37286.fb2
23
Alexander erwachte, weil Peritas plötzlich zu knurren begann, und er begriff auch sofort, was den Hund alarmiert hatte: das Geräusch herangaloppierender Pferde nämlich und das unmittelbar darauffolgende erregte Stimmengewirr vor seinem Zelt. Er warf sich rasch seine Chlamys über die Schultern und ging hinaus. Draußen war es noch dunkel, bis auf den Mond, der knapp über den Hügeln am milchig verschleierten Himmel stand.
Alexander sah einen seiner Soldaten vom Pferd springen und auf ihn zulaufen: »König!« schrie er keuchend. »Das war ein Hinterhalt, eine Falle!«
»Was sagst du da?« fragte Alexander, indem er ihn an seinem Chiton packte.
»Der Mann von heute morgen - er hat uns in eine Falle gelockt. Als wir uns den Toren von Myndos näherten, sind wir plötzlich von allen Seiten angegriffen worden: vom Himmel ein Hagel von Speeren und Pfeilen und von den Hügeln herunter schwa-renweise leichtbewaffnete Reiter - sie haben auf uns geschossen, dann umgedreht und neuen Reitern Platz gemacht . .. Wir haben uns verteidigt, so gut es ging, König. Aber wenn unsere Flotte in den Hafen eingelaufen wäre, hätten wir nicht das Geringste ausrichten können - es waren überall Brandpfeilkatapulte aufgestellt.«
»Wo ist Perdikkas?«
»Noch dort. Es ist ihm gelungen, seine Männer an einer geschützten Stelle zu sammeln, aber er braucht dringend Hilfe.«
Alexander ließ den Mann wieder los, und als er seine Hände betrachtete, waren sie blutverschmiert. »Dieser Mann ist verletzt!« rief er. »Holt einen Chirurgen, schnell!«
Der Arzt Philipp, der sein Zelt in der Nähe hatte, war augenblicklich zur Stelle und nahm sich des Verwundeten an.
«Unterrichte deine Kollegen über den Ernst der Lage«, sagte Alexander zu ihm. »Laß Operationstische richten, heißes Wasser, Verbandmaterial, Essig und alles, was ihr sonst noch braucht.«
Inzwischen waren auch Hephaistion, Eumenes, Ptolemaios, Krateros, Kleitos, Lysimachos und die anderen herbeigeeilt, alle in voller Rüstung und bewaffnet.
»Krateros!« schrie der König, kaum daß er ihn sah.
»Zu Befehl, König!«
»Perdikkas ist in der Klemme - nimm dir zwei Kavallerieschwadrone und reite auf der Stelle zu ihm. Aber ich will keine Kämpfe! Ihr sammelt nur die Toten und Verletzten ein und kommt zurück.« Alexander drehte sich um: »Ptolemaios!«
»Zu Befehl, König!«
»Du reitest mit einem Trupp Späher und einer Abteilung thra-kischer und triballischer Reiter die Küste ab und suchst eine Anlaufstelle für unsere Schiffe - egal wo. Sobald du sie gefunden hast, gibst du Nearchos Bescheid und hilfst ihm beim Abladen der Belagerungsmaschinen.«
»Jawohl, König!«
»Kleitos!«
»Zu Befehl, König!«
»Du besetzt die Einfahrt in den Hafen von Myndos. Laß alle beweglichen Katapulte, die wir besitzen, dorthin schaffen. Ab sofort darf kein einziges Schiff mehr die Einfahrt passieren -nicht einmal Fischerboote. Wenn deine Position es erlaubt, schleuderst du Brandpfeile auf die Stadt, so viele du kannst.
Zögere nicht, sie bis aufs letzte Haus niederzubrennen!«
Alexander kochte innerlich vor Wut.
»Memnon«, knurrte er.
»Hast du etwas gesagt?« fragte Eumenes.
»Memnon! Das ist sein Werk! Er zahlt mir alles zurück, Zug um Zug. Neulich habe ich die persische Flotte vom Land abgeschnitten, jetzt will er unsere am Anlegen hindern. Ja, das kann nur sein Werk sein, da bin ich mir völlig sicher. Hephaistion!«
»Zu Befehl, König!«
»Du reitest mit der thessalischen Kavallerie und einer Schwadron Hetairoi augenblicklich nach Halikarnassos und suchst einen günstigen Ort für unser Lager - am besten vor dem östlichen oder nördlichen Teil der Mauer. Dann schaust du, wo wir unsere Belagerungsmaschinen plazieren können. Wenn du eine geeignete Stelle gefunden hast, sollen die Pioniere das Gelände einebnen. Aber mach schnell!«
Mittlerweile war das ganze Lager hellwach. Überall sammelten sich Kavallerieabteilungen, Pferde wieherten, Zurufe und trockene Befehle hallten durch die Nacht.
In diesem Moment traf auch General Parmenion in Begleitung von zwei Adjutanten ein.
»Zu Befehl, König!«
»Wir sind verraten worden, General. Perdikkas ist in Myndos in einen Hinterhalt geraten. Wir wissen noch nicht, ob ihm etwas passiert ist. Ich weiß nur, was wir jetzt machen: Gib Order, das Frühstück auszuteilen, und danach läßt du unser Fußvolk und die Reiterei Marschaufstellung einnehmen. Mit Sonnenaufgang müssen wir auf dem Weg sein. Halikarnassos wird noch heute angegriffen!«
Parmenion drehte sich nach seinen Adjutanten um: »Habt ihr gehört? Dann los!«
»General. . .«
»Noch etwas, Herr?«
»Ja. Schick Philotas mit ein paar Reitern nach Myndos. Ich möchte so schnell wie möglich über die Lage dort unterrichtet werden.«
»Da ist er«, entgegnete Parmenion, auf seinen Sohn deutend, der just in diesem Moment angelaufen kam. »Er wird sofort losreiten.«
Während Alexander sich noch mit dem General unterhielt, machten Hephaistion und seine Kavallerieschwadrone sich bereits auf den Weg nach Halikarnassos. Eine riesige Staubwolke aufwirbelnd stoben sie davon.
Mit den ersten Sonnenstrahlen waren sie in Blickweite der Stadt. Soweit man es aus der Ferne erkennen konnte, rührte sich nichts - wenigstens vor den Mauern nicht. Hephaistion sah sich um und entdeckte nicht weit entfernt ein großes, flaches Gelände, das sich für ein Lager eignete. Also gab er seinem Roß die Sporen und besetzte den Platz im Fluge - oder ließ ihn vielmehr von seinen Männern besetzen.
Von hier nach Halikarnassos war die Landschaft leicht hügelig, so daß man nicht gut sehen konnte, ob und was sich in unmittelbarer Nähe der Mauer tat. Hephaistion befahl deshalb, sich der Stadt ab nun im Schrittempo und sehr vorsichtig zu nähern.
In der Stille der Morgendämmerung wirkte alles ruhig und friedlich, doch plötzlich hörte Hephaistion ein seltsames Geräusch, bald dumpf, bald scheppernd wie von Metall, das auf Erde oder Stein traf. Er ritt weiter bis an den äußersten Rand einer Hügelkuppe, und dann sah er etwas, das ihm wahrhaft die Sprache verschlug: einen langen, gut fünfunddreißig Fuß brei-ten und achtzehn Fuß tiefen Graben nämlich, in dem Hunderte von Männern standen und Erde schaufelten. Am Rand des Grabens war bereits ein gigantischer Wall angehäuft.
»Verdammt noch mal!« fluchte Hephaistion. »Wir haben zu lange gewartet. Du!« sagte er dann zu einem seiner Soldaten. »Reite sofort zurück und gib dem König Bescheid.«
»In Ordnung«, erwiderte der Mann, wandte sein Pferd und galoppierte in Richtung des Lagers davon. Aber genau in diesem Moment öffnete sich eins der Stadttore von Halikarnassos, und herausgesprengt kam eine Reiterschwadron, die den einzig möglichen Weg einschlug, nämlich den schmalen Streifen Land zwischen dem Graben und der Stadtmauer.
»Die kommen ja direkt auf uns zu!« schrie der thessalische Kommandeur. »Hier rüber, Männer, hier herüber!«
Hephaistion befahl seiner Truppe, eine Wende zu machen und dem Feind entgegenzureiten, der von dem engen Korridor zwischen Mauer und Graben so schnell wie möglich ins freie Feld hinauszukommen versuchte.
Innerhalb weniger Augenblicke hatten sich die Männer auf seinen Befehl hin zu einer zweihundert Fuß breiten und vier Reihen tiefen Front angeordnet, die Hephaistion auf die Spitze der langen feindlichen Kolonne zuführte. Kurz vor dem Wall kam es zum Zusammenstoß. Da die Gegner nicht genügend Zeit hatten, ihre Pferde zu schnellerem Tempo anzutreiben, fiel es Hephaistion und seinen Soldaten nicht allzu schwer, sie wieder hinter den Wall zurückzudrängen. Trotzdem entspann sich ein erbittertes Gefecht.
Als die Arbeiter unten im Graben das laute Schwerterklirren vernahmen, warfen sie ihre Schaufeln weg, kletterten so schnell es ging die steilen Wände empor und rannten in panischer
Angst auf das Stadttor zu. Doch zu ihrem Unglück hatten die Verteidiger der Stadt es inzwischen geschlossen.
Eine Gruppe von Thessalern preschte den Todgeweihten auf dem schmalen Streifen zwischen Mauer und Graben nach und beschoß sie so lange mit Pfeilen und Speeren, bis kein einziger von ihnen mehr am Leben war. Kurz darauf stürmte jedoch eine neue Kavallerieschwadron aus einer verborgenen Seitenpforte und griff die Thessaler von der Seite an, so daß sie alle Mühe hatten, sich wieder zurückzuziehen.
Die Scharmützel gingen noch eine ganze Zeitlang weiter, ohne daß eine der beiden Parteien einen klaren Sieg errungen hätte, aber zu guter Letzt gewann Hephaistion die Oberhand, indem er seine noch ausgeruhten Hetairoi nach vorn schickte, damit sie die erschöpften Thessaler ablösten. An diesem Punkt zogen die Feinde sich bis vor ihr Stadttor zurück, das auch sofort geöffnet wurde, um sie einzulassen.
Von einer weiteren Verfolgung bis hinein in die Stadt sah Hephaistion wohlweislich ab: Auf den mächtigen Türmen rechts und links des Tores drängten sich scharenweise Bogenschützen und Lanzenwerfer, die nur darauf warteten, ihre Geschosse loszuwerden. Nein, Hephaistion gab sich damit zufrieden, einen Platz für das Lager erobert zu haben, und ordnete seinen Männern an, bis zur Ankunft der Pioniere schon einmal mit dem Ausheben eines Schützengrabens zu beginnen. Ein paar Reiter hingegen beauftragte er damit, Wasserquellen ausfindig zu machen, an denen Mensch und Pferd ihren Durst löschen konnten, wenn das restliche Heer erst einmal eingetroffen war.