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»Dieses Ding braucht keine Räder«, erwiderte Alexander. »Damit wollen sie die Mauerbresche unter Beschuß nehmen, sobald wir uns dort blicken lassen.«
»Bei Zeus!« entfuhr es Krateros. »Den Pfeilhagel so eines Geschützes überlebt keiner.«
»Ich habe euch ja gesagt, daß Memnon ein harter Knochen ist«, meinte Parmenion.
Alexander drehte sich verärgert nach ihm um: »Ich werde alles wegfegen, General - die äußere Mauer, die dahinter und den verdammten Holzturm auch. Ob es Memnon paßt oder nicht. Krateros!« sagte er dann. »Beobachte den Turm und halte mich auf dem laufenden.« Und mit diesen Worten rannte er die Treppe hinunter, kletterte auf sein Pferd und ritt ins Lager zurück.
Die Bresche wurde noch breiter gemacht, aber Memnon konterte jeden Sturmangriff der Makedonen mit einer Gegenattacke; mehrere Reihen Bogenschützen, die er auf der neuen Befestigungsanlage plaziert hatte, unterstützten ihn dabei tatkräftig von oben herab. Alexanders Operationen waren an einem toten Punkt angelangt; die Sommerhitze wurde von Tag zu Tag unerträglicher, die Vorräte schwanden.
Eines Nachts waren wieder einmal Perdikkas und seine Männer an der Reihe, die Mauerbresche zu überwachen. Am Abend war eine Lieferung Wein aus Ephesos eingetroffen, ein Geschenk der Stadtverwaltung an Alexander, und der König hatte eine gewisse Menge davon an seine Offiziere verteilen lassen.
So guter Rebensaft war schon lange nicht mehr ausgeschenkt worden: Perdikkas und seine Männer übertrieben und waren gegen Mitternacht alle miteinander ziemlich angeheitert. Einer von ihnen pries die Schönheit der Frauen von Halikarnassos, von der ihm ein Händler im Lager berichtet hatte, und die anderen gerieten darüber so in Erregung, daß sie sich in allerlei Phantasien ergingen, wie die Stadt im Handstreich zu nehmen und ein für allemal zu unterwerfen sei.
Irgendwann verließ Perdikkas das Zelt und betrachtete die verfluchte Bresche, in der schon so viele tüchtige makedonische Soldaten ihr Leben gelassen hatten. In diesem Augenblick benebelte die laue Meeresbrise seinen Verstand vollends: Er sah sich wieder vor den Mauern Thebens, wie er mit seinen Männern das Stadttor stürmte und die lange Belagerung schlagartig beendete.
Er dachte an Kleopatra, an die Nacht, in der sie ihn in ihr Bett aufgenommen hatte. Es war eine Nacht wie diese gewesen -heiß und duftgeschwängert.
Er dachte, daß ein Sieg gar nicht so unmöglich sei, wenn die Entschlossenheit da war, und wie alle Betrunkenen bildete er sich ein, allmächtig zu sein und die kühnsten Träume verwirklichen zu können. Schon sah er in seinem Wahn Alexander das Heer zu seinen Ehren versammeln und von den Herolden eine feierliche Lobrede auf den Eroberer von Halikarnassos verlesen lassen.
Mit entrücktem Gesicht kehrte er ins Zelt zurück und sagte halblaut, so daß nur die Allernächsten ihn hören konnten:
»Versammelt eure Männer, wir greifen die Bastion an.«
26
»Hab ich richtig gehört? Du willst die Bastion angreifen?« fragte einer seiner Offiziere.
»Jawohl«, erwiderte Perdikkas. »Und in dieser Nacht wird sich zeigen, ob du wirklich soviel Schneid hast, wie du immer behauptest.«
Höhnisches Gelächter folgte der Bemerkung. »Also, Kameraden, wer macht mit?« schrie ein anderer.
Perdikkas war unglaublich ernst in seinem Rausch: »Es geht los, sobald ihr bei euren Abteilungen seid, sprich: sofort. Ich lasse als Zeichen eine Laterne auf meinem Zelt hissen. Schafft Leitern, Enterhaken und Seile zur Mauer. Wir greifen auf die alte Art an: ohne Rammböcke und Katapulte, in aller Stille. Gut, worauf wartet ihr noch? Nichts wie los!«
Seine Gefährten sahen sich sprachlos an, doch schließlich gehorchten sie, denn Perdikkas' Blick und der Ton seiner Stimme ließen keine Widerrede zu. Kurz darauf erschien auf dem Dach seines Zelts eine brennende Laterne. Beinahe lautlos und in geschlossenen Reihen rückten die makedonischen Abteilungen zu der breiten Mauerbresche vor, durch die man die dahinter gelegene, neu errichtete Verstärkungsmauer erkennen konnte.
»Haltet euch bis zum letzten Moment im Schutz der alten Mauer«, befahl Perdikkas. »Erst auf mein Zeichen hin stürmt ihr los. Wir müssen ihre Wachtrupps überraschen und fertigmachen, bevor sie Nachschub bekommen. Sobald wir die Mauer erobert haben, stoßen wir in die Trompeten, damit der König und die anderen Truppenführer nachziehen. Und jetzt, vorwärts!«
Die Offiziere gaben den Befehl an ihre Männer weiter, die geduckt nach vorn liefen und sich auf beiden Seiten der Mauerbresche gruppierten. Auf Perdikkas' Zeichen hin stürmten sie auf die innere Bastion los, die in etwa hundert Schritt Entfernung aus der Finsternis aufragte. Doch als sie gerade die Leitern anstellten und die Wurfhaken schwangen, zerriß ein Schrei die Stille der Nacht, gefolgt von schrillem Trompetengeschmetter und lautem Waffenklirren.
Und plötzlich wimmelte es auf der Mauer von Kriegern; andere Soldaten quollen einem ausufernden Fluß gleich aus dem Mylasator und seiner Seitenpforte, fielen Perdikkas' Truppen in den Rücken und drängten sie an die Mauer, wo ein dichter Hagel von Pfeilen auf sie niederging.
»Oh, bei den Göttern!« schrie einer der Offiziere. »Wir sitzen in der Falle. Schlag Alarm, Perdikkas, schlag Alarm! Ruf den König zu Hilfe!«
»Nein!« schrie Perdikkas zurück. »Noch ist nicht alles verloren. Gebt uns Rückendeckung: Wir klettern die Mauer hinauf! «
»Du bist wahnsinnig!« brüllte der Offizier noch lauter. »Merkst du nicht, daß wir bereits umzingelt sind? Schlag Alarm, oder ich tu's, verdammt noch mal!«
Perdikkas drehte verwirrt den Kopf und erkannte das Ausmaß der Katastrophe. Sein Rausch war schlagartig verflogen, doch der Überlebenstrieb flößte ihm den Mut eines Löwen ein:
»Alles mir hinterher!« befahl er. »Alles mir hinterher! Wir kämpfen uns den Weg ins Lager frei. Trompete, Alarm! Alarm!«
Der Schall der Trompeten durchbrach die dicke, schwülwarme Nachtluft, hallte von den Wänden der weiten Talmulde zurück und erreichte Alexanders Lager als langezogener, eintöniger Klagelaut.
»Alarmtrompeten, König!« schrie einer der Leibwächter, als er in das königliche Zelt gerannt kam. »Drüben, an der Stadtmauer!«
Alexander sprang aus dem Bett und packte ihn an der Schulter. »Perdikkas . . . dieser Bastard, ich hätte ahnen müssen, daß er was anstellt!«
Er rannte hinaus und schrie: »Auf die Pferde! Alles auf die Pferde! Perdikkas ist in Gefahr!« Und dann preschte er selbst als erster davon, gefolgt von seiner Leibwache, die zu jeder Tagesund Nachtstunde in voller Kampfmontur war.
Perdikkas hatte sich unterdessen an die Spitze seiner Männer gestellt und schwang wie ein Wilder sein Schwert, um sich und seinen Männern einen Weg zurück zu bahnen, aber die feindlichen Truppen hatten sich vor ihnen in der Mauerbresche konzentriert und waren natürlich im Vorteil, zumal die Makedonen zuerst die riesigen Trümmerberge vor der Bresche überwinden mußten.
Vom schrillen, unheilvoll klingenden Geschmetter der Trompete begleitet, erreichte Perdikkas schließlich die Mauerlücke. Hände und Knie bluteten, trotzdem kämpfte er sich mit dem Mut und der Kraft eines Verzweifelten durch die gegnerischen Reihen.
Als endlich der Hufschlag von Alexanders Reiterei zu hören war, hatte er sich bereits einen Weg gebahnt und zog seine Soldaten hinter sich her in Richtung des offenen Feldes.
Memnons Truppen schlossen sich hinter ihnen zusammen und wichen kompakt zur Mauer zurück. Das Gelände war mit Leichen übersät - den Leichen der makedonischen Soldaten, die sich von ihrem Anführer zu diesem selbstmörderischen Angriff hatten hinreißen lassen.
Alexander stand plötzlich vor ihm, als hätte die Nacht selbst ihn geboren. Sein im Wind wehendes Haar erinnerte an eine Löwenmähne, und seine Wangen waren gerötet, wie Perdikkas im Schein der Fackeln erkennen konnte.
»Was hast du getan, Perdikkas, was hast du getan? Du hast deine Soldaten zur Schlachtbank geführt!«
Perdikkas fiel auf die Knie vor Erschöpfung und Verzweiflung. Alexanders Kavallerie nahm Schlachtordnung ein, um einen eventuellen Gegenangriff des Feindes abwehren zu können. Aber Memnons Veteranen drängten sich in der Mauerbresche Schild an Schild aneinander und überließen es dem Feind, den nächsten Zug zu tun.
»Wir warten bis zum Morgengrauen«, beschloß Alexander. »Jetzt weiterzumachen wäre viel zu gefährlich.«
»Gib mir neue Truppen, Alexander, laß mich angreifen, laß mich das wiedergutmachen!« schrie Perdikkas.
»Nein«, erwiderte der König fest. »Ein Irrtum reicht für heute. Du bekommst noch ausreichend Gelegenheit, das wiedergutzumachen.«
Und so harrten sie den Rest der Nacht tatenlos aus. Ab und zu schossen die Feinde einen Brandpfeil ab, um das Gelände vor der Bresche zu beleuchten; wie eine Sternschnuppe zischte er durch die Dunkelheit und bohrte sich vibrierend in den Boden.
Mit Sonnenaufgang befahl der König Perdikkas, seine Männer zu versammeln, um die Anzahl der Gefallenen und Vermißten festzustellen: Von zweitausend Soldaten, die er mitgenommen hatte, erschienen nur tausendsiebenhundert zum Appell. Die anderen waren Opfer des Hinterhalts geworden, und ihre Leichen lagen nun unbestattet auf dem Schlachtfeld, irgendwo zwischen der Bresche und dem inneren Mauerring.
Alexander ließ einen Herold rufen und trug ihm auf, Memnon um eine Unterredung zu bitten: »Ich möchte die Herausgabe der Leichen mit ihm verhandeln.«
Der Herold hörte sich die Bedingungen des Königs an, dann holte er sich eine weiße Fahne, stieg auf sein Pferd und ritt auf die feindlichen Linien zu. Außer der Friedensfahne wurde zur Bekundung seiner friedlichen Absichten auch dreimal in eine Trompete gestoßen.
Als von der Bresche her ebenfalls drei Trompetenstöße ertönten, näherte sich der Mann im Schrittempo der Mauerruine.
Es verging ein wenig Zeit, dann trat ihm ein zweiter Herold zu Fuß entgegen. Er hatte einen starken dorischen Akzent und mußte daher aus einer griechischen Kolonie stammen, vermutlich aus Rhodos.
»König Alexander möchte die Herausgabe unserer Gefallenen verhandeln«, sagte der makedonische Herold. »Er läßt fragen, was für Bedingungen euer Anführer diesbezüglich stellen würde.«
»Ich bin nicht bevollmächtigt, dir irgendwelche Bedingungen zu nennen«, erwiderte der andere. »Ich kann dir nur sagen, daß unser Kommandeur Memnon bereit ist, deinen König unmittelbar nach Sonnenuntergang persönlich zu treffen.« »Wo?«
»Dort hinten.« Der Grieche deutete auf einen wilden Feigenbaum, der neben einem monumentalen Grabmal an der Straße nach Mylasa wuchs. »Aber euer Heer muß ein Stadion zurückweichen: Die Begegnung wird exakt auf halber Strecke zwischen uns und euch stattfinden. General Memnon wird keine Leibwache dabeihaben, und dasselbe erwartet er von König Alexander.«
»Gut, ich gehe und richte alles aus«, sagte der makedonische