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»Na, prächtig! Das Glück ist auf unserer Seite«, meinte Ptole-maios. »Ein sicherer Hafen ist genau das, was wir brauchen; dort können wir unsere Schiffe in Ruhe abladen und die Belagerungsmaschinen zusammenbauen.«
»Geh mit deinen Männern nach Myndos«, sagte Alexander zu Perdikkas, »und bereite die Ankunft unserer Flotte vor. Wenn alles in Ordnung ist, schickst du mir einen Boten, damit ich Nearchos benachrichtigen kann.«
»Aber, König«, wandte der Besucher ein, »meine Stadt hoffte, du würdest selbst kommen; sie möchte dir einen würdigen Empfang bereiten und . . .«
»Nicht jetzt, guter Mann: Mein Heer muß so nah wie möglich an die Mauern von Halikarnassos herankommen, und ich will diese Operation persönlich leiten. Für den Moment danke ich deinen Mitbürgern für die große Ehre, die sie mir bereiten.«
Der Mann verabschiedete sich, und nachdem er gegangen war, nahm Alexander den Kriegsrat wieder auf.
»Also, wenn ihr mich fragt: Wir hätten Königin Adas Leckereien nicht zurückschicken sollen«, meinte Lysimachos grinsend. »Mit ihnen hätten wir diese ungeheuerlichen kriegerischen Anstrengungen ganz anders in Angriff nehmen können.«
»Hör auf«, zischte Ptolemaios. »Wenn ich recht verstanden haben, was Alexander im Kopf herumspukt, vergeht dir bald das Lachen . . .«
»Das glaube ich auch«, meinte Alexander und zog sein Schwert aus der Scheide, um mit der Spitze einen Lageplan in den Sand zu zeichnen. »Seht her: Das hier ist Halikarnassos. Es schmiegt sich in eine Bucht und besitzt zwei Festungen: eine rechts und eine links vom Hafen. Vom Meer her ist es also völlig unangreifbar. Und nicht nur das: Von dort kann es auch ständig versorgt werden. Belagern kommt folglich nicht in Frage.«
»Klar«, Ptolemaios nickte, »ohne Blockade keine Belagerung . . .«
»General Parmenion, was schlägst du vor?« fragte der König.
»In dieser Situation gibt es nur eine Möglichkeit: vom Land her angreifen, eine Bresche schlagen, in die Stadt einfallen und den Hafen besetzen - wenn wir das schaffen, wäre die persische Flotte vom gesamten Ägäischen Meer abgeschnitten.« »Richtig, General. Und genau so werden wir verfahren. Du, Perdikkas, ziehst morgen früh nach Myndos und nimmst die Stadt in Besitz. Danach läßt du unsere Flotte in den Hafen einfahren, lädst die Belagerungsmaschinen ab, baust sie zusammen und führst sie von Westen kommend zur Mauer von Halikarnassos. Dort haben wir inzwischen das Gelände eingeebnet, damit wir Belagerungstürme und Rammböcke problemlos aufstellen können.«
»In Ordnung«, sagte Perdikkas. »Dann gehe ich jetzt zu meinen Männern und leite alles in die Wege, wenn du sonst keine Befehle hast.«
»Nein, geh nur, aber komm heute abend noch mal bei mir vorbei. Und nun zu euch«, sagte Alexander, indem er sich den anderen Gefährten zuwandte. »Ihr bekommt eure Aufgaben und Positionen morgen zugeteilt, wenn wir kurz vor der Mauer sind, also gegen Abend. Jetzt könnt ihr zu euren Verbänden zurück, und nach dem Abendessen: marsch ins Bett! Wir haben harte Tage vor uns.«
Nachdem die Versammlung sich aufgelöst hatte, schlenderte Alexander alleine am Strand entlang und sah zu, wie der feuerrote Sonnenball ins Meer eintauchte und die vielen kleinen und großen Inseln vor der Küste langsam im Dunkeln versanken.
Die Abendstimmung und der Gedanke an die harte Probe, die ihm bevorstand, machten ihn etwas wehmütig, und er dachte voller Sehnsucht an die Jahre seiner Kindheit zurück, als alles Traum und Phantasie gewesen war und er sich seine Zukunft als einen einzigen langen Ritt auf einem geflügelten Pferd ausgemalt hatte.
Er dachte an seine Schwester Kleopatra im Palast von Buthro-ton, steil überm Meer, an sein Versprechen, jeden Tag mit Einbruch der Nacht ihrer zu gedenken, und er hoffte, sie könne ihn hören und der laue Wind streife ihre Wange wie mit einem zarten Kuß. Kleopatra . . .
Als er in sein Zelt zurückkehrte, hatte Leptine bereits die Öllampen angezündet und das Abendessen vorbereitet.
»Ich wußte nicht, ob du heute abend Gäste hast. Deshalb habe ich nur für dich gedeckt.«
»Gut gemacht. Ich habe keinen großen Appetit.«
Er streckte sich auf einer Liege aus und ließ sich servieren, Peritas zwängte sich unter den Tisch und wartete auf Abfälle. Draußen im Lager herrschte die gedämpfte Geräuschkulisse des Abendessens, die wie immer der nächtlichen Stille und der ersten Wachablösung vorausging.
Irgendwann kam Eumenes mit einer Papyrusrolle in der Hand herein.
»Nachrichten von deiner Schwester, Königin Kleopatra von Epeiros«, verkündete er.
»Wie seltsam - erst vorhin bei meinem Spaziergang am Meer habe ich an sie gedacht.«
»Fehlt sie dir?« fragte Eumenes.
»Sehr .. . ihr Lächeln, ihre strahlenden Augen, der Klang ihrer Stimme, ihre menschliche Wärme und Zuneigung - einfach alles.«
»Perdikkas fehlt sie noch mehr: Er würde sich einen Arm abhacken lassen, wenn er sie dafür mit dem andern umarmen dürfte . . . Nun ja, dann gehe ich jetzt wieder.«
»Nein, bleib noch ein bißchen. Trink einen Schluck Wein mit mir.«
Eumenes schenkte sich einen Becher Wein ein und setzte sich auf einen Schemel, während Alexander den Brief seiner Schwester zu lesen begann:
»Kleopatra an ihren geliebten Bruder Alexander. Heil! Ich kann mir nicht vorstellen, wo dich dieses Schreiben erreichen wird: ob auf dem Schlachtfeld, während einer Waffenpause oder bei der Belagerung irgendeiner Festung. Ich bitte dich, geliebter Bruder, setze dich keiner unnötigen Gefahr aus.
Wir haben alle von deinen großartigen Unternehmungen er-fahren und sind sehr stolz auf dich. Mein Mann ist sogar ein wenig neidisch, er ist schon ganz aufgeregt und kann es kaum erwarten, ebenfalls aufzubrechen, um ähnlichen Ruhm wie du zu erwerben. Ich dagegen würde ihn am liebsten gar nicht fortlassen, weil ich Angst vor dem Alleinsein habe und weil es so schön ist, ihn in diesem Palast überm Meer an meiner Seite zu haben. Bei Sonnenuntergang steigen wir immer auf den höchsten Turm hinauf und schauen der Sonne zu, wie sie in den Wellen versinkt, bis alles dunkel ist und der Abendstern am Himmel aufgeht.
Wie gerne würde ich Gedichte darüber schreiben, aber wenn ich die von Sappho und Nossis lese, die Mama mir zum Abschied mitgegeben hat, weiß ich, daß mir etwas Ähnliches niemals gelingen würde.
Dafür widme ich mich dem Gesang und der Musik. Alexander hat mir eine Sklavin geschenkt, die wundervoll Flöte und Kithara spielt und mir eine hingebungsvolle und geduldige Lehrerin ist.
Wann werde ich dich wiedersehen? Ich opfere jeden Tag den Göttern, damit sie dich beschützen.
Leb wohl, Alexander.«
Der König rollte den Brief wieder zusammen und senkte den Kopf.
»Schlechte Nachrichten?« fragte Eumenes. »Nein, eigentlich nicht. Ich habe nur manchmal das Gefühl, daß meine Schwester wie ein Vögelchen ist, das viel zu früh sein Nest verlassen hat: Immer wieder kommt ihr zu Bewußtsein, daß sie ja eigentlich noch ein junges Mädchen ist, und dann hat sie Heimweh nach ihren Eltern und ihrer Heimat .. .«
In diesem Augenblick kam Peritas unter dem Tisch hervor-gekrochen und rieb winselnd die Schnauze an Alexanders Bein, um gestreichelt zu werden.
»Perdikkas ist übrigens schon aufgebrochen«, sagte der Sekretär. »Morgen früh wird er in Myndos sein und den Hafen für unsere Flotte in Beschlag nehmen. Alle anderen Kameraden sind bei ihren Verbänden, bis auf Leonnatos, der sich mit zwei Mädchen zurückgezogen hat. Kallisthenes sitzt schreibend in seinem Zelt - und er ist nicht der einzige.«
»Ach, nein?«
»Nein. Ptolemaios führt ein Art Tagebuch, und Nearchos soll in seinem Boot angeblich auch schreiben. Wie er das bei dem ständigen Geschaukel macht, ist mir ein Rätsel. Ich hab allein bei unserer Überquerung der Meerengen zweimal gespuckt.«
»Na ja, er wird sich daran gewöhnt haben.«
»Wahrscheinlich. Und Kallisthenes? Hat er dir schon was zu lesen gegeben?«
»Nein. Er hütet seine Arbeit eifersüchtig. Ich darf erst die endgültige Fassung sehen, sagt er.«
»Pah, bis er die fertig hat, dauert es noch Jahre.«
»Das fürchte ich auch.«
»Es wird hart werden . . .«
»Was?«
»Halikarnassos einzunehmen.«
Alexander nickte und kraulte Peritas hinter den Ohren.