le-on-natos hätte am liebsten gleich die Hand ausgestreckt, wenn Eumenes ihm nicht auf den Fuß getreten wäre.
»Greift doch zu, ich bitte euch«, sagte die Dame. »Wir haben genug von allem mitgebracht.«
Das ließen Alexanders Kameraden sich nicht zweimal sagen. Wie hungrige Wölfe fielen sie über die Köstlichkeiten her, die sie an ihre Kindheit erinnerten, als sie noch liebevoll von Müttern und Ammen bekocht wurden. Alexander versuchte nur ein Plätzchen, dann ließ er sich auf einem Schemel neben der Königin nieder:
»Darf ich dich nun fragen, was dich bewegt hat, mich mit deinem Besuch zu ehren?«
»Ich habe dir ja schon gesagt, daß ich die Königin von Karien bin, die Tochter des Mausolo, dessen berühmtes Grabmal in Halikarnassos dir vom Hörensagen sicher bekannt ist. Mein Bruder Pixodaros hat mich vom Thron gestoßen und die ganze Macht an sich gerissen - insbesondere nach der Vermählung seiner Tochter mit dem persischen Satrapen Orontobates. Mir wurde alles weggenommen - nicht nur meine Macht, sondern auch die Unterhaltszahlungen, mein gesamtes Vermögen und einen Großteil meiner Besitztümer und Paläste.
All dies ist ungerecht und muß bestraft werden. Ich bin zu dir gekommen, junger König von Makedonien, um dir die Stadt Alinda mitsamt ihrer Festung zu Füßen zu legen; von dort kontrollierst du das gesamte Hinterland, ohne das Halikarnassos nicht überleben kann.«
Alexander sah die alte Dame an, als traue er seinen Ohren nicht; dabei hatte sie in völlig natürlichem Ton gesprochen -als gehe es hier nicht um Krieg, sondern um ein harmloses Gesellschaftsspiel.
Königin Ada winkte den Diener herbei, der das Tablett mit den Süßigkeiten in Händen hatte, und fragte Alexander mit einem reizenden Lächeln: »Noch ein Plätzchen, mein Junge?«
21
Alexander flüsterte Eumenes zu, daß er mit seiner Besucherin alleine gelassen werden wollte, und kurz darauf zogen sich seine Gefährten zurück, indem sich einer nach dem anderen respektvoll vor der alten Dame verneigte und irgendeine Entschuldigung vorbrachte. Wer statt dessen neu dazukam, war Peritas, angelockt vom Duft der Süßigkeiten, die schon immer seine Leibspeise gewesen waren.
»Verehrte Königin«, hob Alexander an, »ich fürchte, ich verstehe nicht richtig: Du willst mir die Stadt Alinda samt ihrer Festung übergeben, ohne etwas dafür zu verlangen?«
»Nun, ganz so großzügig bin ich nicht«, erwiderte die Königin Ada. »Eine kleine Gegenleistung möchte ich schon.«
»Das verstehe ich gut«, erwiderte Alexander. »Laß also hören, was du dir wünschst.«
»Ein Kind«, erwiderte Ada, als handle es sich um die größte Selbstverständlichkeit der Welt.
Alexander erblaßte und starrte sie, das Plätzchen in der Hand, mit aufgesperrtem Mund an. Peritas bellte, als wolle er ihn darauf aufmerksam machen, daß er den Leckerbissen ja ihm geben konnte, wenn er selbst sich nicht dazu entschließen konnte, ihn zu verspeisen.
»Ich . . . ich glaube nicht, daß ich in der Lage bin, verehrte Frau . . .«
Ada lächelte. »Du hast mich falsch verstanden, mein Junge.« Auch die Tatsache, daß sie ihn »mein Junge« nannte, wo sie sich doch gerade erst kennengelernt hatten, war nicht gerade alltäglich. »Schau, mir war es leider nie vergönnt, ein Kind zu be-kommen, und vielleicht war das auch besser so, denn Brauchtum und dynastische Verpflichtungen haben mich gezwungen, meine eigenen Brüder zu heiraten, zuerst einen und dann den anderen.
Wenn mir das Schicksal jedoch einen normalen Gatten und ein Kind zugedacht hätte, dann hätte ich mir einen Sohn wie dich gewünscht: gutaussehend und freundlich, von vornehmer Haltung und gepflegten Umgangsformen, dabei kühn und entschlossen, aber auch liebevoll und herzlich. .. eben so, wie du bist - wenigstens nach allem, was ich bisher über dich gehört habe und im übrigen nur bestätigen kann. Mit anderen Worten, lieber Alexander: Ich bitte dich, mein Sohn zu werden.«